TE Vfgh Erkenntnis 2018/6/11 E2776/2017

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 11.06.2018
beobachten
merken

Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §3, §8, §10, §57
FremdenpolizeiG 2005 §46, §52, §55

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Nichtzuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten und Erlassung einer Rückkehrentscheidung betreffend einen der sunnitischen Religionsgemeinschaft zugehörigen irakischen Staatsangehörigen mangels hinreichender Auseinandersetzung mit der Frage einer innerstaatlichen Fluchtalternative und der Möglichkeit der Existenzsicherung nach seiner Rückkehr in den Irak; Ablehnung der Beschwerdebehandlung hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Asylstatus

Spruch

I. 1. Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Entscheidung, soweit damit seine Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen (§57 AsylG 2005), gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, gegen die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung und gegen die Festsetzung einer vierzehntägigen Frist zur freiwilligen Ausreise, abgewiesen wird, in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.

2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

Insoweit wird die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seiner Rechtsvertreterin die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I.       Sachverhalt und Beschwerde

1.       Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger des Irak und stellte am 19. Jänner 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 3. Mai 2017 wurde der Antrag gemäß §3 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung von Asyl sowie gemäß §8 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung von subsidiärem Schutz in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §57 AsylG 2005 wurde nicht erteilt. Gemäß §10 Abs1 Z3 AsylG 2005 iVm §9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß §52 Abs2 Z2 FPG erlassen und gemäß §52 Abs9 FPG festgestellt, dass dessen Abschiebung in den Irak gemäß §46 FPG zulässig sei; gemäß §55 Abs1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.

2.       Mit der nunmehr angefochtenen Entscheidung wurde die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde vom Bundesverwaltungsgericht – ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung – abgewiesen.

2.1.    Zur Lage im Herkunftsstaat traf das Bundesverwaltungsgericht u.a. folgende Feststellungen:

"5.1. Regierung, ISF, schiitische Milizen

Die laut Human Rights Watch außer Kontrolle geratenen schiitischen Milizen (HRW 20.9.2015) begehen breit angelegte und systematische Menschenrechtsverletzungen (AI 24.2.2016, HRW 27.1.2016). Es werden Zivilisten […] aus ihren Häusern vertrieben, gekidnappt, willkürlich verhaftet, gefoltert und in einigen Fällen in Massenexekutionen getötet. Insbesondere in jenen Gebieten, die die Milizen vom IS zurückerobern, wird die sunnitische Bevölkerung pauschal schikaniert. V.a. die Miliz Asa’ib Ahl Al Haqq ist hier besonders hervorzuheben (HRW 15.2.2015, vgl. BTI 2016). Von den schiitischen Milizen wurden ganze Dörfer systematisch zerstört, sie wurden geplündert, niedergebrannt, oder gesprengt (HRW 27.1.2016). Von April bis Dezember 2015 sind alleine in der Provinz Salah al-Din zumindest 718 Sunniten von Kämpfern schiitischer Milizen entführt worden (Reuters 14.12.2015). Es werden sogar Stimmen laut, die meinen, dass sich einige der schiitischen Milizen teilweise hinsichtlich ihres reaktionären Gesellschaftsbildes und ihrer Brutalität gegenüber Andersgläubigen, kritischen JournalistInnen und Menschen mit anderer sexueller Orientierung kaum vom IS unterscheiden (Rohde 9.11.2015). Auch die irakischen Sicherheitskräfte (ISF) selbst verübten Attacken auf zivile sunnitische Gebiete (ISW o.D.). […]"

"6. IDPs und Flüchtlinge / Bewegungsfreiheit

Der Irak ist seit über einem Jahrzehnt Schauplatz enormer Vertreibungswellen. Innerhalb der letzten beiden Jahre hat sich dies auf Grund der Verschlechterung der Sicherheitslage im Zentral- und Südirak noch einmal massiv verschärft (RI 2.11.2015). Seit Januar 2014 sind geschätzte 3,2 Millionen Menschen zu Internvertriebenen (IDPs) geworden (Stand 1. Jänner 2016). Über 10 Millionen Menschen sind derzeit auf humanitäre Hilfe angewiesen (UNOCHA 4.1.2016). Außerdem befinden sich im Irak rund 245.000 syrische Flüchtlinge (WFP 15.12.2015).

