TE Bvwg Erkenntnis 2018/5/28 W217 2149922-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 28.05.2018
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Entscheidungsdatum

28.05.2018

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AVG §71
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §31 Abs1

Spruch

W217 2123304-1/13E

W217 2123298-1/15E

W217 2123300-1/14E

W217 2123302-1/14E

W217 2149922-1/12E

W217 2149922-2/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Julia Stiefelmeyer als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch den Verein ZEIGE, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.02.2016, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 23.04.2018 zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wird als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird stattgegeben und XXXX gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 in Verbindung mit § 34 Abs. 3 AsylG 2005 der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

III. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtige bis zum 28.05.2019 erteilt.

IV. In Erledigung der Beschwerde werden die Spruchpunkte III. und IV. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Julia Stiefelmeyer als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch den Verein ZEIGE, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.02.2016, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 23.04.2018 zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wird als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird stattgegeben und XXXX gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 in Verbindung mit § 34 Abs. 3 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

III. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtige bis zum 28.05.2019 erteilt.

IV. In Erledigung der Beschwerde werden die Spruchpunkte III. und IV. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Julia Stiefelmeyer als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch den Verein ZEIGE, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.02.2016, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 23.04.2018 zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wird als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird stattgegeben und XXXX gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

III. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtige bis zum 28.05.2019 erteilt.

IV. In Erledigung der Beschwerde werden die Spruchpunkte III. und IV. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Julia Stiefelmeyer als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch den Verein ZEIGE, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.02.2016, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 23.04.2018 zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wird als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird stattgegeben und XXXX gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

III. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtige bis zum 28.05.2019 erteilt.

IV. In Erledigung der Beschwerde werden die Spruchpunkte III. und IV. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Julia Stiefelmeyer als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch den Verein ZEIGE, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 08.03.2017, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 23.04.2018 zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wird als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird stattgegeben und XXXX gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

III. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtiger bis zum 28.05.2019 erteilt.

IV. In Erledigung der Beschwerde werden die Spruchpunkte III. und IV. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die Erstbeschwerdeführerin, der Zweitbeschwerdeführer, die Drittbeschwerdeführerin und die Viertbeschwerdeführerin reisten illegal und schlepperunterstützt in Österreich ein und stellten am 12.09.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Für die Drittbeschwerdeführerin und die Viertbeschwerdeführerin stellte die Erstbeschwerdeführerin als deren gesetzliche Vertreterin die gegenständlichen Anträge.

2. Bei ihrer Erstbefragung durch Organe der Landespolizeidirektion Burgenland am 13.09.2015 gaben die Beschwerdeführer an, der Volksgruppe der Hazara anzugehören. Die Erstbeschwerdeführerin sei bereits einmal verheiratet gewesen. Nach ihrer Scheidung habe der Zweitbeschwerdeführer sie geheiratet, ihr Ex-Mann sei damit nicht einverstanden gewesen und habe die gesamte Familie bedroht und versucht, die Erstbeschwerdeführerin zu töten.

Die Erstbeschwerdeführerin sei im Alter von zwei Jahren in den Iran gekommen, wo sie bis 2005, bis zu ihrer Scheidung, geblieben sei. Danach sei sie nach Afghanistan zurückgekehrt. Die Erstbeschwerdeführerin sei im Alter von 14 Jahren verheiratet worden. Nach der Geburt ihrer ersten Tochter habe sie gemerkt was für ein Mensch ihr Ex-Mann gewesen sei: er sei drogenabhängig und kriminell gewesen und habe die Erstbeschwerdeführerin misshandelt. Diese habe dann die Scheidung erzwungen und sei nach Afghanistan zurückgereist. Nach der zweiten Heirat habe der Ex-Mann die Erstbeschwerdeführerin gefunden, überfallen und habe sie töten wollen. Deshalb habe sie flüchten müssen, um ihr Leben und das ihrer Familie zu schützen.

2. In der niederschriftlichen Einvernahme vor den Organen des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl am 25.02.2016 führte der Zweitbeschwerdeführer aus, er sei ca. 37 Jahre alt. Er sei in Afghanistan, in Besud, zur Welt gekommen. Im Alter von drei Jahren seien seine Eltern mit ihm in den Iran geflüchtet. Dort habe er in Teheran, Bezirk XXXX , im Dorf XXXX bis zu seiner Rückkehr nach Afghanistan gelebt. Fünf oder sechs Jahre habe er die Schule in XXXX besucht. Vor ca. zwei Jahren seien sie aus Afghanistan weggezogen. Seit etwa zwei oder drei Monaten seien sie in Österreich. Zuletzt habe er in Kabul in einer Straße mit der Bezeichnung " XXXX " gewohnt. Seit etwa zehn Jahren sei er mit der Erstbeschwerdeführerin verheiratet. Er habe sie in Afghanistan kennen gelernt. Ihr Bruder sei sein Freund gewesen. Die Ehe sei in Afghanistan, in Kabul, geschlossen worden. Sie hätten zwei Töchter, XXXX und XXXX . Die Beschwerdeführer würden der Volksgruppe der Hazara und dem schiitischen Glauben angehören. Er habe sowohl im Iran als auch in Afghanistan als Schumacher gearbeitet. Vor ca. eineinhalb Jahren hätten sie Afghanistan legal verlassen und hätten sich vier Monate in Pakistan aufgehalten. Ein Schlepper habe Sie dann illegal zu Fuß in den Iran gebracht, wo sie sich ca. ein Jahr illegal aufgehalten hätten.

Sie hätten Afghanistan verlassen, da es Probleme mit dem geschiedenen Mann der Erstbeschwerdeführerin gegeben habe. Der Zweitbeschwerdeführer sei mit der Erstbeschwerdeführerin und den Kindern hierhergekommen, um sie zu schützen. Er selbst habe kein Problem mit dem geschiedenen Mann gehabt, jedoch die Erstbeschwerdeführerin. Sie habe sich von ihrem Mann scheiden lassen und den Zweitbeschwerdeführer geheiratet. Dies habe dem früheren Mann sehr weh getan. Auch sei es sehr schwierig gewesen, in Afghanistan als Hazara zu leben. Als seine Frau Probleme mit dem geschiedenen Mann gehabt habe und Anzeige erstatten wollte, sei nichts von den Behörden aufgenommen worden, da diese der Ansicht gewesen seien, dass es Privatsache sei. Der geschiedene Mann habe Leute geschickt, die die Erstbeschwerdeführerin einmal attackiert hätten. Der Zweitbeschwerdeführer habe diese Leute jedoch persönlich nicht gesehen. Diese Attacke habe sich vor der Geburt der beiden Kinder zugetragen.

