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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
FrG 1993 §15 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Robl und Dr. Rosenmayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ferchenbauer, über die Beschwerde des am 27. März 1953 geborenen T in Wien, vertreten durch Dr. Heinrich Vana, Rechtsanwalt in 1020 Wien, Taborstraße 10/2, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 20. September 1995, Zl. UVS-06/14/00439/94, betreffend Bestrafung wegen Übertretung des Fremdengesetzes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien (der belangten Behörde) vom 20. September 1995 wurde der Berufung des Beschwerdeführers, eines tunesischen Staatsbürgers, keine Folge gegeben und das Straferkenntnis vom 22. Juni 1994 mit der Maßgabe bestätigt, dass der Spruch zu lauten habe:
"Sie (Herr T) haben sich im Zeitraum 15.12.1992 bis 28.2.1994 als Fremder mit dem letzten bekannten Aufenthalt in Wien 16., Albrechtskreithgasse 4-6/1/5 im österreichischen Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufgehalten, indem Sie im Zeitraum 15.12.1992 bis 31.12.1992 nicht im Besitz eines Sichtvermerkes oder einer bescheidmäßig verlängerten Aufenthaltsberechtigung sowie im Zeitraum 1.1.1993 bis 28.2.1994 nicht im Besitz eines Sichtvermerkes, einer Bewilligung gemäß § 1 des Aufenthaltsgesetzes oder einer Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz gewesen sind.
Dadurch haben Sie im Zeitraum 15.12.1992 bis 31.12.1992 § 14b Abs. 1 Z. 4 i.V.m. § 2 Fremdenpolizeigesetz BGBl. Nr. 75/1954 i. d.F. BGBl. Nr. 190/1990 (in der Folge kurz: FrPG) und im Zeitraum 1.1.1993 bis 28.2.1994 § 82 Abs. 1 Z. 4 i.V.m. § 15 Abs. 1 FrG verletzt.
Wegen dieser Verwaltungsübertretung wird über Sie eine Geldstrafe von S 3.000,--, im Fall der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe von 3 Tagen bezüglich des Zeitraumes 15.12.1992 bis 31.12.1992 gemäß § 14b Abs. 1 FrPG und bezüglich des Zeitraumes 1.1.1993 bis 28.2.1994 gemäß § 82 Abs. 1 FrG verhängt.
Sie haben gemäß § 64 Abs. 1 und 2 VStG einen Beitrag zu den Kosten des erstinstanzlichen Strafverfahrens in der Höhe von 10 % der Strafe, das sind S 300,-- zu zahlen.
Außerdem sind die Kosten des Strafvollzuges zu ersetzen (§ 54d VStG)."
Der angefochtene Bescheid wurde im Wesentlichen damit begründet, dass der Beschwerdeführer am 26. Dezember 1990 in das Bundesgebiet eingereist sei. Am 15. April 1991 sei ihm ein bis zum 30. August 1991 gültiger Sichtvermerk erteilt worden. Erst am 9. Oktober 1991 habe der Beschwerdeführer neuerlich einen Antrag auf Erteilung eines befristeten Sichtvermerkes für die mehrmalige Wiedereinreise nach Österreich gestellt. Dieser Antrag sei von der Bundespolizeidirektion Wien mit Bescheid vom 14. Mai 1992 gemäß § 29 Abs. 1 und 3 des Passgesetzes 1969 abgewiesen worden. Der Bescheid sei durch Anschlag an der Amtstafel gemäß § 25 Zustellgesetz zugestellt worden und am 9. Juni 1992 rechtskräftig geworden. Der Reisepass des Beschwerdeführers sei, da die Bundespolizeidirektion Wien dessen Aufenthalt nicht habe ermitteln können, der Konsularabteilung der tunesischen Botschaft in Wien übermittelt worden.
