TE Vwgh Erkenntnis 2000/3/14 97/18/0508

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Veröffentlicht am 14.03.2000
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AVG §58 Abs2;
AVG §60;
AVG §67;
FrG 1993 §37 Abs1;
FrG 1993 §37 Abs2;
FrG 1993 §54 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Bayjones und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ferchenbauer, über die Beschwerde des J, (geb. 29.1.1967), vertreten durch Dr. Wolfgang Weber, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Wollzeile 12/1/27, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 14. August 1997, Zl. SD 153/97, betreffend Feststellung gemäß § 54 Abs. 1 des Fremdengesetzes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 14. August 1997 wurde gemäß § 54 Abs. 1 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, festgestellt, dass keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestünden, dass der Beschwerdeführer in Liberia gemäß § 37 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG bedroht sei.

Zunächst weist die belangte Behörde darauf hin, dass die Gründe des Erstbescheides auch für den angefochtenen Bescheid maßgebend seien, und führt zur Berufung weiters Folgendes aus: Der Beschwerdeführer bringe im Wesentlichen vor, dass er seit 1991 in einer der Truppenverbände des Rebellenführers Charles Taylor gekämpft hätte, sich danach für die Beendigung der kriegerischen Auseinandersetzungen eingesetzt hätte, und deshalb von jenen Truppen, die Charles Taylor ergeben gewesen wären, verfolgt worden wäre. Abgesehen davon, dass der Beschwerdeführer konkrete, gegen seine Person gerichtete Verfolgungshandlungen nicht einmal behauptete, sei seinem Vorbringen entgegenzuhalten, dass in Liberia in der jüngsten Vergangenheit ein Demokratisierungsprozess eingesetzt habe. Nach zahlreichen fehlgeschlagenen Friedensabkommen sei es der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (EKOWAS) im August des Vorjahres (gemeint ist: 1996) gelungen, eine dauerhafte Einigung unter den Kriegsparteien auszuhandeln. Im Juli 1997 hätten - als weiterer Schritt des Demokratisierungsprozesses - Präsidentschaftswahlen stattgefunden, aus denen Charles Taylor, für dessen Truppenverbände der Beschwerdeführer seinen eigenen Angaben zufolge gekämpft habe, als eindeutiger Wahlsieger hervorgegangen sei. Es liege wohl auf der Hand, dass gerade Charles Taylor als nunmehriger Staatspräsident von Liberia bestrebt sein werde, einen dauerhaften Frieden im Heimatland des Beschwerdeführers zu gewährleisten. Gerade für dieses Ziel (Beendigung der Kampfhandlungen) habe sich der Beschwerdeführer - wie er ausführe - bereits in der Vergangenheit eingesetzt. Für die belangte Behörde ergäben sich daher keinerlei Anhaltspunkte für die Annahme, dass der Beschwerdeführer auf Grund der derzeitigen politischen Lage in seiner Heimat einer Verfolgungs- oder Gefährdungssituation im Sinn des § 37 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG ausgesetzt sei. Darüber hinaus habe bereits die Erstbehörde zutreffend darauf hingewiesen, dass der Beschwerdeführer im Jahr 1995 mit einem Reisepass sein Heimatland völlig legal habe verlassen können. Dieser Umstand spreche ebenfalls gegen etwaige Verfolgungsabsichten von Seiten einer Bürgerkriegspartei gegen die Person des Beschwerdeführers.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragt.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Fremde im Rahmen eines Feststellungsverfahrens nach § 54 FrG das Bestehen einer aktuellen, also im Fall der Abschiebung des Fremden in den von seinem Antrag erfassten Staat dort gegebenen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abwendbaren Bedrohung im Sinn des § 37 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG glaubhaft zu machen, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerter Angaben darzutun ist. Ebenso wie im Asylverfahren ist auch im Verfahren nach § 54 FrG die konkrete Einzelsituation in ihrer Gesamtheit, gegebenenfalls vor dem Hintergrund der allgemeinen Verhältnisse, in Form einer Prognose für den gedachten Fall der Abschiebung des Fremden in diesen Staat zu beurteilen (vgl. etwa das Erkenntnis vom 26. März 1999, Zl. 97/18/0643, mwH).

