TE Vfgh Erkenntnis 2018/2/27 E1328/2016

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Veröffentlicht am 27.02.2018
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Index

L8200 Bauordnung

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
Stmk BauG §26
Stmk RaumOG 2010 §22, §40
Stadtentwicklungskonzept 4.0 der Landeshauptstadt Graz §1, §28

Leitsatz

Verletzung im Gleichheitsrecht durch Abweisung der Beschwerde gegen einen die Errichtung eines Mehrparteien-Wohngebäudes im Landschaftsschutzgebiet bewilligenden Bescheid mangels Vorliegens eines Bebauungsplanes

Spruch

I. Die Beschwerdeführer sind durch das angefochtene Erkenntnis in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Das Land Steiermark ist schuldig, den Beschwerdeführern zuhanden ihrer Rechtsvertreterin die mit € 3.117,60 bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I.       Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1.       Die mitbeteiligte Partei, eine Wohnbau- und Grundstücksverwertungsgesellschaft mbH, beantragte mit Eingabe vom 9. August 2013 die Erteilung der Bewilligung für die Errichtung eines Neubaus mit 19 Wohneinheiten inkl. einer Tiefgarage mit 31 PKW-Abstellflächen, einer Aufzugsanlage, einer Solaranlage, einem Müllplatz im Freien sowie von Stützmauern und für Geländeveränderungen auf dem Grundstück mit der (aktuellen) Nr 1493/14, KG Geidorf. Der Stadtsenat der Landeshauptstadt Graz erteilte mit Bescheid vom 4. Mai 2015 die beantragte Baubewilligung unter Vorschreibung von Auflagen. Mehrere Nachbarn iSd §4 Z44 Steiermärkisches Baugesetz (im Folgenden: Stmk BauG) – darunter auch die nunmehrigen Beschwerdeführer – erhoben Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht Steiermark. Dieses wies mit Erkenntnis vom 17. Mai 2016 die Beschwerden ab.

2.       Die gegen dieses Erkenntnis beim Verfassungsgerichtshof erhobene, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde behauptet die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art7 B-VG) und auf Unversehrtheit des Eigentums (Art5 StGG) sowie die Verletzung in Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm, nämlich näher bezeichneter Bestimmungen des Flächenwidmungsplans 2002 der Landeshauptstadt Graz, und beantragt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, im Falle der Abweisung oder Ablehnung der Behandlung der Beschwerde ihre Abtretung an den Verwaltungsgerichtshof.

3.       Die Beschwerdeführer begründen ihre Beschwerde zum einen damit, dass §5 Abs1 Z6 Stmk BauG eine für den Verwendungszweck geeignete und rechtlich gesicherte Zufahrt von einer befahrbaren öffentlichen Verkehrsfläche als Voraussetzung für einen Bauplatz fordern würde. Die geplante Zufahrt zum Grundstück des konkreten Bauvorhabens sei aber weder geeignet noch rechtlich gesichert. Aus diesem Grunde sei nicht nur das angefochtene Erkenntnis willkürlich gefällt, sondern auch der anzuwendende Flächenwidmungsplan gesetzwidrig erlassen worden, weil in diesem gemäß §29 Steiermärkisches Raumordnungsgesetz 2010 (im Folgenden: Stmk ROG 2010) das Baugrundstück mangels Aufschließung nicht als vollwertiges Bauland, sondern als Aufschließungsgebiet auszuweisen gewesen wäre. Die Beschwerdeführer bringen weiters vor, dass die angefochtene Entscheidung deswegen willkürlich sei, weil eine Baubewilligung im Landschaftsschutzgebiet ohne Vorliegen eines Bebauungsplanes erteilt worden sei, obwohl §40 Abs4 Z3 Stmk ROG 2010 die Erlassung eines solchen verlange.

4.       Das Landesverwaltungsgericht Steiermark und der Gemeinderat der Landeshauptstadt Graz legten die bezughabenden Akten vor. Der Gemeinderat der Landeshauptstadt Graz und die beteiligte Partei erstatteten jeweils eine Äußerung. Auf die Äußerung des Gemeinderats der Landeshauptstadt Graz replizierten die Beschwerdeführer.

