TE Vwgh Erkenntnis 2018/4/13 Ra 2017/02/0040

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Veröffentlicht am 13.04.2018
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §52;
VStG §3 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwGVG 2014 §17;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Beck sowie die Hofräte Dr. N. Bachler und Mag. Straßegger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Harrer, über die Revision des G in S, vertreten durch Dipl. - Ing. Mag. Andreas O. Rippel, Rechtsanwalt in 1130 Wien, Maxingstraße 34, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Kärnten vom 19. Dezember 2016, Zl. KLVwG- 500/16/2016, betreffend Übertretung der StVO (Partei gemäß § 21 Abs. 1 Z 2 VwGG: Bezirkshauptmannschaft St. Veit an der Glan), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Kärnten hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346, 40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit dem Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft St. Veit an der Glan vom 29. Februar  2016 wurde der Revisionswerber schuldig befunden, er habe sich am 2. Oktober 2015 um 21:16 Uhr nach Aufforderung eines besonders geschulten und von der Behörde hierzu ermächtigten Organes der Straßenaufsicht geweigert, seine Atemluft auf Alkoholgehalt untersuchen zu lassen, obwohl er im Verdacht gestanden sei als Lenker des Kraftfahrzeuges mit einem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang zu stehen und das Kraftfahrzeug am Ort des Unfalles in einem vermutlich durch Alkohol beeinträchtigten Zustand gelenkt zu haben.

2 Er habe dadurch § 99 Abs. 1 lit b iVm § 5 Abs. 2 zweiter Satz  StVO verletzt. Über den Revisionswerber wurde eine Geldstrafe in der Höhe von EUR 1.600.-- (Ersatzfreiheitsstrafe: 2 Wochen) verhängt.

3 In der gegen das Straferkenntnis erhobenen Beschwerde brachte der Revisionswerber vor, es sei unrichtig, dass er sich geweigert hätte seine Atemluft auf Alkohol untersuchen zu lassen. Er sei von einem Beamten zum "Alkoholtest" aufgefordert worden, den er vorerst verweigert, aber dann eingewilligt habe. Das Ergebnis (0,70 mg/l) sei ihm mitgeteilt worden und er sei davon ausgegangen, die Amtshandlung sei damit beendet. Er sei zu keinem Zeitpunkt zu einem zweiten Test oder ähnlichem aufgefordert worden und ihm sei weder bewusst noch bekannt gewesen, dass eine weitere Untersuchung durchgeführt werden soll.

4 Mit Schriftsatz vom 20. Juli 2016 legte der Revisionswerber Befund und Gutachten eines gerichtlich beeideten Sachverständigen vor und berief sich auf den Schuldausschließungsgrund der mangelnden Zurechnungsfähigkeit. Das vorgelegte Sachverständigengutachten sei im Strafverfahren vor dem BG St. Veit an der Glan zur Schuld- und Einsichtsfähigkeit erstellt worden. In diesem Befund sei der Sachverständige zu folgender Beurteilung gelangt:

5 "Nach Angaben des Klienten und Einblick in den Akt wird eine stärkere Berauschung vorgelegen sein. Nach dem Unfall wirkte er verwirrt und kann sich an verschiedene Dinge und Zeitabläufe nicht erinnern. Er war also in diesem Zustand nicht in der Lage, das Recht oder Unrecht seiner Tat einzusehen und dementsprechend zu handeln."

6 Das Landesverwaltungsgericht Kärnten wies nach Durchführung von zwei mündlichen Verhandlungen mit dem angefochtenen Erkenntnis die Beschwerde als unbegründet ab und bestätigte das Straferkenntnis der erstinstanzlichen Behörde.

