TE Vwgh Erkenntnis 2000/3/14 99/11/0303

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Veröffentlicht am 14.03.2000
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Index

L92107 Behindertenhilfe Pflegegeld Rehabilitation Tirol;

Norm

PGG Tir 1993 §1 Abs1;
PGG Tir 1993 §2 Abs1;
PGG Tir 1993 §3 Abs1 litb;
PGG Tir 1993 §3 Abs5;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Bernard, Dr. Graf, Dr. Gall und Dr. Schick als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Lenhart, über die Beschwerde der mj. S in Innsbruck, vertreten durch Dr. Jörg Hobmeier, Rechtsanwalt in Innsbruck, Maximilianstraße 9/II, gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 24. August 1999, Zl. Va-999-11.426/22-1999, betreffend Nachsicht von der Voraussetzung der österreichischen Staatsbürgerschaft nach dem Tiroler Pflegegeldgesetz, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Land Tirol Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die im Jahr 1993 geborene Beschwerdeführerin ist jugoslawische Staatsangehörige. Sie leidet an Progerie, einer schweren Entwicklungsstörung, die durch eine bereits im Kindesalter einsetzende hochgradige Vergreisung mit entsprechenden Krankheiten gekennzeichnet ist.

Mit dem angefochtenen Bescheid versagte die belangte Behörde gemäß § 3 Abs. 5 des Tiroler Pflegegeldgesetzes - TPGG die Nachsicht von der Voraussetzung der österreichischen Staatsbürgerschaft (für den Zeitraum vom 1. Juni 1997 bis 31. Juli 1999).

In der Begründung des angefochtenen Bescheides führte die belangte Behörde aus, die Beschwerdeführerin lebe im gemeinsamen Haushalt mit ihren Eltern. Die Pflege und Betreuung der Beschwerdeführerin sei im entscheidungswesentlichen Zeitraum im Familienverband erfolgt.

Vom 1. Juni 1997 bis 31. Dezember 1997 habe der Vater der Beschwerdeführerin ein durchschnittliches monatliches Nettoeinkommen von S 18.060,-- bezogen. Ihre Mutter habe vom 1. Juni 1997 bis 1. April 1998 Sozialhilfe in der Höhe von S 5.530,-- erhalten. Für die Beschwerdeführerin werde laufend Familienbeihilfe zusätzlich des Erhöhungsbetrages für erheblich behinderte Kinder im Gesamtbetrag von S 2.950,-- bezogen. Die Miete für die damals bewohnte Wohnung habe S 8.500,-- monatlich inklusive Betriebskosten betragen. Als pflegebedingte Mehraufwendungen seien die Kosten für einen näher bezeichneten Kindergarten in der Höhe von S 1.845,-- geltend gemacht worden. Von Dezember 1996 bis November 1997 sei eine Mietzinsbeihilfe in der Höhe von S 2.000,-- monatlich bezogen worden, sodass die Eltern der Beschwerdeführerin im Zeitraum vom 1. Juni 1997 bis 1. Dezember 1997 ein gemeinsames Einkommen von S 28.540,-- gehabt hätten. Im Dezember 1997 habe sich das Einkommen auf S 26.540,-- verringert.

Im Jahr 1998 habe der Vater der Beschwerdeführerin ein durchschnittliches monatliches Einkommen von S 21.141,91 bezogen. Die Eltern der Beschwerdeführerin hätten daher vom 1. Jänner 1997 (gemeint: 1998) bis 1. April 1998 unter Berücksichtigung der Sozialhilfeleistung in der Höhe von S 5.530,-- über ein gemeinsames Einkommen von S 29.621,-- verfügt. Dieses Einkommen habe sich ab 1. April 1998 durch das Gehalt der Mutter der Beschwerdeführerin in der Höhe von S 7.000,-- auf S 31.091,91 erhöht. Bis 1. Juni 1998 hätten für die Wohnung weiterhin S 8.500,-- monatlich geleistet werden müssen. Als pflegebedingter Mehraufwand sei der Kindergartenbeitrag für den genannten Kindergarten geltend gemacht worden. In der Zeit vom 1. Juni 1998 bis 31. Juli 1999 habe das Einkommen der Eltern durchschnittlich S 31.091,91 monatlich betragen. Die Miete für die (neue) Wohnung habe inklusive Betriebskosten S 5.500,-- betragen. Von den Eltern sei weiters eine Kreditrückzahlung von S 3.000,--, der Kindergartenbeitrag von S 1.845,-- sowie Rechtsanwalts- und Heizkosten in der Höhe von S 4.700,-- geltend gemacht worden. Bei den Rechtsanwaltskosten handle es sich nicht um "pflegebedingten Mehraufwand".

