TE Vwgh Erkenntnis 2018/5/24 Ra 2017/19/0311

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Veröffentlicht am 24.05.2018
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Index

E000 EU- Recht allgemein
E3L E19100000
001 Verwaltungsrecht allgemein
19/05 Menschenrechte
24/01 Strafgesetzbuch
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht
41/02 Staatsbürgerschaft
41/07 Grenzüberwachung

Norm

EURallg
FNG-AnpassungsG 2014
FrÄG 2011
FrPolG 2005 §53 Abs2
FrPolG 2005 §53 Abs2 idF 2011/I/038
FrPolG 2005 §53 Abs2 Z7
FrPolG 2005 §53 Abs2 Z7 idF 2013/I/068
FrPolG 2005 §53 Abs3
FrPolG 2005 §53 Abs3 idF 2011/I/038
FrPolG 2005 §53 idF 2011/I/038
FrPolG 2005 §53 idF 2013/I/068
MRK Art8 Abs2
StGB §288 Abs1
VwRallg
32008L0115 Rückführungs-RL
32008L0115 Rückführungs-RL Art11 Abs1
32008L0115 Rückführungs-RL Art11 Abs2

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Rossmeisel sowie die Hofräte Dr. Pürgy und Mag. Stickler als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Friedwagner, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl in 1030 Wien, Modecenterstraße 22, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 19. Juni 2017, G306 2147927-1/3E, betreffend Einreiseverbot (mitbeteiligte Partei: M B, vertreten durch Dr. Martin Dellasega und Dr. Max Kapferer, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Schmerlingstraße 2/2), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird im Umfang seiner Anfechtung, somit in seinem Spruchpunkt A) II. (ersatzlose Behebung des Einreiseverbotes), wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

Begründung

1        Die Mitbeteiligte, eine kosovarische Staatsangehörige, stellte am 22. Oktober 2014 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2        Mit Bescheid vom 31. Jänner 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag der Mitbeteiligten sowohl gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) hinsichtlich des Status einer Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 hinsichtlich des Status einer subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) ab, erteilte der Mitbeteiligten keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) eine Rückkehrentscheidung und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass gemäß § 46 FPG die Abschiebung der Mitbeteiligten in den Kosovo zulässig sei (Spruchpunkt III.). Unter einem sprach das BFA aus, dass gemäß § 55 Abs. 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise zuerkannt werde (Spruchpunkt IV.), die Mitbeteiligte gemäß § 13 Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 ihr Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet ab dem 12. Juli 2016 verloren habe (Spruchpunkt V.), einer Beschwerde gegen diese Entscheidung die aufschiebende Wirkung gemäß § 18 Abs. 1 Z 1 und 2 BFA-VG aberkannt werde (Spruchpunkt VI.) und gegen die Mitbeteiligte gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 7 FPG ein auf fünf Jahre befristetes Einreiseverbot erlassen werde (Spruchpunkt VII.).

3        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) unter Spruchpunkt A) I. die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde der Mitbeteiligten hinsichtlich der Spruchpunkte I. bis VI. des Bescheides als unbegründet ab. Unter Spruchpunkt A) II. behob das Verwaltungsgericht den Spruchpunkt VII. (Einreiseverbot) dieses Bescheides ersatzlos. Das Verwaltungsgericht sprach weiters aus, dass die Revision im Sinn von Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei (Spruchpunkt B).

4        In seiner Begründung stellte das BVwG - soweit im Revisionsverfahren noch von Bedeutung - fest, die Mitbeteiligte, die zuvor in der Schweiz gelebt habe, sei am 11. Oktober 2014 in das Bundesgebiet eingereist. Am 12. Juli 2016 sei sie vom Landesgericht Innsbruck wegen des Vergehens der falschen Beweisaussage gemäß § 288 Abs. 1 StGB zu einer Geldstrafe in der Höhe von 240 Tagessätzen zu je € 4,-- verurteilt worden, weil sie am 1. April 2016 als Zeugin vor Gericht bei ihrer förmlichen Vernehmung zur Sache falsch ausgesagt habe. Bei der Strafbemessung sei mildernd ihr Geständnis sowie die Begehung der Tat als junge Erwachsene gewertet worden. Die Mitbeteiligte sei im Zeitraum vom 30. Oktober 2015 bis 1. Dezember 2015 einer „unrechtmäßigen Erwerbstätigkeit“ nachgegangen. Sie führe in Österreich eine Lebensgemeinschaft und sei der deutschen Sprache „hinreichend mächtig“. In Österreich seien die Eltern sowie zwei Brüder und zwei Schwestern der Mitbeteiligten aufhältig. Ein gemeinsamer Haushalt mit ihren Angehörigen oder ein gegenseitiges Abhängigkeitsverhältnis bestehe nicht. Vor ihrer Einreise habe die Mitbeteiligte zu ihren Familienangehörigen nur einen losen Kontakt gehabt.

