TE Lvwg Erkenntnis 2018/3/12 VGW-102/013/14355/2017

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Veröffentlicht am 12.03.2018
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Entscheidungsdatum

12.03.2018

Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
90/01 Straßenverkehrsordnung

Norm

B-VG Art 130 Abs1 Z2
StVO 1960 §91 Abs1
StVO 1960 §100 Abs4

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Verwaltungsgericht Wien hat durch den Richter Dr. Helm über die Beschwerde der Frau K. L., vertreten durch Rechtsanwalt, gemäß Artikel 130 Abs. 1 Z 2 B-VG wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt durch eine unter ausdrücklichem Ausschluss der Bescheidqualität ergangene Aufforderung des Magistrates der Stadt Wien (Magistratsabteilung 46) vom 26.9.2017, zugestellt am 28.9.2017, bei ihrer Liegenschaft in Wien, Kreuzung K.-gasse/...weg, das Zurückschneiden der auf die öffentliche Verkehrsfläche überhängenden Äste zu veranlassen, widrigenfalls die MA 46 dies auf Kosten der Beschwerdeführerin veranlassen werde, gegen den Magistrat der Stadt Wien als belangte Behörde, zu Recht erkannt:

I. Der Beschwerde wird stattgegeben und die als Befehl zu wertende Aufforderung für rechtswidrig erklärt.

II. Der Rechtsträger der belangten Behörde (Gemeinde Wien) hat der Beschwerdeführerin zu Handen ihres Vertreters EUR 737,60 an Schriftsatzaufwand binnen 14 Tagen nach Zustellung der schriftlichen Ausfertigung bei sonstigem Zwang zu leisten. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

III. Die Anträge auf Befassung des Verfassungsgerichtshofes mit Anfragen werden zurückgewiesen.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE

1. Mit Schriftsatz vom 21.10.2017, per E-Mail zugestellt am 23.10.2017, erhob die Beschwerdeführerin Beschwerde Artikel 130 Abs. 1 Z 2 B-VG, worin sie zum Sachverhalt vorbringt:

„Die MA 46 erließ am 26.9.2017 zu GZ: MA 46/ALLG/8... einen Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt betreffend das Abschneiden von überhängende Teile eines Baumes, der mit „Aufforderung gemäß § 91/1 StVO“ betitelt ist. Der Beschwerdeführerin ist dieser Akt am 28.9.2017 zugegangen.“

Als Beilage 1 zur Beschwerde wird diese Aufforderung vorgelegt. Sie hat folgenden Wortlaut:

„Von der Magistratsabteilung 46 musste festgestellt werden, dass bei Ihrer Liegenschaft in Wien, K.-gasse # ...weg (Grundstücksnummer ...) durch in den Bereich des öffentlichen Gutes überhängende Teile des Baumes die Benützbarkeit dem Straßenverkehr dienenden Anlagen (öffentliche Beleuchtung durch Äste verwachsen) nicht gewährleistet ist.

Als Eigentümer der gegenständlichen Liegenschaft möchten wir Sie darauf hinweisen, dass dies unzulässig ist, und Sie dafür Sorge zu tragen haben, dass die sichere Benützung der öffentlichen Verkehrsfläche vor Ihrem Grundstück jederzeit zu gewährleisten ist.

Unter Hinweis auf die Bestimmungen des § 91 Abs.1 Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO) werden Sie somit aufgefordert, die Behinderungen bzw. Beeinträchtigungen ehestens zu beseitigen, d.h. das Zurückschneiden der Äste ehestens zu veranlassen.

Sollten Sie dieser Aufforderung ohne Begründung innerhalb von 3 Wochen nach Zustellung dieses Schreibens nicht Folge leisten, müssen Sie damit rechnen, dass die MA 46 auf Ihre Kosten, das Zurückschneiden der Äste veranlassen wird.