3. In der niederschriftlichen Einvernahme vor den Organen des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl am 25.02.2016 führte die Erstbeschwerdeführerin aus, sie sei im Alter von fünf oder sechs Jahren in den Iran gezogen, nach Teheran, in das Dorf XXXX . Dort habe sie ca. 17 oder 18 Jahre lang gelebt. Fünf Jahre lang habe sie die Grundschule im Iran besucht. Dort sei sie auch ein erstes Mal verheiratet gewesen und zwar mit XXXX , dem Vater ihrer ersten zwei Kinder, namens XXXX , ca. 17 Jahre alt, und XXXX , ca. 13 Jahre alt. Diese würden sich bei deren Vater befinden. Ihr Ex-Mann sei ein Schlepper gewesen. Als sie den Antrag auf Scheidung gestellt habe, hätte ihre Schwiegermutter die Kinder abgeholt, damals sei ihre Tochter sieben Jahre alt und ihr Sohn zwei Jahre alt gewesen. Seit ca. zehn oder elf Jahren sei sie geschieden. Nach der Scheidung hätten ihre Eltern sie nach Afghanistan zu ihrem Bruder, XXXX , geschickt. Dort habe sie drei oder vier Monate mit ihrem Bruder im Bezirk XXXX gelebt. Der Zweitbeschwerdeführer und nunmehriger Mann der Erstbeschwerdeführerin sei ein Freund ihres Bruders und habe um ihre Hand gebeten. Sie habe den Zweitbeschwerdeführer in einer Moschee vor einem Mullah geheiratet. Sie hätten zwei Kinder. Sie hätten immer in der Stadt Kabul in verschiedenen Wohnungen, in verschiedenen Straßen bzw. Bezirken, gelebt. Vor zwei Jahren und zwei Monaten seien sie zuletzt in Afghanistan gewesen. Die Erstbeschwerdeführerin habe einen Onkel und eine Tante, die in Kabul leben würden. Der Sohn der Tante des Zweitbeschwerdeführers lebe in Afghanistan.

Zu ihren Fluchtgründen führte die Erstbeschwerdeführerin aus, ihr erster Ehemann sei eines nachts zu ihr nach Hause gekommen. Ihre Tochter XXXX sei noch nicht auf der Welt gewesen, ihr Ehemann XXXX noch nicht von der Arbeit zurück. Es sei an der Tür geklopft worden und sie sei mit einer Laterne zur Tür gegangen und habe diese geöffnet. Ihr Ex-Mann habe ihr den Mund zugehalten und sie mit seiner Hand an einer Schulter festgehalten. Er habe sie glaublich mit einem Messer an der linken Hand verletzt. Eine Fensterscheibe sei zerbrochen, wodurch eine Nachbarin munter geworden sei. Ihr Ex-Mann habe sie mit dem Kopf an die Wand gedrückt, dabei habe sie das Bewusstsein verloren. Sie sei erst später im Spital wieder zu sich gekommen. Eine Nacht lang sei sie im Spital geblieben dann sei sie wieder entlassen worden. Sie sei damals schwanger gewesen, habe Blutungen bekommen und das Kind verloren. Sie habe daraufhin in ständiger Angst vor ihrem Ex-Mann gelebt. Es sei ihr nicht gut gegangen, da sie in Angst gelebt habe. Deshalb habe der Zweitbeschwerdeführer gemeint, es sei besser Afghanistan zu verlassen. Wäre sie in Afghanistan geblieben, hätte sie möglicherweise mit ihrem geschiedenen Mann Probleme bekommen. Auch habe Sie Angst gehabt, dass er jemanden aus ihrer Familie töte. Sie seien deshalb in den Iran gegangen, da dort ihre Familien gewesen seien. Für ihre Kinder, die Dritt- und Viertbeschwerdeführerin, würden dieselben Fluchtgründe gelten, wie für die Erstbeschwerdeführerin.

4. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat mit den oben angeführten Bescheiden vom 29.02.2016 die gegenständlichen Anträge der Erstbeschwerdeführerin, des Zweitbeschwerdeführers, der Dritt- und der Viertbeschwerdeführerin auf internationalen Schutz jeweils bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Den Beschwerdeführern wurden gemäß § 57 AsylG 2005 Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurden gegen sie Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebungen jeweils gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sind. Weiters wurde ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betragen würde.

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass das Vorbringen der Erstbeschwerdeführerin nicht als asylrelevant einzustufen sei. Auch eine Rückkehr nach Kabul sei den Beschwerdeführern zumutbar. Sie hätten zuletzt mehrere Jahre in Kabul verbracht und würden deshalb über Bekannte und soziale Kontakte verfügen, die sie unterstützen könnten. Der Zweitbeschwerdeführer sei ein gesunder, erwachsener, arbeitsfähiger Mann und es wäre ihm auch zumutbar, den Unterhalt für sich und seine Familie zu bestreiten.

5. Gegen die im Spruch angeführten Bescheide vom 29.02.2016 wurde am 14.03.2016 von der Erstbeschwerdeführerin, dem Zweitbeschwerdeführer, der Dritt- und der Viertbeschwerdeführerin, alle vertreten durch den Verein Menschenrechte, fristgerecht eine gleichlautende Beschwerde erhoben und die gegenständlichen Bescheide in vollem Umfang angefochten. In der Beschwerde wird das Vorbringen der Erstbeschwerdeführerin wiederholt und zudem ausgeführt, dass die Beschwerdeführer der Volksgruppe der Hazara angehören würden. Auch sei die Sicherheitslage in Afghanistan dergestalt, dass nicht davon ausgegangen werden könne, dass die Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nicht in eine ausweglose Lage geraten würden. Es sei den Beschwerdeführern daher zumindest subsidiärer Schutz zu gewähren.

6. Diese Beschwerden und die bezughabenden Verwaltungsakten wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 18.03.2016 von der belangten Behörde vorgelegt.

7. Am 20.02.2017 wurde für den Fünftbeschwerdeführer von dessen gesetzlichen Vertreter der Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Mit Bescheid vom 08.03.2017 wurde dieser Antrag auf internationalen Schutz jeweils bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Dem Fünftbeschwerdeführer wurde gemäß § 57 AsylG 2005 ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Fünftbeschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist. Weiters wurde ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidungen betragen würde.

8. Gegen den Bescheid vom 08.03.2017 erhob der Fünftbeschwerdeführer mit Schreiben vom 06.04.2017 Beschwerde. Mit Schreiben vom 06.04.2017 wurde ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt.

9. Mit Schreiben vom 19.09.2017 übermittelte der Verein ZEIGE dem Bundesverwaltungsgericht die Vollmachtbekanntgabe hinsichtlich der Beschwerdeführer für die gegenständlichen Verfahren.

10. Im Zuge der Ladungen zur mündlichen Verhandlung wurde den Beschwerdeführern mit den Ladungen vom 19.03.2018 auch das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan, Stand 30.01.2018, übermittelt.

11. Am 23.04.2018 führte das Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit eines Dolmetsch für die Sprache Dari und des Rechtsvertreters der Beschwerdeführer eine öffentliche mündliche Verhandlung durch. In der Verhandlung wurden die unter den Aktenzahlen W217 2123304-1, W217 2123298-1, W217 2123300-1, W217 2123302-1 und W217 2149922-1 geführten Beschwerden zur gemeinsamen Verhandlung gemäß § 17 VwGVG iVm § 39 Abs. 2 AVG verbunden.