Im Zuge einer Einvernahme des Beschwerdeführers in einem Verfahren zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes am 1. Dezember 1992 sei er davon in Kenntnis gesetzt worden, dass sein Sichtvermerksantrag vom 9. Oktober 1991 mit Bescheid vom 14. Mai 1992 abgelehnt worden und sein Reisepass der Konsularabteilung der Vertretungsbehörde seines Heimatstaates übermittelt worden sei. Dem Beschwerdeführer sei am 15. Dezember 1992 anlässlich seiner Entlassung aus der Schubhaft aufgetragen worden, sich unverzüglich mit seiner Vertretungsbehörde zwecks Ausstellung eines gültigen Reisepasses in Verbindung zu setzen, da andernfalls sämtliche Folgeanträge zur Einreichung eines Sichtvermerkes gemäß § 25 Abs. 1 des Passgesetzes 1969 abgelehnt werden müssten.
Am 26. Jänner 1993 habe der nunmehr rechtsfreundlich vertretene Beschwerdeführer den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung in Bescheidform gestellt. Zum Beweis dafür, dass er die Botschaft der Republik Tunesien aufgesucht hätte, um die Ausstellung eines Reisepasses zu beantragen, habe der Beschwerdeführer eine Anwesenheitsbestätigung (der Botschaft der Republik Tunesien) vom 25. Oktober 1993 vorgelegt. Die Botschaft habe auf Anfrage der Bundespolizeidirektion Wien jedoch mitgeteilt, dass der Beschwerdeführer an der Botschaft nicht bekannt wäre. Der Beschwerdeführer habe 1993 und 1994 mehrmals - jedoch erfolglos - die Vertretungsbehörde seines Heimatstaates aufgesucht, um die Ausstellung eines Reisepasses zu erwirken. Der Landeshauptmann von Wien habe mit Bescheid vom 23. Dezember 1994 den Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung einer Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz abgewiesen. Dagegen habe der Beschwerdeführer Berufung erhoben, das Berufungsverfahren sei derzeit noch nicht abgeschlossen.
Die Gültigkeitsdauer des dem Beschwerdeführer erteilten Sichtvermerkes sei am 31. August 1991 abgelaufen. Sein weiterer Aufenthalt im Bundesgebiet bis zum 28. Februar 1994 sei durch seine Anträge auf Ausstellung eines Sichtvermerkes vom 9. Oktober 1991 sowie auf Erlassung einer Aufenthaltsberechtigung in Bescheidform vom 27. Jänner 1993 nicht rechtmäßig geworden. Im vorliegenden Fall sei der Antrag auf Erteilung eines Sichtvermerkes erst zu einem Zeitpunkt eingebracht worden, als die Befristung des zuvor erteilten Sichtvermerkes bereits abgelaufen gewesen sei. Der Beschwerdeführer sei bereits mit Straferkenntnis vom 26. September 1991 wegen rechtswidrigen Aufenthaltes bestraft worden, er habe daher wissen müssen, dass sein weiterer Aufenthalt ohne einen Sichtvermerk bzw. eine Aufenthaltsberechtigung unrechtmäßig sei.
In der gegen diesen Bescheid gerichteten Beschwerde wird seine Aufhebung "als rechtswidrig" sowie der Zuspruch von Aufwandersatz beantragt.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die im Beschwerdefall maßgeblichen Bestimmungen des Fremdenpolizeigesetzes, BGBl. Nr. 75/1954 idF BGBl. Nr. 190/1990, sowie des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, lauten:
Fremdenpolizeigesetz:
"§ 2. (1) Fremde halten sich rechtmäßig im Bundesgebiet auf, wenn
1. sie unter Einhaltung der Bestimmungen des Passgesetzes in das Bundesgebiet eingereist sind, es sei denn, dass sie die Grenzkontrolle umgangen haben oder dass die Republik Österreich auf Grund zwischenstaatlicher Vereinbarung oder internationaler Gepflogenheit zu ihrer Rücknahme verpflichtet war;
2. ihnen von einer Sicherheitsbehörde ein Sichtvermerk erteilt oder mit Bescheid eine Aufenthaltsberechtigung verlängert wurde.
(2) Die Dauer des rechtmäßigen Aufenthaltes eines Fremden im Bundesgebiet richtet sich nach
1. der durch zwischenstaatliche Vereinbarung oder Bundesgesetz getroffenen Regelung;
2.
der Geltungsdauer eines Sichtvermerkes;
3.
der Befristung einer mit Bescheid verlängerten Aufenthaltsberechtigung.