Die Kämpfe zwischen den Regierungstruppen und dem IS führten dazu, dass fast 3,2 Mio. Menschen aus den Provinzen Anbar, Niniveh und Salah al-Din ihre Heimat verließen und in anderen Teilen des Landes Schutz suchten. Viele flohen in die Region Kurdistan oder in andere Provinzen. Einige der Binnenvertriebenen wurden mehr als einmal vertrieben. Im Mai 2015 flohen etwa 500.000 Menschen aus der Provinz Anbar, nachdem der IS die Provinzhauptstadt Ramadi eingenommen hatte. Vielen von ihnen wurde eine Aufnahme in Bagdad von den Behörden verwehrt. Die humanitären Bedingungen für die Binnenvertriebenen waren nach wie vor hart; in vielen Fällen hatten sie keinen Zugang zu grundlegenden Versorgungsleistungen. Einige Vertriebene sollen in der kurdischen Stadt Sulaimaniyah von der dortigen Bevölkerung tätlich angegriffen und verletzt worden sein. Andere, die in die Region Kurdistan geflohen waren, wurden inhaftiert, weil man sie verdächtigte, mit dem IS in Verbindung zu stehen.

IOM dokumentierte für den Zeitraum 1.Jänner 2014 bis 3.Dezember 2015 3.195.390 internvertriebene Iraker (532.565 Familien). In den Provinzen Bagdad und Anbar befinden sich mit jeweils 18 Prozent die größten Anteile dieser IDPs, in Dahuk 13 Prozent, Kirkuk 12, Erbil 10, Ninewa 7 und in Suleimaniya 5 Prozent. Bis Dezember 2015 seien Berichten zufolge 458.358 Personen zu ihrem Herkunftsort zurückgekehrt (IOM 18.12.2015). Die folgende Grafik zeigt die Herkunftsregionen der IDPs in Prozent:

(Quelle: IOM 3.2016)

Die Hauptstadt Bagdad (ca. 570.000) und in geringerem Maße der schiitisch geprägte Südirak (ca. 200.000) haben zahlreiche Binnenvertriebene aus umkämpften Gebieten aufgenommen. Aus Furcht vor der Infiltration von Terroristen kam es jedoch zeitweise zur Schließung von Provinzgrenzen. So wurde z.B. im Mai 2015 Flüchtlingen, besonders jungen Männern, aus Anbar der Zugang nach Bagdad verwehrt (AA 18.2.2016). Es gab Berichte, dass IDPs aufgrund ihrer Identität oder Herkunft der Zugang zu sicheren Gebieten versperrt wurde, wodurch sie potentieller Gefahr ausgesetzt wurden. In zahlreichen Gebieten waren IDPs Einschränkungen der Bewegungsfreiheit ausgesetzt, die gegen internationale Standards verstoßen. Der für diese Einschränkungen angegebene Grund ist zumeist die Furcht vor militanten Gruppen, die in Checkpoints eindringen oder Schläferzellen aufbauen könnten. Seit Jänner 2015, als der IS in Anbar erstmals aktiv wurde, wurden Berichte von Menschen, die an Checkpoints festgehalten wurden und daran gehindert wurden, bestimmte Provinzen des Irak zu betreten, immer häufiger. Es gibt regelmäßige Berichte von Zugangssperren in von der irakischen Regierung kontrollierte Gebiete, sowie auch in unter der Kontrolle der Autonomieregion Kurdistan stehende Gebiete. Laut OCHA sind zahlreiche Checkpoints für IDPs geschlossen, zuletzt v.a. im Süden von Sulaymaniyah und in der Provinz Kirkuk. Im Süden verhindern die Zugangsbeschränkungen das Vorankommen von sunnitischen IDPs in die vorwiegend schiitischen Provinzen. Das betrifft viele Familien aus Anbar, die z.B. nach Bagdad, Karbala und Basra wollen. Generell gibt es starke Einschränkungen der Bewegungsfreiheit aufgrund von konfessionellen Spannungen, insbesondere in Bagdad und Salah al-Din, und dies beeinträchtigt die Möglichkeit der Menschen, Zugang zu Versorgungsleistungen und Unterstützung zu finden (IRIN 19.5.2015).