Im Rahmen dieser Verhandlung wurden von den Beschwerdeführern Empfehlungsschreiben, Kursteilnahmebestätigungen sowie ein Zertifikat des Zweitbeschwerdeführers über das Bestehen einer Deutschprüfung auf dem Niveau A1 vom 16.01.2018 vorgelegt. In der Befragung gab die Erstbeschwerdeführerin an, sie sei gesund und führe den Namen XXXX . Sie sei am XXXX in der Provinz Maidan Wardak, im Bezirk Behsud geboren. Sie sei schiitischen Glaubens, spreche Dari und gehöre der Volksgruppe der Hazara an. Sie sei mit XXXX , dem Zweitbeschwerdeführer, verheiratet. Diesen habe sie vor ca. elf Jahren in Kabul geheiratet. Sie habe den Zweitbeschwerdeführer kennengelernt, als sie bei ihrem Bruder, XXXX , in Kabul gelebt habe. Mit dem Zweitbeschwerdeführer habe sie drei Kinder. Sie habe fünf Jahre in Teheran die Schule besucht. Sie sei bereits einmal verheiratet gewesen. Ihr erster Mann XXXX ; sie sei bei der Heirat ca. 14 Jahre alt gewesen. Sie habe mit ihrem Ex-Mann im Iran, in Teheran, gewohnt. Mit diesem habe sie zwei Kinder, sie wisse allerdings nichts über deren Aufenthalt, zuletzt seien sie im Iran gewesen. Sie habe sich von ihrem ersten Mann in dessen Abwesenheit durch einen islamischen Gelehrten scheiden lassen, da das Gericht im Iran die Scheidung nicht vollzogen habe. Man könne sich als Frau in Abwesenheit des Mannes scheiden lassen, ihr Mann sei jedoch damit nicht einverstanden gewesen. Die Scheidung sei im Jahre 2005 erfolgt. Nachdem ihr Ex-Mann von der Scheidung erfahren habe, habe er begonnen, die Erstbeschwerdeführerin zu bedrohen. Er sei einmal vor der Tür ihres Vaters in Teheran gestanden, weshalb die Erstbeschwerdeführerin von ihrem Vater zu ihrem Bruder nach Kabul geschickt worden sei. Sie sei 2006 mit einer Familie ihres Stammes zu ihrem Bruder nach Kabul gefahren. Sie sei nicht während der Reise geflohen, da dies die Entscheidung ihres Vaters gewesen sei. Nach drei bis vier Monaten in Kabul habe ihr Bruder entschieden, dass sie den Zweitbeschwerdeführer heiraten solle. Sie sei nicht zu hundert Prozent bereit gewesen, zu heiraten, aber sei heute froh und zufrieden über ihr Leben mit dem Zweitbeschwerdeführer. Die Heirat mit dem Zweitbeschwerdeführer sei im Jahre 2006 in der Wohnung ihres Bruders in Kabul erfolgt. In Kabul hätten sie insgesamt dreieinhalb Jahre in verschiedenen Wohnungen gelebt. Zwischenzeitlich hätten sie auch kurz in Mazar-e-Sharif gewohnt und wären dann wieder nach Kabul zurückgegangen.

Sie habe keine Berufsausbildung, habe aber im Iran geholfen, Schuhe zu nähen. Sie sei ca. zwei Jahre alt gewesen, als sie Afghanistan das erste Mal verlassen habe und in den Iran gezogen sei. In Afghanistan sei es ihnen finanzielle mittelmäßig gegangen. Der Zweitbeschwerdeführer habe als Schuhmacher gearbeitet. Sie hätten in Afghanistan keine Besitztümer. Ein Onkel väterlicherseits und eine Tante mütterlicherseits würden in Kabul leben. Kontakt bestehe aber nicht. Ihre Mutter lebe mit ihrer Schwester im Iran. Eine weitere Schwester würde in Kanada leben und ihre Schwester Masuma in Graz. Ihr Bruder XXXX lebe in der Schweiz. Sie habe Kontakt zu ihrer Schwester XXXX , man würde sich treffen, wenn man frei habe. Zu ihrer Schwester XXXX in Kanada bestehe telefonischer Kontakt. Sie habe viele Freunde und Bekannte in Österreich, sowohl österreichische als auch afghanische. Zu ihrem Tagesablauf befragt, gab die Erstbeschwerdeführerin an, dass sie sich um ihre Kinder und die Wohnung kümmere und einen Deutschkurs besuche. Sie nütze auch das Freizeit- und Lernangebot der Caritas, dort treffe man sich einmal in der Woche und trinke Kaffee, dabei rede man über verschiedene Themen, wie über Österreich und die zukünftige Berufswahl. Ehrenamtlich würde sie nicht arbeiten. Sie stelle sich vor, zukünftig in Österreich als Krankenschwester zu arbeiten. Nach ihren Informationen würde die Ausbildung dafür drei Jahre dauern. Die Caritas habe ihr vor zehn Tagen Informationsblätter für verschiedene Berufe gegeben. Sie sei seit zwei Jahren und sieben Monaten in Österreich.

Zu ihrem Fluchtgrund befragt, schilderte die Erstbeschwerdeführerin, dass ca. drei oder vier Monate nach ihrer Heirat mit dem Zweitbeschwerdeführer ihr Ex-Mann nach Afghanistan gekommen sei. Er sei einmal gegen 21 Uhr in ihre Wohnung gekommen. Nach einem Streit habe er sie angegriffen, dabei habe er auch mit einem Messer ihre linke Hand verletzt. Die Nachbarn hätten an der Tür geklopft und gefragt was los sei, dann habe ihr Ex-Mann durch das Fenster die Flucht ergriffen. Sie sei daraufhin ohnmächtig geworden. Auf den Vorhalt, wie ihr Ex-Mann sie in Afghanistan gefunden habe, gab die Erstbeschwerdeführerin an, dass XXXX (Anmerkung: Stadtteil in Kabul) ein kleiner Ort sei und es deswegen einfacher sei, dort jemanden zu finden. Ihr Ex-Mann habe gewusst, dass ihr Bruder dort gelebt habe. Wie genau er sie habe finden können, wisse sie nicht.

Nachdem sie aus dem Krankenhaus entlassen worden sei, habe der Vermieter der Erstbeschwerdeführerin nahe gelegt, Anzeige zu erstatten. Die Polizisten an der Polizeistation hätten daraufhin gesagt, dass sie verrückte Leute aus dem Iran seien und Zeugen bräuchten. Der Vermieter habe zwar anfangs zugesagt als Zeuge auszusagen, habe dies schlussendlich aber nicht getan. Aus diesem Grund habe sie keine Anzeige erstatten können. Im Falle einer Rückkehr würde in Afghanistan der Tod auf die Erstbeschwerdeführerin warten. Die geschilderte Attacke sei die einzige Attacke gewesen. Nach weiteren Fluchtgründen befragt gab die Erstbeschwerdeführerin an, dass sie nicht wolle, dass ihre Kinder aufwachsen müssen, wie sie es habe müssen. Weitere Gründe für ihre Kinder habe sie nicht hinzuzufügen.