Unter Zugrundelegung dieser Ermittlungsergebnisse sei unter Berücksichtigung der geltend gemachten Mehraufwendungen die erforderliche Pflege der Beschwerdeführerin "selbst einzukaufen". Eine soziale Härte im Sinne des § 3 Abs. 5 TPGG sei nicht gegeben.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Antrag auf kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und beantragt in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Nach § 1 Abs. 1 TPGG ist das Pflegegeld ein pauschalierter Beitrag zur Abgeltung pflegebedingter Mehraufwendungen mit dem Zweck, Pflegebedürftigen soweit wie möglich die notwendige Betreuung und Hilfe zu sichern sowie ihnen zu helfen, möglichst lange in der gewohnten Umgebung zu bleiben und ein selbstbestimmtes, bedürfnisorientiertes Leben zu führen.

Gemäß § 2 Abs. 1 gebührt das Pflegegeld Pflegebedürftigen bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen nach § 3, wenn aufgrund einer körperlichen, geistigen oder psychischen Behinderung der ständige Bedarf nach Betreuung und Hilfe (Pflegebedarf) voraussichtlich mindestens sechs Monate andauern wird oder würde.

Gemäß § 3 Abs. 1 gebührt das Pflegegeld nur Pflegebedürftigen, die die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen (lit. a) und das dritte Lebensjahr vollendet haben (lit. b).

Gemäß § 3 Abs. 5 erster Satz TPGG kann die Voraussetzung nach Abs. 1 lit. a ausnahmsweise nachgesehen werden, wenn der Fremde seit drei Jahren seinen Hauptwohnsitz in Tirol hat und aufgrund der persönlichen, familiären oder wirtschaftlichen Verhältnissen des Fremden die Nachsicht zur Vermeidung einer sozialen Härte geboten scheint.

Unter Bedachtnahme auf den im § 1 Abs. 1 TPGG genannten Zweck des Pflegegeldes ist eine soziale Härte im Sinne des § 3 Abs. 5 leg. cit. dann anzunehmen, wenn der durch das Fehlen der österreichischen Staatsbürgerschaft bedingte Mangel eines Pflegegeldanspruches dazu führen würde, dass der Pflegebedürftige mangels finanzieller Deckung für den Pflegemehraufwand die erforderliche Pflege nicht oder nicht in entsprechendem Umfang erhalten könnte. Ob eine soziale Härte in diesem Sinne vorliegt, hat die Behörde aufgrund der persönlichen, familiären und wirtschaftlichen Verhältnisse des (fremden) Anspruchswerbers zu beurteilen.

Bei pflegebedürftigen Kleinkindern, die die im § 3 Abs. 1 lit. b TPGG genannte Altersgrenze überschritten haben, ist im Hinblick auf § 2 Abs. 1 leg. cit. zu beachten, dass nur der über die von den Eltern bei Kleinkindern der entsprechenden Altersstufe regelmäßig zu leistende Betreuung und Pflege hinausgehende Pflegemehraufwand, der durch eine körperliche, geistige oder psychische Behinderung verursacht wird, für die Beurteilung, ob es sich um einen pflegebedingten Mehraufwand handelt, maßgebend ist (vgl. dazu Pfeil, Bundespflegegeldgesetz und landesgesetzliche Pflegegeldregelungen, 37 mwN).