5        In seiner rechtlichen Beurteilung führte das BVwG zunächst aus, warum der Mitbeteiligten der Status einer Asylberechtigten bzw. subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen gewesen sei, und hielt zur Rückkehrentscheidung fest, das öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthaltes der Mitbeteiligten im Bundesgebiet überwiege ihr persönliches Interesse an einem Verbleib. Dabei sei zu berücksichtigen, dass die Mitbeteiligte während ihres Aufenthaltes in Österreich einen unsicheren Aufenthaltsstatus gehabt habe. Schon in Hinblick auf ihren kurzen Aufenthalt im Bundesgebiet seien keine Umstände hervorgekommen, aus denen sich ein zu berücksichtigender hoher Grad der Integration ergebe. Den Kontakt mit ihren in Österreich aufhältigen Angehörigen könne die Mitbeteiligte mit modernen Kommunikationsmitteln und durch Besuche ihrer Angehörigen im Kosovo aufrechterhalten. Bei der Interessenabwägung sei auch zu beachten, dass die Mitbeteiligte wegen eines strafbaren Verhaltens verurteilt worden sei. Der Kosovo sei ein sicherer Herkunftsstaat nach der Herkunftsstaaten-Verordnung. Das BFA habe daher zu Recht gemäß § 18 Abs. 1 Z 1 BFA-VG der Beschwerde die aufschiebende Wirkung aberkannt und gemäß § 55 Abs. 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise festgesetzt. Hinsichtlich der Verhängung eines Einreiseverbotes habe das BFA sich jedoch zu Unrecht auf den Tatbestand des § 53 Abs. 2 Z 7 FPG gestützt. Nach dieser Bestimmung sei die „Rechtmäßigkeit der Verhängung“ eines Einreiseverbotes von einer „Betretung bei der Schwarzarbeit“ abhängig. Die Mitbeteiligte habe aber ihre Erwerbstätigkeit selbst im Zuge ihrer niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA „thematisiert“. Erst darauf habe das BFA die Finanzpolizei informiert. Das Verhalten der Mitbeteiligten lasse somit auf ein sorgloses, „jedoch nicht unweigerlich auf ein vorsätzliches Handeln“ schließen. Ein „Betreten“ im Sinn des § 53 Abs. 2 Z 7 FPG sei daher „nicht erfolgt“. Das BFA habe im Übrigen die Verhängung des Einreiseverbotes auch nur unzureichend begründet, weil es keine Feststellungen getroffen habe, die unter Berücksichtigung des Gesamtverhaltens der Mitbeteiligten eine Gefährdungsprognose ermöglichen könnten. Die Verhängung des Einreiseverbotes sei daher gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG ersatzlos zu beheben gewesen.

6        Gegen den Spruchpunkt A) II. dieses Erkenntnisses richtet sich die außerordentliche Revision des BFA, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Einleitung des Vorverfahrens und Erstattung einer Revisionsbeantwortung durch die Mitbeteiligte erwogen hat:

