TE Vfgh Erkenntnis 1997/11/27 B266/97

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Veröffentlicht am 27.11.1997
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Index

41 Innere Angelegenheiten
41/02 Staatsbürgerschaft, Paß- und Melderecht, Fremdenrecht

Norm

EMRK Art3
FremdenG §37
FremdenG §54

Leitsatz

Verletzung im Recht, nicht der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden durch die Feststellung des Nichtbestehens stichhaltiger Gründe für die Annahme eines Refoulement-Verbotes für die aus Somalia stammende Beschwerdeführerin

Spruch

I. Die Beschwerdeführerin ist, soweit durch den angefochtenen Bescheid festgestellt wurde, daß keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestehen, daß die Beschwerdeführerin in Somalia im Sinne des §37 Abs1 des Fremdengesetzes, BGBl. 838/1992, bedroht sei, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht, nicht der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden, verletzt worden.

Der Bescheid wird insoweit aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zu Handen ihres Rechtsvertreters die mit S 18.000,-- bestimmten Verfahrenskosten binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.

II. Im übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I.1. Die Beschwerdeführerin, eine somalische Staatsangehörige, zog laut ihrem Vorbringen im Jahre 1978 von Somalia nach Saudi-Arabien und reiste am 26. Jänner 1992, über Libyen, Ägypten und Ungarn kommend, nach Österreich ein. Am 6. März 1996 brachte sie einen Antrag gemäß §54 FrG auf Feststellung der Unzulässigkeit ihrer Abschiebung nach Somalia ein. Über diesen Antrag stellte die Bundespolizeidirektion Wien mit Bescheid vom 12. August 1996 fest, daß keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestehen, daß die Beschwerdeführerin in Somalia iS des §37 Abs1 oder 2 FrG bedroht sei. Die dagegen rechtzeitig erhobene Berufung wurde von der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien mit Bescheid vom 16. Dezember 1996 abgewiesen, und es wurde der bekämpfte Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien bestätigt.

2. Gegen diesen Berufungsbescheid wendet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, in welcher die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht, nicht der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden, behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides begehrt wird.

3. Die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien als belangte Behörde dieses verfassungsgerichtlichen Beschwerdeverfahrens hat eine Gegenschrift erstattet, in welcher der Antrag gestellt wird, die Beschwerde abzuweisen oder die Behandlung der Beschwerde abzulehnen.

II. Der Verfassungsgerichtshof

hat über die Beschwerde erwogen:

A. Zur Feststellung, daß keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestehen, daß die Beschwerdeführerin in Somalia iS des §37 Abs1 FrG bedroht sei:

1. Indem die belangte Behörde der Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid keine Folge gegeben und diesen Bescheid bestätigt hat, hat sie einen damit übereinstimmenden neuen Bescheid erlassen (vgl. VfSlg. 12670/1991, 12861/1991, 14023/1995, 14119/1995). Sie hat damit ausgesprochen, daß keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestehen, daß die Beschwerdeführerin in Somalia iS des §37 Abs1 oder 2 FrG bedroht sei. Insofern ist also auch die Erledigung des angefochtenen Bescheides teilbar. Da alle Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist die Beschwerde insoweit auch zulässig.

2. Das gemäß Art3 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht, nicht der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden, wird durch den Bescheid eines unabhängigen Verwaltungssenates verletzt, wenn er eine in Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt erfolgte Verletzung desselben nicht wahrnimmt. Ein solcher verfassungswidriger Eingriff liegt aber auch vor, wenn ein Bescheid in Anwendung eines der genannten Verfassungsvorschrift widersprechenden Gesetzes ergangen ist, wenn er auf einer dem genannten Grundrecht widersprechenden Auslegung des Gesetzes beruht oder wenn der Behörde grobe Verfahrensfehler unterlaufen sind (VfSlg. 13897/1994).

Der Verfassungsgerichtshof geht in Übereinstimmung mit dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte davon aus (vgl. VfSlg. 13314/1992, 13453/1993, 13561/1993, 13776/1994, 13837/1994), daß die Entscheidung eines Vertragsstaates, einen Fremden auszuliefern - oder in welcher Form immer außer Landes zu schaffen -, unter dem Blickwinkel des Art3 EMRK erheblich werden und demnach die Verantwortlichkeit des Staates nach der EMRK begründen kann, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme glaubhaft gemacht worden sind, daß der Fremde konkret Gefahr liefe, in dem Land, in das er ausgewiesen werden soll, Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden (EGM 7.7.1989, Soering, EuGRZ 1989, 314 ff. (319); 20.3.1991, Cruz Varas u.a., EuGRZ 1991, 203 ff. (211); 30.10.1991, Vilvarajah u.a., ÖJZ 1992, 309 ff. (309); vgl. auch die Entscheidungen der Europäischen Kommission für Menschenrechte 15.3.1984, Memis, EuGRZ 1986, 324 ff. (325); 5.4.1993, ÖJZ 1994, 57 ff. (58)).