Laut UK Home Office hängen die beobachteten Zugangsbeschränkungen meist mit bestimmten Kriterien zusammen, wie der Zusammensetzung der Familie, dem religiösen und ethnischen Hintergrund, dem Herkunftsort, dem Alter, in der betreffenden Provinz und dem Mangel an Aufnahmekapazitäten (Home Office 11.2015, bzgl. des Kriteriums Alter: UNAMI 13.7.2015). Männern, die älter sind als 18 Jahre, ist beispielsweise die Einreise in die Provinz Qadisiya verwehrt worden, während die Provinzen Najaf und Wassit im Berichtszeitraum Dezember 2014 – April 2015 gar keinen neuen IDPs Einlass gewährten (UNAMI 13.7.2015). Die Provinz Babil (Anm.: auch Babylon) hat ab Mai 2015 ebenfalls keine IDPs mehr eingelassen (IOM 11.2015). Die Kriterien, die an solchen Zugangs-Checkpoints gelten, müssen nicht unbedingt klar definiert sein oder können sich plötzlich ändern. Eine häufig angewandte Beschränkung der Bewegungsfreiheit ist das sogenannte 'Sponsorensystem'. Personen, die in eine Provinz einreisen wollen, müssen einen Sponsor (eine Referenzperson, die im Zielgebiet lebt) vorweisen (Home Office 11.2015). Ein solches Sponsorensystem wird z.B. angewendet auf IDPs aus Anbar, die nach Bagdad flüchten wollen, sowie für viele IDPs, die in die kurdische Autonomieregion flüchten wollen (Home Office 11.2015) […]. Im November 2015 berichtete auch IOM, dass die Bewegungsmöglichkeiten der Flüchtlinge nun noch mehr eingeschränkt seien, da die meisten Provinzen ein neues Gesetz angenommen hätten, das Binnenvertriebene dazu verpflichte, bei der Ankunft einen lokalen Bürgen vorzuweisen (IOM 11.2015).

Selbst wenn der Zugang gewährt wird, kann es für IDPs zusätzliche Anforderungen geben, um sich bei den lokalen Behörden zu registrieren (Home Office 11.2015). Der UNHCR berichtete bereits im Oktober 2014, dass speziell im Süden des Irak Binnenvertriebene von Provinz zu Provinz reisen, um Behörden zu finden, die sie registrieren, damit sie Zugang zu Leistungen wie z.B. Grundversorgung, Bildung und Bargeldversorgung erhalten. Darüber hinaus wird berichtet, dass die Fortbewegungsfreiheit der IDPs zusätzlich durch Unsicherheit (auch auf Grund konfessioneller Spannungen) und laufende militärische Operationen eingeschränkt ist. Der Großteil der Verbindungswege wird von bewaffneten Gruppen kontrolliert (UNHCR 10.2014). Zum Teil werden IDP-Familien nur dann durch einen Checkpoint gelassen, wenn sich die erwachsenen Männer bereit erklären den paramilitärischen Einheiten der Volksmobilisierung (PMU) beizutreten (UNAMI 13.7.2015).

Die Ankunft von IDPs in einem bestimmten Gebiet verschärft immer auch die Spannungen zwischen den ethno-religiösen Gruppen (Home Office 11.2015).

In den Gebieten, die die Kurden vom IS zurückerkämpft haben, insbesondere in den von den Kurden neu besetzten Gebieten werden arabische IDPs von kurdischen Sicherheits-/Streitkräften zu tausenden in sogenannten Sicherheitszonen festgehalten. Sie werden davon abgehalten, in ihre Wohngebiete zurückzukehren, während die kurdischen IDPs zurückkehren dürfen. Teilweise werden auch gezielt Häuser von Arabern zerstört, damit diese nicht zurückkehren. Außerdem kommt es vor, dass Araber von KRI-Streitkräften ohne Anklage für längere Zeit inhaftiert werden (HRW 25.2.2015).

Auch für die Stadt Kirkuk und Umgebung liegen Berichte vor, denen zufolge Sunniten von Kurden aus ihren Gebieten vertrieben werden (Deutschlandfunk 15.7.2015).

