TE OGH 2018/4/25 9ObA119/17s

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Veröffentlicht am 25.04.2018
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Dehn, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Bernhard Gruber und Nicolai Wohlmuth in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei W***** K*****, vertreten durch Widter Mayrhauser Wolf Rechtsanwälte OG in Wien, gegen die beklagte Partei C***** SA, *****, vertreten durch Dr. Remo Sacherer, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung (172.764,48 EUR), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 20. Juli 2017, GZ 10 Ra 36/17p-44, mit dem der Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 8. August 2016, GZ 38 Cga 2/14p-40, nicht Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision der beklagten Partei wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 2.566,08 EUR (darin 427,68 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der 1959 geborene Kläger war bei der Beklagten und ihrer Rechtsvorgängerin seit 1978 beschäftigt. Auf das Dienstverhältnis war der Kollektivvertrag für Angestellte des Innendienstes der Versicherungsunternehmen anzuwenden. Der Kläger wurde am 19. 12. 2013 zum 30. 6. 2014 gekündigt. Eine Verständigung des Arbeitsmarktservice von der beabsichtigten Kündigung des Klägers (§ 45a AMFG) erfolgte nicht.

Soweit revisionsgegenständlich, beantragte der Kläger die Feststellung des aufrechten Fortbestands seines Dienstverhältnisses über den 30. 6. 2014 hinaus. Die Kündigung sei (ua) wegen einer Verletzung des § 45a AMFG rechtsunwirksam, weil keine Verständigung der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice erfolgt sei. Bereits die Ankündigung der Personalreduktion löse die Rechtsfolge der erforderlichen Anzeige an das Arbeitsmarktservice aus. Die Beklagte habe damals maximal 130 Beschäftigte gehabt. Die Kündigungsabsicht der Beklagten von sieben Mitarbeitern sei bereits am 29. 10. 2013 festgestanden. Diese seien innerhalb von 30 Tagen im November/Dezember 2013 gekündigt worden. Die bei der C***** (Holding) beschäftigt gewesenen Personen seien nicht hinzuzurechnen.

Die Beklagte bestritt, beantragte Klagsabweisung und wandte im Wesentlichen ein, dass sie das Frühwarnsystem des § 45a AMFG nicht ausgelöst habe. Im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung des Klägers seien 136 Personen im Betrieb der Beklagten, zu dem auch die Außenstandorte zählten, beschäftigt gewesen. Die C***** verfüge über keinen eigenen Betrieb, ihre Mitarbeiter seien organisatorisch Teil des Betriebs der Beklagten und bei der Betriebsratswahl wahlberechtigt gewesen. Es sei von einem einheitlichen Betrieb auszugehen. Das Frühwarnsystem werde erst bei einer Überschreitung von 5 % des Mitarbeiterstands ausgelöst, sohin bei sieben Personen. Sie habe im gegenständlichen Zeitraum aber nur vier wirksame Kündigungen ausgesprochen. Bei der Mitarbeiterversammlung im Oktober 2013 sei angekündigt worden, dass die Kündigung von Personal beabsichtigt sei. Es seien dem Betriebsrat mögliche Kandidaten genannt worden, bei denen aber noch kein tatsächlicher Kündigungswille bestanden habe. Es sei erst darum gegangen, gemeinsam mit dem Betriebsrat eine Personalauswahl zu treffen. Sie habe im Rahmen ihrer sozialen Gestaltungspflicht auch in Abstimmung mit dem Betriebsrat und Vertretern der Gewerkschaft in zahlreichen Besprechungen evaluiert, welche Arbeitsplätze noch verfügbar seien und wo Leute hinversetzt werden können, deren Arbeitsplatz aus betrieblichen Gründen weggefallen sei.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es stellte zusammengefasst fest:

Ursprünglich bestand in Österreich die C***** Aktiengesellschaft (idF: AG). Im Zuge von Umstrukturierungen wurde etwa 2006/2008 in Frankreich die C***** SA gegründet und der bisherige Standort in Österreich zu einer Niederlassung der französischen Gesellschaft (= Beklagte). Darüber hinaus ist die C***** Holding AG (C*****) als den Konzernniederlassungen in den CEE-Ländern übergeordnete Holding im Firmenbuch eingetragen. Die österreichische Niederlassung der SA und die C***** haben dieselbe Geschäftsanschrift in Wien.