2.1. Der Beschwerdeführer wendet gegen den bekämpften Bescheid ein, dass die Auffassung der belangten Behörde, es liege auf der Hand, dass gerade Charles Taylor als nunmehriger Staatspräsident von Liberia einen dauerhaften Frieden zu gewährleisten bestrebt wäre, vollkommen unbegründet sei. Es könne auf Grund der kurzen Zeit seit den Präsidentschaftswahlen im Juli 1997 überhaupt nicht abgeschätzt werden, wie sich die Situation in Liberia entwickeln würde. Es sei dem Beschwerdeführer auch nicht erfindlich, woraus die belangte Behörde schließe, dass es nach zahlreichen fehlgeschlagenen Friedensabkommen gelungen wäre, eine dauerhafte Einigung unter den Kriegsparteien auszuhandeln. Nach seinen Kenntnissen sei die Lage in Liberia keineswegs dauerhaft friedlich, im Gegenteil bestünde die Gefahr jederzeitigen Aufflammens neuer kriegerischer Handlungen. Der Beschwerdeführer sei der Auffassung, dass er "selbstverständlich als quasi Deserteur der Rebellentruppen" Gefahr liefe, Verfolgungshandlungen ausgesetzt zu werden. Konkret gegen den Beschwerdeführer gerichtete Verfolgungshandlungen hätten gegen ihn "logischerweise" noch nicht gesetzt werden können, da er sich ja seit längerem in Österreich aufhalte und es der nunmehrigen Staatsführung nicht möglich gewesen sei, gegen ihn solche Verfolgungshandlungen zu setzen. Im Hinblick auf den nunmehr gewählten Staatspräsidenten stehe es für den Beschwerdeführer "mit Sicherheit fest", dass für ihn nach seiner Rückkehr nach Liberia Lebensgefahr bestünde.

2.2. Dieses Vorbringen führt die Beschwerde zum Erfolg.

2.2.1. Zunächst ist zur Heranziehung der Gründe des Erstbescheides zur Begründung des angefochtenen Bescheides Folgendes festzuhalten: Nach den §§ 58 Abs. 2 und 60 i.V.m. § 67 AVG haben Berufungsbescheide eine Begründung zu enthalten, in der die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen sind. In der Bescheidbegründung ist daher in einer eindeutigen, die Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichenden und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugänglichen Weise darzutun, welcher Sachverhalt der Entscheidung zugrunde gelegt wurde, aus welchen Erwägungen die Behörde zur Ansicht gelangte, daß gerade dieser Sachverhalt vorliege und aus welchen Gründen sie die Subsumtion dieses Sachverhaltes unter einen bestimmten Tatbestand als zutreffend erachtete. Sind die einen tragenden Teil der Begründung darstellenden Ausführungen für den Verwaltungsgerichtshof nicht nachvollziehbar und somit nicht überprüfbar, so liegt ein wesentlicher Verfahrensfehler vor, der zur Aufhebung des Bescheides führt. (Vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 12. April 1996, Zl. 97/21/0249.)

Die Erstbehörde erachtete in ihrem Bescheid vom 30. Jänner 1997 die Angaben des Beschwerdeführers betreffend seine aktuelle Gefährdung bzw. Bedrohung im Sinn des § 37 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG - aus mehreren Erwägungen heraus - insgesamt für unglaubwürdig und kam von daher zu dem Ergebnis, dass für den Beschwerdeführer in seinem Heimatland eine solche Gefährdungs- bzw. Bedrohungssituation nicht gegeben sei. Die belangte Behörde hat indes das Vorbringen des Beschwerdeführers nicht für unglaubwürdig erachtet, sondern - ausgehend vom diesem Vorbringen - das Bestehen einer für ihn gegebenen aktuellen Bedrohung im Sinn des § 37 Abs. 1 und/oder Abs. 2 leg. cit. in Ansehung der jüngeren politischen Entwicklung in diesem Staat - insbesondere im Hinblick auf das Einsetzen eines Demokratisierungsprozesses - nicht angenommen. Angesichts des Spannungsverhältnisses zwischen diesen unterschiedlichen Begründungslinien, die beide gleichermaßen dem bekämpften Bescheid - ohne dass darin das Verhältnis dieser Linien zueinander geklärt würde - zugrundeliegen, lässt die Behörde auf dem Boden der dargestellten Rechtslage nicht mit hinreichender Deutlichkeit erkennen, auf welchem Sachverhalt ihre Entscheidung beruht.

2.2.2. Der Beschwerdeführer hat schon im Asylverfahren knapp nach seiner Einreise am 11. Februar 1995, nämlich bei seiner Einvernahme am 14. Februar 1995 (Blatt 56 der vorgelegten Verwaltungsakten) angegeben, dass er Liberia verlassen habe, weil in diesem Land Bürgerkrieg herrsche; konkret führte der Beschwerdeführer aus, dass er seit dem Jahr 1991 für Charles Taylor in einem von dessen Truppenverbänden gekämpft habe und im Dezember 1992 der Anführer seiner Gruppe den Genannten habe veranlassen wollen, den Bürgerkrieg zu beenden, um der Regierung in Liberia die Möglichkeit zu geben, dort wieder ein geordnetes Leben zu ermöglichen. Taylor habe aber dieses Ansinnen abgelehnt und den besagten Anführer töten lassen, auch seien Einige aus der Gruppe des Beschwerdeführers festgenommen und ebenfalls hingerichtet worden. Da der Beschwerdeführer Angst gehabt habe, das gleiche Schicksal zu erleiden, habe er sich entschlossen, das Land zu verlassen. Weiters gab der Beschwerdeführer schon bei seiner ersten Einvernahme am 11. Februar 1995 an, sein Heimatland im Dezember 1992 verlassen zu haben (Blatt 35 der Verwaltungsakten). Entsprechendes Vorbringen hat der Beschwerdeführer in seinem an das Bundesasylamt gerichteten Schreiben vom 23. Februar 1995 (Blatt 76 ff der Verwaltungsakten), in seinem ersten Antrag gemäß § 54 FrG vom 3. März 1995 (Blatt 97 der Verwaltungsakten), in seinem dem angefochtenen Bescheid zu Grunde liegenden Antrag gemäß § 54 FrG vom 25. Oktober 1996 (Blatt 189 f der Verwaltungsakten), sowie in seiner Berufung gegen den Erstbescheid vom 17. Februar 1997 (Blatt 230 f der Verwaltungsakten) erstattet. Die belangte Behörde hat es aber unterlassen, sich im angefochtenen Bescheid mit diesem Vorbringen näher auseinanderzusetzen. Zur Relevanz dieses Versäumnisses sei auf die folgenden Erwägungen unter 2.2.3. und 2.2.4. verwiesen.

