TE OGH 2018/2/28 6Ob10/18s

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Veröffentlicht am 28.02.2018
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Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek, Dr. Nowotny sowie die Hofrätin Dr. Kodek als weitere Richter in der Familienrechtssache der Antragstellerin H***** M*****, vertreten durch Dr. Josef Lindlbauer, Rechtsanwalt in Enns, wider den Antragsgegner R***** M*****, vertreten durch Dr. Longin Josef Kempf und Dr. Josef Maier, Rechtsanwälte in Peuerbach, wegen Unterhalts, über den Revisionsrekurs der Antragstellerin gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 22. November 2017, GZ 43 R 411/17k-72, womit infolge Rekurses der Antragstellerin der Teilbeschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 20. Juli 2017, GZ 1 Fam 5/16s-62, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden insoweit bestätigt, als das Unterhaltsbegehren der Antragstellerin gegen den Antragsgegner für die Zeit ab 1. Oktober 2016 abgewiesen wird.

Hinsichtlich des Unterhaltsbegehrens der Antragstellerin gegen den Antragsgegner für die Zeit von 1. März 2015 bis 30. September 2016 werden die Entscheidungen der Vorinstanzen aufgehoben und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Die 1990 geborene Antragstellerin studiert seit 1. 3. 2013 an der Universität Wien Rechtswissenschaften; dieses Studium hat eine Regelstudiendauer von acht Semestern und eine Durchschnittsstudiendauer von 12,5 Semestern. Der Arbeitsaufwand umfasst 240 sogenannte „ECTS“-Punkte. Um das Studium in der Durchschnittszeit abschließen zu können, müssen daher pro Semester im Durchschnitt 19,2 ECTS-Punkte absolviert werden. Die Antragstellerin hat in den ersten beiden Semestern Prüfungen im Ausmaß von 37 ECTS-Punkten, im 3. und 4. Semester insgesamt Prüfungen im Ausmaß von 35,5 ECTS-Punkten, im 5. Semester Prüfungen im Ausmaß von 5,5 ECTS-Punkten und im 6. Semester Prüfungen im Ausmaß von 13 ECTS-Punkten absolviert. Im 7., 8. und 9. Semester ist die Antragstellerin zu acht weiteren Prüfungen angetreten, von denen sie fünf mit der Note „nicht genügend“, zwei mit der Note „genügend“ und eine mit der Note „sehr gut“ abgeschlossen hat. Sie hat in diesen drei Semestern insgesamt nur Prüfungen im Ausmaß von 17 ECTS-Punkten erfolgreich absolviert. Davon hat sie im 7. Semester keine einzige Prüfung, im 8. Semester Prüfungen im Ausmaß von 7 ECTS-Punkten und im 9. Semester eine Prüfung im Ausmaß von 10 ECTS-Punkten absolviert. Seit 1. 10. 2015 ist die Antragstellerin zusätzlich für das Studium Publizistik- und Kommunikationswissenschaften inskribiert. In diesem Studium hat sie bisher zwei Prüfungen im Ausmaß von insgesamt 10 ECTS-Punkten absolviert, seit Februar 2016 hat sie in diesem Studium keine Prüfungen mehr absolviert.

Zum einstweiligen Unterhalt der Antragstellerin gegenüber dem Antragsgegner, ihrem Vater, hat der erkennende Senat mit Beschluss vom 27. 2. 2017, 6 Ob 8/17w, entschieden. Auf diese Entscheidung wird verwiesen.

Die Tochter begehrt, ihren Vater beginnend mit 8. 2. 2016 bis auf weiteres zu einer monatlichen Unterhaltszahlung von 638 EUR sowie an rückständigem Unterhalt für die Zeit von 8. 2. 2013 bis 7. 2. 2016 zur Zahlung von 21.645,13 EUR zu verpflichten.

Der Vater begehrt die Abweisung des Unterhaltsbegehrens, weil die Tochter ihr Jusstudium im Wintersemester 2013/14, im Sommersemester 2014 und seit dem Sommersemester 2015 weder zielstrebig noch ernsthaft betrieben habe, sodass zumindest für die angegebenen Zeiten der Unterhaltsanspruch erloschen sei.

