TE OGH 2018/5/7 9Bs126/18w

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Veröffentlicht am 07.05.2018
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Das Oberlandesgericht Linz hat durch die Richter Dr. Winsauer als Vorsitzenden und Dr. Morbitzer sowie die Richterin Mag. Hemetsberger in der Strafsache gegen A***** H***** wegen des Verbrechens der Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen nach § 85 Abs 2 StGB über die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Salzburg gegen den Beschluss des Landesgerichts Salzburg vom 12. April 2018, 41 Hv 33/18m-9, in nichtöffentlicher Sitzung entschieden:

Spruch

Der Beschwerde wird Folge gegeben und der angefochtene Beschluss dahin abgeändert, dass die Festnahme des Angeklagten A***** H*****, geboren am 29. Dezember 1999 in B*****, österreichischer Staatsangehöriger, aus dem Haftgrund der Tatbgehungsgefahr gemäß § 170 Abs 1 Z 4 iVm § 210 Abs 3 StPO angeordnet wird.

Text

Begründung:

Am 6. April 2018 brachte die Staatsanwaltschaft Salzburg die mit diesem Tag datierte Anklageschrift gegen den am 29. Dezember 1999 geborenen, (richtig:) jungen Erwachsenen (§ 1 Z 5 JGG) A***** H***** wegen des Verbrechens der Körperverletzung mit schweren Folgen nach § 85 Abs 2 StGB beim Landesgericht Salzburg ein (ON 7).

Dem Vorwurf der Staatsanwaltschaft zufolge habe A***** H***** am 12. Jänner 2018 in Salzburg dadurch, dass er S***** M***** einen wuchtigen Faustschlag gegen das Gesicht versetzte, wodurch dieser eine traumatische Bulbusperforation am linken Auge samt mehrerer tiefer Rissquetschwunden im Bereich der linken Augenhöhle erlitt, was zu einer 90 %igen Sehminderung am linken Auge, sohin zu einer schweren Schädigung des Sehvermögens führte, einen anderen am Körper verletzt und dadurch fahrlässig eine schwere Dauerfolge beim Verletzten herbeigeführt.

Unter einem beantragte die Staatsanwaltschaft Salzburg die Festnahme des A***** H***** wegen Tatbegehungsgefahr gemäß §§ 210 Abs 3, 170 Abs 1 Z 4 StPO iVm § 35 Abs 1 JGG sowie die Verhängung der Untersuchungshaft über den Angeklagten nach dessen Einlieferung in die Justizanstalt aus dem Haftgrund der Tatbegehungsgefahr gemäß § 173 Abs 1 und 2 Z 3 lit a und b StPO; der dringende Tatverdacht ergebe sich aus den Ergebnissen der Ermittlungsverfahren zu 12 St 286/17z und 12 St 87/18m, nunmehr 47 Hv 103/17y des Landesgerichts Salzburg, jeweils der Staatsanwaltschaft Salzburg, welche den Angeklagten schwer belasten würden. Darüber hinaus sei der Angeklagte geständig, jeweils einen Faustschlag gegen das Gesicht von zwei Opfern getätigt zu haben. Aufgrund der vorliegenden schweren Verletzungen sei zu befürchten, dass der Angeklagte auf freiem Fuß belassen weiteren Personen schwere Körperverletzungen zufügen werde. Gelindere Mittel seien derzeit nicht ersichtlich. Unverhältnismäßigkeit sei nicht gegeben (S 2 in ON 1).

Mit dem angefochtenen Beschluss vom 12. April 2018 (ON 9) wurde der Antrag der Staatsanwaltschaft Salzburg vom 6. April 2018 auf Festnahme des A***** H***** abgewiesen. Zur Begründung führte das Erstgericht im Wesentlichen aus, dass eine Verfahrensverbindung mit 47 Hv 103/17y des Landesgerichts Salzburg vor Rechtswirksamkeit der Anklage nicht zulässig sei. Aus dem vorliegenden Akteninhalt könnten keine Aussagen zu dem schon anhängigen Verfahren getroffen werden. Der Angeklagte sei nicht einschlägig vorbestraft, weshalb entgegen der Argumentation der Staatsanwaltschaft bestimmte Tatsachen, die das Vorliegen von Tatbegehungsgefahr im Sinne des § 170 Abs 1 Z 4 StPO hinreichend begründen ließen, nicht anzunehmen seien.

In ihrer dagegen erhobenen Beschwerde (ON 12) wendete die Staatsanwaltschaft ein, entgegen der Meinung des Erstgerichts könne der Akteninhalt zum Verfahren 47 Hv 103/17y des Landesgerichts Salzburg sehr wohl zur Beantwortung der Frage, ob beim Genannten die Tatbegehungsgefahr nach § 170 Abs 1 Z 4 StPO gegeben sei, herangezogen werden. Darüber hinaus sei beim Angeklagten alleine schon aufgrund des der Anklage zugrunde liegenden Sachverhalts, welcher als Verbrechen nach § 85 Abs 2 StGB zu qualifizieren sei, zu befürchten, er werde auf freiem Fuß weitere strafbare Handlungen mit schweren Folgen gegen die körperliche Integrität Dritter begehen.