Der Großteil der in Österreich tätigen Mitarbeiter hatte vor den Umstrukturierungen einen Arbeitsvertrag mit der AG, der im Zuge der Umstrukturierungen von der SA übernommen wurde. Die übrigen Mitarbeiter, vorwiegend aus den Bereichen IT und Controlling, hatten einen Arbeitsvertrag mit der C***** und waren von den Umstrukturierungen der AG und der SA nicht berührt.

Sowohl die Mitarbeiter der Beklagten als auch der C***** sind in den Räumlichkeiten an der genannten Geschäftsanschrift tätig. Im Arbeitsalltag bestehen keine Unterschiede zwischen den Mitarbeitern der Beklagten und der C*****. Bei der Beklagten ist ein gemeinsamer Betriebsrat für die Mitarbeiter der Beklagten und der C***** eingerichtet. Im Revisionsverfahren ist nicht strittig, dass es sich bei den Außenstellen der Beklagten in Graz, Linz und Innsbruck um keine selbstständigen Außenstellen handelt.

In den letzten Monaten vor der Kündigung des Klägers bestanden bei der Beklagten und bei der C***** inklusive der in Mutterschutz und Karenz befindlichen Personen folgende Beschäftigtenzahlen:

 

Arbeitsvertrag mit CCEH

Arbeitsvertrag mit Bekl

Summe

August

13

117

130

September

13

118

131

Oktober

12

119

131

November

12

119

131

Dezember

12

117

129

Am 2. 10. 2013 fand bei der Beklagten eine Mitarbeiterversammlung statt, bei der der Geschäftsführer der Beklagten die Mitarbeiter über Umsatzrückgänge informierte und mitteilte, dass beim Personal Umstrukturierungen und ein Abbau erfolgen werde; Zahlen oder konkrete Namen nannte er nicht. Anschließend führten er und die Leiterin der Personalabteilung mehrere Gespräche mit dem Betriebsrat einerseits und den Abteilungsleitern andererseits. Bei den Gesprächen mit den Abteilungsleitern wurde erstmals über am ehesten abbaubare Positionen und konkret betroffene Personen gesprochen. Der Geschäftsführer entschied sodann, welche konkreten Positionen abzubauen waren. Mitte Oktober 2013 legte er dem Betriebsrat eine Liste mit acht Namen vor, ua jenem des Klägers. Er sagte zum Betriebsrat, dass beabsichtigt sei, sich von diesen Personen zu trennen, aber dass er bereit sei, ein Sozialpaket zu schnüren. Nach mehreren Gesprächsterminen stimmte der Betriebsrat am 25. 10. 2013 dem ausverhandelten Sozialpaket zu.

Da im Laufe der Verhandlungen über das Sozialpaket eine Mitarbeiterin von selbst kündigte, blieben noch sieben Personen. Der Geschäftsführer nahm in Aussicht, diesen Personen eine einvernehmliche Auflösung anzubieten, bei Nichtannahme sollte eine Kündigung erfolgen.

Am 29. 10. 2013 erhielten alle Mitarbeiter der Beklagten vom Geschäftsführer eine E-Mail ua mit der Information, dass sieben MitarbeiterInnen übrig geblieben seien, die nicht im Unternehmen verbleiben könnten und mit diesen Einzelgespräche geführt worden seien.

Mit den sieben Mitarbeitern wurden unmittelbar danach Einzelgespräche geführt, sechs Einzelgespräche fanden am 30. 10. 2013, eines Anfang November 2013 statt. In diesen wurde den sieben Mitarbeitern jeweils ein Entwurf einer Vereinbarung über die einvernehmliche Auflösung vorgelegt, der ua ein Beendigungsdatum, eine allfällige gesetzliche und kollektivvertragliche Abfertigung, eine freiwillige Abfertigung, einen Frühabschlussbonus für den Fall der Annahme eines Angebots bis zum 20. 11. 2013 und ein Outplacement bzw eine Ablöse für den Fall der Nichtinanspruchnahme desselben enthielt. Die Leiterin der Personalabteilung sprach bei diesen Einzelgesprächen keine Dienstgeberkündigung aus, sondern sagte den Mitarbeitern, dass sie darüber nachdenken sollen, ob sie das Angebot einer einvernehmlichen Auflösung im Sinn des Sozialpakets annehmen oder nicht. Es war allen Mitarbeitern klar, dass sie gekündigt werden, wenn sie dem Angebot einer einvernehmlichen Auflösung nicht innerhalb der vorgesehenen Frist zustimmten.