2.2.3. Ferner erweist sich die von der belangten Behörde aus dem Umstand einer im bekämpften Bescheid behaupteten dauerhaften Einigung "unter den Kriegsparteien" in dem genannten Staat im August 1996 sowie dem Umstand der Wahl von Charles Taylor als Staatspräsidenten gezogene Schlussfolgerung, "auf Grund der derzeitigen politischen Lage" bestünden für den Beschwerdeführer in seiner Heimat keine Anhaltspunkte für das Bestehen einer Verfolgungs- oder Gefährdungssituation der in Rede stehenden Art, als nicht nachvollziehbar: Zum einen lässt sich der Begründung des angefochtenen Bescheides in keiner Weise entnehmen, auf welchen Verfahrensergebnissen die Annahmen, im August 1996 sei "eine dauerhafte Einigung unter den Kriegsparteien" in Liberia ausgehandelt worden, und der neu gewählte Staatspräsident von Liberia würde bestrebt sein, dort einen dauerhaften Frieden zu gewährleisten, beruhen. Zum anderen kann der Hinweis auf eine solche Einigung und ein solches Streben nach dauerhaftem Frieden eine nähere Analyse der in dem in Rede stehenden Staat tatsächlich bestehenden Situation nicht ersetzen, hat doch der Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren stets vorgebracht, dass er auf Grund einer Auseinandersetzung gerade zwischen Charles Taylor und einem seiner Truppenverbände, dem er, der Beschwerdeführer, angehört habe, sein Heimatland verlassen habe und dort deswegen Verfolgung im Sinn des § 37 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG befürchte, zumal der Genannte nach dem bekämpften Bescheid das Amt des Staatsoberhaupts erst seit etwa einem Monat innehatte und von daher auch die Behörde nicht in der Lage war, über die tatsächlich geübte Amtsführung eine Aussage zu treffen.

2.2.4. Entgegen der Feststellung im angefochtenen Bescheid läßt sich schließlich weder dem Erstbescheid noch den Angaben des Beschwerdeführers im Verwaltungsverfahren entnehmen, dass der Beschwerdeführer sein Heimatland erst im Jahr 1995 mit einem Reisepass verlassen habe. Vielmehr hat der Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren stets angegeben, Liberia schon im Dezember 1992 in Anbetracht der ebenfalls im Dezember 1992 vorgefallenen Auseinandersetzungen mit Charles Taylor verlassen zu haben. Im Übrigen haben auch der Bundesminister für Inneres in seinem Asylbescheid vom 28. März 1995 sowie die Bezirkshauptmannschaft Oberpullendorf in ihrem Bescheid gemäß § 54 FrG vom 10. Juli 1995 nicht festgestellt, dass der Beschwerdeführer erst im Jahr 1995 sein Heimatland verlassen habe, vielmehr wurde von beiden Behörden auf die Staaten Bezug genommen, die der Beschwerdeführer seinen Angaben nach auf seiner Flucht nach den dafür von ihm als ausschlaggebend herausgestellten Ereignissen im Jahr 1992 passiert hat. Angesichts dieses vorgebrachten engen zeitlichen Zusammenhangs zwischen der besagten Auseinandersetzung und der Flucht des Beschwerdeführers im Dezember 1992 spricht auch die Aussage der belangten Behörde, der Beschwerdeführer habe die Vornahme einer konkreten, gegen seine Person gerichteten Verfolgungshandlung nicht einmal behauptet, nicht gegen die Annahme einer für den Beschwerdeführer in dem in Rede stehenden Staat gegebenen aktuellen Bedrohungssituation, zumal sich die Behörde - wie oben ausgeführt - mit dem konkreten Vorbringen des Beschwerdeführers nicht näher auseinandergesetzt hat.

3. Nach dem Gesagten bedürfen sowohl der Sachverhalt als auch die Bescheidbegründung in wesentlichen Punkten einer Ergänzung, weshalb der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben war.

4. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 14. März 2000

Schlagworte

Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher Verfahrensmangel

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2000:1997180508.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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