Ausgehend von diesen Überlegungen kann die Auffassung der belangten Behörde, die Nachsicht von der Voraussetzung der österreichischen Staatsbürgerschaft sei nicht zur Vermeidung einer sozialen Härte im oben beschriebenen Sinne geboten, nicht als rechtswidrig erkannt werden. Der Begründung des angefochtenen Bescheides ist zwar nicht zu entnehmen, ob der von der Beschwerdeführerin geltend gemachte Kindergartenbeitrag als pflegebedingter Mehraufwand im beschriebenen Sinn angesehen wird. Dieser Begründungsmangel ist allerdings nicht relevant, weil es dahingestellt bleiben kann, ob diesbezüglich überhaupt ein pflegebedingter Mehraufwand vorliegt, da es den Eltern der Beschwerdeführerin im Rahmen ihrer Unterhaltspflicht möglich und zumutbar wäre, diesen Aufwand zu tragen, ohne dass dies zu einer sozialen Härte führen würde. Der Beschwerdeführerin ist einzuräumen, dass die Behörde bei der Entscheidung, ob eine Nachsicht von der Voraussetzung der österreichischen Staatsbürgerschaft gemäß § 3 Abs. 5 TPGG zu erteilen ist, die persönlichen, familiären und wirtschaftlichen Verhältnisse des Fremden zu prüfen hat. Entscheidend ist aber immer, dass diese Verhältnisse im Rahmen einer Gesamtbeurteilung den Schluss auf eine soziale Härte im genannten Sinne zulassen.

Die Beschwerdeführerin erklärt ausdrücklich, dass die wirtschaftlichen Verhältnisse umfassend ermittelt wurden. Sie meint aber, dass ihre familiären und persönlichen Verhältnisse nicht entsprechend gewürdigt worden seien. Soweit sie in diesem Zusammenhang geltend macht, ihre Mutter könne sie im Hinblick auf deren Berufstätigkeit nicht mehr so intensiv wie früher betreuen, zeigt sie nicht auf, inwieweit deshalb pflegebedingte Mehraufwendungen im genannten Sinne entstehen. Dass die Mutter der Beschwerdeführerin seit 1. April 1998 berufstätig ist, hat die belangte Behörde ohnedies festgestellt.

Die Beschwerdeführerin behauptet - ohne konkretes Tatsachenvorbringen dazu zu erstatten - , die familiären Beziehungen hätten aufgrund der durch den Mangel des Bezuges von Pflegegeld notwendig gewordenen Berufstätigkeit ihrer Mutter gelitten.

Dazu ist zunächst festzuhalten, dass die Beschwerdeführerin im Verwaltungsverfahren nicht behauptet hat, ihre Pflege erfordere die ständige Anwesenheit ihrer Mutter. Eine derartige Behauptung ist auch der Beschwerde nicht zu entnehmen. Auf die Eigenart und Symptomatik der bei der Beschwerdeführerin bestehenden Krankheit zurückzuführende psychische Belastungen ihrer Familie sind durchaus begreiflich, jedoch nicht vom Zweck des Pflegegeldes gemäß § 1 Abs. 1 TPGG umfasst.

Mit ihrem Vorbringen, eine soziale Härte sei aufgrund ihrer persönlichen Verhältnisse gegeben, weil sie durch die mit ihrer Krankheit zusammenhängende äußerliche Veränderung gesellschaftlichen Vorurteilen und Diskriminierungen begegne und deshalb auf eine individuelle Betreuung durch medizinisch und psychologische geschulte Fachkräfte angewiesen sei, ist die Beschwerdeführerin darauf hinzuweisen, dass sie im Verwaltungsverfahren außer dem oben bereits genannten Kindergartenbeitrag nicht die Notwendigkeit diesbezüglicher Auslagen behauptet hat.

Auch das Vorbringen, dass die Beschwerdeführerin seit ihrer Geburt in Österreich lebt, ihre Familie hier voll integriert ist und sie nur wegen ihrer unehelichen Geburt die Staatsbürgerschaft nach ihrer Mutter erworben hat, lässt nicht erkennen, warum eine soziale Härte im beschriebenen Sinne vorliegen soll. Hätte die Beschwerdeführerin nicht bereits seit mehr als drei Jahren ihren Hauptwohnsitz in Tirol, käme eine Nachsichterteilung nach § 3 Abs. 5 TPGG schon wegen der Kürze der Aufenthaltsdauer nicht in Betracht.

Aus den dargelegten Erwägungen war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 14. März 2000

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2000:1999110303.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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