Mit einem Mitarbeiter vereinbarte die Beklagte am 12. 11. 2013 eine einvernehmliche Auflösung, die anderen nahmen das Angebot der Beklagten nicht an.

In der Folge kündigte die Beklagte – jeweils nach vorhergehender Verständigung des Betriebsrats – am 28. 11. 2013 die Dienstverhältnisse von zwei Mitarbeiter und mit Schreiben vom 19. 12. 2013 die Dienstverhältnisse des Klägers und von drei weiteren Mitarbeiterinnen jeweils zum 30. 6. 2014, wobei drei Kündigungen (nicht akzeptierte) Änderungsangebote enthielten. Mit zwei der Mitarbeiterinnen wurde infolge ihrer Kündigungsanfechtungen eine außergerichtliche Einigung über eine Weiterarbeit unter geänderten Bedingungen erzielt.

Darüber hinaus wurde am 13. 11. 2013 einer weiteren (achten) Mitarbeiterin mitgeteilt, dass sie gekündigt werden müsse. Diese nahm das ihr gleichzeitig unterbreitete Angebot einer einvernehmlichen Auflösung an.

Eine Mitarbeiterin wurde in eine andere Abteilung versetzt. Die Dienstverhältnisse von drei anderen Mitarbeitern wurden in der Folge aus anderen Gründen als einer Personalreduktion beendet (Unzufriedenheit mit der Arbeit; Entlassungen).

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht zur Frage, ob der Schwellenwert des § 45a Abs 1 AMFG überschritten worden sei, aus, für den Zeitpunkt der Ermittlung des Beschäftigtenstands komme es nicht exakt auf die Anzahl im Kündigungszeitpunkt an, sondern erscheine der Durchschnitt der dem beabsichtigten Kündigungszeitpunkt vorangehenden drei Monate angemessen, wobei auf die Köpfe und nicht die Vollzeitkapazitäten abzustellen sei. Aufgrund des sowohl in der MassenentlassungsRL auch im AMFG durchgängig verwendeten Begriffs „Arbeitgeber“ könnten zudem nur jene Arbeitnehmer erfasst sein, die ein Arbeitsverhältnis zur Beklagten hätten, nicht jedoch jene Personen, deren Arbeitgeber die C***** sei. Die Außenstellen der Beklagten stellten keinen eigenen Betrieb dar. Der Durchschnitt der relevanten Beschäftigten in den Monaten August bis Oktober 2013 habe 118 Beschäftigte betragen. Die Anzeigepflicht des § 45a AMFG habe die Beklagte daher dann getroffen, wenn sie beabsichtigt habe, Arbeitsverhältnisse von mindestens 5,9 Arbeitnehmern innerhalb eines Zeitraums von 30 Tagen aufzulösen.

Bezüglich der Formen der Auflösung von Arbeitsverhältnissen seien auch einvernehmliche Auflösungen von Arbeitsverhältnissen zu berücksichtigen, zumindest, wenn sie vom Arbeitgeber initiiert bzw veranlasst worden seien. Als Ereignis, das als Entlassung gelte, nenne der EuGH (C-188/03, Junk) „die Kündigungserklärung des Arbeitgebers“, also nicht das Ende der Kündigungsfrist oder den Zugang der Kündigung an den Arbeitnehmer. Art 2 Abs 1 der MassenentlassungsRL sehe vor, dass die Konsultation vom Arbeitgeber vorzunehmen sei, wenn er „beabsichtigt, Massenentlassungen vorzunehmen“. Nach Art 3 Abs 1 der MassenentlassungsRL habe der Arbeitgeber „alle beabsichtigten Massenentlassungen […] anzuzeigen“. Unter Bezugnahme auf diese beiden Bestimmungen führe der EuGH auch aus, dass das Tatbestandsmerkmal, dass ein Arbeitgeber Massenentlassungen „beabsichtige“, einem Fall entspreche, in dem noch keine Entscheidung getroffen worden sei. Dagegen sei die Mitteilung der Kündigung des Arbeitsvertrags Ausdruck einer Entscheidung, das Arbeitsverhältnis zu beenden, und dessen tatsächliche Beendigung mit dem Ablauf der Kündigungsfrist stelle nur die Wirkung dieser Entscheidung dar. Die vom Gemeinschaftsgesetzgeber verwendeten Begriffe seien ein Indiz dafür, dass die Anzeigepflicht vor einer Entscheidung des Arbeitgebers zur Kündigung von Arbeitsverhältnissen entstehe. Dies werde auch durch das in Art 2 Abs 3 der MassenentlassungsRL vorgegebene Ziel, Kündigungen zu vermeiden oder ihre Zahl zu beschränken, bestätigt (EuGH C-188/03, Junk). Bei vom Arbeitgeber initiierten einvernehmlichen Auflösungen sei konsequenterweise nicht auf den vereinbarten Beendigungstermin, sondern ebenfalls auf einen Zeitpunkt abzustellen, in dem der Arbeitgeber seine Absicht, das Dienstverhältnis – sei es durch einvernehmliche Auflösung oder Dienstgeberkündigung – zu beenden, erkläre.