§54 FrG sieht im Zusammenhang mit Verfahren zur Erlassung einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbotes zur Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung in einen bestimmten Staat ("Refoulement-Verbot") iS des §37 Abs1 FrG ein besonderes Verfahren vor (VfSlg. 13561/1993). Ein Bescheid, mit dem gemäß §54 FrG die Zulässigkeit der Abschiebung gemäß §37 Abs1 FrG in einen bestimmten Staat festgestellt wird, betrifft - im Gegensatz etwa zu einem Bescheid, mit dem die Erteilung eines Sichtvermerkes versagt wird (VfSlg. 11044/1986), zu einem Bescheid, mit dem einem Antrag auf Asylgewährung nicht stattgegeben wird (VfSlg. 13314/1992), oder zu einem Bescheid, mit dem ein Aufenthaltsverbot verhängt wird (VfSlg. 13660/1993) - den Schutzbereich des Art3 EMRK (VfSlg. 13837/1994, 13897/1994).

3. Der angefochtene Bescheid stützt sich insbesondere auf §37 iVm. §54 FrG. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen diese Bestimmungen werden in der Beschwerde nicht vorgebracht und sind beim Verfassungsgerichtshof auch aus Anlaß des vorliegenden Beschwerdefalles nicht entstanden (vgl. VfSlg. 13561/1993, 13774/1994, 13776/1994, 13784/1994, 13837/1994, 13897/1994).

4. Bei der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der Rechtsgrundlagen des angefochtenen Bescheides könnte dieser das gemäß Art3 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht nur verletzen, wenn er auf einer dem genannten Grundrecht widersprechenden Auslegung des Gesetzes beruht oder wenn der Behörde bei der nach §54 iVm. §37 Abs1 FrG vorzunehmenden Prognose grobe Verfahrensfehler unterlaufen sind.

4.1. Die belangte Behörde stützt die Abweisung der gegen den erstinstanzlichen Bescheid erhobenen Berufung darauf, daß die Beschwerdeführerin eine persönliche Bedrohung iS des §37 FrG nicht dargelegt habe. Sie habe keine konkreten Angaben über eine etwaige Verfolgung gemacht, sondern nur eine quasi-staatliche Verfolgung durch einen anderen Clan behauptet, und sei weder in der Vergangenheit noch in der Gegenwart einer aktuellen Bedrohung ausgesetzt (gewesen), da sie sich in den letzten achtzehn Jahren nie in Somalia aufgehalten habe. Verfolgungen bräuchten zwar nicht "nachgewiesen" werden, doch sei die Fremde verpflichtet, zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes durch Erstattung eines mit Beweisanboten untermauerten konkreten Vorbringens zumindest bezüglich jener Umstände beizutragen, die in ihrer Sphäre gelegen sind und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen könne. Da die Berufungswerberin diesbezüglich nichts Konkretes vorgebracht habe, habe die belangte Behörde keine stichhaltigen Gründe für eine Bedrohung ihrer Person aus den in §37 Abs1 oder 2 FrG genannten Gründen finden können.

4.2. Die Beschwerdeführerin rügt in ihrer Beschwerde, die belangte Behörde habe in das gemäß Art3 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht eingegriffen, da sie "unter Mißachtung des Berufungsvorbringens jegliches Eingehen auf dieses in Wahrheit kategorisch verweigert ... hat". Der angefochtene Bescheid beschränke sich hinsichtlich seiner Begründung darauf, daß die Beschwerdeführerin keine konkreten Angaben über eine etwaige Verfolgung gemacht, sondern lediglich eine quasi-staatliche Verfolgung durch einen anderen Clan behauptet habe, und keiner aktuellen Bedrohung ausgesetzt sei, da sie sich in den letzten achtzehn Jahren nie in Somalia aufgehalten habe. Die belangte Behörde habe sich nicht einmal in tatsächlicher Hinsicht mit der von der Beschwerdeführerin im Falle der Rückkehr nach Somalia zu gewärtigenden Situation geschweige denn mit dem diesbezüglichen konkreten Vorbringen im Feststellungsverfahren auseinandergesetzt. Das Somalia von heute sei im Gegensatz zu jenem während der Machtkämpfe zwischen den Clanführern infolge der gewaltsamen Übernahme der Staatsherrschaft vom gestürzten ehemaligen Regime nicht mehr von einem durch Bürgerkriegswirren und Anarchie gefärbten Szenario geprägt, sondern es hätte sich mittlerweile in verschiedene Machtbereiche der einzelnen Clans aufgeteilt, in denen nunmehr staatsähnliche Strukturen etabliert seien.

