TE Vwgh Beschluss 2018/5/29 Ra 2017/20/0388

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 29.05.2018
beobachten
merken

Index

41/02 Asylrecht;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 2005 §2 Abs1 Z18;
BFA-VG 2014 §19 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler, die Hofrätin Dr. Leonhartsberger und den Hofrat Dr. Schwarz als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Honeder, in der Rechtssache der Revision des V V in W, vertreten durch Dr. Herbert Pochieser, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Schottenfeldgasse 2-4/23, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. März 2017, Zl. G313 2014618- 2/11E, betreffend eines Antrages auf internationalen Schutz eines Unionsbürgers (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Lettlands, stellte am 26. November 2013 einen Antrag auf internationalen Schutz. Zu seinen Fluchtgründen gab der Revisionswerber an, dass er sein Heimatland verlassen habe, weil ihn korrupte Mitarbeiter der lettischen Geheimdienste und der staatlichen Antikorruptionsbehörde verfolgen würden. Es seien verschiedene Verfolgungshandlungen gegen ihn und seine Familie gesetzt worden. In seiner Heimat seien Strafprozesse gegen ihn und seine Familie "fabriziert" worden.

2 Mit Beschluss des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 2. Oktober 2014 wurde die Vollstreckung eines gegen den Revisionswerber ausgestellten Haftbefehls abgelehnt, weil dieser aus medizinischen Gründen dauerhaft transport- und haftunfähig sei.

3 Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 9. Dezember 2015 wurde der Antrag des Revisionswerbers gemäß Protokoll Nr. 24 über die Gewährung von Asyl für Staatsangehörige von Mitgliedstaaten der Europäischen Union zum EU-Vertrag von Lissabon vom 13. Dezember 2007, Amtsblatt (EG) Nr. C 306 (Protokoll Nr. 24), zurückgewiesen.

4 Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis - ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung - ab. In seiner Begründung stellte das BVwG fest, dass Lettland, ein Mitglied der Europäischen Union, ein sicherer Herkunftsstaat sei. Lettland sei ein Rechtsstaat und eine Demokratie im Sinn der Standards der Europäischen Union. Es könne von der "Schutzgewährungsfähigkeit und Schutzgewährungswilligkeit der Sicherheitsbehörden und dem Vorhandensein eines funktionierenden rechtsstaatlichen Systems" im Herkunftsstaat des Revisionswerbers ausgegangen werden. Weiters führte das BVwG aus, dass ein Zusammenhang zwischen der Asylantragstellung und einer Verfolgung durch Personen aus seinem Heimatland nicht ersichtlich sei.

5 In rechtlicher Hinsicht folgerte das BVwG, dass lit. d des Protokolls Nr. 24 eine individuelle Einzelfallprüfung eines Schutzsuchenden zulasse, allerdings sei vor einer genauen Prüfung zu entscheiden, ob der Antrag - von dessen offensichtlicher Unbegründetheit auszugehen sei - so viel Substanz habe, dass eine Prüfung notwendig sei, um die Verpflichtungen Österreichs nach der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) einzuhalten. Die Tatbestände der lit. a bis c des Protokolls Nr. 24 würden derzeit auf keinen Mitgliedstaat der Europäischen Union zutreffen. Ebenfalls habe eine Grobprüfung des Vorbringens des Revisionswerbers nicht ergeben, dass die in lit. d des Protokolls Nr. 24 statuierte Vermutung im Falle des Revisionswerbers unzutreffend sei.

6 Die dem Revisionswerber als lettischem Staatsangehörigen zukommende Freizügigkeit stehe ihm weiterhin uneingeschränkt zu und überdies sei eine Auslieferung an die lettischen Behörden aufgrund der festgestellten Haft- und Transportunfähigkeit des Revisionswerbers nicht bewilligt worden. Im vorliegenden Fall sei kein Anlass für eine Beschlussfassung im Sinne der lit. d des Protokolls Nr. 24 gegeben und auch die Tatbestände der lit. a bis c des Protokolls Nr. 24 seien nicht erfüllt.