Der Zweitbeschwerdeführer gab in der mündlichen Verhandlung an, er sei grundsätzlich gesund, heiße XXXX und sei am XXXX in Kabul geboren. Dort habe er ca. bis zu seinem 4. Lebensjahr gewohnt. Dann sei er mit seinen Eltern in den Iran gezogen. Er sei schiitischer Hazara und mit der Erstbeschwerdeführerin verheiratet.

Er sei schiitischer Moslem und gehöre der Volksgruppe der Hazara an. Er habe XXXX in Kabul vor ca. 11 Jahren geheiratet. Ihr Bruder, XXXX , sei ein Freund von ihm. Nachdem er die Geschichte von XXXX gehört habe, habe er ihm den Vorschlag unterbreitet, sie zu heiraten. Es sei keine offizielle Heirat gewesen, weil beide Eltern nicht anwesend gewesen seien. Aus dieser Ehe stammten XXXX , ca. 10 Jahre alt, XXXX , ca. 7 Jahre alt, sowie XXXX . Dieser sei ca. 1 Jahr und 3 Monate alt.

Der Zweitbeschwerdeführer habe fünf Jahre lang eine Grundschule im Iran besucht und habe im Iran wie auch in Afghanistan als Schuhmacher gearbeitet. Besitztümer habe er keine in Afghanistan. Er versuche in Österreich jeden Tag etwas Deutsch zu üben und sehe sich deutsche Filme im Internet an. Im Moment besuche er keinen Deutschkurs, er habe A1 absolviert und warte auf den A2-Kurs. Ehrenamtlich habe er dem Heimleiter bei Gartenarbeiten geholfen.

Zu seinen Fluchtgründen führte der Zweitbeschwerdeführer aus, sie hätten deshalb Afghanistan verlassen, weil das Leben seiner Frau und auch das Leben der Kinder in Gefahr gewesen sei. Der Ex-Mann der Erstbeschwerdeführerin sei mit der Scheidung, die in seiner Abwesenheit erfolgt sei, nicht einverstanden gewesen. Er habe die Erstbeschwerdeführerin mit einem Messer angegriffen, ca. drei Monate nach ihrer Heirat. Der Zweitbeschwerdeführer sei bei der Arbeit gewesen. In der Nacht, als er nach Hause gekommen sei habe er erfahren, dass seine Frau im Krankenhaus sei. Sie habe ihm erzählt, was passiert sei: Der Vermieter habe sie ins Krankenhaus gebracht, da ihr Ex-Mann sie spät in der Nacht mit dem Messer angegriffen habe. Der Zweitbeschwerdeführer sei niemals vom Ex-Mann persönlich attackiert oder bedroht worden.

Im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan würde er sein Leben verlieren, weil der Ex-Mann der Erstbeschwerdeführerin viele Leute kenne und sie niemanden hätten. Über Fluchtgründe für seine Kinder befragt, führte der Zweitbeschwerdeführer noch aus, dass es nach seinem Gefühl sehr schwer sei, in Afghanistan Mädchen großzuziehen. Im Alter von 12 oder 13 Jahren würden Verehrer kommen, um um die Hand der Mädchen anzuhalten.

Im Zuge der Verhandlung wurde von der rechtlichen Vertretung der Beschwerdeführer der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich XXXX zurückgezogen. Zu den übermittelten Länderberichten erfolgte keine inhaltliche Äußerung.

12. Am 26.04.2018 wurde von der rechtlichen Vertretung der Beschwerdeführer eine ergänzende Stellungnahme übermittelt. Darin wird im Wesentlichen die Sicherheits- und Versorgungslage in Kabul thematisiert. Aufgrund der enormen gegenwärtigen Binnenfluchtbewegung herrsche in Kabul eine humanitäre Krise. Dieser Umstand müsse gerade im vorliegenden Fall, da es sich um eine fünfköpfige Familie mit drei minderjährigen Kindern handle, in die Erwägungen miteinbezogen werden. In Anbetracht der gegenwärtigen schweren humanitären Krise in Afghanistan sei daher den Beschwerdeführern zumindest der Status von subsidiär Schutzberechtigten zu gewähren. Der Stellungnahme wurden unter anderem Berichte aus dem Jahr 2018, welche die Binnenfluchtbewegungen und die Rückkehrsituationen von Flüchtlingen in Afghanistan betreffen und sich wiederum auf Berichte der UNO beziehen, beigelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1 Zu den Beschwerdeführern:

Die Beschwerdeführer sind afghanische Staatsangehörige, gehören der Volksgruppe der Hazara an, sind schiitischen Glaubens und sprechen Dari.

Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer sind verheiratet und die Eltern der weiteren Beschwerdeführer.

Die Erstbeschwerdeführerin ist am 03.09.1983 im Bezirk Behsud in der Provinz Maidan Wardak geboren.

Der Zweitbeschwerdeführer ist am 21.03.1979 in Kabul geboren.

Die Drittbeschwerdeführerin ist am 31.12.2010 geboren.

Die Viertbeschwerdeführerin ist am 06.08.2008 geboren.

Der Fünftbeschwerdeführer wurde am 18.01.2017 in XXXX geboren.

Die Erstbeschwerdeführerin ist im Alter von ca. zwei Jahren in den Iran gezogen. Die Erstbeschwerdeführerin lebte bis 2005 im Iran und zog nach der Scheidung von ihrem ersten Mann im selben Jahr nach Kabul.

2006 heiratete die Erstbeschwerdeführerin den Zweitbeschwerdeführer in Kabul.

Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer lebten von 2006 an, mit einer kurzen Unterbrechung, bis zu ihrer Ausreise in Kabul.

Die Beschwerdeführer verfügen über keine Besitztümer in Afghanistan.

Die Erstbeschwerdeführerin wurde im Jahr 2006 von ihrem Ex-Mann in Kabul bedroht.

Die Beschwerdeführer (ausgenommen der Fünftbeschwerdeführer) haben Afghanistan im Frühjahr 2014 verlassen.

Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer besuchten jeweils für fünf Jahre eine Grundschule in Teheran.

Die Erstbeschwerdeführerin hat keinen Beruf erlernt.

Der Zweitbeschwerdeführer arbeitete in Teheran und in Kabul als Schuhmacher.

Der Zweitbeschwerdeführer sorgte für das Auskommen der Familie. Die finanzielle Situation der Familie in Afghanistan war durchschnittlich.

Die Mutter und die Schwester der Erstbeschwerdeführerin leben im Iran, zwei weitere Schwestern der Erstbeschwerdeführerin leben in Österreich bzw. Kanada. Ein Onkel väterlicherseits und eine Tante mütterlicherseits der Erstbeschwerdeführerin leben in Kabul, zu diesen besteht jedoch kein Kontakt.

Die Verwandten des Zweitbeschwerdeführers leben im Iran.

Der Zweitbeschwerdeführer absolvierte einen Deutschkurs auf dem Niveau A1.

Die Beschwerdeführer sind gesund.

Es kann nicht festgestellt werden, dass den Beschwerdeführern in Afghanistan eine an asylrelevante Merkmale anknüpfende Verfolgung droht.

Es kann nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer Verfolgungsgefahr ausgesetzt sind.