4.3. Die Beschwerde ist im Ergebnis im Recht:

Der belangten Behörde ist bei Erlassung des angefochtenen Bescheides insofern ein grober Verfahrensfehler unterlaufen, als sie ihre Entscheidung - deren Begründung zufolge - ausschließlich auf das Vorbringen der Beschwerdeführerin stützte. Sie hat es jedoch unterlassen, sich mit der allgemeinen politischen und menschenrechtlichen Lage in Somalia auseinanderzusetzen oder ihrer Entscheidung geeignete Erkenntnisquellen zugrundezulegen, um beurteilen zu können, ob die Beschwerdeführerin bei einer Abschiebung nach Somalia konkret Gefahr liefe, dort iS des §37 Abs1 FrG bedroht zu sein (vgl. in ähnlichem Zusammenhang VfSlg. 13981/1994). Ungeachtet dessen, daß das Vorliegen solcher konkreter Gefahren für jeden einzelnen Fremden für sich zu prüfen ist, ist für diese Beurteilung nämlich nicht unmaßgeblich, ob bislang gehäufte Verstöße der umschriebenen Art gegen Art3 EMRK (vgl. Art3 Abs2 des Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe, BGBl. 492/1987, wonach bei der Feststellung, ob stichhaltige Gründe für die Annahme drohender Folter vorliegen, auch der Umstand zu berücksichtigen ist, daß im betreffenden Staat eine ständige Praxis grober, offenkundiger oder massenhafter Verletzungen der Menschenrechte herrscht) durch den genannten Staat bekannt geworden sind (vgl. VfSlg. 13897/1994, 14119/1995). Solche Gefahren hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, dem nicht zu folgen der Verfassungsgerichtshof keinen Grund zu erkennen vermag, hinsichtlich Somalia mit Bezug auf den hier maßgeblichen Zeitraum jedoch festgestellt (vgl. EGM 17.12.1996, Ahmed, 71/1995/577/663 - auszugsweise in Newsletter 1997, 15).

4.4. Die Beschwerdeführerin wurde daher durch die Feststellung des angefochtenen Bescheides, daß keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestehen, daß die Beschwerdeführerin in Somalia iS des §37 Abs1 FrG bedroht sei, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht, nicht der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden, verletzt.

Der Bescheid war daher insoweit aufzuheben.

5. Der Kostenausspruch stützt sich auf §88 VerfGG 1953. Im zugesprochenen Betrag sind S 3.000,-- an Umsatzsteuer enthalten.

6. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4, erster Satz, VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

B. Zur Feststellung, daß keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestehen, daß die Beschwerdeführerin in Somalia iS des §37 Abs2 FrG bedroht sei:

Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde in einer nicht von der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes ausgeschlossenen Angelegenheit ablehnen, wenn sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat oder von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B-VG). Eine solche Klärung ist dann nicht zu erwarten, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

Nach den Beschwerdebehauptungen wäre die behauptete Rechtsverletzung (s. oben Pkt. I.2.) insoweit zum erheblichen Teil nur die Folge einer unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beurteilung der aufgeworfenen Fragen insoweit nicht anzustellen.

Soweit die Beschwerde aber verfassungsrechtliche Fragen tatsächlich berührt, läßt ihr Vorbringen vor dem Hintergrund des Erkenntnisses VfSlg. 13897/1994 die behauptete Rechtsverletzung, die Verletzung eines anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes oder die Verletzung in einem sonstigen Recht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm als so wenig wahrscheinlich erkennen, daß sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat. Die Angelegenheit ist auch nicht von der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes ausgeschlossen.

Demgemäß wurde beschlossen, insoweit von einer Behandlung der Beschwerde abzusehen (§19 Abs3 Z1 VerfGG 1953).

Schlagworte

Fremdenrecht, Refoulement

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1997:B266.1997

Dokumentnummer

JFT_10028873_97B00266_2_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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