TE Vwgh Erkenntnis 2018/6/11 Ra 2018/11/0074

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Veröffentlicht am 11.06.2018
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
19/05 Menschenrechte;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §10 Abs1;
AVG §19;
MRK Art6 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGVG 2014 §44;
ZustG §9 Abs1;
ZustG §9 Abs3;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):Ra 2018/11/0075

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Rigler und den Hofrat Dr. Grünstäudl sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Soyer, über die Revisionen des J F in B, vertreten durch Dr. Christof Dunst, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Landesgerichtsstraße 18/1/11, gegen die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichts Wien jeweils vom 2. Februar 2018, Zl. VGW- 041/070/8462/2016-14 (protokolliert zur hg. Zl. Ra 2018/11/0074), betreffend Übertretung des Arbeits-Vertragsrechtsanpassungsgesetzes, und Zl. VGW-041/070/8461/2016-14 (protokolliert zur hg. Zl. Ra 2018/11/0075), betreffend Übertretung des Arbeitskräfteüberlassungsgesetzes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht jeweils: Magistrat der Stadt Wien), zu Recht erkannt:

Spruch

Die angefochtenen Erkenntnisse werden wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von jeweils EUR 1.346,40, insgesamt somit EUR 2.692,80, binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit dem erstangefochtenen Erkenntnis wurde, durch Bestätigung des Schuldspruches des Straferkenntnisses der belangten Behörde vom 1. Juni 2016, der Revisionswerber als nach außen zur Vertretung Befugter der B. GmbH schuldig erkannt, diese Gesellschaft habe es am 5. Mai 2015 als Beschäftigerin von ihr (durch die L. s.r.o. mit Sitz in der Slowakischen Republik) überlassenen vierzehn namentlich genannten Arbeitskräften entgegen § 7d Abs. 1 und 2 Arbeits-Vertragsrechtsanpassungsgesetz (AVRAG) unterlassen, die (näher bezeichneten) Lohnunterlagen dieser mit Eisenverlegearbeiten beschäftigten Arbeitskräfte auf einer näher bezeichneten Baustelle in Wien bereitzuhalten. Über den Revisionswerber wurden deshalb gemäß § 7i Abs. 4 Z 3 AVRAG vierzehn (vom Verwaltungsgericht auf jeweils EUR 3.500,-- herabgesetzte) Geldstrafen sowie Ersatzfreiheitsstrafen verhängt und Kostenbeiträge zum Strafverfahren vorgeschrieben.

2 Mit dem zweitangefochtenen Erkenntnis wurde der Revisionswerber als nach außen zur Vertretung Befugter der B. GmbH schuldig erkannt, diese Gesellschaft habe es am 5. Mai 2015 als Beschäftigerin der genannten, ihr von der L. s.r.o. überlassenen Arbeitskräfte entgegen § 17 Abs. 7 Arbeitskräfteüberlassungsgesetz (AÜG) unterlassen, die Meldungen betreffend die grenzüberschreitende Überlassung dieser Arbeitskräfte am Arbeitseinsatzort (Baustelle) bereitzuhalten oder zugänglich zu machen. Über den Revisionswerber wurde deshalb gemäß § 22 Abs. 1 Z 2 AÜG eine Geldstrafe von EUR 3.500,-- sowie eine Ersatzfreiheitsstrafe verhängt und ein Kostenbeitrag zum Strafverfahren vorgeschrieben.

3 In beiden angefochtenen Erkenntnissen wurde gemäß § 25a VwGG ausgesprochen, dass eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig sei.

4 In den Begründungen dieser Erkenntnisse wird, soweit hier relevant, übereinstimmend ausgeführt, der Revisionswerber habe in den gegen die beiden Straferkenntnisse durch seinen Rechtsvertreter erhobenen Beschwerden die Tatvorwürfe, insbesondere den angelasteten Umstand der Überlassung von Arbeitskräften an die B. GmbH, bestritten und demgegenüber das Vorliegen eines Werkvertrages zwischen der B. GmbH und der L. s.r.o. ins Treffen geführt.

