RS Vfgh 2017/6/21 E3074/2016

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Veröffentlicht am 21.06.2017
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §3

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Abweisung des Antrags eines irakischen Staatsangehörigen auf internationalen Schutz infolge Außerachtlassung des Vorbringens des Beschwerdeführers im Hinblick auf seine homosexuelle Orientierung; Unterlassung wesentlicher Ermittlungen und nicht nachvollziehbare Beurteilung der Gefahr der Verfolgung homosexueller Personen im Irak

Rechtssatz

Die Einschätzung, dass der Beschwerdeführer im Fall seiner Rückkehr in den Irak - bei gewöhnlichem Leben seiner homosexuellen Orientierung - keiner Gefahr einer Verfolgung ausgesetzt sei und dieser (wie auch vor seiner Ausreise) keinen maßgeblichen Einschränkungen in seinem Beziehungs- und Sexualleben unterliegen würde, widerspricht sowohl den Feststellungen der Länderberichte als auch den eindeutigen Ausführungen des Beschwerdeführers in den mündlichen Verhandlungen, in denen er ua wiederholt angab, dass homosexuelle Personen im Irak, wie auch er selbst, ihre Beziehungen aus Angst immer im Geheimen leben würden. Diese Beurteilung ist mit den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens nicht vereinbar und würde im Ergebnis dazu führen, dass der Beschwerdeführer gezwungen wäre, seine sexuelle Orientierung weiterhin im Geheimen - unter ständiger Angst entdeckt zu werden - zu leben, um sich nicht der Gefahr von Diskriminierung, strafgerichtlicher Verfolgung oder körperlicher Schädigung auszusetzen. Diese implizite Konsequenz aus der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes, seine sexuelle Orientierung nicht oder nur im Geheimen zu leben, ist mit dem Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union vom 07.11.2013 in den Rechtssachen C-199/12 bis C-201/12, Minister voor Immigratie en Asiel gegen X ua, nicht vereinbar.

Darüber hinaus ist in keiner Weise ersichtlich, ob und gegebenenfalls welche Auswirkungen die vom Bundesverwaltungsgericht zur Beurteilung der Wahrscheinlichkeit systematischer Übergriffe herangezogene "Fatwa" (eines geistlichen und politischen Führers, die eine weitere Gewaltanwendung gegenüber "Angehörigen der LGBTI-Community" [lesbian, gay, bisexual, transgender and intersex-Personen] verurteilt) tatsächlich aufweisen wird. Auch wenn dieser "Fatwa" grundsätzlich vor allem jene Milizen unterliegen, die primär für die gewaltsamen Übergriffe auf LGBTI-Personen verantwortlich zeichnen, so ist sie ausschließlich für den schiitischen Teil der Bevölkerung maßgebend und auch für diesen (rechtlich) nicht verbindlich. Dennoch geht das Bundesverwaltungsgericht in nicht nachvollziehbarer Weise davon aus, dass sich die Situation Homosexueller im Irak alleine auf Grund des Bestehens einer "Fatwa" derart verbessern werde, dass im Fall der Rückkehr keine (systematische) Gefahr der Verfolgung homosexueller Personen bestehe - ohne entsprechende Ermittlungen zur Untermauerung dieser Annahme durchgeführt zu haben.

Das Bundesverwaltungsgericht hat seine Entscheidung dadurch mit Willkür belastet, dass es im Beschwerdefall wichtiges Vorbringen des Beschwerdeführers außer Acht gelassen, für seinen Begründungsweg wesentliche Ermittlungen unterlassen sowie Schlüsse aus dem Ermittlungsverfahren gezogen hat, die mit den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens weder vereinbar noch nachvollziehbar sind.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Asylrecht, Entscheidungsbegründung, Ermittlungsverfahren, Homosexualität

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2017:E3074.2016

Zuletzt aktualisiert am

05.09.2018
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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