Der 30-tägige Zeitraum des § 45a Abs 1 AMFG wandere kontinuierlich. Neben dem Kläger habe die Beklagte (zumindest) sieben weiteren Personen zwischen 30. 10. 2013 und 20. 11. 2013 eine einvernehmliche Auflösung angeboten, wobei allen Beteiligten auf Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite klar gewesen sei, dass bei Nichtzustandekommen einer einvernehmlichen Auflösung vom Arbeitgeber eine – wie auch immer ausgestaltete – Kündigung ausgesprochen würde. Die am 19. 12. 2013 gegenüber dem Kläger ausgesprochene Kündigung sei daher gemäß § 45a Abs 5 AMFG rechtsunwirksam.

In ihrer dagegen gerichteten Berufung bekämpfte die Beklagte die Rechtsansicht des Erstgerichts, dass die Mitarbeiter des C***** bei der Erhebung des Schwellenwerts nicht einzurechnen seien, sowie den vom Erstgericht nach § 45a AMFG berechneten 30-tägigen Zeitraum.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten keine Folge. Die Beklagte habe zwar mit ihren an alle Mitarbeiter gerichteten Schreiben vom 29. 10. 2013 unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass sie beabsichtigte, die Arbeitsverhältnisse von sieben Mitarbeitern aufzulösen, weshalb sie mit diesen auch unmittelbar danach in Einzelgespräche über die konkreten Auflösungsmodalitäten eingetreten sei. Zum Zeitpunkt der ausdrücklich erklärten Absicht zur Beendigung von sieben Arbeitsverhältnissen habe sie insgesamt 119 Arbeitnehmer gehabt, sodass mit den beabsichtigten sieben Kündigungen der Schwellenwert nach § 45a Abs 1 Z 2 AMFG überschritten worden wäre. Nicht anders verhielte es sich, wenn man die zwölf Arbeitnehmer der C***** ihrem Betrieb hinzurechnete und von insgesamt 131 Arbeitnehmern ausginge. Aus dem Sachverhalt gehe allerdings nicht hervor, dass sie bereits am 29. 10. 2013 die Absicht gehabt hätte, die Kündigungen innerhalb des 30-tägigen Zeitraums vorzunehmen. Die 30-tägige Frist wandere kontinuierlich, sodass der Arbeitgeber durch die zeitliche Streuung von Kündigungen das Erreichen des Schwellenwerts nach dieser Bestimmung verhindern könne. Daher sei jeweils auf den Zeitpunkt der Kündigungserklärungen bzw den Abschluss der einvernehmlichen Auflösung abzustellen, weil sich spätestens darin die Kündigungsabsicht manifestiere.