5 In beiden Beschwerden sei die Durchführung einer Verhandlung beantragt worden. Das Verwaltungsgericht habe am 11. September 2017 eine mündliche Verhandlung in den beiden gemäß § 39 Abs. 2 AVG verbundenen Beschwerdesachen durchgeführt, an welcher jedoch der Revisionswerber und sein Rechtsvertreter ohne Angabe von Gründen nicht teilgenommen hätten.

6 In diesem Zusammenhang stellte das Verwaltungsgericht fest, dass die für den Revisionswerber bestimmte, an die Kanzleiadresse seines Rechtsvertreters adressiert gewesene Ladung (RSa) aufgrund eines Versehens im Zuge der automationsunterstützten Ladung an die "Wohnadresse" des Revisionswerbers versandt und von ihm am 25. Juli 2017 "persönlich übernommen" worden sei.

7 Auf der Grundlage der Verhandlungsergebnisse sah es das Verwaltungsgericht als erwiesen an, dass die in Rede stehenden Arbeitskräfte (entgegen dem Beschwerdevorbringen) der vom Revisionswerber vertretenen B. GmbH von der L. s.r.o. grenzüberschreitend überlassen worden seien und dass die B. GmbH daher als Beschäftigerin dieser Arbeitskräfte die in den Tatumschreibungen genannten Verpflichtungen getroffen hätte und sie diese nicht erfüllt habe. Dem habe der Revisionswerber in der Verhandlung, welcher er ferngeblieben sei, keine Beweisanbote entgegen gesetzt.

8 Hinsichtlich des letztgenannten Umstandes verwies das Verwaltungsgericht wiederholt auf den Umstand, dass der Revisionswerber der Verhandlung "ohne Angabe von Gründen unentschuldigt ferngeblieben" sei und vertrat die Ansicht, dass die eigenhändige Entgegennahme der Ladung durch den Revisionswerber trotz des Umstandes, dass dieser zu jenem Zeitpunkt rechtsanwaltlich vertretenen gewesen sei, die Rechtmäßigkeit der Ladung bewirke. Nach Ansicht des Verwaltungsgerichts wäre es dem Revisionswerber jedenfalls unbenommen gewesen, auch ohne vorherige Verständigung seines Rechtsvertreters persönlich an der Verhandlung teilzunehmen und an der Aufklärung des Sachverhaltes mitzuwirken. Außerdem hätte der Revisionswerber "entweder seinen Rechtsvertreter vom Verhandlungstermin rechtzeitig" verständigen oder "das Gericht spätestens in der mündlichen Verhandlung von der nicht erfolgten Zustellung der Ladung an seinen rechtsfreundlichen Vertreter" informieren können.

9 Gegen diese beiden Erkenntnisse richten sich die vorliegenden außerordentlichen Revisionen, die der Verwaltungsgerichtshof zur gemeinsamen Beratung und Beschlussfassung verbunden hat. Die belangte Behörde hat zum Verfahren nach dem AÜG im Rahmen der Revisionsbeantwortung auf die Ausführungen im angefochtenen Erkenntnis verwiesen.

10 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

11 Die Revision ist sowohl zulässig als auch begründet, weil, wie sie zutreffend geltend macht, das Verwaltungsgericht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen ist, und zwar einerseits hinsichtlich der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Zustellung der Ladung zur gegenständlichen mündlichen Verhandlung (Hinweis auf das Erkenntnis VwGH 14.10.2009, 2006/12/0057) und andererseits hinsichtlich der maßgebenden Kriterien für die Beurteilung des Vorliegens von grenzüberschreitender Arbeitskräfteüberlassung (Hinweis auf das Erkenntnis VwGH 22.8.2017, Ra 2017/11/0068).

12 Das Zustellgesetz, BGBl. Nr. 200/1982 in der hier maßgebenden Fassung BGBl. I Nr. 5/2008 (ZustG) lautet auszugsweise:

"Zustellungsbevollmächtigter

§ 9. (1) Soweit in den Verfahrensvorschriften nicht anderes bestimmt ist, können die Parteien und Beteiligten andere natürliche oder juristische Personen oder eingetragene Personengesellschaften gegenüber der Behörde zur Empfangnahme von Dokumenten bevollmächtigen (Zustellungsvollmacht).

...