II.      Rechtsquellen

1.       §22 Abs7 Steiermärkisches Raumordnungsgesetz 2010 (Stmk ROG 2010) in der Stammfassung LGBl 49/2010 lautet:

"(7) Zur Vorbereitung der Bebauungsplanung soll die Gemeinde ein räumliches Leitbild als Teil des örtlichen Entwicklungskonzeptes erlassen. In diesem sind für das Bauland und für Sondernutzungen im Freiland insbesondere der Gebietscharakter sowie die Grundsätze zur Bebauungsweise, zum Erschließungssystem, zur Freiraumgestaltung und dergleichen festzulegen."

2.       §40 Abs4 Stmk ROG 2010 idF LGBl 96/2014 lautet (auszugsweise):

"(4) Die Erlassung von Bebauungsplänen hat jedenfalls zu erfolgen:

       1.-2. [...]

       3. In einem Landschaftsschutzgebiet gemäß den naturschutzrechtlichen Bestimmungen, wenn die zusammenhängend unbebauten Grundflächen 3000 m² übersteigen, sofern kein räumliches Leitbild gemäß §22 Abs7 erlassen wurde.

       4. [...]"

3.       §26 Steiermärkisches Baugesetz (Stmk BauG), LGBl 59/1995 idF LGBl 13/2011, lautete (auszugsweise):

"Nachbarrechte

§26. (1) Der Nachbar kann gegen die Erteilung der Baubewilligung Einwendungen erheben, wenn diese sich auf Bauvorschriften beziehen, die nicht nur dem öffentlichen Interesse, sondern auch dem Interesse der Nachbarn dienen (subjektiv-öffentlichrechtliche Einwendungen). Das sind Bestimmungen über

1. die Übereinstimmung des Vorhabens mit dem Flächenwidmungsplan und einem Bebauungsplan, soweit damit ein Immissionsschutz verbunden ist;

2. die Abstände (§13);

3. den Schallschutz (§77 Abs1);

4. die brandschutztechnische Ausführung der Außenwände von Bauwerken an der Nachbargrenze (§52 Abs2);

5. die Vermeidung einer sonstigen Gefährdung oder unzumutbaren Belästigung bzw. unzumutbaren Beeinträchtigung (§57 Abs2, §58, §60 Abs1, §66 zweiter Satz und §88);

6. die Baueinstellung und die Beseitigung (§41 Abs6).

(2)-(4) […]"

4.       Das 4.0 Stadtentwicklungskonzept (im Folgenden: STEK 4.0), Beschluss des Gemeinderates vom 14. Juni 2012 mit Ergänzungsbeschluss vom 28. Februar 2013, ist das geltende Örtliche Entwicklungskonzept gemäß §21 Stmk ROG 2010 der Landeshauptstadt Graz.

4.1. §1 STEK 4.0 lautet:

"§1 Umfang und Inhalt

Das 4.0 Stadtentwicklungskonzept besteht aus dem Wortlaut (Verordnungstext), der zeichnerischen Darstellung (Entwicklungsplan) samt Planzeichenerklärung und den folgenden Deckplänen:

?  Regionales Entwicklungsprogramm (Deckplan 1)

?  Nutzungsbeschränkungen (Deckplan 2)

?  Verkehr (Deckplan 3)

?  Verkehrslärm (Deckplan 4)

Der Verordnung ist ein Erläuterungsbericht beigefügt."

4.2. In §28 Abs8 STEK 4.0 wird als sachbezogene Maßnahme angeordnet:

"(8) Überarbeitung des Räumlichen Leitbildes und Erlass eines Räumlichen Leitbildes gemäß §22 Abs7 StROG als Grundlage für die Bebauungsplanung und Bauverfahren."

III.    Erwägungen

Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

1.       Die Beschwerdeführer bringen u.a. vor, dass sie "durch die Abweisung ihrer Rechtsmittel betreffend die Baubewilligung zur Errichtung eines Wohngebäudes mit Ampelanlage im Landschaftsschutzgebiet Nr 30 mangels Vorliegens eines Bebauungsplanes in ihrem Recht auf Gleichheit verletzt" worden seien. Sie stützen diese Behauptung auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 18. Juni 2014, B683/2012.