(3) Fremde sind verpflichtet, den österreichischen Behörden oder ihren Organen auf eine bei der Vollziehung eines Bundesgesetzes ergehende Aufforderung hin die für ihre Aufenthaltsberechtigung maßgeblichen Dokumente vorzuweisen und sich erforderlichenfalls in Begleitung eines Organes an jene Stelle zu begeben, an der die Dokumente verwahrt sind. Sie sind außerdem verpflichtet, der Behörde und ihren Organen in begründeten Fällen auf Verlangen Auskunft über den Zweck und die beabsichtigte Dauer ihres Aufenthaltes im Bundesgebiet zu erteilen und den Besitz der Mittel zu ihrem Unterhalt nachzuweisen.
...
§ 14 b. (1) Wer
1. nach Verhängung eines Aufenthaltsverbotes nicht fristgerecht oder nach Verfügung der Ausweisung nicht unverzüglich ausreist oder
2. einem Aufenthaltsverbot zuwider in das Bundesgebiet zurückkehrt oder
3. sich, ohne im Besitz eines gültigen Reisedokumentes zu sein, unbefugt im Bundesgebiet aufhält oder
4. sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält (§ 2), begeht eine Verwaltungsübertretung und ist in den Fällen der Z 1 und 2 mit Geldstrafe bis zu 10 000 S oder mit Freiheitsstrafe bis zu 14 Tagen, sonst mit Geldstrafe bis zu 10 000 S zu bestrafen.
(2) Eine Bestrafung gemäß Abs. 1 Z 3 schließt eine solche wegen der zugleich gemäß Abs. 1 Z 4 begangenen Verwaltungsübertretung aus."
Fremdengesetz:
"§ 2. (1) Fremde brauchen für die Einreise, während des Aufenthaltes und für die Ausreise einen gültigen Reisepass (Passpflicht), soweit nicht anderes bundesgesetzlich oder durch zwischenstaatliche Vereinbarungen bestimmt wird oder internationalen Gepflogenheiten entspricht.
...
§ 15. (1) Fremde halten sich rechtmäßig im Bundesgebiet auf,
1. wenn sie unter Einhaltung der Bestimmungen des 2. Teiles und ohne die Grenzkontrolle zu umgehen eingereist sind oder
2. wenn ihnen eine Bewilligung gemäß § 1 des Aufenthaltsgesetzes oder von einer Sicherheitsbehörde ein Sichtvermerk erteilt wurde oder
3. solange ihnen Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz 1991, BGBl. Nr. 8/1992, zukommt.
...
§ 82. (1) Wer
1. nach Erlassung eines Aufenthaltsverbotes oder einer Ausweisung nicht rechtzeitig ausreist oder
2. einem Aufenthaltsverbot zuwider unerlaubt in das Bundesgebiet zurückkehrt oder
3. sich als passpflichtiger Fremder, ohne im Besitz eines gültigen Reisedokumentes zu sein, im Bundesgebiet aufhält oder
4. sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält (§ 15), begeht eine Verwaltungsübertretung und ist in den Fällen der Z 1 und 2 mit Geldstrafe bis zu 10 000 Schilling oder mit Freiheitsstrafe bis zu 14 Tagen, sonst mit Geldstrafe bis zu 10 000 Schilling zu bestrafen. Als Tatort gilt der Ort der Betretung oder des letzten bekannten Aufenthaltes.
(2) Eine Verwaltungsübertretung gemäß Abs. 1 Z 1 liegt nicht vor, wenn die Ausreise nur in ein Land möglich wäre, in das eine Abschiebung unzulässig (§§ 37 und 54 Abs. 4) ist, oder wenn dem Fremden ein Abschiebungsaufschub erteilt worden ist."
Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, im verfahrensgegenständlichen Zeitraum über einen Sichtvermerk, eine Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz oder eine sonstige Aufenthaltsberechtigung nicht verfügt zu haben. Insofern begegnet der angefochtene Bescheid auch nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes keinen Bedenken.