Das Erstgericht wies mit Teilbeschluss den Antrag der Tochter, ihren Vater ab 8. 2. 2013 zur Zahlung von Unterhalt zu verpflichten, für die Zeit ab 1. 3. 2015 ab und behielt die Entscheidung hinsichtlich des Zeitraums von 8. 2. 2013 bis 28. 2. 2015 sowie die Kostenentscheidung einer gesonderten Beschlussfassung vor.

Das Rekursgericht wies den Rekurs gegen den Entscheidungsvorbehalt zurück und bestätigte die erstinstanzliche Entscheidung im Übrigen. Es vertrat die Ansicht, die Tochter habe das Studium der Rechtswissenschaften ab Beginn des 5. Semesters, somit seit 1. 3. 2015 nicht mehr ernsthaft und zielstrebig betrieben und sei daher als selbsterhaltungsfähig zu betrachten. Dass sie das Studium noch innerhalb der Durchschnittsstudiendauer abschließen werde, sei aufgrund des negativen Trends der letzten fünf Semester sehr unwahrscheinlich.

Das Rekursgericht ließ den Revisionsrekurs gegen den bestätigenden Teil seines Beschlusses zu, weil zur Frage, ob es sich beim Studium der Rechtswissenschaften laut aktuellem Studienplan um ein gegliedertes Studium (drei Abschnitte bzw 16 Module) oder ein ungegliedertes Studium (die 182 ECTS-Punkte der 3 Abschnitte entsprechen nicht den insgesamt notwendigen 240 ECTS-Punkten) handle, keine höchstgerichtliche Rechtsprechung vorliege.

Gegen den Beschluss des Rekursgerichts richtet sich der Revisionsrekurs der Tochter mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne ihres Unterhaltsantrags. Hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag.

Der Vater beantragt in der Revisionsrekursbeantwortung, den Revisionsrekurs zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig und teilweise im Sinne des Aufhebungsantrags berechtigt.

Folgendes wurde erwogen:

1. Bei in Studienabschnitten gegliederten Studien mag die Regelung des § 2 Abs 1 lit b FLAG weiterhin eine geeignete Orientierungsgrundlage für die Frage, ob das Studium ernsthaft und zielstrebig betrieben wird, bilden. Fehlt jedoch eine derartige Gliederung in Studienabschnitte, wie etwa bei einem Bakkalaureatsstudium, so muss die erforderliche Kontrolle des periodischen Studienfortgangs durch eigenständige Beurteilung der vom Unterhaltswerber erbrachten Leistungen erfolgen (6 Ob 122/06v = RIS-Justiz RS0120928). Allerdings würde eine starre Differenzierung danach, ob das Studium in Studienabschnitte gegliedert ist, zu völlig unsachlichen Ergebnissen führen, beruht die Gliederung eines Studiums in Studienabschnitte einerseits oder in ein (nicht weiter untergliedertes) Bachelor- und Masterstudium andererseits doch teilweise auf völlig zufälligen Umständen, ohne dass dem der Sache nach ein entsprechender Unterschied zugrunde läge (6 Ob 118/14t = RIS-Justiz RS0120928 [T1]). Daher kann auch bei in Studienabschnitten gegliederten Studien eine eigenständige Beurteilung der vom Unterhaltswerber erbrachten Leistungen erfolgen (6 Ob 118/14t = RIS-Justiz RS0120928 [T2]).

2. Speziell zu dem in Studienabschnitte gegliederten Studium der Rechtswissenschaften liegen etwa die Entscheidungen 1 Ob 276/97f und 2 Ob 197/11a vor. In der erstgenannten Entscheidung wurde (nur) darauf abgestellt, ob der Unterhaltswerber im Entscheidungszeitpunkt sein Studium ernsthaft und zielstrebig betrieb; auf eine getrennte Betrachtung der Abschnitte stellte der Oberste Gerichtshof dabei nicht ab. In der zweitgenannten Entscheidung wurde für die Beurteilung der Ernsthaftigkeit und Zielstrebigkeit des Studiums die Tatsache herangezogen, dass der Antragsteller in den ersten beiden Semestern 47 der insgesamt 240 ECTS erworben hatte. Entgegen der Rechtsansicht des Rekursgerichts liegt daher hinreichend Judikatur (auch zum Studium der Rechtswissenschaften) vor, die die Beurteilung des vorliegenden Falls ermöglicht.

