TE Vwgh Erkenntnis 2018/4/26 Ra 2017/21/0240

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Veröffentlicht am 26.04.2018
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Asylrecht;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 2005 §12a Abs2;
BFA-VG 2014 §22a Abs1a;
BFA-VG 2014 §22a Abs3;
B-VG Art133 Abs4;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z1;
VwGG §34 Abs1;
VwGG §42 Abs4;
VwGVG 2014 §35;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Dr. Pelant und Dr. Sulzbacher als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Samonig, über die Revision des S N, zuletzt in W, vertreten durch Dr. Ralf D. Pock, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Heinrichsgasse 4/1, gegen das am 20. November 2017 mündlich verkündete und am 6. Dezember 2017 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes, W250 2176467-1/12E, betreffend Schubhaft (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl),

I. den Beschluss gefasst:

Die Revision wird, soweit sie sich gegen die Spruchpunkte A.II. und A.III. des angefochtenen Erkenntnisses richtet (Ausspruch nach § 22a Abs. 3 BFA-VG und Abweisung des Kostenersatzbegehrens), zurückgewiesen.

II. zu Recht erkannt:

Spruch

Im Übrigen wird der Revision Folge gegeben und Spruchpunkt A.I. des angefochtenen Erkenntnisses dahin abgeändert, dass er wie folgt zu lauten hat: "Der Beschwerde wird insofern stattgegeben, als der Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16. Oktober 2017, Zl. 629336806/171176605, aufgehoben und die darauf gegründete Schubhaft vom 16. Oktober 2017 bis zum 20. November 2017 für rechtswidrig erklärt wird."

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der Revisionswerber ist Staatsangehöriger von Pakistan. Er stellte nach seiner Einreise nach Österreich am 24. Oktober 2010 einen Antrag auf internationalen Schutz, der letztlich mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 11. Dezember 2013 vollinhaltlich - iVm einer Ausweisung nach Pakistan - abgewiesen wurde.

2 Am 16. Oktober 2017 stellte der Revisionswerber in der Erstaufnahmestelle Ost erneut einen Antrag auf internationalen Schutz. Im Anschluss daran verhängte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Mandatsbescheid vom selben Tag über ihn gemäß § 76 Abs. 2 Z 1 FPG Schubhaft zum Zweck der Sicherung seiner Abschiebung.

3 Mit weiterem Bescheid vom 24. Oktober 2017 hob das BFA den dem Revisionswerber infolge seines wiederholten Antrags auf internationalen Schutz zukommenden faktischen Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 auf. Mit Beschluss vom 31. Oktober 2017 stellte das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) dazu fest, dass die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes zu Recht erfolgt sei.

4 Mit Schriftsatz vom 14. November 2017 erhob der Revisionswerber gegen den Schubhaftbescheid und die nachfolgende Anhaltung in Schubhaft Beschwerde. Das BVwG wies diese Beschwerde mit dem in der mündlichen Verhandlung vom 20. November 2017 mündlich verkündeten und am 6. Dezember 2017 schriftlich ausgefertigten Erkenntnis gemäß § 76 Abs. 2 Z 1 FPG iVm § 22a Abs. 1 BFA-VG als unbegründet ab (Spruchpunkt A.I.). Außerdem stellte es gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG iVm § 76 FPG fest, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen (Spruchpunkt A.II.) und wies den Antrag des Revisionswerbers auf Kostenersatz gemäß § 35 Abs. 3 VwGVG ab (Spruchpunkt A.III.). Schließlich sprach es gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei (Spruchpunkt B.).

5 Das BVwG stellte insbesondere fest, dass der Revisionswerber seiner Ausreiseverpflichtung auf Grund des Erkenntnisses des Asylgerichtshofes vom 11. Dezember 2013 nicht nachgekommen sei; sein aus Anlass der Stellung des asylrechtlichen Folgeantrages erstattetes Vorbringen, er sei 2016 nach Pakistan zurückgekehrt und erst unmittelbar vor Stellung dieses Folgeantrages wieder nach Österreich eingereist, entspreche nicht der Wahrheit, und er habe sich de facto seiner für den 29. September 2016 organisierten Abschiebung durch Untertauchen entzogen.

6 Über die gegen dieses Erkenntnis erhobene Revision hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch das BVwG und Durchführung des Vorverfahrens - eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

7 Hat das Verwaltungsgericht - so wie hier das BVwG - im Erkenntnis ausgesprochen, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig ist, hat die Revision zufolge § 28 Abs. 3 VwGG auch gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird (außerordentliche Revision). Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof dann im Rahmen dieser vorgebrachten Gründe zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

8 In Bezug auf den Fortsetzungsausspruch nach § 22a Abs. 3 BFA-VG (Spruchpunkt A.II. des angefochtenen Erkenntnisses) macht der Revisionswerber in dieser Hinsicht nur geltend, dass das BVwG zu Unrecht Fluchtgefahr angenommen habe, weil er selbst die Behörde (Erstaufnahmestelle Ost) aufgesucht habe, um einen Asylantrag zu stellen; außerdem sei nicht erkennbar, dass das BFA ab Schubhaftnahme am 16. Oktober 2017 bis zur Verkündung des angefochtenen Erkenntnisses am 20. November 2017 effektive Schritte zur Vorbereitung seiner Abschiebung unternommen habe, weshalb sich die (weitere) Schubhaft als unverhältnismäßig erweise.