Der Beschwerdeführer hält den angefochtenen Bescheid aber deswegen für rechtswidrig, weil er durch entsprechende Anträge alle Schritte unternommen habe, um seinen Aufenthalt in Österreich zu legalisieren. Er habe Tunesien nicht aus freien Stücken verlassen, sondern sei zu diesem Schritt gezwungen gewesen, weil er als Mitglied einer tunesischen Widerstandsgruppe von der Regierung verfolgt worden sei und im Fall seiner Rückkehr nach Tunesien eine rechtswidrige Behandlung zu befürchten habe. Aus einer von ihm vorgelegten Bestätigung gehe hervor, dass er Mitglied einer näher genannten Widerstandsgruppe sei und in Tunesien um Leib und Leben zu fürchten habe. Dieser Umstand werde auch durch die Tatsache illustriert, dass die Vertretungsbehörde seines Heimatstaates über lange Zeit geleugnet habe, von seiner Anwesenheit in Österreich zu wissen, obwohl er regelmäßig dort vorgesprochen habe, um seinen Reisepass wieder zu erlangen. Für den Beschwerdeführer ergebe sich die unauflösbare Zwangslage, dass er einerseits auf Grund der ihm in Tunesien drohenden Verfolgung an der Rückkehr gehindert sei und anderseits durch seinen Verbleib in Österreich - die Ausreise in einen Drittstaat sei ihm unmöglich - einen Verwaltungsstraftatbestand verwirkliche. Der Beschwerdeführer meint, seine Bestrafung wäre wegen Notstands gemäß § 6 VStG unzulässig gewesen.
Der Beschwerdeführer zeigt damit im Ergebnis eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf. Zwar konnten die Anträge des Beschwerdeführers auf Ausstellung eines Sichtvermerks und auf Erlassung einer Aufenthaltsberechtigung in Bescheidform nicht die Rechtmäßigkeit des Aufenthaltes des Beschwerdeführers im Bundesgebiet bewirken. Die belangte Behörde hat aber im angefochtenen Bescheid selbst festgestellt, dass der Beschwerdeführer in den Jahren 1993 und 1994 mehrmals - jedoch erfolglos - die Vertretungsbehörde seines Heimatstaates aufgesucht habe, um die Ausstellung eines Reisepasses zu erwirken. Darüber hinaus hat der Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren vorgebracht, dass ihm in Tunesien aus religiösen Gründen Verfolgung drohe, und er von staatlichen Stellen registriert und mehrmals verhaftet worden und auch in einem Polizeigefängnis gefoltert worden sei. Dies sei auch der Grund, warum ihm kein Reisepass ausgestellt worden sei, was ihm auch ganz deutlich in der Konsularabteilung der tunesischen Botschaft mitgeteilt worden sei.
Bei dieser Sachlage hätte die belangte Behörde im Hinblick auf den - auch hinsichtlich des Tatbestandes des § 82 Abs. 1 Z. 4 FrG geltenden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 9. September 1999, Zl. 95/21/1162, mwN) - gesetzlichen Rechtfertigungsgrund des § 82 Abs. 2 FrG nähere Feststellungen dahingehend treffen müssen, ob die Ausreise des Beschwerdeführers nur nach Tunesien möglich gewesen wäre, und ob seine Abschiebung in diesen Staat im Sinn des § 37 Abs. 1 und 2 FrG unzulässig wäre. Wäre dem Beschwerdeführer - wie er behauptet - aber ohne sein Verschulden mangels eines Reisedokumentes die Ausreise überhaupt unmöglich gewesen (vgl. § 2 Abs. 1 FrG), so hätte ihm der Vorwurf, gegen § 82 Abs. 1 Z. 4 iVm § 15 Abs. 1 FrG verstoßen zu haben, wegen Unmöglichkeit der Herstellung eines gesetzmäßigen Zustandes (anders als in dem dem hg. Erkenntnis vom 18. September 1963, Slg. Nr. 6096/A, zu Grunde liegenden Fall) ebenfalls nicht gemacht werden dürfen.
Dies hat die belangte Behörde verkannt, weshalb der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 24. März 2000
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2000:1996210247.X00Im RIS seit
11.02.2002