Die IDPs leben in gemieteten Unterkünften, unfertigen Gebäuden, Notunterkünften, oft ohne adäquate Ernährung, Wasserversorgung oder medizinische Versorgung. Von den 3,2 Millionen IDPs befinden sich in etwa 2,3 Millionen im Zentral- und Südirak (RI 2.11.2015). Das World Food Programme setzte sich das Ziel, 2,2 Millionen Vertriebene und vom Konflikt betroffene Personen im Irak mit einer monatlichen Essensration zu versorgen. Auf Grund der Zugangsbeschränkungen musste das Word Food Programme seine Hilfsleistungen zurückstufen und versorgt nun lediglich 1,5 Millionen Menschen jeden Monat (WFP 1.12.2015). Das World Food Programme war auf Grund von Unterfinanzierung dazu gezwungen, die Essensrationen um bis zu 50 Prozent zu verringern, was dazu führt, dass viele Familien, die bisher versorgt waren, nun ebenfalls unter Nahrungsmittel-Unsicherheiten leiden (UN News Service 27.11.2015).

In den nicht-kurdischen Gebieten erreicht die humanitäre Hilfe die Menschen weitaus seltener als in der kurdischen Autonomieregion teilweise, weil es an Information mangelt, welche Güter/Leistungen benötigt werden und wie diese dorthin transportiert werden sollen, und teilweise, weil gewaltsame Konflikte es den humanitären Organisationen praktisch unmöglich machen, in diesen Gegenden zu operieren (RI 2.11.2015).

Neben dem IS sind auch die Preisfluktuationen und die reduzierte Wasserversorgung dafür verantwortlich, dass die Nahrungsmittelproduktion im Irak lahm gelegt ist, was die Lage der 2,4 Millionen Iraker, die an unsicherer Nahrungsmittelzufuhr leiden, verschärft (UN News Service 27.11.2015).

Ein UN-Beobachter hat bereits im Mai 2015 die irakischen Behörden für ihr Versagen, den fast 3 Millionen IDPs im Irak adäquate Unterstützung und Schutz zu bieten, massiv kritisiert (IRIN 19.5.2015).

Beispiele für die Rückkehr von Flüchtlingen, die vor dem Terror des IS geflohen waren, gibt es auch. So sind seit der Rückeroberung von Tikrit im vergangenen März durch schiitische Freiwilligenmilizen und die irakische Armee zwei Drittel der einst 200.000 – überwiegend sunnitischen – Einwohner in die Stadt zurückgekehrt (FAZ15.11.2015)."

2.2.    Begründend führt das Bundesverwaltungsgericht in seinem Erkenntnis aus, es sei dem Beschwerdeführer im Wesentlichen auf Grund divergierender Angaben und sonstiger Ungereimtheiten sowie der Vorlage verfälschter Dokumente nicht gelungen, ein asylrelevantes Vorbringen glaubhaft darzulegen. Auch aus der sunnitischen Religionszugehörigkeit des Beschwerdeführers ergebe sich nicht die maßgebliche Gefahr einer Verfolgung im Irak. Es könne für den Fall einer Rückkehr auch keine anderweitige Bedrohung festgestellt werden, insbesondere im Hinblick auf eine drohende Todesstrafe, unmenschliche Behandlung, Folter oder Strafe sowie kriegerische Ereignisse oder extremistische Anschläge im Irak, weshalb die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht gegeben seien. Es könne auch nicht erkannt werden, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen würde. Er sei vielmehr ein junger, arbeitsfähiger und gesunder Mann mit hinreichender mehrjähriger Schulbildung, bei dem die grundsätzliche Teilnahme am Erwerbsleben vorausgesetzt werden könne. Es sei daher nicht ersichtlich, warum dem Beschwerdeführer eine Existenzsicherung im Irak, auch an anderen Orten bzw. in anderen Landesteilen des Irak, zumindest durch Gelegenheitsarbeiten nicht möglich oder zumutbar sein sollte.