7        Das BFA bringt zur Begründung der Zulässigkeit der Revision unter anderem vor, das BVwG habe die Voraussetzungen der Verhängung eines Einreisverbotes verkannt. Zur Erfüllung des Tatbestandes nach § 53 Abs. 2 Z 7 FPG sei zwar nicht ausreichend gewesen, dass von der Mitbeteiligten ihre Beschäftigung im Zuge einer Einvernahme „thematisiert“ worden sei. Die Mitbeteiligte sei jedoch in der Folge bei der von ihr fortgesetzten „Schwarzarbeit“ durch die Finanzpolizei betreten worden. Die Ansicht des BVwG, der Erfüllung des Tatbestandes stehe entgegen, dass das BFA die Finanzpolizei zuvor um Überprüfung des Vorliegens einer „unrechtmäßigen Beschäftigung“ ersucht habe, stehe mit dem Wortlaut der Bestimmung nicht im Einklang. Dazu fehle jedoch Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Das BVwG weiche im Übrigen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes insoweit ab, als es nicht beachtet habe, dass die Aufzählung der Tatbestände in § 53 Abs. 2 FPG einen demonstrativen Charakter habe. Es sei daher das Gesamtverhalten der Mitbeteiligten zu berücksichtigen gewesen, weshalb schon unter Beachtung ihrer rechtskräftigen Verurteilung nach § 288 Abs. 1 StGB jedenfalls ein Einreiseverbot zu verhängen gewesen wäre.

8        Die Amtsrevision ist im Sinn dieser Zulassungsbegründung zulässig. Sie ist auch berechtigt.

9        Vorauszuschicken ist, dass die vorliegende Revision sich nur mehr gegen die ersatzlose Behebung des verhängten Einreiseverbotes richtet. Die Rückkehrentscheidung wurde nicht angefochten (vgl. zur Trennbarkeit dieser Spruchpunkte VwGH 15.5.2012, 2012/18/0029 u.a.; 22.5.2013, 2011/18/0259; vgl. im Übrigen zu den unterschiedlichen Rechtswirkungen eines Einreiseverbotes und einer Rückkehrentscheidung VwGH 30.07.2015, Ra 2014/22/0131).

10       § 53 Abs. 1, 2 und 3 FPG in der im vorliegenden Fall anzuwendenden Fassung des FNG-Anpassungsgesetzes, BGBl. I Nr. 68/2013, lautet auszugsweise:

„Einreiseverbot

§ 53. (1) Mit einer Rückkehrentscheidung kann vom Bundesamt mit Bescheid ein Einreiseverbot erlassen werden. Das Einreiseverbot ist die Anweisung an den Drittstaatsangehörigen, für einen festgelegten Zeitraum nicht in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten einzureisen und sich dort nicht aufzuhalten.

(2) Ein Einreiseverbot gemäß Abs. 1 ist, vorbehaltlich des Abs. 3, für die Dauer von höchstens fünf Jahren zu erlassen. Bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbots hat das Bundesamt das bisherige Verhalten des Drittstaatsangehörigen mit einzubeziehen und zu berücksichtigen, inwieweit der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft. Dies ist insbesondere dann anzunehmen, wenn der Drittstaatsangehörige

1.   wegen einer Verwaltungsübertretung gemäß § 20 Abs. 2 der Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO), BGBl. Nr. 159, iVm § 26 Abs. 3 des Führerscheingesetzes (FSG), BGBl. I Nr. 120/1997, gemäß § 99 Abs. 1, 1a, 1b oder 2 StVO, gemäß § 37 Abs. 3 oder 4 FSG, gemäß § 366 Abs. 1 Z 1 der Gewerbeordnung 1994 (GewO), BGBl. Nr. 194, in Bezug auf ein bewilligungspflichtiges, gebundenes Gewerbe, gemäß den §§ 81 oder 82 des SPG, gemäß den §§ 9 oder 14 iVm § 19 des Versammlungsgesetzes 1953, BGBl. Nr. 98, oder wegen einer Übertretung des Grenzkontrollgesetzes, des Meldegesetzes, des Gefahrengutbeförderungsgesetzes oder des Ausländerbeschäftigungsgesetzes rechtskräftig bestraft worden ist;

2.   wegen einer Verwaltungsübertretung mit einer Geldstrafe von mindestens 1.000 Euro oder primären Freiheitsstrafe rechtskräftig bestraft wurde;

3.   wegen einer Übertretung dieses Bundesgesetzes oder des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes rechtskräftig bestraft worden ist, sofern es sich dabei nicht um eine in Abs. 3 genannte Übertretung handelt;