1.2 Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Auszug Staatendokumentation (Stand 30.01.2018):

KI vom 30.01.2018: Angriffe in Kabul (betrifft: Abschnitt 3 Sicherheitslage)

Landesweit haben in den letzten Monaten Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert (The Guardian; vgl. BBC 29.1.2018). Die Gewalt Aufständischer gegen Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen hat in den letzten Jahren zugenommen (The Guardian 24.1.2018). Die Taliban erhöhen ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant (Asia Pacific 30.1.2018).

Im Stadtzentrum und im Diplomatenviertel wurden Dutzende Hindernisse, Kontrollpunkte und Sicherheitskameras errichtet. Lastwagen, die nach Kabul fahren, werden von Sicherheitskräften, Spürhunden und weiteren Scannern kontrolliert, um sicherzustellen, dass keine Sprengstoffe, Raketen oder Sprengstoffwesten transportiert werden. Die zeitaufwändigen Kontrollen führen zu langen Wartezeiten; sollten die korrekten Papiere nicht mitgeführt werden, so werden sie zum Umkehren gezwungen. Ebenso werden die Passagiere in Autos von der Polizei kontrolliert (Asia Pacific 30.1.2018).

Angriff auf die Marshal Fahim Militärakademie 29.1.2018

Am Montag den 29.1.2018 attackierten fünf bewaffnete Angreifer einen militärischen Außenposten in der Nähe der Marshal Fahim Militärakademie (auch bekannt als Verteidigungsakademie), die in einem westlichen Außendistrikt der Hauptstadt liegt. Bei dem Vorfall wurden mindestens elf Soldaten getötet und 15 weitere verletzt, bevor die vier Angreifer getötet und ein weiterer gefasst werden konnten. Der Islamische Staat bekannte sich zu dem Vorfall (Reuters 29.1.2018; vgl. NYT 28.1.2018).

Quellen zufolge operiert der IS in den Bergen der östlichen Provinz Nangarhar (The Guardian 29.1.2018); die Provinzhauptstadt Jalalabad wird als eine Festung des IS erachtet, dessen Kämpfer seit 2015 dort aktiv sind (BBC 24.1.2018). Nachdem der IS in Ostafghanistan unter anhaltenden militärischen Druck gekommen war, hatte dieser immer mehr Angriffe in den Städten für sich beansprucht. Nationale und Internationale Expert/innen sehen die Angriffe in den Städten als Überlappung zwischen dem IS und dem Haqqani-Netzwerk (einem extremen Arm der Taliban) (NYT 28.1.2018).

Angriff im Regierungs- und Diplomatenviertel in Kabul am 27.1.2018

Bei einem der schwersten Angriffe der letzten Monate tötete am Samstag den 27.1.2018 ein Selbstmordattentäter der Taliban mehr als 100 Menschen und verletzte mindestens 235 weitere (Reuters 28.1.2018; vgl. The Guardian 28.1.2018). Eine Bombe - versteckt in einem Rettungswagen - detonierte in einem schwer gesicherten Bereich der afghanischen Hauptstadt (The Guardian 27.1.2018; vgl. The Guardian 28.1.2018). Der Vorfall ereignete sich im Regierungs- und Diplomatenviertel und wird als einer der schwersten seit dem Angriff vom Mai 2017 betrachtet, bei dem eine Bombe in der Nähe der deutschen Botschaft explodiert war und 150 Menschen getötet hatte (Reuters 28.1.2018).

Die Taliban verlautbarten in einer Aussendung, der jüngste Angriff sei eine Nachricht an den US-amerikanischen Präsidenten, der im letzten Jahr mehr Truppen nach Afghanistan entsendete und Luftangriffe sowie andere Hilfestellungen an die afghanischen Sicherheitskräfte verstärkte (Reuters 28.1.2018).

Angriff auf die NGO Save the Children am 24.1.2018

Am Morgen des 24.1.2018 brachte ein Selbstmordattentäter ein mit Sprengstoff beladenes Fahrzeug am Gelände der Nichtregierungsorganisation (NGO) Save The Children in der Provinzhauptstadt Jalalabad zur Explosion. Mindestens zwei Menschen wurden dabei getötet und zwölf weitere verletzt. Zum Zeitpunkt des Angriffs befanden sich 50 Mitarbeiter/innen im Gebäude. Der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (BBC 24.1.2018; vgl. Reuters 24.1.2018).

Der jüngste Angriff auf eine ausländische Hilfseinrichtung in Afghanistan unterstreicht die wachsende Gefahr, denen Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen in Afghanistan ausgesetzt sind (The Guardian 24.1.2018).

Das Gelände der NGO Save the Children befindet sich in jener Gegend von Jalalabad, in der sich auch andere Hilfsorganisationen sowie Regierungsgebäude befinden (BBC 24.1.2018). In einer Aussendung des IS werden die Autobombe und drei weitere Angriffe auf Institutionen der britischen, schwedischen und afghanischen Regierungen (Reuters 24.1.2018).

Angriff auf das Hotel Intercontinental in Kabul am 20.1.2018

Der Angriff bewaffneter Männer auf das Luxushotel Intercontinental in Kabul, wurde von afghanischen Truppen abgewehrt, nachdem die ganze Nacht um die Kontrolle über das Gebäude gekämpft worden war (BBC 21.1.2018).Fünf bewaffnete Männer mit Sprengstoffwesten hatten sich Zutritt zu dem Hotel verschafft (DW 21.1.2018). Die exakte Opferzahl ist unklar. Einem Regierungssprecher zufolge sollen 14 Ausländer/innen und vier Afghan/innen getötet worden sein. Zehn weitere Personen wurden verletzt, einschließlich sechs Mitglieder der Sicherheitskräfte (NYT 21.1.2018). 160 Menschen konnten gerettet werden(BBC 21.1.2018). Alle Fünf Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet (Reuters 20.1.2018). Die Taliban bekannten sich zu dem Angriff (DW 21.1.2018).

The Guardian (22.1.2018)

Wie die Angreifer die Sicherheitsvorkehrungen durchbrechen konnten, ist Teil von Untersuchungen. Erst seit zwei Wochen ist eine private Firma für die Sicherheit des Hotels verantwortlich. Das Intercontinental in Kabul ist trotz des Namens nicht Teil der weltweiten Hotelkette, sondern im Besitz der afghanischen Regierung. In diesem Hotel werden oftmals Hochzeiten, Konferenzen und politische Zusammentreffen abgehalten (BBC 21.1.2018). Zum Zeitpunkt des Angriffes war eine IT-Konferenz im Gange, an der mehr als 100 IT-Manager und Ingenieure teilgenommen hatten (Reuters 20.1.2018; vgl. NYT 21.1.2018).

Insgesamt handelte es sich um den zweiten Angriff auf das Hotel in den letzten acht Jahren (NYT 21.1.2018). Zu dem Angriff im Jahr 2011 hatten sich ebenso die Taliban bekannt (Reuters 20.1.2018).

Unter den Opfern waren ausländische Mitarbeiter/innen der afghanischen Fluggesellschaft Kam Air, u.a. aus Kirgisistan, Griechenland (DW 21.1.2018), der Ukraine und Venezuela. Die Fluglinie verbindet jene Gegenden Afghanistans, die auf dem Straßenweg schwer erreichbar sind (NYT 29.1.2018).