9 Dem ist zunächst zu entgegnen, dass im vorliegenden Fall mehrere Fluchtgefahrtatbestände des § 76 Abs. 3 FPG erfüllt sind, nach den unbestritten gebliebenen Feststellungen des BVwG insbesondere jener nach § 76 Abs. 3 Z 1 FPG ("Umgehung" der für den 29. September 2016 geplanten Abschiebung). Ob aber konkret von einem Sicherungsbedarf bzw. von Fluchtgefahr auszugehen ist, stellt nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stets eine Frage des Einzelfalls dar, die daher nicht generell zu klären und als einzelfallbezogene Beurteilung grundsätzlich nicht revisibel ist, wenn diese Beurteilung auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage in vertretbarer Weise vorgenommen wurde (vgl. etwa VwGH 29.6.2017, Ra 2017/21/0095, Rn. 11, mwN). Das ist hier - zumal in Anbetracht der Durchführung der beantragten Beschwerdeverhandlung - der Fall.

10 Auch die Frage der Verhältnismäßigkeit von Schubhaft ist eine solche des Einzelfalls (VwGH 14.11.2017, Ra 2017/21/0206, Rn. 7). Vor dem Hintergrund dessen, dass mit der Stellung des Asylfolgeantrags dem Revisionswerber zunächst faktischer Abschiebeschutz zukam, ist auch insoweit - unter dem Aspekt behördlicher Verzögerungen - keine unvertretbare Beurteilung seitens des BVwG zu erkennen.

11 In Bezug auf den Fortsetzungsausspruch nach § 22a Abs. 3 BFA-VG (Spruchpunkt A.II.) vermag die Revision somit insgesamt keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG aufzuzeigen, weshalb sie in diesem Punkt gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen war. Das muss auch auf die Kostenentscheidung (Spruchpunkt A.III. des angefochtenen Erkenntnisses) durchschlagen. Diesbezüglich verweist der Revisionswerber nämlich nur auf die seiner Ansicht nach verfehlte Entscheidung des BVwG in den Spruchpunkten A.I. und A.II., die gegenteilig auszufallen gehabt hätte; das hätte dann zum Zuspruch von Kostenersatz führen müssen. Diese Prämisse (vollständiges Obsiegen) trifft indes nach den obigen Erwägungen nicht zu, ist der Revisionswerber diesen zufolge doch hinsichtlich des Ausspruches nach § 22a Abs. 3 BFA-VG - und somit hinsichtlich eines Teiles der vom BVwG zu beurteilenden Schubhaft - als endgültig unterlegen zu betrachten. Das steht einem Kostenersatz nach dem gemäß § 22a Abs. 1a BFA-VG auch im Schubhaftbeschwerdeverfahren anwendbaren § 35 VwGVG entgegen (siehe in diesem Sinn VwGH 4.5.2015, Ra 2015/02/0070). Die vorliegende Revision war daher auch insoweit nach der oben genannten Bestimmung zurückzuweisen.

12 Was allerdings die Abweisung der Schubhaftbeschwerde selbst (Spruchpunkt A.I. des angefochtenen Erkenntnisses) anlangt, so erweist sich die Revision als zulässig.

13 Sie ist auch berechtigt, wie sich schon aus VwGH 14.11.2017, Ra 2016/21/0219, mit Verweis auf das grundlegende Erkenntnis VwGH 5.10.2017, Ro 2017/21/0009, ergibt. Gemäß § 43 Abs. 2 VwGG wird auf die Entscheidungsgründe des erstgenannten Erkenntnisses (insbesondere Rn. 8) verwiesen. Jedenfalls ausgehend davon, dass dem Revisionswerber zunächst noch faktischer Abschiebeschutz zukam, kam die Verhängung von Schubhaft nach § 76 Abs. 2 Z 1 FPG gegen ihn wie in dem diesem Erkenntnis zugrunde liegenden Fall nicht in Betracht. Der Schubhaftbescheid war daher rechtswidrig und mit ihm unabhängig von weiteren Überlegungen schon deshalb auch die darauf gegründete Anhaltung bis zur Erlassung des Fortsetzungsausspruches (in diesem Sinn zuletzt etwa VwGH 5.10.2017, Ro 2017/21/0007, Rn. 12).

14 In Bezug auf die Abweisung der erhobenen Schubhaftbeschwerde ist dem BVwG somit eine Fehlbeurteilung unterlaufen. Der Revision war in diesem Umfang Folge zu geben, wobei gemäß § 42 Abs. 4 VwGG in der Sache selbst (insoweit der erhobenen Schubhaftbeschwerde stattgebend) - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat - entschieden werden konnte.

15 Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG, insbesondere auch auf § 50 VwGG, iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 26. April 2018

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2018:RA2017210240.L00

Im RIS seit

25.05.2018

Zuletzt aktualisiert am

12.10.2018
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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