3. Für den vorliegenden Fall ergibt sich Folgendes:

3.1. Die Tochter strebt im Rechtsmittel offenbar eine semesterweise Betrachtung an, sodass Unterhalt immerhin für jene Semester oder Abschnitte zustehen müsse, in denen die Antragstellerin eine durchschnittliche Leistung erbringe. Hierzu wird die Tochter zunächst auf die vorstehenden Rechtsausführungen verwiesen (Punkte 1. und 2.). Im Übrigen wäre für die Tochter hier aber auch mit einer semesterweisen Betrachtung nichts gewonnen, weil sie seit dem 5. Semester in keinem Semester eine durchschnittliche Leistung erreicht hat.

3.2. Der noch weitergehenden Ansicht der Rechtsmittelwerberin, es dürfe überhaupt keine laufende Betrachtung angestellt, sondern erst bei Überschreiten der Durchschnittsstudiendauer ein Unterhaltsanspruch verneint werden, kann nicht beigetreten werden. Dies würde im Ergebnis bedeuten, dass Unterhalt immer zumindest für die Durchschnittsstudiendauer verlangt werden könnte, auch wenn der Unterhaltsberechtigte während dieser Zeit überhaupt keinen Studienfortschritt machte. Diese Sichtweise hat der erkennende Senat abgelehnt (6 Ob 118/14t; vgl auch 4 Ob 128/16a).

3.3. Die Tochter macht weiter geltend, die Entscheidung der Vorinstanzen stehe im Widerspruch zu den Entscheidungen im Provisorialverfahren (vgl 6 Ob 8/17w).

Hiermit ist die Tochter im Recht. Das Rekursgericht ist im Provisorialverfahren im Aufhebungsbeschluss vom 15. 7. 2016 (ON 28) davon ausgegangen, dass das Studium (gerade noch) ernsthaft und zielstrebig betrieben werde. Der Vater hat in seinen Rechtsmittelbeantwortungen im Provisorialverfahren diese Beurteilung nicht bekämpft, die Tochter naturgemäß auch nicht. Deshalb hat der Senat diese Frage in seiner Entscheidung im Provisorialverfahren (6 Ob 8/17w) auch nicht geprüft, sondern für den Zeitpunkt der erstinstanzlichen Entscheidung (16. 9. 2016) das hinreichend zielstrebige Studium seiner Entscheidung zugrunde gelegt. Andernfalls hätte zumindest ab einem bestimmten Zeitpunkt der Antrag auf einstweiligen Unterhalt abgewiesen werden müssen.

Bis zum Beginn des 8. Semesters (1. 10. 2016) ist somit zwischen den Parteien von einem gerade noch hinreichend ernsthaften und zielstrebigen Studium auszugehen, weshalb für die Zeit davor ein Unterhaltsanspruch zu bejahen ist.

3.4. Für die Zeit ab 1. 10. 2016, somit ab dem 8. Semester, ist aber die Beurteilung der Vorinstanzen nicht zu beanstanden. Die Tochter hat vom 5. bis zum 9. Semester 35,5 ECTS-Punkte erreicht. Dies macht im Durchschnitt 7,1 ECTS-Punkte pro Semester. Sie hat damit die erforderliche Durchschnittsleistung von 19,2 ECTS-Punkten pro Semester deutlich unterschritten. Dies trifft auch bei isolierter Betrachtung der Leistungen im 8. und 9. Semester (7 bzw 10 ECTS-Punkte) zu.

3.5. Das Vorbringen der Rechtsmittelwerberin über einen neuen Studienplan für das Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Wien ab 1. 10. 2017 sowie über Vorkommnisse im Wintersemester 2017/18 (10. Semester) verstößt gegen das Neuerungsverbot gemäß § 66 Abs 2 AußStrG und ist daher unbeachtlich.

4. Spruchreif ist die Sache daher nur für den Zeitraum ab 1. 10. 2016 im Sinn einer Bestätigung der Entscheidungen der Vorinstanzen. Für die Zeit von 1. 3. 2015 bis 30. 9. 2016 besteht dem Grunde nach Anspruch auf Unterhalt, dessen Höhe das Erstgericht zu ermitteln haben wird.

5. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 78 Abs 1 iVm § 101 Abs 2 AußStrG sowie auf dem Kostenvorbehalt des Erstgerichts.

Textnummer

E121195

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2018:0060OB00010.18S.0228.000

Im RIS seit

20.04.2018

Zuletzt aktualisiert am

28.06.2018
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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