7 In der Begründung stellte das Verwaltungsgericht fest, dass der Revisionswerber bei dem Aufprall mit seinem Kopf die Windschutzscheibe durchschlagen habe und dabei unbestimmten Grades verletzt worden sei. Er habe seine ehemalige Lebensgefährtin telefonisch vom Unfall verständigt. Als diese an der Unfallstelle eingetroffen sei, sei der Revisionswerber am Kopf und im Gesicht blutverschmiert gewesen. Sie habe sich erkundigt, ob jemand die Rettung verständigt habe, was der Fall gewesen sei. Zwei Polizeibeamte seien danach an der Unfallstelle eingetroffen und dann die Rettung. Der Revisionswerber habe deutliche Alkoholisierungssymptome aufgewiesen. Er habe angegeben, dass seine ehemalige Lebensgefährtin das Fahrzeug gelenkt habe. Die beiden Beamten hätten daraufhin das Unfallfahrzeug besichtigt und am offenen Airbag auf der Fahrerseite Blutspuren festgestellt. Aufgrund der Spuren im Fahrzeug und der massiven Gesichtsverletzungen des Revisionswerbers hätten die Beamten geschlossen, dass der Revisionsweber das Fahrzeug gelenkt haben müsste. Die ehemalige Lebensgefährtin sei von den Beamten aufgeklärt worden, dass sie sich strafbar mache, wenn sie eine falsche Aussage tätige. Daraufhin habe diese angegeben, dass sie das Fahrzeug nicht gelenkt, sondern der Revisionswerber ihr gesagt habe, sie solle angeben, sie habe das Fahrzeug gelenkt. Einer der Beamten habe den Revisionswerber zum Alkoholvortest aufgefordert, welchen der Revisionswerber vorerst verweigert habe. In weiterer Folge habe dieser in den Alkoholvortest eingewilligt. Der Vortest habe einen Wert von 0,70 mg/l ergeben. Daraufhin habe einer der Beamten den Revisionswerber zum Alkomatentest aufgefordert. Der Revisionswerber habe diesen mit dem Hinweis verweigert, dass er nicht gefahren sei, sondern seine ehemalige Lebensgefährtin. Als die Beamten den Revisionswerber darauf hinwiesen, dass er aufgrund seiner Verletzungen mit der Rettung mitfahren müsse, habe dieser angegeben, dass ihm nichts fehle und es ihm gut gehe. Nach längerem Zögern sei er auf den Tragsessel gestiegen, von den Sanitätern in den Rettungswagen gehoben und in das Klinikum Klagenfurt gefahren worden. Der Rettungswagen sei im Klinikum vor der Notaufnahme stehen geblieben. Als die Sanitäterin die Schiebetür geöffnet habe, sei der Revisionswerber aus dem Fahrzeug ausgestiegen und davon gelaufen. Er habe ein Taxi gerufen und sich nach Hause fahren lassen. Einer der Beamten habe den Hund, der sich im Unfallauto befunden habe, in eine Tierklinik gebracht.

8 In Würdigung der aufgenommenen Beweise führte das Verwaltungsgericht aus, dass aus den Aussagen der einvernommenen Polizeibeamten klar hervorgehe, dass der Revisionswerber im Tatzeitpunkt zeitlich und örtlich orientiert sowie kontaktfähig gewesen sei. Die beiden Beamten hätten bestätigt, dass der Revisionswerber während der Amtshandlung und im Zeitpunkt der Aufforderung ansprechbar gewesen sei, auf die Fragen entsprechend reagiert und folgerichtige Antworten gegeben habe. Die Gesprächsinhalte zwischen den Beamten und dem Revisionswerber würden den berechtigten Schluss auf ein situationsangepasstes Verhalten zulassen. Er habe seine ehemalige Lebensgefährtin aufgefordert, gegenüber den Polizisten anzugeben, dass sie das Fahrzeug gelenkt habe. Weiters habe er der Sanitäterin zu verstehen gegeben, dass er sich im Klinikum nicht untersuchen lassen wolle und sei vor der Notfallaufnahme aus dem Rettungswagen ausgestiegen, davongelaufen und habe selbst ein Taxi verständigt, um nach Hause zu kommen. Diese Umstände würden den berechtigten Schluss auf ein situationsangepasstes Verhalten zulassen, sodass beim Revisionswerber zum Zeitpunkt der an ihn gerichteten Aufforderung, zur Untersuchung der Atemluft auf Alkoholgehalt mittels Alkomat, kein die Zurechnungsfähigkeit ausschließender Zustand vorgelegen habe.

9 Dem Vorbringen des Revisionswebers, er sei nur zum Vortest und nicht zum Alkomatentest aufgefordert worden, sei zu entgegnen, dass dieser den Alkomatentest mit der Begründung verweigert habe, dass er nicht gefahren sei. Die beiden Zeugen hätten übereinstimmend bestätigt, dass der Revisionswerber nach dem positiven Vortest zum Alkomatentest aufgefordert worden sei und er die Aufforderung auch verstanden habe, weshalb dem Vorbringen nicht zu folgen gewesen sei.

10 Wenn der Revisionswerber weiters einwende, das gerichtliche Sachverständigengutachten habe gezeigt, dass zum Tatzeitpunkt keine Schuld- und Einsichtsfähigkeit des Revisionswerbers vorgelegen habe, sei auszuführen, dass das vorgelegte psychiatrisch-neurologische Gutachten nicht im Beschwerdeverfahren erstellt worden sei. Der Sachverständige gehe im Gutachten auf das Verhalten des Revisionswerbers und die näheren Umstände nicht ein, sondern stütze sich lediglich auf die Angaben des Revisionswerbers, seine Krankengeschichte und den Gerichtsakt. Die abschließende Beurteilung des Sachverständigen, wonach der Revisionswerber in diesem Zustand nicht in der Lage gewesen sei, das Recht oder Unrecht seiner Tat einzusehen und dementsprechend zu handeln, sei nicht schlüssig begründet. Das im strafgerichtlichen Verfahren erstellte Gutachten sei somit nicht geeignet, eine mangelnde Zurechnungsfähigkeit des Revisionswerbers zum Tatzeitpunkt aufzuzeigen.