7 Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung habe gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG unterbleiben können, weil der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde als geklärt anzusehen sei.

8 Dagegen erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der die Behandlung der Beschwerde mit Beschluss vom 28. Juni 2018 ablehnte. Begründend führte der Verfassungsgerichtshof ua. aus, spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen seien zur Beurteilung der aufgeworfenen Fragen sowie insbesondere der Fragen, ob vom BVwG innerstaatliche einfachgesetzliche Normen oder unionsrechtliche Normen anzuwenden gewesen seien und ob die in lit. d des Protokolls Nr. 24 über die Gewährung von Asyl für Staatsangehörige von Mitgliedstaaten der Europäischen Union statuierte Vermutung (der Unbegründetheit des Asylantrages) im Fall des Revisionswerbers unzutreffend sei, nicht anzustellen.

9 Mit Beschluss vom 17. August 2017 trat der Verfassungsgerichtshof die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

10 Gegen das Erkenntnis des BVwG richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

11 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

12 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

13 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

14 In der Revision wird zur Zulässigkeit im Wesentlichen vorgebracht, es liege eine "krasse Fehlentscheidung aufgrund der Nicht-Anwendung" der GFK durch das BVwG vor, weil diese primär und unmittelbar anzuwenden sei und in diesem Sinn sei bei der Prüfung des Asylverfahrens die GFK und nicht das Protokoll Nr. 24 heranzuziehen. Selbst unter Berücksichtigung des Protokolls Nr. 24 müsse jedenfalls eine individuelle Prüfung erfolgen. Dem Revisionswerber drohe asylrelevante Verfolgung aus politischen Gründen und er sei daher Flüchtling im Sinn der GFK. Weiters brachte der Revisionswerber vor, das Protokolls Nr. 24 stünde im Widerspruch zu Art. 18 GRC und des darin gewährleisteten Grundrechts auf Asyl. Überdies hänge die Revision von der Lösung einer Rechtsfrage ab, welcher grundsätzliche Bedeutung zukomme, weil das BVwG eine ergänzende Beweiswürdigung vorgenommen habe und dies regelmäßig nur nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung erfolgen dürfe.

15 Mit diesen Ausführungen wird eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht dargetan:

16 Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass gemäß § 19 Abs. 1 BFA-VG Mitgliedstaaten der EU sichere Herkunftsstaaten sind. Lettland gilt als Vertragspartei des EU-Vertrages (§ 2 Abs. 1 Z 18 Asylgesetz 2005) somit als sicherer Herkunftsstaat, was für die Annahme einer grundsätzlich bestehenden staatlichen Schutzfähigkeit und Schutzwilligkeit der lettischen Behörden spricht (vgl. VwGH 10.8.2017, Ra 2017/20/0153-0154).

17 Weiters hat das BVwG - dem BFA folgend - sein Erkenntnis unter anderem und erkennbar darauf gestützt, dass der lettische Staat im Falle einer Bedrohung des Revisionswerbers schutzfähig und schutzwillig sei und diese Einschätzung näher begründet. Diesen - die angefochtene Entscheidung auch ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung tragenden (vgl. VwGH 6.9.2017, Ra 2017/18/0294) - Feststellungen tritt die Revision nicht substantiiert entgegen, sodass auf die in der Revision aufgeworfenen Rechtsfragen für den Fall der fehlenden Schutzfähigkeit und -willigkeit eines Mitgliedstaates nicht näher einzugehen war.

18 Ausgehend davon sieht sich der Verwaltungsgerichtshof auch nicht veranlasst, dem EuGH - wie vom Revisionswerber angeregt - die in der Revision angeführten Rechtsfragen zur Vorabentscheidung vorzulegen.

19 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 29. Mai 2018

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2018:RA2017200388.L00

Im RIS seit

20.06.2018

Zuletzt aktualisiert am

28.06.2018
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten