TE Vwgh Erkenntnis 2018/5/18 Ro 2018/02/0007

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Veröffentlicht am 18.05.2018
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §64a Abs1;
VStG §51 Abs5 idF 1984/299;
VStG §51 Abs7;
VwGG §42 Abs4;
VwGVG 2014 §14;
VwGVG 2014 §15;
VwGVG 2014 §34 Abs1;
VwGVG 2014 §43 Abs1;
VwGVG 2014 §43;
VwRallg;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):Ro 2018/02/0008

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Beck sowie die Hofräte Mag. Dr. Köller und Dr. N. Bachler, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober und den Hofrat Mag. Straßegger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Harrer, über die Revision 1. des K in E (prot. zu hg. Zl. Ro 2018/02/0007) und 2. des L in L (prot. zu hg. Zl. Ro 2018/02/0008), beide vertreten durch die Rechtsanwaltskanzlei Foglar-Deinhardstein KG in 1010 Wien, Plankengasse 7, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 15. Jänner 2018, Zlen. W172 2137681- 1/20E und W 172 2137686-1/21E, betreffend Übertretungen des Börsegesetzes (Partei gemäß § 21 Abs. 1 Z 2 VwGG:

Finanzmarktaufsichtsbehörde; weitere Partei: Bundesminister für Finanzen), zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Erkenntnis wird dahin abgeändert, dass die gegen die Revisionswerber geführten Strafverfahren eingestellt werden.

Der Bund hat den Revisionswerbern Aufwendungen in der Höhe von jeweils EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Die Finanzmarktaufsichtsbehörde (FMA) erkannte die Revisionswerber jeweils mit Straferkenntnis vom 5. August 2016 wegen Übertretungen des § 48d Abs. 1 iVm § 48 Abs. 1 Z 2 BörseG sowie des § 82 Abs. 7 iVm § 48 Abs. 1 Z 6 BörseG schuldig und verhängte über sie gemäß § 48 Abs. 1 Z 2 und 6 BörseG Geldstrafen samt Ersatzfreiheitsstrafen. Weiters wurde die Haftung der L. AG für die Geldstrafen gemäß § 9 Abs. 7 VStG ausgesprochen.

2 Die dagegen von den Revisionswerbern erhobenen Beschwerden vom 6. September 2016 langten bei der FMA am 8. September 2016 ein.

3 Mit Beschwerdevorentscheidungen vom 23. September 2016 änderte die FMA die Straferkenntnisse dahingehend ab, dass die den Revisionswerbern vorgeworfenen Tathandlungen und Unterlassungen umformuliert wurden; die Geld- und Ersatzfreiheitsstrafen blieben ebenso gleich wie die Haftung der L. AG.

4 Mit Schriftsätzen vom 10. Oktober 2016 beantragten die Revisionswerber, ihre Beschwerden dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vorzulegen, wo diese Anträge am 15. Oktober 2016 gemeinsam mit den Verwaltungsakten einlangten.

5 Nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 18. Dezember 2017 gab das Bundesverwaltungsgericht mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 15. Jänner 2018 den Beschwerden in der Schuldfrage nicht Folge und setzte die Geld- und Ersatzfreiheitsstrafen sowie den Verfahrenskostenbeitrag herab. Es sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig sei.

6 Den zuletzt genannten Ausspruch begründete das Bundesverwaltungsgericht damit, dass Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Rechtsfrage fehle, wann die Frist des § 43 Abs. 1 VwGVG zu laufen beginne. In verfassungskonformer Interpretation der genannten Bestimmung sei die fünfzehnmonatige Entscheidungsfrist für das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht im Fall einer Beschwerdevorentscheidung erst ab dem Einlangen des Vorlageantrages gemäß § 15 VwGVG zu berechnen. Gemäß § 34 Abs. 1 VwGVG sei auf die Vorlage der Beschwerde beim Verwaltungsgericht und gemäß § 43 Abs. 1 VwGVG auf das Einlangen der Beschwerde bei der Behörde abzustellen. Für einen infolge einer Beschwerdevorentscheidung erhobenen Vorlageantrag fehle eine gesetzliche Bestimmung über den Fristbeginn der gerichtlichen Entscheidungspflicht. Während im Administrativverfahren die Säumigkeit der Behörde, eine allfällige Beschwerdevorentscheidung innerhalb von zwei Monaten zu erlassen, die gerichtliche Entscheidungsfrist gemäß § 34 Abs. 1 VwGVG nicht verkürze, treffe im Verwaltungsstrafverfahren "das Risiko einer Verkürzung seiner Entscheidungsfrist - ohne sein Zutun - allein das Verwaltungsgericht". Ein Außerkrafttreten des mit der Beschwerde bekämpften Straferkenntnisses ex lege nach Ablauf der zweimonatigen behördlichen Entscheidungsfrist sei gesetzlich nicht vorgesehen. Das Verfahrensregime weise insofern eine systemwidrige Lücke auf, die dazu führe, dass eine sanktionslose Säumigkeit der Behörde die gerichtliche Entscheidungsfrist unbegrenzt verkürze, sodass ein rechtsstaatlich gebotenes gerichtliches Überprüfungsverfahren nicht mehr durchgeführt werden könne. Im vorliegenden Fall sei zwar gesetzeskonform die Beschwerdevorentscheidung innerhalb der zweimonatigen Frist erlassen und die Beschwerde samt Vorlageantrag unter Anschluss der Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt worden, doch sei im Hinblick auf die im Verwaltungsstrafverfahren ausnahmslos bestehende Verpflichtung, in der Sache selbst zu entscheiden, auf die besondere Komplexität des gegenständlichen Verfahrensgegenstandes und auf das Erfordernis der Ermittlungen einschließlich der Einholung eines Sachverständigengutachtens im Beschwerdeverfahren bereits die 15- monatige-Entscheidungsfrist knapp bemessen. Im Unterschied zu Verfahren vor den ordentlichen Gerichten seien Verwaltungsgerichten vom Gesetzgeber starre und pauschale Entscheidungsfristen vorgegeben. Im Lichte des Rechtsstaatsprinzips und der Gewaltentrennung könne dem § 43 Abs. 1 VwGVG nicht der Sinn unterstellt werden, dass die Dauer der gerichtlichen Entscheidungsfrist zusätzlich durch außerhalb der Ingerenz des Verwaltungsgerichts gelegenes behördlichen Handeln verkürzt werden könne, sollte der Anspruch eines rechtsstaatlich gebotenen gerichtlichen Überprüfungsverfahrens einer Entscheidung einer Verwaltungsbehörde gewahrt werden (Hinweis auf VfGH 15.10.2004, G 237/03 u.a.). Schließlich werde mit den Bestimmungen der Verfolgungs-, Strafbarkeits- und Vollstreckungsverjährung gemäß § 31 VStG dem Säumnisschutz und dem auf dem Rechtsstaatsprinzip beruhenden Gebot des Rechtsschutzes Rechnung getragen.

7 Dagegen richtet sich die vorliegende Revision wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes. Zu ihrer Zulässigkeit wird auf den Ausspruch des Bundesverwaltungsgerichtes und das Fehlen von Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Rechtsfrage des Beginns der Verjährungsfrist des § 43 Abs. 1 VwGVG verwiesen.

8 Die FMA erstattete eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag, die Revision zurückzuweisen oder als unbegründet abzuweisen.

9 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

10 Die Revision ist aus dem vom Bundesverwaltungsgericht und von den Revisionswerbern genannten Grund zulässig, sie ist auch berechtigt.

11 § 43 VwGVG lautet samt Überschrift:

"Verjährung

§ 43 (1) Sind seit dem Einlangen einer rechtzeitig eingebrachten und zulässigen Beschwerde des Beschuldigten gegen ein Straferkenntnis bei der Behörde 15 Monate vergangen, tritt es von Gesetzes wegen außer Kraft; das Verfahren ist einzustellen.

(2) In die Frist gemäß Abs. 1 werden die Zeiten gemäß § 34 Abs. 2 und § 51 nicht eingerechnet."

12 Nach den Gesetzesmaterialien zu dieser Bestimmung (ErläutRV 2009 BlgNR 24. GP 8) soll die vorgeschlagene Verjährungsbestimmung dem bis dahin geltenden § 51 Abs. 7 VStG entsprechen. Bereits zur ursprünglichen Formulierung dieser Norm (§ 51 Abs. 5 VStG in der Fassung BGBl. Nr. 299/1984), in der noch von der "Einbringung der Berufung" die Rede war, judizierte der Verwaltungsgerichtshof, dass die (damals noch einjährige) Frist ab dem Einlangen der Berufung bei der Behörde erster Instanz zu laufen beginne (VwGH 10.6.1985, 85/10/0042). Das bekräftigte der Gesetzgeber, indem er mit BGBl. Nr. 620/1995 den Wortlaut der nunmehr in § 51 Abs. 7 VStG enthaltenen Bestimmung auf das "Einlangen der Berufung" änderte (ErläutRV 131 BlgNR 19. GP 8). Mit der Einführung des VwGVG wurde die Bestimmung - soweit es den Beginn des Fristenlaufs betrifft - dahingehend angepasst, dass es jetzt auf das Einlangen der (nunmehr) Beschwerde ankommt, und klargestellt wird, dass auf das Einlangen bei der Behörde abgestellt wird. Dabei handelt es sich um die "Verwaltungsbehörde erster Instanz" (vgl. VwGH 11.9.2015, Ro 2014/02/0107).

13 Schon angesichts dieser Entstehungsgeschichte der Norm kann den Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichtes über die von ihm gesehene Gesetzeslücke für den Fall eines Vorlageantrages nach einer Beschwerdevorentscheidung nicht gefolgt werden. Auch in dieser Konstellation ist die Beschwerde zunächst bei der Behörde einzubringen und es besteht eine eindeutige gesetzliche Regelung in § 43 Abs. 1 VwGVG über den Beginn des Fristenlaufs.

14 Bereits zur Vorgängerbestimmung in § 51 Abs. 7 VStG wurde die Ansicht vertreten, dass die der erstinstanzlichen Behörde offenstehende zweimonatige Frist für die Erlassung einer Berufungsvorentscheidung nach § 64a Abs. 1 AVG in diese Frist einzurechnen sei (Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze II2 Anm. 27 zu § 51 VStG). Da mit dem Ergehen einer Beschwerdevorentscheidung eine Behandlung des Rechtsmittels durch die - vom Gesetzgeber ausdrücklich dazu ermächtigte - Verwaltungsbehörde erfolgt, die Frist des § 43 Abs. 1 VwGVG auch vor dem Hintergrund des Anspruches des Beschuldigten auf Entscheidung über die Beschwerde gegen ein Straferkenntnis binnen angemessener Frist zu sehen ist (vgl. abermals VwGH 11.9.2015, Ro 2014/02/0107) und die Fristberechnung unter Bedachtnahme auf die Berufungsvorentscheidung bereits in der Literatur behandelt worden ist, ist nicht vom Bestehen einer planwidrigen Lücke (für den Beginn des Fristenlaufs im Fall des Ergehens einer Beschwerdevorentscheidung) auszugehen. Angesichts der im Administrativverfahren deutlich kürzeren Entscheidungsfrist nach § 34 Abs. 1 VwGVG kann auch kein Wertungswiderspruch erkannt werden, wenn dort die Entscheidungsfrist mit der Vorlage der Beschwerde an das Verwaltungsgericht, hier aber mit dem Einlangen der Beschwerde bei der Behörde beginnt.

15 Die 15-monatige-Frist des § 43 Abs. 1 VwGVG beginnt daher auch im Fall der Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung mit dem Einlangen einer rechtzeitig eingebrachten und zulässigen Beschwerde des Beschuldigten bei der Behörde (in diesem Sinn auch Eder/Martschin/Schmid, Das Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte2 K 6 zu § 43 VwGVG) und nicht erst ab Einlangen des Vorlageantrages gegen die Beschwerdevorentscheidung beim Verwaltungsgericht.

16 Nach Ablauf der Frist des § 43 Abs. 1 VwGVG traten die Straferkenntnisse - hier: die an ihre Stelle tretenden Berufungsvorentscheidungen - von Gesetzes wegen außer Kraft, sodass die Verwaltungsstrafverfahren einzustellen gewesen wären und eine Bestrafung der Revisionswerber nicht hätte ausgesprochen werden dürfen.

17 Das angefochtene Erkenntnis ist daher mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet.

18 Gemäß § 42 Abs. 4 VwGG kann der Verwaltungsgerichtshof in der Sache selbst entscheiden, wenn sie entscheidungsreif ist und die Entscheidung in der Sache selbst im Interesse der Einfachheit, Zweckmäßigkeit und Kostenersparnis liegt. Dies trifft im vorliegenden Fall zu, weshalb das angefochtene Erkenntnis dahingehend abzuändern war, dass die Verwaltungsstrafverfahren gegen die Revisionswerber gemäß § 43 Abs. 1 VwGVG einzustellen sind.

19 Von der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden. Den Erfordernissen des Art 6 Abs. 1 EMRK und des Art 47 GRC wurde schon durch Durchführung einer Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Genüge getan.

20 Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 18. Mai 2018

Schlagworte

Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2Rechtsgrundsätze Fristen VwRallg6/5Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2018:RO2018020007.J00

Im RIS seit

07.06.2018

Zuletzt aktualisiert am

04.07.2018
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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