11 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich vorliegende Revision wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

12 Die belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung.

13 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

14 In der Zulässigkeitsbegründung der Revision wird zusammengefasst vorgebracht, dass zum Tatzeitpunkt keine Zurechnungsfähigkeit bestanden habe. Im gerichtlichen Strafverfahren, welches eine strafrechtlich relevante Handlung völlig zum identischen Zeitpunkt zu behandeln hatte, sei ein psychiatrisch-neurologisches Sachverständigengutachten zur Frage der Zurechnungsfähigkeit eingeholt worden. Das gerichtliche Sachverständigengutachten komme zum Schluss, dass eine Zurechnungsfähigkeit nicht vorgelegen sei. Aus diesen Gründen habe die zuständige Staatsanwaltschaft den Strafantrag zurückgezogen und sei das Strafverfahren mittels Beschluss eingestellt worden. Im gegenständlichen Verfahren sei das gerichtliche Sachverständigengutachten aus dem Strafverfahren beigeschafft worden und zusätzlich ein Antrag auf Beiziehung eines "verwaltungsgerichtlichen" Sachverständigen zur Frage der Zurechnungsfähigkeit gestellt worden. Diesem Beweisantrag sei das Landesverwaltungsgericht nicht nachgekommen. Die Abweisung des Beweisantrages widerspreche der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes.

15 Die Revision ist zulässig und aus den von dem Revisionswerber angeführten Gründen berechtigt.

16 Der vorliegende Sachverhalt gleicht jenem, der dem hg. Erkenntnis vom heutigen Tage, Ra 2018/02/0028 zugrunde liegt. Demnach bildet die Zurechnungsfähigkeit eine unbedingte Voraussetzung für die Strafbarkeit.

17 Nach ständiger Rechtsprechung ist die Frage, ob der Täter zur Tatzeit zurechnungsunfähig iSd § 3 Abs. 1 VStG war, bei Vorliegen von Indizien in Richtung einer mangelnden Zurechnungsfähigkeit zur Tatzeit nur auf der Grundlage eines medizinischen Sachverständigengutachtens - in der Regel aus dem Fachgebiet der Psychiatrie - von Amts wegen zu klären (VwGH 10.10.2014, Ro 2014/02/0104, mwN).

18 Liegen zumindest Anhaltspunkte für ein Geschehen vor, welches geeignet sein konnte, die Vorwerfbarkeit eines Verhaltens auszuschließen, ist das Verwaltungsgericht gehalten, sich damit auseinander zu setzen bzw. liegen Indizien in Richtung einer mangelnden Zurechnungsfähigkeit zur Tatzeit vor, so ist die Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens notwendig, um diese Frage hinreichend beurteilen zu können. (VwGH vom heutigen Tage, Ra 2018/02/0028; 24.2.2012, 2010/02/0122, jeweils mwN)

19 Zum einen stellte das Verwaltungsgericht fest, dass der Revisionswerber mit seinem Kopf die Windschutzscheibe durchschlagen habe und dabei unbestimmten Grades verletzt worden sei. Zum anderen liegt ein im gerichtlichen Strafverfahren eingeholtes Gutachten eines gerichtlich beeideten Sachverständigen zur Frage der Zurechnungsfähigkeit des Revisionswerbers im Tatzeitpunkt vor.

20 Nach der dargestellten Judikatur durfte das Verwaltungsgericht in einer solchen Konstellation die medizinisch zu beantwortende Frage der Zurechnungsfähigkeit nicht ohne Einholung eines Amtsgutachtens selbst bejahen. In diesem Zusammenhang haben die beweiswürdigenden Überlegungen des Verwaltungsgerichtes, wonach sich der Revisionswerber während der Amtshandlung "situationsangepasst" verhalten habe, außer Betracht zu bleiben.

21 Indem das Verwaltungsgericht entgegen der hg. ständigen Judikatur auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens verzichtete, welches für die rechtliche Beurteilung der Schuldfähigkeit des Revisionswerbers nach der Aktenlage erforderlich war, hat es sein Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit belastet.

22 Da somit der Sachverhalt in einem wesentlichen Punkt einer Ergänzung bedarf und Verfahrensvorschriften außer Acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung das Verwaltungsgericht zu einem anderen Ergebnis kommen hätte können, war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

23 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 13. April 2018

Schlagworte

Sachverständiger Erfordernis der Beiziehung ArztAllgemeinVerfahrensbestimmungen Amtswegigkeit des Verfahrens Mitwirkungspflicht Manuduktionspflicht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2018:RA2017020040.L00

Im RIS seit

02.05.2018

Zuletzt aktualisiert am

14.05.2018
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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