Dieses Schreiben gilt nicht als Bescheid gemäß § 58 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz (AVG).“ (Hervorhebung durch das Gericht)

Die Beschwerdeführerin bringt vor, sie sei wegen der Rechtsprechung, dass in einem späteren Kostenersatz sodann der Auftrag nicht mehr in Frage gestellt werden könne (OGH 1 Ob208/14s; 1 Ob203/12p; VwGH 10.06.1997, 96/07/0106) geradezu gezwungen, diesen rechtswidrigen und formal wie inhaltlich unzulässigen Rechtsakt zu bekämpfen, und beruft sich dabei auf Nichtigkeit, auf Verfahrensfehler und unrichtige rechtliche Beurteilung. Die Mängel des angefochtenen Verwaltungsaktes werden im Einzelnen wie folgt ausgeführt:

1.1. Fehlende Sachverhaltsfeststellung

Eine Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit nach § 91 Abs. 1 StVO 1960 müsse tatsächlich und konkret vorhanden sein oder unmittelbar drohen. Dies sei aber nicht der Fall. Darüber hinaus gehe aus der bekämpften Entscheidung nicht hervor, welche Äste welches Baumes zu entfernen seien. Es sei daher nicht einmal bestimmbar, ob die zurückzuschneidenden Äste von einem Baum stammen, der auf dem Grund der Beschwerdeführerin oder auf öffentlichem Gut stehe. Auch gehe aus der Entscheidung nicht hervor, welche Lampe beeinträchtigt sein soll, zumal sich im inhaltlichen Nahebereich mehrere Lampen befinden. Einer allfälligen Errichtung auf ihrem Grund habe die Beschwerdeführerin niemals ihre Zustimmung erteilt. Zudem sei der Verlauf der Grenze im Kataster nicht mit der realen Grundstücksgrenze identisch, weshalb die Beschwerdeführerin davon ausgehe, dass die wegzuschneidenden Äste und die dazu gehörenden Bäume sich nicht auf ihrer Liegenschaft befinden.

1.2. Nach dem ABGB habe der Beeinträchtigte die Äste auf seine Kosten abzuschneiden. Zum Grundstück gehöre gemäß § 97 ABGB alles, was sich in senkrechter Linie darüber befindet. § 422 ABGB erlaube es den beeinträchtigten Grundeigentümer, von einem anderen Grund überhängenden Äste abzuschneiden, wobei jedoch die Kosten jedoch von ihm zu tragen sind.

1.3. § 422 ABGB widerspreche dem „im Verordnungsrang [sic!] stehende § 91 Abs. 1 StVO“ und habe diesem damit materiellrechtlich derogiert.

1.4. Verletzung des rechtlichen Gehörs: Die belangte Behörde habe der Beschwerdeführerin unmittelbar einen Auftrag unter Drohung der Ersatzvornahme auf ihre Kosten erteilt, ohne ihr zuvor die Möglichkeit der Akteneinsicht oder der Stellungnahme einzuräumen.

1.5. Aktenwidrigkeit, zumal die Straße ausreichend beleuchtet sei und die Äste nicht – wie unrichtig behauptet - den Lichteinfall beeinträchtigen. In dem vage umschriebenen Bereich stehen im Übrigen mehrere Straßenlampen dicht nebeneinander, sodass ausreichend Licht vorhanden sei.

1.6. Das Fehlen einer Begründung.

1.7. AuvBZ statt Bescheid: Liege keine Gefahr im Verzug vor, so habe die belangte Behörde erforderliche Maßnahmen mit Bescheid aufzutragen. Jedoch habe die belangte Behörde Gefahr in Verzug nicht einmal erwähnt, geschweige denn festgestellt oder begründet. Sie habe damit die gegebenen Rechtsformen missbraucht, weil ein AuvBZ im Unterschied zu einem Bescheid verfahrensfrei ergehe und die Rechtsmittel der Betroffenen erheblich einschränke. Bei verfassungskonformer Interpretation hätte die Behörde die angefochtene Entscheidung in der Rechtsform eines Bescheides auszusprechen gehabt, dem ein rechtsstaatliches Ermittlungsverfahren voranzugehen habe. Die belangte Behörde dürfe nicht schlechter bekämpfbare Akte konstruieren, weil sonst das verfassungsgesetzlich gewährleistete Rechtsschutzsystem leerlaufen würde.