Ausgehend von der Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum Kläger am 19. 12. 2013 hätte die Beklagte daher zumindest fünf (bzw unter Berücksichtigung der C***** sechs) Mitarbeiter innerhalb eines 30-tägigen Zeitraums kündigen oder einvernehmlich auflösen müssen, um den Schwellenwert zu überschreiten. In dem Zeitraum von 30 Tagen vor der Kündigung des Klägers (19. 11. 2013) bis 30 Tage nachher (18. 1. 2014) ließen sich aber nur fünf weitere Kündigungen einreihen. Dass es sich bei drei Kündigungen um Änderungskündigungen gehandelt habe, ändere nichts an der Beurteilung, weil sie die primäre Absicht des Arbeitgebers in sich getragen hätten, diese Dienstverhältnisse zu beenden. Deshalb erfordere auch die aus Anlass der vorangegangenen Änderungskündigung erfolgte außergerichtliche Einigung der Beklagten mit einer Mitarbeiterin keine andere Beurteilung. Mit den sechs Kündigungen werde aber der Schwellenwert des § 45a AMFG nur dann erreicht, wenn man ihn lediglich aus der Gesamtzahl der Mitarbeiter der Beklagten ohne Einbeziehung jener der C***** ermittle. Unter Analyse der Rechtsprechung des EuGH zum Betriebsbegriff des Art 1 Abs 1 der MassenarbeitsRL (EuGH Rs C-80/14, Union of Shop; Rs C-392/13, Andrés Rabal) kam das Berufungsgericht zum Ergebnis, dass der Betrieb der Beklagten und der C***** nicht einem Unternehmen, sondern zwei eigenen Rechtssubjekten zugeordnet würde. Die Konsultations- und Anzeigepflichten hätten den jeweiligen Arbeitgeber zu treffen. Auch die Kündigungsabsicht könne sich nur auf die Arbeitnehmer in seinem Einflussbereich beziehen, weil er zur Beendigung von Dienstverhältnissen von Arbeitnehmern anderer Rechtssubjekte nicht befugt sei. Die Mitarbeiter der C***** seien daher nicht mitzuberücksichtigen. Mit der Kündigung von sechs ihrer insgesamt 119 Arbeitnehmer in einem Zeitraum von 30 Tagen habe die Beklagte den Schwellenwert (119*5/100 = 5,95) knapp überschritten, weshalb sie ihre Anzeigepflicht verletzt habe.

In ihrer dagegen gerichteten außerordentlichen Revision beantragt die Beklagte die Abänderung der Vorentscheidungen im Sinn einer Klagsabweisung; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragt in der ihm freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr keine Folge zu geben.

Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, jedoch nicht berechtigt.

Die Beklagte ist im Wesentlichen der Ansicht, dass auch die Arbeitnehmer der C***** iSd § 45a AMFG zum „Betrieb“ mitzuzählen seien, womit der Schwellenwert nicht überschritten worden sei. Dabei geht sie jedoch von einer unrichtigen Prämisse aus.

Rechtliche Beurteilung

1. Gemäß § 45a Abs 1 Z 2 AMFG haben Arbeitgeber die nach dem Standort des Betriebs zuständige regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice durch schriftliche Anzeige zu verständigen, wenn sie beabsichtigen, Arbeitsverhältnisse von mindestens fünf vH der Arbeitnehmer in Betrieben mit 100 bis 600 Beschäftigten innerhalb eines Zeitraums von 30 Tagen aufzulösen.

Gemäß § 45a Abs 2 S 1 AMFG ist die Anzeige gemäß Abs 1 mindestens 30 Tage vor der ersten Erklärung der Auflösung eines Arbeitsverhältnisses zu erstatten.

Gemäß § 45a Abs 5 Z 1 AMFG sind Kündigungen, die eine Auflösung von Arbeitsverhältnissen iSd § 45a Abs 1 AMFG bezwecken, rechtsunwirksam, wenn sie vor Einlangen der im Abs 1 genannten Anzeige bei der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice ausgesprochen werden.

Ausgehend von einem Beschäftigungsstand der Beklagten von 119 Mitarbeitern wäre der Schwellenwert daher schon mit ihrer Absicht, die Dienstverhältnisse von mehr als 5,95 Mitarbeitern innerhalb von 30 Tagen zu beenden, überschritten.