KI vom 21.12.2017: Aktualisierung der Sicherheitslage in Afghanistan - Q4.2017 (betrifft: Abschnitt 3 Sicherheitslage)

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor höchst volatil - der Konflikt zwischen regierungsfeindlichen Kräften und Regierungskräften hält landesweit an (UN GASC 20.12.2017). Zur Verschlechterung der Sicherheitslage haben die sich intensivierende Zusammenstöße zwischen Taliban und afghanischen Sicherheitskräften beigetragen (SIGAR 30.10.2017; vgl. SCR 30.11.2017).

Die afghanischen und internationalen Sicherheitskräfte verstärkten deutlich ihre Luftoperationen (UN GASC 20.12.2017; vgl. SIGAR 30.10.2017), die in 22 Provinzen registriert wurden. So haben sich im Berichtszeitraum der Vereinten Nationen (UN) Luftangriffe um 73% gegenüber dem Vorjahreswert erhöht (UN GASC 20.12.2017). Der Großteil dieser Luftangriffe wurde in der südlichen Provinz Helmand und in der östlichen Provinz Nangarhar erfasst (UN GASC 20.12.2017; vgl. SIGAR 30.10.2017), die als Hochburgen des IS und der Taliban gelten (SIGAR 30.10.2017). Verstärkte Luftangriffe hatten wesentliche Auswirkungen und führten zu hohen Opferzahlen bei Zivilist/innen und regierungsfeindlichen Elementen (UN GASC 20.12.2017). Zusätzlich ist die Gewalt in Ostafghanistan auf die zunehmende Anzahl von Operationen der ANDSF und der Koalitionskräfte zurück zu führen (SIGAR 30.10.2017).

Landesweit kam es immer wieder zu Sicherheitsoperationen, bei denen sowohl aufständische Gruppierungen als auch afghanische Sicherheitskräfte Opfer zu verzeichnen hatten (Pajhwok 1.12.2017; TP 20.12.2017; Xinhua 21.12.2017; Tolonews 5.12.2017; NYT 11.12.2017).

Den Vereinten Nationen zufolge hat sich der Konflikt seit Anfang des Jahres verändert, sich von einer asymmetrischen Kriegsführung entfernt und in einen traditionellen Konflikt verwandelt, der von bewaffneten Zusammenstößen zwischen regierungsfeindlichen Elementen und der Regierung gekennzeichnet ist. Häufigere bewaffnete Zusammenstöße werden auch als verstärkte Offensive der ANDSF-Operationen gesehen um die Initiative von den Taliban und dem ISKP zu nehmen - in diesem Quartal wurde im Vergleich zum Vorjahr eine höhere Anzahl an bewaffneten Zusammenstößen erfasst (SIGAR 30.10.2017).

Sicherheitsrelevante Vorfälle

Die Vereinten Nationen (UN) registrierten im Berichtszeitraum (15.9. - 15.11.2017) 3.995 sicherheitsrelevante Vorfälle; ein Rückgang von 4% gegenüber dem Vorjahreswert. Insgesamt wurden von 1.1.-15.11.2017 mehr als 21.105 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, was eine Erhöhung von 1% gegenüber dem Vorjahreswert andeutet. Laut UN sind mit 62% bewaffnete Zusammenstöße die Hauptursache aller sicherheitsrelevanten Vorfälle, gefolgt von IEDs [Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung/Sprengfallen], die in 17% der sicherheitsrelevanten Vorfälle Ursache waren. Die östlichen Regionen hatten die höchste Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen zu verzeichnen, gefolgt von den südlichen Regionen - zusammen wurde in diesen beiden Regionen 56% aller sicherheitsrelevanten Vorfälle registriert. Gezielte Tötungen und Entführungen haben sich im Vergleich zum Vorjahreswert um 16% erhöht (UN GASC 20.12.2017).

Laut der internationalen Sicherheitsorganisation für NGOs (INSO) wurden vom 1.1.-30.11.2017 24.917 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan registriert (Stand: Dezember 2017) (INSO o.D.).

Zivilist/innen

Im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des letzten Jahres registrierte die UNAMA zwischen 1.1. und 30.9.2017 8.019 zivile Opfer (2.640 Tote und 5.379 Verletzte). Dies deutet insgesamt einen Rückgang von fast 6% gegenüber dem Vorjahreswert an (UNAMA 10.2017); konkret hat sich die Anzahl getöteter Zivilist/innen um 1% erhöht, während sich die Zahl verletzter Zivilist/innen um 9% verringert hat (UN GASC 20.12.2017).Wenngleich Bodenoffensiven auch weiterhin Hauptursache für zivile Opfer waren - führte der Rückgang der Anzahl von Bodenoffensiven zu einer deutlichen Verringerung von 15% bei zivilen Opfern. Viele Zivilist/innen fielen Selbstmordattentaten, sowie komplexen Angriffen und IEDs zum Opfer - speziell in den Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Kandahar und Faryab (UNAMA 10.2017).

Zivile Opfer, die regierungsfreundlichen Kräften zugeschrieben wurden, sind um 37% zurückgegangen: Von insgesamt 849 waren 228 Tote und 621 Verletzte zu verzeichnen. Im Gegensatz dazu erhöhte sich die Anzahl ziviler Opfer, die regierungsfeindlichen Elementen zugeschrieben werden, um 7%: von den 1.150 zivilen Opfer starben 225, während 895 verletzt wurden. Die restlichen Opfer konnten keiner Tätergruppe zugeschrieben werden (UNAMA 10.2017).

High-profile Angriffe:

Am 31.10.2017 sprengte sich ein Selbstmordattentäter in der "Green Zone" der Hauptstadt Kabul in die Luft. Der angebliche Täter soll Quellen zufolge zwischen 12-13 Jahren alt gewesen sein. Mindestens vier Menschen starben bei dem Angriff und ein Dutzend weitere wurden verletzt. Dies war der erste Angriff in der "Green Zone" seit dem schweren Selbstmordattentat im Mai 2017 (BBC 31.10.2017; vgl. Telegraph 31.10.2017). der IS bekannte sich zu diesem Vorfall Ende Oktober 2017 (BBC 31.10.2017; vgl. Telegraph 31.10.2017; UN GASC 20.12.2017)

Am 20.10.2017 sprengte sich ein Angreifer in der Shia Imam Zamam Moschee in Kabul in die Luft; dabei wurden mindestens 30 Menschen getötet und 45 weitere verletzt. Der IS bekannt sich zu diesem Angriff (Independent 20.10.2017; vgl. BBC 21.10.2017; UN GASC 20.12.2017). In dem Distrikt Solaina, in der westlichen Provinz Ghor, wurde ebenso eine Moschee angegriffen - in diesem Fall handelt es sich um eine sunnitische Moschee. Die tatsächliche Opferzahl ist umstritten: je nach Quellen sind zwischen 9 und 39 Menschen bei dem Angriff gestorben (Independent 20.10.2017; vgl. NYT 20.10.2017; al Jazeera 20.10.2017).