4.   wegen vorsätzlich begangener Finanzvergehen oder wegen vorsätzlich begangener Zuwiderhandlungen gegen devisenrechtliche Vorschriften rechtskräftig bestraft worden ist;

5.   wegen eines Verstoßes gegen die Vorschriften, mit denen die Prostitution geregelt ist, rechtskräftig bestraft worden ist;

6.   den Besitz der Mittel zu seinem Unterhalt nicht nachzuweisen vermag;

7.   bei einer Beschäftigung betreten wird, die er nach dem AuslBG nicht ausüben hätte dürfen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige hätte nach den Bestimmungen des Ausländerbeschäftigungsgesetzes für denselben Dienstgeber eine andere Beschäftigung ausüben dürfen und für die Beschäftigung, bei der der Drittstaatsangehörige betreten wurde, wäre keine Zweckänderung erforderlich oder eine Zweckänderung zulässig gewesen;

8.   eine Ehe geschlossen oder eine eingetragene Partnerschaft begründet hat und sich für die Erteilung oder Beibehaltung eines Aufenthaltstitels, für den Erwerb oder die Aufrechterhaltung eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts, für den Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft, zwecks Zugangs zum heimischen Arbeitsmarkt oder zur Hintanhaltung aufenthaltsbeendender Maßnahmen auf diese Ehe oder eingetragene Partnerschaft berufen, aber mit dem Ehegatten oder eingetragenen Partner ein gemeinsames Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK nicht geführt hat oder

9.   an Kindes statt angenommen wurde und die Erteilung oder Beibehaltung eines Aufenthaltstitels, der Erwerb oder die Aufrechterhaltung eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts, der Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft, der Zugang zum heimischen Arbeitsmarkt oder die Hintanhaltung aufenthaltsbeendender Maßnahmen ausschließlicher oder vorwiegender Grund für die Annahme an Kindes statt war, er jedoch das Gericht über die wahren Verhältnisse zu den Wahleltern getäuscht hat.

(3) Ein Einreiseverbot gemäß Abs. 1 ist für die Dauer von höchstens zehn Jahren, in den Fällen der Z 5 bis 8 auch unbefristet zu erlassen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt. Als bestimmte Tatsache, die bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbotes neben den anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen relevant ist, hat insbesondere zu gelten, wenn

1.   ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten, zu einer bedingt oder teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten oder mehr als einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden strafbaren Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist;

2.   ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht wegen einer innerhalb von drei Monaten nach der Einreise begangenen Vorsatztat rechtskräftig verurteilt worden ist;

3.   ...

4.   ein Drittstaatsangehöriger wegen einer Wiederholungstat oder einer gerichtlich strafbaren Handlung im Sinne dieses Bundesgesetzes oder des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes rechtskräftig bestraft oder verurteilt worden ist;

...“

11       § 53 FPG in der Fassung des Fremdenrechtsänderungsgesetzes 2011 (FrÄG 2011, BGBl. I Nr. 38), mit dem das System der aufenthaltsbeendenden Maßnahmen neu geordnet und ein „Einreiseverbot“ in das FPG eingeführt wurde, sah noch vor, dass mit einer Rückkehrentscheidung in einem ein Einreiseverbot in einer Dauer von mindestens 18 Monaten zu verhängen ist.

12       Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 15. Dezember 2011, 2011/21/0237, auf dessen Entscheidungsgründe insoweit gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen wird, zur Rechtslage nach dem FrÄG 2011 ausgeführt, dass unter Beachtung der Gesetzesmaterialien zu dieser Novelle (ErlRV 1078 BlgNR 24. GP, 29 ff) bei Bemessung eines Einreiseverbotes nach § 53 FPG eine Einzelfallprüfung vorzunehmen ist, bei der die Behörde das bisherige Verhalten des Drittstaatsangehörigen zu beurteilen und zu berücksichtigen hat, ob (bzw. inwieweit über die im unrechtmäßigen Aufenthalt als solchem zu erblickende Störung der öffentlichen Ordnung hinaus) der (weitere) Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft. Eine derartige Gefährdung ist nach der Gesetzessystematik insbesondere in den Fällen der Z 1 bis 9 des § 53 Abs. 2 FPG anzunehmen. In den Fällen des § 53 Abs. 3 Z 1 bis 8 FPG ist das Vorliegen einer schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit indiziert, was dann die Verhängung eines Einreiseverbotes in der Dauer von bis zu zehn Jahren und, liegt eine bestimmte Tatsache im Sinn der Z 5 bis 8 vor, von unbefristeter Dauer ermöglicht (vgl. zum Erfordernis einer Einzelfallprüfung aus der ständigen Rechtsprechung auch etwa VwGH 10.4.2014, 2013/22/0310, 30.7.2014, 2013/22/0281).