3.       Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 BVG BGBl 390/1973) sowie im Recht auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung (Art47 GRC) behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof beantragt wird. Gleichzeitig wird beantragt, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

Begründend führt die Beschwerde aus, das Bundesverwaltungsgericht habe eine eigene Auseinandersetzung mit dem Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers nicht vorgenommen. Die behaupteten Divergenzen im Fluchtvorbringen, die darauf zurückzuführen seien, dass die Erstbefragung der Ermittlung der Fluchtroute diene, der Beschwerdeführer aber nur kurz zu den Fluchtgründen befragt worden sei, die er sodann im Rahmen der Befragung durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ergänzt habe, hätten im Rahmen einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht ausgeräumt werden können.

II.      Erwägungen

1.       Die vorliegende – zulässige – Beschwerde entspricht in allen wesentlichen Belangen der dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 11. Juni 2018, E4317/2017, zugrunde liegenden Beschwerde, die sich ebenfalls gegen eine in den wesentlichen Punkten gleichlautende Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes wendet.

2.       Der Verfassungsgerichtshof kann sich daher darauf beschränken, insbesondere auf Rz 10 ff. der Entscheidungsgründe seines zu E4317/2017 am 11. Juni 2018 gefällten – der vorliegenden Entscheidung in anonymisierter Fassung beigelegten – Erkenntnisses hinzuweisen; daraus ergibt sich auch für den vorliegenden Fall, dass das Bundesverwaltungsgericht Feststellungen zu treffen gehabt hätte, aus welcher Region der Beschwerdeführer stammt und ob ihm eine Rückkehr in diese Region möglich ist bzw. ob eine konkrete innerstaatliche Fluchtalternative besteht, die ihm eine Einreise dorthin und einen Aufenthalt in einer Weise ermöglicht, die den Anforderungen des Art3 EMRK Rechnung trägt. Da dies im vorliegenden Fall nicht geschehen ist, ist die angefochtene Entscheidung, soweit sie sich auf die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und – daran anknüpfend – auf die Zulässigerklärung der Rückkehrentscheidung bzw. der Abschiebung in den Herkunftsstaat Irak unter Setzung einer Frist zur freiwilligen Ausreise bezieht, mit Willkür belastet.

3.       Im Übrigen (also soweit sich die Beschwerde gegen die Abweisung des Antrages auf Zuerkennung des Asylstatus richtet) wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt:

3.1.    Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B VG). Ein solcher Fall liegt vor, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

3.2.    Die vorliegende Beschwerde rügt die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten. Die gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall aber nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen nicht anzustellen.

Zur behaupteten Verletzung des Art47 GRC durch die Unterlassung einer mündlichen Verhandlung wird auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes VfSlg 19.632/2012 verwiesen.

3.3.    Demgemäß wurde beschlossen, von einer Behandlung der Beschwerde, soweit sie sich gegen die Abweisung des Antrages auf Zuerkennung des Asylstatus richtet, abzusehen und sie insoweit gemäß Art144 Abs3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof abzutreten (§19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG).

III.    Ergebnis

1.       Der Beschwerdeführer ist somit durch die angefochtene Entscheidung, soweit damit seine Beschwerde gegen die Abweisung des Antrages auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen (§57 AsylG 2005), gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, gegen die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung und gegen die Festsetzung einer vierzehntägigen Frist zur freiwilligen Ausreise, abgewiesen wird, in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

2.       Das Erkenntnis ist daher in diesem Umfang aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

3.       Im Übrigen wird von der Behandlung der Beschwerde abgesehen und diese gemäß Art144 Abs3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten.

4.       Damit erübrigt sich ein Abspruch über den Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

5.       Im Hinblick darauf, dass die im vorliegenden Verfahren aufgeworfenen Rechtsfragen durch die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes vom 11. Juni 2018, E4317/2017, bereits geklärt wurden, konnte diese Entscheidung gemäß §19 Abs3 Z4 und Abs4 VfGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

6.       Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. Die teilweise Erfolglosigkeit der Beschwerde kann dabei außer Betracht bleiben, da dieser Teil keinen zusätzlichen Prozessaufwand verursacht hat (vgl. VfSlg 16.760/2002). In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– enthalten.

Schlagworte

Asylrecht, Rückkehrentscheidung, Ermittlungsverfahren, Entscheidungsbegründung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2018:E2776.2017

Zuletzt aktualisiert am

27.06.2018
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten