TE Vwgh Erkenntnis 2018/4/11 Ra 2017/08/0124

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Veröffentlicht am 11.04.2018
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Index

66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz;

Norm

ASVG §11 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler sowie die Hofräte Dr. Strohmayer und Mag. Stickler als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Sinai, über die Revision des C N in R, vertreten durch Dr. Ilse Grond, Rechtsanwältin in 3130 Herzogenburg, Rathausplatz 14, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 6. September 2017, W198 2132028- 2/218E und W198 2137795-1/100E, betreffend Pflichtversicherung nach dem ASVG und AlVG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Niederösterreichische Gebietskrankenkasse;

mitbeteiligte Parteien: 1.) W GmbH in S, vertreten durch die Schuppich Sporn & Winischhofer Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Falkestraße 6, 2.) Allgemeine Unfallversicherungsanstalt;

3.) Pensionsversicherungsanstalt; weitere Partei: Bundesministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird im Umfang der Anfechtung, somit soweit das Bundesverwaltungsgericht eine Pflichtversicherung des Revisionswerbers aufgrund seiner Tätigkeit für die W GmbH als Dienstgeberin gemäß § 4 Abs. 1 Z 1 iVm. Abs. 2 ASVG in der Kranken- , Unfall-, und Pensionsversicherung und gemäß § 1 Abs. 1 lit. a AlVG in der Arbeitslosenversicherung im Zeitraum vom 3. Juni 2014 bis 31. Dezember 2014 festgestellt hat, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Die Niederösterreichische Gebietskrankenkasse hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Der Antrag der erstmitbeteiligten Partei auf Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Mit Bescheid vom 27. Juni 2016 stellte die Niederösterreichische Gebietskrankenkasse (NÖGKK) die Pflichtversicherung des Revisionswerbers und weiterer 54 Personen aufgrund ihrer Tätigkeit als "Schlafberater" für die erstmitbeteiligte Partei gemäß § 4 Abs. 1 Z 1 iVm. Abs. 2 ASVG in der Kranken- , Unfall-, und Pensionsversicherung und gemäß § 1 Abs. 1 lit. a AlVG in der Arbeitslosenversicherung fest; und zwar hinsichtlich des Revisionswerbers im Zeitraum vom 3. Februar 2014 bis 31. Dezember 2014.

2 Gegen diesen Bescheid erhob unter anderem der Revisionswerber eine Beschwerde, in der er vorbrachte, er habe seine Tätigkeit für die erstmitbeteiligte Partei wirksam zum 2. Juni 2014 gekündigt. Nach diesem Zeitpunkt sei er für die erstmitbeteiligte Partei nicht mehr tätig gewesen. Der festgestellte Zeitraum der Pflichtversicherung sei daher unrichtig.