13       Mit dem genannten Erkenntnis vom 15. Dezember 2011 hat der Verwaltungsgerichtshof weiters ausgeführt, dass die zwingende Erlassung eines Einreiseverbotes in der genannten Mindestdauer nach § 53 FPG idF FrÄG 2011 mit der Rückführungsrichtlinie (Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger) nicht in Einklang zu bringen war. Mit Blick auf die Richtlinie - insbesondere deren Art. 11 Abs. 1 und 2, wonach ein Einreiseverbot „in Anbetracht der jeweiligen Umstände des Einzelfalls“ festzusetzen ist - war daher, wenn sich das Fehlverhalten des Drittstaatsangehörigen auf den unrechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet beschränkt und fallbezogen ausnahmsweise (etwa auf Grund seiner kurzen Dauer oder der dafür maßgebenden Gründe) nur eine geringfügige Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens darstellt, überhaupt kein Einreiseverbot zu verhängen (vgl. aus der folgenden Rechtsprechung nochmals VwGH 15.5.2012, 2012/18/0029 u.a.).

14       In der im vorliegenden Fall anzuwendenden Fassung des FNG-Anpassungsgesetzes enthält § 53 FPG die Anordnung, dass mit einer Rückkehrentscheidung stets ein Einreiseverbot in einer Mindestdauer von 18 Monaten einherzugehen habe, nicht mehr. Wie sich aus den Gesetzesmaterialen (ErlRV 2144 BlgNR 24. GP, 23 f) ergibt, sollte die Sichtweise des Verwaltungsgerichtshofes in seinem Erkenntnis vom 15. Dezember 2011, 2011/21/0237, bzw. seiner folgenden Rechtsprechung damit in § 53 FPG implementiert werden. Im Sinn dieser Judikatur ist daher eine Prüfung im Einzelfall durchzuführen, die nunmehr auch dazu führen kann, dass ein Einreiseverbot in einer Dauer von weniger als 18 Monaten zu verhängen ist. Die Verhängung kurzfristiger Einreiseverbote (insbesondere solcher in einer Dauer von weniger als 18 Monaten) oder überhaupt das Unterbleiben eines Einreiseverbotes soll aber nur dann erfolgen, wenn dem Drittstaatsangehörigen bloß eine geringfügige Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung (oder Sicherheit) anzulasten ist (vgl. in diesem Sinn mit näheren Ausführungen VwGH 4.8.2016, Ra 2016/21/0207 u.a.).

15       Im vorliegenden Fall wurden vom BVwG die Voraussetzungen der Verhängung eines Einreiseverbotes verneint, weil keiner der Tatbestände des § 53 Abs. 2 oder 3 FPG verwirklicht sei. Dies greift zunächst schon insofern zu kurz, als im Hinblick auf den demonstrativen Charakter dieser Tatbestände (vgl. VwGH 26.6.2014, Ro 2014/21/0026) sich auch aus einer hinsichtlich des Unrechtsgehaltes ähnlich schwerwiegenden Konstellation (vgl. in diesem Sinn VwGH 16.11.2012, 2012/21/0080) - wobei vorliegend die Verurteilung der Mitbeteiligten wegen falscher Beweisaussage nach § 288 Abs. 1 StGB in Betracht kommt - ergeben könnte, dass durch den Aufenthalt eines Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist und daher - nach Vornahme einer Beurteilung im Einzelfall - ein Einreiseverbot zu verhängen ist.