1.8. Wiener Baumschutzgesetz: Die in der angefochtenen Entscheidung eingeräumte Leistungsfrist von 3 Wochen reiche keinesfalls aus, um eine Bewilligung nach diesem Gesetz einzuholen.

1.9. Ein derartiger Auftrag sei nicht zulässig, wenn mit weniger einschneidenden Maßnahmen dasselbe Ziel erreicht werden könne. Dies sei zum Beispiel dann der Fall, wenn auch mit einem bloßen Ausästen in Verbindung mit der Anbringung einer Einrichtung zur Regelung und Sicherung des Verkehrs das Auslangen gefunden werden könne. Die Behörde sei nach § 422 ABGB berechtigt, selber Bäume auszusägen. Außerdem könne die Behörde allenfalls die Lampe tiefer setzen.

Die Beschwerdeführerin beantragt daher, der Maßnahmenbeschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, eine öffentliche mündliche Verhandlung und einen Lokalaugenschein durchzuführen, zwei Anfragen an den Verfassungsgerichtshof zu stellen – auf welcher Grundlage wird allerdings nicht dazugesagt – und den angefochtenen Verwaltungsakt kostenpflichtig für rechtswidrig zu erklären. Es werden Eingabengebühr, Fahrtkosten sowie die Pauschalbeträge für Schriftsatz- und Verhandlungsaufwand geltend gemacht.

2. Mit Schriftsatz vom 15.12.2017 legte die belangte Behörde auftragsgemäß den Verwaltungsakt zur Zl. MA 46- Allg/8... vor.

2.1. Unter einem erstattete sie zu ihrer GZ: ALLG/9... eine – mit Schriftsatz vom 22.12.2017 nochmals vorgelegte – Gegenschrift, in der sie vorweg ausführt:

„Das Verfahren begann mit einer Verfahrensanordnung mit Schreiben vom 25.9.2017 und wurde aus in § 91 StVO gelegenen Gründen eingestellt und ohne Erlassung eines Bescheides beendet. Denn eine Beeinträchtigung der Benützbarkeit der Beleuchtungen im Sinn des § 91 StVO ist nicht gegeben, da etwa - wie ein Ortsaugenschein und ein Vergleich der Fotos ergeben hat - Äste bzw. Bäume auf Grund im Privateigentum zurückgeschnitten sind. Einer Aufhebung eines Aktes bedarf es nicht bzw. auch nicht der Zuerkennung einer aufschiebenden Wirkung.“

Die MA 33 – Öffentliche Beleuchtung und Verkehrslichtsignale habe der Behörde mit Schreiben vom 21.9.2017 zur Adresse Wien, K.-gasse Kreuzung ...weg (Kreuzung ...weg) mitgeteilt, dass die öffentliche Beleuchtung durch Äste verwachsen sei, um behördliche Vorschreibungen von Baumschnittarbeiten an Eigentümer gebeten werde. Angeschlossen seien drei Fotos eines von Baumästen verwachsenen Lichtmastes, ein Plan zum Lichtmast und ein Plan mit Grundstücksgrenzen von Grundstücksnummer ... der KG ..., im Eigentum der Beschwerdeführerin gewesen. Die Behörde habe daraufhin das gegenständliche Schreiben erlassen (in der Folge wird dieses Schreiben wörtlich wiedergegeben und die Einwendungen der Beschwerdeführerin werden zusammenfassend wiedergegeben. Dann wird noch eine Reihe relevanter gesetzlicher Bestimmungen wiedergegeben).

Unter der Überschrift „Beweiswürdigung“ fährt die belangte Behörde fort:

„Durch die Bezeichnung der Kreuzung kam nur die eine verwachsene Lampe in Betracht. Nach jedermann im Internet einsehbaren Plänen mit Grundstücksgrenzen etwa wien.gv.at/stadtplan ist der Beleuchtungsmast ca. ein Meter vor der Grundgrenze aufgestellt. Die Grundstücksgrenze ist in der Natur durch den alten ca. 1 m vom Mast entfernten Maschendrahtzaun nachvollziehbar. Nach den Fotos ist der Beleuchtungsmast ca. 60 cm vom Fahrbahnrand auf öffentlichem Gut der Straße mit öffentlichem Verkehr aufgestellt. Bäume stock(t)en vor und hinter dem die Grenze bildenden Zaun, also auf öffentlichem Gut und auf dem Privatgrund. Äste rag(t)en in den Luftraum des öffentlichen Gutes. Aus dem Vergleich der Fotos ergibt sich, dass mittlerweile auf dem Grund der Beschwerdeführerin zumindest Ausästungen durchgeführt wurden. Das Schreiben vom 25.9.2017 ist auf das Zurückschneiden der Äste, nicht auf das Fällen von Bäumen gerichtet.“

In rechtlicher Hinsicht wird unter Anführung einschlägiger Judikatur (VwGH 18.10.2017, Ra 2017/02/0041 mit Hinweis auf 29.9.2009, 2008/18/0687; 1.3.2016, Ra 2016/18/0008) ausgeführt, es gelte als unverzichtbares Merkmal eines Verwaltungsaktes in der Form eines Befehls, dass Befehlsadressaten eine bei Nichtbefolgung unverzüglich einsetzende physische Sanktion angedroht werde. Liegt ein ausdrücklicher Befolgungsanspruch nicht vor, so kommt es darauf an, ob bei objektiver Betrachtungsweise aus dem Blickwinkel des Betroffenen bei Beurteilung des behördlichen Vorgehens in seiner Gesamtheit der Eindruck entstehen musste, dass bei Nichtbefolgung der behördlichen Anordnung in deren unmittelbaren zwangsweisen Durchsetzung zu rechnen ist.

Weiters wird vorgebracht: Weil das Gesetz auf Befehle, also auf normative Anordnungen abstelle, seien behördliche Einladungen zu einem bestimmten Verhalten auch dann nicht tatbildlich, wenn der Einladung Folge geleistet werde. Die subjektive Annahme einer Gehorsamspflicht ändere noch nichts am Charakter einer Aufforderung zum freiwilligen Mitwirken. Von einem Organwalter ausgesprochene bloße Aufforderungen seien keine Ausübung in unmittelbarer behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt. Denn in Rechte der Beschwerdeführerin sei weder rechtsgestaltend noch feststellend eingegriffen und weder eine unverzüglich einsetzende physische Sanktion angedroht worden noch habe der Eindruck entstehen können, dass im Falle der Nichtbefolgung mit einer zwangsweisen Durchsetzung vorgegangen werde. Eine Unverzüglichkeit bzw. Unmittelbarkeit einer Drohung könne mit Hinweis auf die dreiwöchige Frist widerlegt werden. Nach Auffassung der Behörde handle es sich nur um eine Verfahrensanordnung im Bescheidverfahren, gegen die gemäß § 7 Abs. 1 VwGVG eine abgesonderte Beschwerde nicht zulässig sei.

Die Behörde beantragt daher die kostenpflichtige Zurück-, in eventu Abweisung der Beschwerde.

2.2. Aufgrund des Inhalts der Gegenschrift wurde die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 12.1.2018 um Auskunft ersucht, ob – und gegebenenfalls in welcher Form – die von der Behörde behauptete Klaglosstellung eingetreten sei und ob sie selbst das Zurückschneiden der Äste (aufgrund der behördlichen Aufforderung) veranlasst habe, und gab ihr Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Beschwerdeführerin gab mit Schriftsatz vom 17.1.2018 an, weder sie als Liegenschaftseigentümerin noch ihr Vertreter noch ein Pächter haben Äste oder Bäume in irgendeiner Weise zurückgeschnitten. Es bestehe daher der „dringende Verdacht“, dass die MA 46 eine Ausästung oder ein Zurückschneiden der Bäume veranlasst habe oder selber durchgeführt habe. Sie spreche sich nicht gegen ein derartiges von der Behörde veranlasstes Zurückschneiden von Bäumen aus, solange dies nicht gesetzes- und verfassungswidrig auf ihre Kosten erfolge. Ein gleichzeitiges Auskunftsbegehren ist an die Verwaltungsbehörde gerichtet. In ihrer Stellungnahme fügt sich die Beschwerdeführerin hinzu, von einer Klaglosstellung durch die Durchführung der Ausästung durch die Einschreiterin oder eine ihr zurechenbarere Person könne keine Rede sein. Es ergebe sich aus dem Verwaltungsakt vom 25.9.2017 die klare Aussage und der Wille der Behörde, der Einschreiterin eine Verpflichtung aufzuerlegen, nämlich die Aufforderung Äste zurückzuschneiden samt der Androhung der Ersatzvornahme auf Kosten der Einschreiterin.

3. Der Beschwerde konnte bereits aus rechtlichen Erwägungen stattgegeben werden, ohne dass es einer mündlichen Verhandlung bedurft hätte. Dies nicht etwa wegen der abenteuerlichen Theorien des Vertreters über eine Derogation der gesetzlichen Bestimmungen des § 91 Abs. 1 StVO (bei der es sich laut Beschwerdevertreter um eine Verordnung handeln soll!) und welche die Verhältnisse auf öffentlichem Straßengrund ohne Rücksicht auf die Eigentums- und Besitzverhältnisse regelt, durch eine rein privatrechtliche ABGB-Bestimmung, sondern weil die Anordnung als Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehlsgewalt zu qualifizieren ist, nachdem die Behörde eine Erlassung in Form eines Bescheides ausdrücklich ausgeschlossen hat. Einem Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehlsgewalt mangelt es jedoch unter den gegebenen Umständen an der gesetzlichen Grundlage. Die Beschwerdeführerin ist sohin mit ihrem Vorbringen zu 1.7. im Recht.

3.1. § 91 Abs. 1 StVO lautet:

„Die Behörde hat die Grundeigentümer aufzufordern, Bäume, Sträucher, Hecken und dergleichen, welche die Verkehrssicherheit, insbesondere die freie Sicht über den Straßenverlauf oder auf die Einrichtungen zur Regelung und Sicherung des Verkehrs oder welche die Benützbarkeit der Straße einschließlich der auf oder über ihr befindlichen, dem Straßenverkehr dienenden Anlagen, z. B. Oberleitungs- und Beleuchtungsanlagen, beeinträchtigen, auszuästen oder zu entfernen.“

§ 99 StPO regelt die über Bestrafung von Übertretungen der StPO im Hinblick auf ihre Bestimmungen teils ausdrücklich, teils in Form subsidiärer Strafbestimmungen.

§ 100 Abs. 4 StVO lautet:

„Die Bestrafung einer Übertretung nach § 99 steht der Erlassung und Vollstreckung eines Bescheides, womit der Auftrag erteilt wird, einen den Vorschriften dieses Bundesgesetzes zuwiderlaufenden Tatbestand zu beseitigen, nicht entgegen.“

Festzuhalten ist ferner, dass § 91 StVO – anders als etwa die §§ 89a oder 92 StVO – weder eine Ermächtigung zur Ersatzvornahme noch eine Kostentragungsbestimmung enthält.

3.2. In rechtlicher Hinsicht ergibt sich daraus Folgendes:

Die verfahrensgegenständliche Anordnung des Magistrates der Stadt Wien legt der Beschwerdeführerin eine Leistungsverpflichtung auf, hat also einen normativen Gehalt. Noch dazu wird für den Fall der nicht fristgerechten Entfernung eine Ersatzvornahme auf Kosten der Beschwerdeführerin angedroht. Einen solchen Verwaltungsakt als „Verfahrensanordnung“ zu bezeichnen ist daher ebenso absurd wie das Vorbringen der belangten Behörde, es mangle am unverzüglichen Befolgungsanspruch, bloß weil aus vernünftigen praktischen Erwägungen eine Befolgungsfrist gewährt worden sei (nach deren fruchtlosen Verstreichen ohne weiteren Verzug die Ersatzvornahme droht).

Bei einem normativen Akt wie diesem kann es sich nur entweder um einen Bescheid oder um einen Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt handeln; andere normative, durchsetzbare Akte kennt das Verwaltungsrecht nicht. Es hilft daher auch der Behörde nichts, eine andere Bezeichnung dafür zu wählen.

Die beiden Formen normativer Akte unterscheiden sich einerseits in ihren Auswirkungen: Ist der AuvBZ ohne Dazwischentreten eines weiteren behördlichen Aktes durchsetzbar, so kann gegen einen Bescheid vor seiner Durchsetzung ein Rechtsmittelverfahren geführt werden; selbst nach seiner Bestätigung bedarf es zur Durchsetzung eines förmlichen Vollstreckungsverfahrens. Es ist somit – im Gegensatz zum Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt – ein umfassender Rechtsschutz des Betroffenen gewährleistet, während für den AuvBZ nur eine nachträgliche Überprüfungsmöglichkeit im Sinne des Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG besteht.

In der Wahl zwischen diesen beiden normativen Akten ist die Behörde nicht frei; sie hat überhaupt nur dann die Wahl, wenn für beides eine gesetzliche Grundlage besteht, muss sich dabei aber an die gegebenen Voraussetzungen halten (die bei einem AuvBZ in der Regel Gefahr in Verzug voraussetzen werden).

Betrachtet man die maßgebliche gesetzliche Bestimmung des § 91 Abs. 1 StVO, vor allem im Vergleich mit den §§ 89a oder 92, so findet sich darin keine Grundlage für einen ohne weiteres durchsetzbaren Befehl. Die gegenständliche behördliche Anordnung wäre sohin grundsätzlich als Bescheid zu qualifizieren, was auch im Lichte der obzitierten Bestimmung des § 100 Abs. 4 StVO schlüssig und systemkonform erscheint. Diesfalls wäre die Maßnahmenbeschwerde zurückzuweisen gewesen, weil ein AuvBZ nicht vorläge und mangels gesetzlicher Grundlage auch nicht davon auszugehen wäre, solange es sich der fragliche Verwaltungsakt als Bescheid qualifizieren lässt.

Im Gegenstand hat die Behörde jedoch im letzten Satz ihrer Anordnung ausdrücklich ausgeschlossen, einen Bescheid erlassen zu wollen, womit von fehlendem Bescheidwillen auszugehen ist. Da sich dadurch jedoch am normativen Charakter der Anordnung nichts ändert, ist diese sohin zwangsläufig als AuvBZ, in concreto als Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehlsgewalt zu qualifizieren. Da das Gesetz einen solchen Akt nicht vorsieht, liegt ein Missbrauch der Rechtsform vor (d.h. die Behörde hat die Bescheidqualität missbräuchlich ausgeschlossen) und ist die Beschwerdeführerin daher schon durch die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehlsgewalt als solche ohne gesetzliche Grundlage in ihren Rechten verletzt. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Der Antrag, zwei Anfragen an den Verfassungsgerichtshof zu stellen (welcher offenbar auf einer Verwechslung des VfGH mit dem Gerichtshof der Europäischen Union beruht) war zurückzuweisen. Zudem würde die erste Anfrage (betreffend die unter 1.3. vorgebrachte Derogation) eine rechtliche Absurdität darstellen; die zweite hingegen (iSd Punktes 1.7.) war ohne weiteres im Sinne der Beschwerdeführerin zu lösen.

4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 35 VwGVG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung, BGBl. II Nr. 517/2013. Ein Verhandlungsaufwand wäre nur bei Durchführung einer mündlichen Verhandlung zuzusprechen gewesen, auch Fahrtkosten sind der Beschwerdeführerin und ihrem Vertreter nicht entstanden. Der Ersatz der von der Beschwerdeführerin aufgewendeten Eingabengebühr wäre zwar nur recht und billig, kann aber aufgrund des § 35 VwGVG – welcher die Vorgängerbestimmung des § 79a AVG überall, außer in diesem Punkt, wörtlich übernommen hat, sodass von einem Reaktionsversehen kaum die Rede sein kann – nicht aufgrund des VwGVG erfolgen, sondern allenfalls im Wege der Amtshaftung.

5. Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Maßnahmenbeschwerde; Bescheid; Abgrenzung; Befehl; Aufforderung; Leistungsverpflichtung; Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehlsgewalt

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGWI:2018:VGW.102.013.14355.2017

Zuletzt aktualisiert am

14.05.2018
Quelle: Landesverwaltungsgericht Wien LVwg Wien, http://www.verwaltungsgericht.wien.gv.at
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