3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (unter anderem) die Beschwerde des Revisionswerbers als unbegründet ab und sprach aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4 In der Begründung seines Erkenntnisses traf das Bundesverwaltungsgericht umfangreiche Feststellungen zu der von den Schlafberatern - so auch vom Revisionswerber - für die erstmitbeteiligte Partei erbrachten Tätigkeit. Von den Schlafberatern seien die Produkte der erstmitbeteiligten Partei (orthopädische Schlafsysteme, insbesondere Matratzen) vertrieben worden. Nach den mit der erstmitbeteiligten Partei abgeschlossenen "Handelsvertreterverträgen" sei den Schlafberatern aus den erzielten Verkäufen eine Provision von 18 % des Nettorechnungsbetrages zugestanden. Hinsichtlich der im Revisionsverfahren noch strittigen Dauer der Pflichtversicherung führte das Bundesverwaltungsgericht im Rahmen seiner Feststellungen aus, die "Versicherungszeiten" der Schlafberater seien den Beilagen eins und zwei zu entnehmen. In der Beilage eins des Erkenntnisses wurde ein "Versicherungszeitraum" des Revisionswerbers vom 3. Februar 2014 bis 31. Dezember 2014 angegeben. In seinen Ausführungen zur Beweiswürdigung verwies das Bundesverwaltungsgericht hinsichtlich der "Versicherungszeiten" der Schlafberater auf im Akt befindliche (nur ihrer Art nach umschriebene) Unterlagen (Meldungen nach § 109 EStG, Auszüge aus den Aufwandskonten, Rechnungen, Verträge und Kündigungsschreiben). In rechtlicher Hinsicht folgerte das Bundesverwaltungsgericht mit näherer Begründung, es seien keine selbständigen Tätigkeiten, sondern Dienstverhältnisse nach § 4 Abs. 2 ASVG vorgelegen, und führte zur Dauer der Pflichtversicherung der Schlafberater aus, nach dem Inhalt der zwischen den Schlafberatern und der erstmitbeteiligten Partei abgeschlossenen "Handelsvertreterverträge" entstehe der Anspruch der Schlafberater auf Provision mit der Bezahlung der Ware durch die Kunden. Für das Ende der Pflichtversicherung sei nicht die Beendigung des Vertragsverhältnisses, sondern der Zeitpunkt, in dem der Anspruch der Schlafberater auf Provision entstehe, maßgeblich.

5 Gegen dieses Erkenntnis, soweit mit diesem eine Pflichtversicherung des Revisionswerbers über den 2. Juni 2014 hinaus festgestellt wurde, richtet sich die vorliegende Revision. Die NÖGKK erstattete eine Revisionsbeantwortung und beantragte, die Revision zurückzuweisen, in eventu als unbegründet abzuweisen. Die erstmitbeteiligte Partei brachte einen als Revisionsbeantwortung bezeichneten Schriftsatz ein, in dem sie sich den Ausführungen des Revisionswerbers anschloss und beantragte, der Revision Folge zu geben.

6 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 2 Z 1 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Der Revisionswerber bringt zur Zulässigkeit und Begründung seiner Revision im Wesentlichen vor, das Bundesverwaltungsgericht habe sich über sein Vorbringen, wonach seine Pflichtversicherung aufgrund der Beendigung der Tätigkeit für die erstmitbeteiligte Partei mit 2. Juni 2014 geendet habe, ohne Begründung hinweggesetzt.

7 Die Revision ist aus dem angeführten Grund zulässig und berechtigt.

8 Der Verwaltungsgerichtshof hat zur Begründungspflicht der Erkenntnisse der Verwaltungsgerichte gemäß § 29 VwGVG bereits wiederholt ausgesprochen, dass die Begründung jenen Anforderungen zu entsprechen hat, die in seiner Rechtsprechung zu den §§ 58 und 60 AVG entwickelt wurden. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erfordert dies in einem ersten Schritt die eindeutige, eine Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichende und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugängliche konkrete Feststellung des der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhaltes, in einem zweiten Schritt die Angabe jener Gründe, welche die Behörde im Falle des Vorliegens widerstreitender Beweisergebnisse in Ausübung der freien Beweiswürdigung dazu bewogen haben, gerade jenen Sachverhalt festzustellen, und in einem dritten Schritt die Darstellung der rechtlichen Erwägungen, deren Ergebnisse zum Spruch des Bescheides geführt haben.

9 Diesen Erfordernissen werden die Verwaltungsgerichte dann gerecht, wenn sich die ihre Entscheidungen tragenden Überlegungen zum maßgeblichen Sachverhalt, zur Beweiswürdigung sowie zur rechtlichen Beurteilung aus den verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen selbst ergeben.

10 Das Verwaltungsgericht hat neben der Durchführung aller zur Klarstellung des Sachverhaltes erforderlichen Beweise auch die Pflicht, auf das Parteivorbringen, soweit es für die Feststellung des Sachverhaltes von Bedeutung sein kann, einzugehen. Das Verwaltungsgericht darf sich über erhebliche Behauptungen und Beweisanträge nicht ohne Ermittlungen und ohne Begründung hinwegsetzen (vgl. zum Ganzen etwa VwGH 23.1.2018, Ra 2017/20/0187; 29.11.2017, Ro 2017/18/0002).

