TE Vfgh Erkenntnis 2018/6/27 E983/2018

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Veröffentlicht am 27.06.2018
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §3, §8, §10, §13
FremdenpolizeiG 2005 §52, §53
VwGVG §29 Abs2, Abs4

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Nichtzuerkennung des Status eines Asylberechtigten bzw subsidiär Schutzberechtigten und Erlassung einer Rückkehrentscheidung sowie eines auf die Dauer von zehn Jahren befristeten Einreiseverbotes mangels Begründung der - mündlich verkündeten - Entscheidung

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I.       Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1.        Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger Mauretaniens. Er stellte erstmals am 24. Juni 2003 einen Antrag auf internationalen Schutz, der mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 5. April 2004 abgewiesen wurde. Diese Entscheidung erwuchs in Rechtskraft. Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 17. Februar 2005 wurde gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen. Der gegen diese Entscheidung erhobenen Berufung wurde keine Folge gegeben. Der Beschwerdeführer weist mehrere strafrechtliche Verurteilungen auf. Am 27. Juni 2013 stellte der Beschwerdeführer den gegenständlichen, neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz.

2.       Mit Bescheid vom 10. Juli 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) diesen Antrag hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß §3 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß §8 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) ab. Es erteilte keinen Aufenthaltstitel gemäß §57 AsylG 2005, erließ gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß §52 Abs2 Z2 FPG und stellte gemäß §52 Abs9 FPG die Zulässigkeit der Abschiebung gemäß §46 FPG nach Mauretanien fest (Spruchpunkt III.). Gemäß §55 Abs1a FPG besteht keine Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt IV.). Weiters wurde einer Beschwerde gegen diese Entscheidung gemäß §18 Abs1 Z2 und 5 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt V.), ausgesprochen, dass der Beschwerdeführer gemäß §13 Abs2 Z1 AsylG 2005 sein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet ab dem 8. Mai 2017 verloren hat (Spruchpunkt VI.) und gemäß §53 Abs1 iVm Abs3 Z1 FPG ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.).

3.       Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 11. Jänner 2018 wurde der dagegen erhobenen Beschwerde gemäß §18 Abs5 BFA-VG die aufschiebende Wirkung bis zum Ablauf des 6. Februar 2018 zuerkannt. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 6. Februar 2018 eine mündliche Verhandlung durch und verkündete sogleich seine Entscheidung. In Spruchpunkt A) wird die Beschwerde mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass Spruchpunkt VI. insoweit abgeändert wird, als der Verlust des Aufenthaltsrechtes bereits mit dem 22. September 2003 eingetreten ist. In Spruchpunkt B) wird die Unzulässigkeit der Revision gemäß Art133 Abs4 B-VG ausgesprochen. Dem Spruch folgt die Rechtsmittelbelehrung und die Belehrung gemäß §29 Abs2a VwGVG. Eine Begründung der Entscheidung geht aus der Niederschrift nicht hervor. Der Beschwerdeführer beantragte die schriftliche Ausfertigung gemäß §29 Abs4 VwGVG. Dies wurde in der Niederschrift vermerkt.

4.       Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt wird.

5.       Auf Nachfrage durch den Verfassungsgerichtshof teilte das Bundesverwaltungsgericht am 29. März 2018 mit, dass das Erkenntnis noch in der darauffolgenden Woche schriftlich ausgefertigt werde. Der Verfassungsgerichtshof leitete am 8. Mai 2018 ein dreiwöchiges Vorverfahren ein. Mit Verfügung vom 6. Juni 2018 legte das Bundesverwaltungsgericht die Gerichts- und Verwaltungsakten vor, sah von der Erstattung einer Gegenschrift bzw. Äußerung ab und stellte in Aussicht, die schriftliche Ausfertigung des mündlich verkündeten Erkenntnisses umgehend nachzureichen. Das ist nicht erfolgt.

II.      Erwägungen

Die Beschwerde gegen das dem Beschwerdeführer am 6. Februar 2018 mündlich verkündete Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes ist zulässig. Sie ist auch begründet:

1.       Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Wie der Verfassungsgerichtshof weiter zu dem aus dem Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander folgenden Willkürverbot in Zusammenhalt mit dem aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden rechtsstaatlichen Gebot der Begründung gerichtlicher Entscheidungen ausgesprochen hat, müssen die für die angefochtene Entscheidung maßgeblichen Erwägungen aus der Begründung der Entscheidung hervorgehen, da nur auf diese Weise die rechtsstaatlich gebotene Kontrolle durch den Verfassungsgerichtshof möglich ist (vgl. jeweils mwN VfGH 2.5.2011, U2559/10; 7.3.2012, U2899/10; 13.12.2017, E940/2017).

2.       Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung ist dem Bundesverwaltungsgericht ein willkürliches Vorgehen anzulasten:

Gemäß §29 Abs2 VwGVG sind Erkenntnisse der Verwaltungsgerichte mit den wesentlichen Entscheidungsgründen zu verkünden.

Ergibt sich die Begründung der Entscheidung – wie im vorliegenden Fall – weder aus der Niederschrift der mündlichen Verkündung noch aus einer schriftlichen Ausfertigung gemäß §29 Abs4 VwGVG, widerspricht dies jedenfalls den rechtsstaatlichen Anforderungen an die Begründung gerichtlicher Entscheidungen.

Die angefochtene, begründungslos ergangene Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes ist einer nachprüfenden Kontrolle durch den Verfassungsgerichtshof nicht zugänglich und daher mit Willkür belastet.

III.    Ergebnis

1.       Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

2.       Damit erübrigt sich ein Abspruch über den Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

3.       Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4.       Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten. Ein Ersatz der Eingabengebühr ist nicht zuzusprechen, weil der Beschwerdeführer Verfahrenshilfe (auch) im Umfang des §64 Abs1 Z1 lita ZPO genießt.

Schlagworte

Asylrecht, Rückkehrentscheidung, Entscheidungsverkündung, Entscheidungsbegründung, Rechtsstaatsprinzip

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2018:E983.2018

Zuletzt aktualisiert am

30.07.2019
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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