Am 19.10.2017 wurde im Rahmen eines landesweit koordinierten Angriffes der Taliban 58 afghanische Sicherheitskräfte getötet: ein militärisches Gelände, eine Polizeistationen und ein militärischer Stützpunkt in Kandahar wären beinahe überrannt worden (Independent 20.10.2017; vgl. BBC 21.10.2017). Einige Tage vor diesem Angriff töteten ein Selbstmordattentäter und ein Schütze mindestens 41 Menschen, als sie ein Polizeiausbildungszentrum in der Provinzhauptstadt Gardez stürmten (Provinz Paktia) (BBC 21.10.2017). In der Woche davor wurden 14 Offiziere der Militärakademie auf dem Weg nach Hause getötet, als ein Selbstmordattentäter den Minibus in die Luft sprengte in dem sie unterwegs waren (NYT 20.10.2017). Die afghanische Armee und Polizei haben dieses Jahr schwere Verlusten aufgrund der Taliban erlitten (BBC 21.10.2017).

Am 7.11.2017 griffen als Polizisten verkleidete Personen/regierungsfeindliche Kräfte eine Fernsehstation "Shamshad TV" an; dabei wurde mindestens eine Person getötet und zwei Dutzend weitere verletzt. Die afghanischen Spezialkräfte konnten nach drei Stunden Kampf, die Angreifer überwältigen. Der IS bekannt sich zu diesem Angriff (Guardian 7.11.2017; vgl. NYT 7.11.2017; UN GASC 20.12.2017).

Bei einem Selbstmordangriff im November 2017 wurden mindestens neun Menschen getötet und einige weitere verletzt; die Versammelten hatten einem Treffen beigewohnt, um den Gouverneur der Provinz Balkh - Atta Noor - zu unterstützen; auch hier bekannte sich der IS zu diesem Selbstmordattentat (Reuters 16.11.2017; vgl. UN GASC 20.12.2017)

Interreligiöse Angriffe

Serienartige gewalttätige Angriffe gegen religiöse Ziele, veranlassten die afghanische Regierung neue Maßnahmen zu ergreifen, um Anbetungsorte zu beschützen: landesweit wurden 2.500 Menschen rekrutiert und bewaffnet, um 600 Moscheen und Tempeln vor Angriffen zu schützen (UN GASC 20.12.2017).

Seit 1.1.2016 wurden im Rahmen von Angriffen gegen Moscheen, Tempel und andere Anbetungsorte 737 zivile Opfer verzeichnet (242 Tote und 495 Verletzte); der Großteil von ihnen waren schiitische Muslime, die im Rahmen von Selbstmordattentaten getötet oder verletzt wurden. Die Angriffe wurden von regierungsfeindlichen Elementen durchgeführt - hauptsächlich dem IS (UNAMA 7.11.2017).

Im Jahr 2016 und 2017 registrierte die UN Tötungen, Entführungen, Bedrohungen und Einschüchterungen von religiösen Personen - hauptsächlich durch regierungsfeindliche Elemente. Seit 1.1.2016 wurden 27 gezielte Tötungen religiöser Personen registriert, wodurch 51 zivile Opfer zu beklagen waren (28 Tote und 23 Verletzte); der Großteil dieser Vorfälle wurde im Jahr 2017 verzeichnet und konnten großteils den Taliban zugeschrieben werden. Religiösen Führern ist es möglich, öffentliche Standpunkte durch ihre Predigten zu verändern, wodurch sie zum Ziel von regierungsfeindlichen Elementen werden (UNAMA 7.11.2017).

ANDSF - afghanische Sicherheits- und Verteidigungskräfte

Informationen zur Stärke der ANDSF und ihrer Opferzahlen werden von den US-amerikanischen Kräften in Afghanistan (USFOR-A) geheim gehalten; im Bericht des US-Sonderbeauftragten für den Aufbau in Afghanistan (SIGAR) werden Schätzungen angegeben:

Die Stärke der ANDSF ist in diesem Quartal zurückgegangen; laut USFOR-A Betrug die Stärke der ANDSF mit Stand August 2017 etwa 320.000 Mann - dies deutet einen Rückgang von 9.000 Mann gegenüber dem vorhergehenden Quartal an. Dennoch erhöhte sich der Wert um

3.500 Mann gegenüber dem Vorjahr (SIGAR 30.10.2017). Die Schwundquote der afghanischen Nationalpolizei war nach wie vor ein großes Anliegen; die Polizei litt unter hohen Opferzahlen (UN GASC 20.12.2017).

Im Rahmen eines Memorandum of Understanding (MoU) zwischen dem afghanischen Verteidigungs- und Innenministerium wurde die afghanische Grenzpolizei (Afghan Border Police) und die afghanische Polizei für zivile Ordnung (Afghan National Civil Order Police) dem Verteidigungsministerium übertragen (UN GASC 20.12.2017). Um sogenanntem "Geisterpersonal" vorzubeugen, werden seit 1.1.2017 Gehälter nur noch an jenes Personal im Innen- und Verteidigungsministerium ausbezahlt, welches ordnungsgemäß registriert wurde (SIGAR 30.10.2017).

Regierungsfeindliche Gruppierungen:

Taliban

Der UN zufolge versuchten die Taliban weiterhin von ihnen kontrolliertes Gebiet zu halten bzw. neue Gebiete unter ihre Kontrolle zu bringen - was zu einem massiven Ressourcenverbrauch der afghanischen Regierung führte, um den Status-Quo zu halten. Seit Beginn ihrer Frühjahrsoffensive unternahmen die Taliban keine größeren Versuche, um eine der Provinzhauptstädte einzunehmen. Dennoch war es ihnen möglich kurzzeitig mehrere Distriktzentren einzunehmen (SIGAR 30.10.2017):

Die Taliban haben mehrere groß angelegte Operationen durchgeführt, um administrative Zentren einzunehmen und konnten dabei kurzzeitig den Distrikt Maruf in der Provinz Kandahar, den Distrikt Andar in Ghazni, den Distrikt Shib Koh in der Farah und den Distrikt Shahid-i Hasas in der Provinz Uruzgan überrennen. In allen Fällen gelang es den afghanischen Sicherheitskräften die Taliban zurück zu drängen - in manchen Fällen mit Hilfe von internationalen Luftangriffen. Den afghanischen Sicherheitskräften gelang es, das Distriktzentrum von Ghorak in Kandahar unter ihre Kontrolle zu bringen - dieses war seit November 2016 unter Talibankontrolle (UN GASC 20.12.2017).

Im Rahmen von Sicherheitsoperationen wurden rund 30 Aufständische getötet; unter diesen befand sich - laut afghanischen Beamten - ebenso ein hochrangiger Führer des Haqqani-Netzwerkes (Tribune 24.11.2017; vgl. BS 24.11.2017). Das Haqqani-Netzwerk zählt zu den Alliierten der Taliban (Reuters 1.12.2017).

Aufständische des IS und der Taliban bekämpften sich in den Provinzen Nangarhar und Jawzjan (UN GASC 20.12.2017). Die tatsächliche Beziehung zwischen den beiden Gruppierungen ist wenig nachvollziehbar - in Einzelfällen schien es, als ob die Kämpfer der beiden Seiten miteinander kooperieren würden (Reuters 23.11.2017).