Die Oberstaatsanwaltschaft Linz nahm am 26. April 2018 zur Beschwerde der Staatsanwaltschaft dahingehend Stellung, dass in Übereinstimmung mit der Beschwerdeführerin der Umstand, dass A***** H***** im Verdacht stehe, bereits am 8. Oktober 2017 mit unbekannten Mittätern vier Personen teils schwer vorsätzlich verletzt zu haben, weswegen gegen ihn bereits ein Strafantrag von der Staatsanwaltschaft Salzburg eingebracht worden ist, bei der anzustellenden Prognose zu berücksichtigen sei. Die gegenteilige Ansicht des Landesgerichts Salzburg, die zur Folge hätte, dass allfällige weitere Taten nur bei gemeinsamer Verfahrensführung zu berücksichtigen seien, vermöge nicht zu überzeugen. Da der Angeklagte demnach verdächtig sei, am 12. Jänner 2018 trotz des gegen ihn behängenden Strafverfahrens S***** M***** vorsätzlich schwer am Körper verletzt und dadurch bei diesem fahrlässig schwere Dauerfolgen verursacht zu haben, lägen die Voraussetzungen des § 170 Abs 1 Z 4 StPO vor.

Die Beschwerde, gegen die sich der Angeklagte in seiner Gegenäußerung vom 4. Mai 2018 insbesondere mit Blick auf sein Alter, den gerade nachholenden Hauptschulabschluss sowie das Beschleunigungsgebot ausgesprochen hat, ist berechtigt.

§ 170 Abs 1 StPO setzt nur den (konkreten) Verdacht der Begehung eines Verbrechens oder Vergehens voraus; einfache Wahrscheinlichkeit genügt also. In einer Anordnung der Festnahme ist der Tatverdacht genau anzugeben (Anführung der als wahrscheinlich angenommenen Tatsachen, Angabe der zugrundegelegten Beweismittel, rechtliche Beurteilung der als wahrscheinlich angenommenen Tatsachen; Kirchbacher/Rami in Fuchs/Ratz, WK StPO § 170 Rz 5). Die Verdachtslage wird hinreichend durch die bisherigen Verfahrensergebnisse, insbesondere die der aktenkonform begründeten Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Salzburg vom 6. April 2018 zugrundeliegenden Beweismittel gestützt (S 4 f in ON 7). Dabei ist auch zu beurteilen, dass A***** H***** in seiner Vernehmung vor der Polizei am 21. März 2018 (S 15ff in ON 4) eingestand, mit der rechten Faust zurückgeschlagen zu haben. Dass S***** M***** durch die Verletzung am linken Auge eine wesentliche Sehminderung erlitten habe, ist aufgrund dessen Angaben und der bisherigen Krankenunterlagen begründet anzunehmen (S 53 in ON 4 iVm ON 5). Die subjektive Tatseite ist nach der Verdachtslage durch das objektive Geschehen indiziert (vgl auch RIS-Justiz RS0089459). Die erkennbar eine Notwehrsituation einwendende Verantwortung des Angeklagten (S 19 in ON 4) kann diese Beurteilung bei lebensnaher Betrachtung nicht entscheidend relativieren.

Rechtliche Beurteilung

Der Haftgrund der Tatbegehungs- oder Tatausführungsgefahr nach § 170 Abs 1 Z 4 StPO liegt bereits dann vor, wenn der Verdacht der Begehung und die Befürchtung der neuerlichen Ausführung einer mit mehr als sechs Monaten Freiheitsstrafe bedrohten, gegen dasselbe Rechtsgut gerichteten Tat besteht. Es bedarf demnach nicht des Vorliegens besonderer Folgen, etwa schwerer oder nicht bloß leichter (Kirchbacher/Rami in Fuchs/Ratz, WK StPO § 170 Rz 11 mwN). Die nach den bisherigen Erkenntnissen auf ein durchaus erhebliches Aggressionspotential und Persönlichkeitsdefizit weisende Anlasstat des Angeklagten, nämlich ein nach der Verdachtslage ohne triftigen Anlass versetzter wuchtiger Faustschlag in das Gesicht eines Brillenträgers mit schweren Verletzungsfolgen begründen die Annahme, dass der Angeklagte ohne Festnahme neuerlich einschlägig delinquieren werde.

Anzumerken ist, dass § 173 Abs 2 Z 3 lit b StPO neben einer Anlasstat (bezüglich der das Gesetz hier nicht auf bestimmte Folgen abstellt) und einer gegen dasselbe Rechtsgut gerichteten strafbaren Handlung mit nicht bloß leichten Folgen als Prognosetat folgende Zusatzbedingung verlangt: Der Beschuldigte muss entweder wegen einer solchen strafbaren Handlung bereits verurteilt worden sein oder nunmehr nicht nur wegen einer, sondern wegen „wiederholter“ oder „fortgesetzter“ strafbarer Handlungen im dringenden Tatverdacht stehen (vgl. Kirchbacher/Rami in Fuchs/Ratz, WK StPO § 173 Rz 45). Dass es sich bei derart zu beurteilenden Anlasstaten auch um Taten handeln könnte, die (noch) nicht den Gegenstand des Verfahrens bilden, ist dem Gesetz nicht zu entnehmen. Zu der vom Erstgericht angesprochenen Frage der Verfahrensverbindung ist auf § 37 Abs 1, 2 und 3 StPO zu verweisen.

Angesichts der Bedeutung der Sache sowie mit Blick auf die gegebene Strafdrohung von bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe (§ 85 Abs 2 StGB iVm § 19 Abs 1 iVm § 5 Z 4 JGG) kann von einer Unverhältnismäßigkeit der Festnahme trotz Berücksichtigung des § 46a Abs 2 iVm § 35 Abs 1 zweiter Satz JGG nicht gesprochen werden. Sinnvolle gelindere Mittel, die bereits die Festnahme substituieren könnten (vgl Kirchbacher/Rami, aaO, § 170 Rz 18 mwN), sind derzeit nicht erkennbar.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diese Entscheidung steht ein weiterer Rechtszug nicht zu (§ 89 Abs 6 StPO).

Textnummer

EL0000269

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OLG0459:2018:0090BS00126.18W.0507.000

Im RIS seit

12.06.2018

Zuletzt aktualisiert am

12.06.2018
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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