16       Zutreffend hat das BVwG erkannt, dass der bloße Vorwurf, ein Drittstaatsangehöriger sei einer Beschäftigung nachgegangen, obwohl ihm der dafür erforderliche Aufenthaltstitel bzw. die erforderliche Beschäftigungsbewilligung nicht erteilt worden sei, § 53 Abs. 2 Z 7 FPG nicht erfüllt, sondern der Tatbestand voraussetzt, dass der Drittstaatsangehörige - wenn auch im Gegensatz zur Rechtslage vor dem FrÄG 2011 nicht mehr unbedingt durch bestimmte Organe der Abgabenbehörde, des Arbeitsmarktservice oder des öffentlichen Sicherheitsdienstes - bei einer Beschäftigung „betreten“ wird, die er nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG) nicht hätte ausüben dürfen (vgl. VwGH 18.3.2014, 2013/22/0332, mit Hinweisen auf die Rechtsprechung zur Vorgängerbestimmung des § 60 Abs. 2 Z 8 iVm Abs. 5 FPG idF vor dem FrÄG 2011). Es bedarf daher zumindest der Feststellung der nach dem AuslBG nicht zulässigen Beschäftigung aufgrund einer Nachschau durch die dafür berufenen Behörden.

17       Im vorliegenden Fall ist es nicht ausgeschlossen, dass es zu einer Betretung der Mitbeteiligten im Sinn dieser Bestimmung kam, sei doch nach einer Mitteilung der Finanzpolizei bei einer von ihr am 26. November 2015 durchgeführten Kontrolle beim Dienstgeber der Mitbeteiligten festgestellt worden, dass die Mitbeteiligte seit dem 30. Oktober 2015, ohne dass ihr eine der in § 28 Abs. 1 Z 1 Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG) aufgezählten arbeitsmarktrechtlichen Bewilligungen erteilt oder Bestätigungen ausgestellt worden wäre, beschäftigt gewesen sei.

18       Entgegen der Auffassung des BVwG steht der Erfüllung des Tatbestandes nicht entgegen, dass die Mitbeteiligte schon vor der Kontrolle der Finanzpolizei bei ihrer Einvernahme am 4. November 2015 gegenüber dem BFA die Beschäftigung angegeben hat bzw. das BFA darauf am 10. November 2015 die Finanzpolizei um Prüfung ersucht hat, ob - etwa in Hinblick auf die Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung - eine nach dem AuslBG zulässige Tätigkeit vorliegt. Eine vorsätzliche Vorgehensweise ist nämlich keine Voraussetzung der Erfüllung des Tatbestandes nach § 53 Abs. 2 Z 7 FPG. Auf die subjektive Sicht des Drittstaatsangehörigen kommt es nicht an. Von einem eine Beschäftigung in Österreich aufnehmenden Drittstaatsangehörigen muss verlangt werden, sich mit den dafür einschlägigen Rechtsnormen vertraut zu machen. Dabei genügt es etwa auch nicht, sich auf die Auskunft des Arbeitgebers zu verlassen (vgl. zur inhaltsgleichen Vorgängerbestimmung des § 60 Abs. 2 Z 8 idF vor dem FrÄG 2011 VwGH 21.6.2012, 2011/23/0146, mwN).

19       Die Erfüllung eines Tatbestandes nach § 53 Abs. 2 FPG indiziert im Sinn der zitierten Rechtsprechung, dass der (weitere) Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit nicht nur geringfügig gefährdet. Diese Gefährdungsannahme ist beim Tatbestand des § 53 Abs. 2 Z 7 FPG auch bereits bei einmaliger Verwirklichung berechtigt (vgl. VwGH 20.12.2013, 2013/21/0047, mwN). Umstände, die im vorliegenden Fall gegen diese Annahme sprechen könnten, sind nicht hervorgekommen.

20       Die Begründung des BVwG vermag daher die ersatzlose Behebung des Einreiseverbotes nicht zu tragen.

21       Das Erkenntnis war daher im Umfang der Anfechtung (ersatzlose Behebung des Einreiseverbotes) gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Wien, am 24. Mai 2018

Schlagworte

Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2 Gemeinschaftsrecht Richtlinie EURallg4

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2018:RA2017190311.L00

Im RIS seit

06.08.2021

Zuletzt aktualisiert am

06.08.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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