IS/ISIS/ISKP/ISIL-KP/Daesh

Der IS war nach wie vor widerstandsfähig und bekannte sich zu mehreren Angriff auf die zivile Bevölkerung, aber auch auf militärische Ziele [Anm.: siehe High-Profile Angriffe] (UN GASC 20.12.2017). Unklar ist, ob jene Angriffe zu denen sich der IS bekannt hatte, auch tatsächlich von der Gruppierung ausgeführt wurden bzw. ob diese in Verbindung zur Führung in Mittleren Osten stehen. Der afghanische Geheimdienst geht davon aus, dass in Wahrheit manche der Angriffe tatsächlich von den Taliban oder dem Haqqani-Netzwerk ausgeführt wurden, und sich der IS opportunistischerweise dazu bekannt hatte. Wenngleich Luftangriffe die größten IS-Hochburgen in der östlichen Provinz Nangarhar zerstörten; hielt das die Gruppierungen nicht davon ab ihre Angriffe zu verstärken (Reuters 1.12.2017). Sicherheitsbeamte gehen davon aus, dass der Islamische Staat in neun Provinzen in Afghanistan eine Präsenz besitzt: im Osten von Nangarhar und Kunar bis in den Norden nach Jawzjan, Faryab, Badakhshan und Ghor im zentralen Westen (Reuters 23.11.2017). In einem weiteren Artikel wird festgehalten, dass der IS in zwei Distrikten der Provinz Jawzjan Fuß gefasst hat (Reuters 1.12.2017).

Politische Lage

Nach dem Sturz des Taliban-Regimes im Jahr 2001 wurde eine neue Verfassung erarbeitet (IDEA o.D.), und im Jahre 2004 angenommen (Staatendokumentation des BFA 7.2016; vgl. auch: IDEA o.D.). Sie basiert auf der Verfassung aus dem Jahre 1964. Bei Ratifizierung sah diese Verfassung vor, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürger Afghanistans, Mann und Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA Staatendokumentation des BFA 3.2014; vgl. Max Planck Institute 27.1.2004).

Die Innenpolitik ist seit der Einigung zwischen den Stichwahlkandidaten der Präsidentschaftswahl auf eine Regierung der Nationalen Einheit (RNE) von mühsamen Konsolidierungsbemühungen geprägt. Nach langwierigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Lagern der Regierung unter Führung von Präsident Ashraf Ghani und dem Regierungsvorsitzenden (Chief Executive Officer, CEO) Abdullah Abdullah sind kurz vor dem Warschauer NATO-Gipfel im Juli 2016 schließlich alle Ministerämter besetzt worden (AA 9.2016). Das bestehende Parlament bleibt erhalten (CRS 12.1.2017) - nachdem die für Oktober 2016 angekündigten Parlamentswahlen wegen bisher ausstehender Wahlrechtsreformen nicht am geplanten Termin abgehalten werden konnten (AA 9.2016; vgl. CRS 12.1.2017).

Parlament und Parlamentswahlen

Generell leidet die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wähler/innen. Seit Mitte 2015 ist die Legislaturperiode des Parlamentes abgelaufen. Seine fortgesetzte Arbeit unter Ausbleiben von Neuwahlen sorgt für stetig wachsende Kritik (AA 9.2016). Im Jänner 2017 verlautbarte das Büro von CEO Abdullah Abdullah, dass Parlaments- und Bezirksratswahlen im nächsten Jahr abgehalten werden (Pajhwok 19.1.2017).

Die afghanische Nationalversammlung besteht aus dem Unterhaus, Wolesi Jirga, und dem Oberhaus, Meshrano Jirga, auch Ältestenrat oder Senat genannt. Das Unterhaus hat 249 Sitze, die sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen verteilen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze und für die Minderheit der Kutschi 10 Sitze im Unterhaus reserviert (USDOS 13.4.2016 vgl. auch: CRS 12.1.2017).

Das Oberhaus umfasst 102 Sitze. Zwei Drittel von diesen werden von den gewählten Provinzräten vergeben. Das verbleibende Drittel, wovon 50% mit Frauen besetzt werden müssen, vergibt der Präsident selbst. Zwei der vom Präsidenten zu vergebenden Sitze sind verfassungsgemäß für die Kutschi-Minderheit und zwei weitere für Behinderte bestimmt. Die verfassungsmäßigen Quoten gewährleisten einen Frauenanteil von 25% im Parlament und über 30% in den Provinzräten. Ein Sitz im Oberhaus ist für einen Sikh- oder Hindu-Repräsentanten reserviert (USDOS 13.4.2016).

Die Rolle des Zweikammern-Parlaments bleibt trotz mitunter erheblichem Selbstbewusstsein der Parlamentarier begrenzt. Zwar beweisen die Abgeordneten mit der kritischen Anhörung und auch Abänderung von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist. Zugleich nutzt das Parlament seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Regierungsarbeit destruktiv zu behindern, deren Personalvorschläge z. T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse teuer abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus spielt hier eine unrühmliche Rolle und hat sich dadurch sowohl die RNE als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht (AA 9.2016).

Parteien

Der Terminus Partei umfasst gegenwärtig eine Reihe von Organisationen mit sehr unterschiedlichen organisatorischen und politischen Hintergründen. Trotzdem existieren Ähnlichkeiten in ihrer Arbeitsweise. Einer Anzahl von ihnen war es möglich die Exekutive und Legislative der Regierung zu beeinflussen (USIP 3.2015).

Die afghanische Parteienlandschaft ist mit über 50 registrierten Parteien stark zersplittert. Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen jedoch mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren, denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien. Ethnischer Proporz, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen genießen traditionell mehr Einfluss als politische Organisationen. Die Schwäche des sich noch entwickelnden Parteiensystems ist auf fehlende strukturelle Elemente (wie z.B. ein Parteienfinanzierungsgesetz) zurückzuführen, sowie auf eine allgemeine Skepsis der Bevölkerung und der Medien. Reformversuche sind im Gange - werden aber durch die unterschiedlichen Interessenlagen immer wieder gestört, etwa durch das Unterhaus selbst (AA 9.2016).

Im Jahr 2009 wurde ein neues Parteiengesetz eingeführt, welches von allen Parteien verlangte sich neu zu registrieren und zum Ziel hatte ihre Zahl zu reduzieren. Anstatt wie zuvor die Unterschrift von 700 Mitgliedern, müssen sie nun 10.000 Unterschriften aus allen Provinzen erbringen. Diese Bedingung reduzierte tatsächlich die Zahl der offiziell registrierten Parteien von mehr als 100 auf 63, trug aber scheinbar nur wenig zur Konsolidierung des Parteiensystems bei (USIP 3.2015).

Unter der neuen Verfassung haben sich seit 2001 zuvor islamistisch-militärische Fraktionen, kommunistische Organisationen, ethno-nationalistische Gruppen und zivilgesellschaftliche Gruppen zu politischen Parteien gewandelt. Sie repräsentieren einen vielgestaltigen Querschnitt der politischen Landschaft und haben sich in den letzten Jahren zu Instituti

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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