(3) Ist ein Zustellungsbevollmächtigter bestellt, so hat die Behörde, soweit gesetzlich nicht anderes bestimmt ist, diesen als Empfänger zu bezeichnen. Geschieht dies nicht, so gilt die Zustellung als in dem Zeitpunkt bewirkt, in dem das Dokument dem Zustellungsbevollmächtigten tatsächlich zugekommen ist.

..."

13 Nach der Aktenlage wurden die beiden erwähnten Beschwerden des Revisionswerbers jeweils mit Anwaltsschriftsatz, der einen Hinweis auf die dem Rechtsvertreter erteilte Vollmacht enthält, eingebracht. Damit galt der Rechtsvertreter des Revisionswerbers auch als Zustellbevollmächtigter iSd § 9 Abs. 1 ZustG (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung etwa Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I, 2. Auflage, E 21 zu § 9 ZustG).

14 Nach den - insoweit mit der Aktenlage übereinstimmenden - Feststellungen in den angefochtenen Erkenntnissen hat das Verwaltungsgericht aufgrund der genannten Beschwerden eine mündliche Verhandlung (betreffend beide Beschwerdeverfahren) für den 11. September 2017 anberaumt. Auf dem Ladungsformular ist namentlich der Revisionswerber als Empfänger genannt, darunter die Zustelladresse seines Rechtsvertreters angeführt.

15 Auf dem zugehörigen aktenkundigen Zustellnachweis (RSa) dieser Ladung ist ebenfalls der Revisionswerber namentlich als Empfänger genannt, darunter ist (anders als auf dem Ladungsformular) die Wohnadresse des Revisionswerbers als Zustelladresse angeführt.

16 Die gegenständliche Ladung entspricht daher nicht dem § 9 Abs. 3 ZustG, wonach im Falle der Bestellung eines Zustellungsbevollmächtigten dieser als Empfänger zu bezeichnen ist.

17 Die Ladung gälte nach dem zweiten Satz der letztzitierten Bestimmung nur dann als bewirkt, wenn sie dem Zustellbevollmächtigten tatsächlich zugekommen wäre. Weder hat das Verwaltungsgericht im vorliegenden Fall festgestellt noch ergeben sich sonst Anhaltspunkte, dass dies vor dem Verhandlungstermin erfolgt wäre. Verfehlt ist in diesem Zusammenhang die Rechtsansicht des Verwaltungsgerichts, die rechtswirksame Ladung des (wie erwähnt anwaltlich vertretenen) Revisionswerbers sei schon durch die persönliche Übernahme der Ladung durch den Revisionswerber erfolgt und dieser hätte seinen Rechtsvertreter vom Verhandlungstermin verständigen müssen (vgl. die hg. Rechtsprechung, zitiert etwa bei Walter/Thienel, aaO, E 50 zu § 9 ZustG und E 41 zu § 19 AVG, sowie Hengstschläger/Leeb, AVG I (2. Auflage 2014) § 10 AVG Rz 23).

18 Dem rechtswidrigen Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung ist es gleichzuhalten, wenn - wie im gegenständlichen Fall - eine Verhandlung durchgeführt worden ist, der Partei aber die Ladung zur Verhandlung nicht wirksam zugestellt wurde (vgl. etwa VwGH 23.1.2013, 2010/15/0196).

19 Das gegenständliche Unterbleiben einer ordnungsgemäß anberaumten Verhandlung in den vorliegenden Strafverfahren stellt jedenfalls (ohne dass es auf die Relevanz ankäme; vgl. das letztzitierte Erkenntnis vom 23.1.2013, sowie zB VwGH 20.4.2016, Ra 2015/04/0016, mwN) eine zur Aufhebung der Entscheidungen führende Rechtsverletzung dar.

20 Bei diesem Ergebnis genügt es, was die maßgebenden Kriterien der grenzüberschreitenden Arbeitskräfteüberlassung betrifft, auf das zitierte, von der Revision zu Recht ins Treffen geführte Erkenntnis, Ra 2017/11/0068, hinzuweisen.

21 Da die Verletzung der Verhandlungspflicht, wie dargestellt, auf einer verfehlten Rechtsmeinung des Verwaltungsgerichts beruht, waren die angefochtenen Erkenntnisse wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

22 Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 11. Juni 2018

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018110074.L00

Im RIS seit

03.07.2018

Zuletzt aktualisiert am

19.07.2018
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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