11 Gemäß § 11 Abs. 1 ASVG erlischt die Pflichtversicherung der im § 10 Abs. 1 ASVG bezeichneten Personen - somit insbesondere der Dienstnehmer -, soweit in den Abs. 2 bis 6 nichts anderes bestimmt wird, mit dem Ende des Beschäftigungs-, Lehr- oder Ausbildungsverhältnisses. Fällt jedoch der Zeitpunkt, zu dem der Anspruch auf Entgelt endet, nicht mit dem Zeitpunkt des Endes des Beschäftigungsverhältnisses zusammen, so erlischt die Pflichtversicherung mit dem Ende des Entgeltanspruches.

12 Das Erlöschen der Pflichtversicherung knüpft daher zunächst an das Ende des Beschäftigungsverhältnisses an (vgl. zum Begriff des sozialversicherungsrechtlichen Beschäftigungsverhältnisses VwGH 14.4.2010, 2007/08/0327). Fällt jedoch der Zeitpunkt, in dem der Anspruch auf Entgelt endet, nicht mit dem Zeitpunkt des Endes des Beschäftigungsverhältnisses zusammen, erlischt die Pflichtversicherung entweder bei Fortbestand des Beschäftigungsverhältnisses dem Grunde nach schon mit dem (früheren) Ende des Entgeltanspruches oder trotz früherer Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses erst mit dem (späteren) Ende des Entgeltanspruches (vgl. VwGH 23.4.2003, 99/08/0035).

13 Zu diesen Umständen enthält das angefochtene Erkenntnis hinsichtlich des Revisionswerbers keine Feststellungen. Hinsichtlich des Endes des Beschäftigungsverhältnisses lässt das Bundesverwaltungsgericht eine Auseinandersetzung mit dem Vorbringen des Revisionswerbers, wonach sein Beschäftigungsverhältnis in Folge seiner Kündigung am 2. Juni 2014 geendet habe, vermissen. Im Rahmen seiner rechtlichen Beurteilung geht das Bundesverwaltungsgericht erkennbar davon aus, dass der Zeitpunkt des Endes des Entgeltanspruches und damit das Erlöschen der Pflichtversicherung nicht mit dem Ende des Beschäftigungsverhältnisses zusammen gefallen sei, legt jedoch nicht offen, welcher Sachverhalt dieser Beurteilung hinsichtlich des Revisionswerbers zugrunde liegt.

14 Das angefochtene Erkenntnis war daher im angefochtenen Umfang gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

15 Der Antrag der erstmitbeteiligten Partei in ihrem als Revisionsbeantwortung bezeichneten Schriftsatz, der Revision Folge zu geben, ist der Sache nach als Revision zu verstehen, die schon aufgrund ihrer Verspätung zurückzuweisen ist (vgl. VwGH 12.12.2017, Ra 2017/22/0066; 10.1.2017, Ra 2016/02/0230). Die erstmitbeteiligte Partei hat im Übrigen bereits eine Revision gegen das hier angefochtene Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes erhoben, über die der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom heutigen Tag, Ra 2017/08/0122 und 0123, entschieden hat. Der Erhebung einer weiteren Revision steht daher auch der Grundsatz der Einmaligkeit der Revision (vgl. etwa VwGH 28.4.2016, Ro 2016/12/0007) entgegen.

16 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Das auf Ersatz der Eingabengebühr gerichtete Mehrbegehren war im Hinblick auf die sachliche Abgabenfreiheit nach § 110 ASVG abzuweisen.

Wien, am 11. April 2018

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2018:RA2017080124.L00

Im RIS seit

03.05.2018

Zuletzt aktualisiert am

26.07.2018
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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