2. Zu den tatbestandlichen Voraussetzungen dieser – auf der Umsetzung der Massenentlassungsrichtlinie (Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20. 7. 1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen) basierenden – Bestimmung und zur dazu ergangenen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs wie auch des EuGH ist zunächst auf die ausführliche und zutreffende Beurteilung des Erstgerichts zu verweisen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Hervorzuheben ist, dass die Verständigungspflicht nach dem klaren Wortlaut des § 45 Abs 1 AMFG schon dann ausgelöst wird, wenn ein Arbeitgeber beabsichtigt, eine den jeweiligen Schwellenwert überschreitende Anzahl von Arbeitsverhältnissen innerhalb von 30 Tagen aufzulösen. Damit soll dem Zweck des Frühwarnsystems entsprechend erreicht werden, bereits vor Freisetzung einer arbeitsmarktpolitisch relevanten Zahl von Arbeitskräften Beratungen durchführen zu können (s § 45a Abs 6 AMFG), eine bessere Abstimmung der personalpolitischen Maßnahmen der Betriebe auf die arbeitsmarktpolitischen Möglichkeiten zu erreichen und durch die Erfüllung der in den §§ 45a bis 45c auferlegten Verpflichtungen die Voraussetzungen für einen optimalen Einsatz des Instrumentariums nach dem AMFG zu schaffen (RIS-Justiz RS0110347; s auch Danimann/Potmeil/Steinbach, AMFG § 45a Anm 13 S 29; Olt, Das Frühwarnsystem bei „Massenkündigungen“ nach § 45a AMFG, ARD 6448/5/2015). Soll aber bereits die Absicht zur Freisetzung einer relevanten Anzahl von Arbeitsverhältnissen innerhalb eines relativ kurzen Zeitraums von 30 Tagen die Verständigungspflicht auslösen, um frühzeitig besondere Vermittlungsbemühungen anzustellen und den Arbeitsplatz gegebenenfalls noch sichern zu können, so wird daraus ersichtlich, dass die Verständigungspflicht nicht erst an den erfolgten Ausspruch der Kündigung oder die erfolgte einvernehmliche Auflösung eines Dienstverhältnisses anknüpfen kann.

3. Im Hinblick auf einvernehmliche Auflösungen wurde schon in der Entscheidung 8 ObA 258/95 festgehalten, dass die Absicht des Arbeitgebers, Arbeitsverhältnisse aufzulösen (§ 45a Abs 1 AMFG), sowohl zu einseitigen, empfangsbedürftigen Kündigungen, als auch zu annahmebedürftigen Anboten von Aufhebungsverträgen führen kann. Die unterschiedliche Gestaltung der Erklärung und die unterschiedliche Verhaltensweise des Erklärungsempfängers ändern nichts an der Gemeinsamkeit beider Erklärungsformen des Arbeitgebers, nämlich als wesentlichen Kern seiner rechtsgeschäftlichen Erklärung die Auflösung des Arbeitsverhältnisses zu beabsichtigen (zur Berücksichtigung einvernehmlicher Auflösungen s auch RIS-Justiz RS0053050).

4. Das Berufungsgericht vermisste in diesem Zusammenhang Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte ihre schon am 29. 10. 2013 zum Ausdruck gebrachte Absicht, sich von sieben Mitarbeitern zu trennen, innerhalb von 30 Tagen umsetzen hätte wollen. Richtig ist, dass die Schreiben vom 29. 10. 2013 keinen Hinweis auf eine Trennung von den sieben Mitarbeitern innerhalb dieser Frist enthielten. Eine entsprechende Absicht der Beklagten geht jedoch aus den Einzelgesprächen und den Auflösungsangeboten hervor:

Die Beklagte unterbreitete sechs Mitarbeitern am 30. 10. 2013 und einer Mitarbeiterin Anfang November 2013 das Angebot zur einvernehmlichen Auflösung ihrer Dienstverhältnisse mit verschiedenen Abfertigungsleistungen und einem entsprechenden Frühabschlussbonus bis zum 20. 11. 2013, wobei klar war, dass die Mitarbeiter bei Nichtannahme des Angebots gekündigt würden. Das Interesse und die Absicht der Beklagten, mehr als 5,95 (s oben) Arbeitsverhältnisse iSd § 45a Abs 1 AMF innerhalb von 30 Tagen aufzulösen, hat sich damit schon mit der Unterbreitung (des letzten) dieser Angebote, nicht erst mit den nachfolgenden Kündigungen manifestiert, war doch die Vereinbarung der Auflösung des jeweiligen Dienstverhältnisses nur noch von einer Annahme durch die Arbeitnehmer, aber keinem weiteren Zutun der Beklagten mehr abhängig. Die Beklagte konnte zwar noch nicht wissen, ob die Mitarbeiter die Anbote annehmen und die Dienstverhältnisse tatsächlich innerhalb von 30 Tagen aufgelöst sein würden. Fraglos war hier aber die Anbotsannahme durch die Mitarbeiter nach dem Willen der Beklagten sogleich möglich und verdeutlichte auch der angebotene Frühabschlussbonus für Anbotsannahmen innerhalb einer Frist von ca drei Wochen (20. 11. 2013) die Absicht der Beklagten, die sieben Arbeitnehmer frühzeitig abzubauen. Schon mit diesen Angeboten bestand daher jene Gefahr, der § 45a AMFG vorzubeugen sucht, nämlich die Gefahr, dass eine relevante Zahl von Arbeitnehmern innerhalb kurzer Zeit (30 Tage) den Arbeitsplatz verlieren könnte und auf den Arbeitsmarkt freigesetzt würde. Wäre erst der tatsächliche Ausspruch der Kündigung oder – bei einvernehmlicher Auflösung – die Einigung darüber relevant, bliebe kein Raum für die Anzeige einer erst beabsichtigten Beendigung innerhalb von 30 Tagen und für die an die Anzeige anknüpfende Wartefrist von mindestens 30 Tagen (§ 45a Abs 2 AMFG). Derartige Kündigungen oder einvernehmliche Auflösungen müssten mangels Einhaltung des vorgeschriebenen Procedere daher von vornherein als rechtsunwirksam angesehen werden. Die Absicht zur Beendigung der Dienstverhältnisse von sieben Mitarbeitern innerhalb von 30 Tagen ist hier daher schon mit den zwischen 30. 10. 2013 und Anfang November 2013 unterbreiteten einvernehmlichen Angeboten auszumachen.

