TE Vfgh Beschluss 1997/10/16 B2468/97

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Veröffentlicht am 16.10.1997
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Index

10 Verfassungsrecht
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz in der Fassung von 1929 (B-VG)

Norm

B-VG Art145
StPO §363a, §363b, §363c

Leitsatz

Zurückweisung eines auf Art145 B-VG gestützten Antrags auf Erneuerung eines Strafverfahrens nach einer durch den EGMR festgestellten Verletzung der EMRK durch Entscheidung eines Strafgerichtes mangels Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

1.1. Mit Schriftsatz vom 30. September 1997 stellt der - anwaltlich vertretene - Einschreiter gestützt auf Art145 B-VG den Antrag, zufolge der im Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (im folgenden: EGMR) vom 21. September 1993, Z29/1992/374/448 (= ÖJZ 1994, S. 210 ff.), getroffenen Feststellungen das Urteil des Obersten Gerichtshofes (im folgenden: OGH) vom 2. Juli 1986, Z9 Os 76/85-27, - mit welchem der Antragsteller zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt wurde - aufzuheben und die Sache in diesem Umfange zur Erneuerung des Verfahrens über die Berufungen der Staatsanwaltschaft Korneuburg, des Antragstellers und seiner Angehörigen gegen das Urteil des Landesgerichtes Korneuburg vom 18. Dezember 1984 an das Oberlandesgericht Innsbruck zu verweisen. Außerdem begehrt der Antragsteller, seinem Antrag in sinngemäßer Anwendung der §§85 VerfGG iVm §361 Abs1 StPO die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen und die Einstellung des aufgrund des zitierten Urteils des OGH erfolgenden Strafvollzuges anzuordnen.

1.2. Zur Zulässigkeit des Antrages wird ausgeführt, daß - wie mit Urteil des EGMR vom 21. September 1993 festgestellt worden sei - der OGH bei der Erlassung seines Urteils vom 2. Juli 1986 Art6 EMRK verletzt habe. Gemäß den am 1. März 1997 in Kraft getretenen §§363a, 363b und 363c StPO habe der OGH nunmehr dann die Erneuerung des Strafverfahrens zu bewilligen, wenn der EGMR eine Verletzung der EMRK durch eine Entscheidung oder Verfügung eines Strafgerichtes festgestellt habe.

Bei einer Verletzung der EMRK handle es sich zweifelsfrei um eine Völkerrechtsverletzung. Da der Verfassungsgesetzgeber in Art145 B-VG die ausschließliche Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes zur Entscheidung über "Verletzungen des Völkerrechtes" vorgesehen habe, sei dieser auch zur Entscheidung über den vorliegenden Antrag berufen. Das vom Verfassungsgerichtshof insbesondere in seinem Erkenntnis VfSlg. 12615/1991 vorgetragene Argument, Anträge nach Art145 B-VG seien derzeit deshalb nicht zulässig, weil noch kein entsprechendes Ausführungsgesetz erlassen worden sei, trage nicht mehr, da es sich bei den Bestimmungen der §§363a, 363b und 363c StPO in Wahrheit um ein (Teil-)Ausführungsgesetz zu Art145 B-VG handle. Daß dieses in Ansehung der Begründung der Zuständigkeit des OGH verfassungswidrig sei, schade nicht. Bei der Erledigung des Erneuerungsantrages müsse der Verfassungsgerichtshof nämlich zunächst seine Zuständigkeit prüfen, was die Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahrens hinsichtlich der Wortfolge "Oberster Gerichtshof" in den §§363a, 363b und 363c StPO notwendig mache. Die nach der Aufhebung dieser Wortfolge entstehende Lücke in der StPO werde durch die Zuständigkeitsbestimmung des Art145 B-VG ausgefüllt. Aufgrund dieser sei sodann die Entscheidungskompetenz des Verfassungsgerichtshofes über den vorliegenden Antrag gegeben.

2. Der Antrag ist unzulässig.

2.1. Wie der Verfassungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung festhält (vgl. zB VfSlg. 11874/1988, 12615/1991, 13130/1992 und 14050/1995), sind auf Art145 B-VG gestützte Anträge (derzeit) nicht zulässig, weil die genannte Verfassungsvorschrift vor der - bislang nicht erfolgten - Erlassung des in ihr vorgesehenen Bundesgesetzes nicht anwendbar ist.

2.2. Von dieser Auffassung abzurücken, besteht auch aufgrund des Antragvorbringens kein Anlaß. Es ist nämlich offenkundig, daß es sich bei den Vorschriften der §§363a, 363b und 363c StPO nicht um Bestimmungen jenes "besonderen Bundesgesetzes" handelt, dessen Erlassung Art145 B-VG zu seiner Ausführung verheißt:

Weder aus aus den Materialien (33 BlgNR XX. GP, S. 64 ff.) noch aus dem Wortlaut der in Rede stehenden Vorschriften der StPO ergibt sich ein Hinweis darauf, daß der Gesetzgeber bei ihrer Erlassung in Ausführung des Art145 B-VG tätig wurde.

2.3. Auch vermag sich der Verfassungsgerichtshof den Bedenken nicht anzuschließen, die unter dem Aspekt des Art145 B-VG gegen die durch die §§363a, 363b und 363c StPO vorgenommene Berufung des OGH zur Entscheidung über die Erneuerung des Strafverfahrens nach einer durch den EGMR festgestellten Konventionsverletzung durch eine Entscheidung oder Verfügung eines Strafgerichtes vorgebracht werden: Entgegen der Auffassung des Antragstellers wird der Verfassungsgerichtshof durch Art145 B-VG nämlich nicht zur Wahrnehmung jedweder Verletzung des Völkerrechts schlechthin berufen. Wie die Entstehungsgeschichte dieser Vorschrift (siehe dazu im Detail Simma, Probleme um den Art145 B-VG, JBl. 1969, S. 257 ff. (258 ff.)) zeigt, liegt ihr die Intention zugrunde, den Verfassungsgerichtshof als Spezialstrafgericht zur Ahndung von völkerrechtswidrigen Handlungen einzelner zu berufen (Kelsen/Froehlich/Merkl, Die Bundesverfassung vom 1. Oktober 1920, 1922, S. 280; Kelsen, Österreichisches Staatsrecht, 1923, S. 218; Froehlich, Die Bundesverfassung der Republik Österreich, 1930, S. 123; Rill, Der Rang der allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechtes in der österreichischen Rechtsordnung, ÖZÖR 1959/1960, S. 439 ff. (S. 449); Simma, a.a.O.; Laurer, Der Beitritt Österreichs zu internationalen Organisationen als Problem der innerstaatlichen Normerzeugung, ÖZÖR 1970, S. 341 ff. (S. 346); Walter, Österreichisches Bundesverfassungsrecht, 1972, S. 787; Wiederin, Bundesrecht und Landesrecht, 1995, S. 173). Eine solche Kompetenz ist dem OGH mit den §§363a, 363b und 363c StPO aber nicht verliehen worden, weshalb ein Verstoß dieser Vorschriften gegen Art145 B-VG nicht vorliegt.

3. Da dem Verfassungsgerichtshof somit die Zuständigkeit zur Entscheidung über den auf Art145 B-VG gestützten Antrag fehlt, war dieser gemäß §19 Abs3 Z2 lita VerfGG in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen.

Bei diesem Ergebnis erübrigt sich ein Eingehen auf das Begehren, dem Antrag die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

Schlagworte

Völkerrecht, Strafprozeßrecht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1997:B2468.1997

Dokumentnummer

JFT_10028984_97B02468_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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