5. Die Beklagte berief sich schon in der Berufung darauf, dass für die Auslösung des Frühwarnsystems nach § 45a AMFG erst der Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung von Relevanz sei. Aus der dafür zitierten Entscheidung geht aber hervor, dass für die Feststellung, ob eine anzeigepflichtige Auflösung „innerhalb eines Zeitraums von 30 Tagen“ vorliege, der Zeitpunkt des beabsichtigten Ausspruchs der Kündigung bzw der Zeitpunkt der einvernehmlichen Lösung heranzuziehen sei (s die berufungsgerichtliche Beurteilung in 9 ObA 76/09f). Im Übrigen wird mit dem Abstellen auf den Zeitpunkt des Ausspruchs von Kündigungen nur eine Abgrenzung vom
– irrelevanten – Zeitpunkt des Endes der Arbeitsverhältnisse nach Ablauf der Kündigungsfrist beschrieben (EuGH Rs C-188/03 Junk; s auch Olt, Das Frühwarnsystem bei Massenkündigungen, ARD 6448/5/2015, 4 mwN).

6. Die Beklagte berief sich im Verfahren auch auf die Rechtsprechung, dass die 30-tägige Frist des § 45a Abs 1 AMFG kontinuierlich wandert und der Arbeitgeber daher durch die zeitliche Streuung von Kündigungen das Erreichen des Schwellenwerts der genannten Bestimmung verhindern kann (RIS-Justiz RS0125464). Davon ist dann auszugehen, wenn die Streuung der Kündigungen über einen längeren als 30-tägigen Zeitraum schon in der ursprünglichen Absicht des Dienstgebers zur Beendigung der Dienstverhältnisse lag, nicht aber, wenn sich die Kündigungserklärungen entgegen seiner ursprünglichen Intention – etwa infolge längerer Bemühungen um den Erhalt der Arbeitsplätze – faktisch über einen längeren Zeitraum erstrecken, würde doch sonst der genannte Zweck des Frühwarnsystems verfehlt, schon die Absicht eines Dienstgebers, innerhalb kurzer Zeit eine arbeitsmarktpolitisch relevante Zahl von Arbeitnehmern freizusetzen, zum Anlass von Vorkehrungen zu nehmen.

7. Ausgehend davon, dass sich die Absicht der Beklagten, innerhalb eines Zeitraums von 30 Tagen die Dienstverhältnisse von (mindestens) sieben Mitarbeitern zu beenden, bereits in den Angeboten zu den einvernehmlichen Auflösungen widerspiegelte, hätte die Beklagte ihrer Anzeigepflicht nach § 45a Abs 1 AMFG zu entsprechen gehabt. Die Kündigung des Klägers wurde danach zutreffend iSd § 45a Abs 5 Z 1 AMFG für rechtsunwirksam erklärt, ohne dass es auf die von der Beklagten aufgeworfenen Frage der Zusammenrechnung ihrer Mitarbeiter und jener der C***** ankäme. Die 5 %-Grenze des § 45a Abs 1 Z 2 AMFG wäre nämlich auch bei einer Zusammenrechnung überschritten worden.

8. Der Revision der Beklagten war danach im Ergebnis keine Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

Textnummer

E121556

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2018:009OBA00119.17S.0425.000

Im RIS seit

06.06.2018

Zuletzt aktualisiert am

01.07.2019
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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