Diesem Vorbringen sind weder die Steiermärkische Landesregierung noch die beteiligte Partei in ihren Äußerungen entgegengetreten.

2.       Die Beschwerdeführer sind mit dem Vorbringen auch im Recht:

2.1. Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg 10.413/1985, 14.842/1997, 15.326/1998 und 16.488/2002) nur vorliegen, wenn die angefochtene Entscheidung auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn das Verwaltungsgericht der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat.

Ein willkürliches Verhalten kann dem Verwaltungsgericht unter anderem dann vorgeworfen werden, wenn es den Beschwerdeführer aus unsachlichen Gründen benachteiligt hat oder aber, wenn die angefochtene Entscheidung wegen gehäuften Verkennens der Rechtslage in einem besonderen Maße mit den Rechtsvorschriften in Widerspruch steht (zB VfSlg 10.065/1984, 14.776/1997, 16.273/2001).

2.2. Mit LGBl 81/1981 wurde u.a. ein "in der Stadtgemeinde Graz gelegenes Gebiet zum Zweck der Erhaltung seiner besonderen landschaftlichen Schönheit und Eigenart, seiner seltenen Charakteristik und seines Erholungswertes zum Landschaftsschutzgebiet nach dem Steiermärkischen Naturschutzgesetz 1976 erklärt. Dieses Gebiet wird als 'Landschaftsschutzgebiet Nr 30 (Nördliches und östliches Hügelland von Graz)' bezeichnet." Das Baugrundstück 1493/14, KG Geidorf, liegt in diesem Gebiet.

2.3. Gemäß §40 Abs4 Z3 Stmk ROG 2010 hat die Erlassung von Bebauungsplänen in einem Landschaftsschutzgebiet gemäß den naturschutzrechtlichen Bestimmungen "jedenfalls" zu erfolgen, wenn die zusammenhängend unbebauten Grundflächen 3000 m² übersteigen, sofern kein räumliches Leitbild gemäß §22 Abs7 Stmk ROG 2010 erlassen wurde.

Die Landeshauptstadt Graz verfügt seit mehr als 10 Jahren über ein Leitbild, das aber nicht in Form einer Verordnung als generelle, allgemein verbindliche Norm erlassen wurde. In §28 Abs8 STEK 4.0 wurde als eine Maßnahme die Überarbeitung dieses Räumlichen Leitbildes und der Erlass eines Räumlichen Leitbildes gemäß §22 Abs7 Stmk ROG 2010 (als Teil des örtlichen Entwicklungskonzeptes) zwar angeordnet, zumindest bis zum Zeitpunkt der Erlassung der angefochtenen Entscheidung wurde eine solche Verordnung aber nicht erlassen (s. hiezu 1.0 Räumliches Leitbild der Landeshauptstadt Graz, Auflage des Entwurfs, Erläuterungsbericht vom 15. Juni 2016, Z A 14-012412/2012/0092, S 1). Da auch die zusammenhängend unbebauten Grundflächen, in denen das Baugrundstück liegt, 3000 m² übersteigen, wäre gemäß §40 Abs4 Z3 Stmk ROG 2010 ein Bebauungsplan jedenfalls zu erlassen. Trotz dieser gesetzlichen Verpflichtung der Landeshauptstadt Graz zur Erlassung eines Bebauungsplans lag ein solcher zum Zeitpunkt der Erlassung der angefochtenen Entscheidung nicht vor.

2.4. Die Bestimmungen des Bebauungsplans können Nachbarrechte iSd §26 Abs1 Stmk BauG beeinflussen. So sieht §26 Abs1 Z1 Stmk BauG vor, dass "die Übereinstimmung des Vorhabens mit dem Flächenwidmungsplan und einem Bebauungsplan, soweit damit ein Immissionsschutz verbunden ist", unmittelbar Nachbarrechte begründet. Gemäß §26 Abs1 Z2 Stmk BauG sind die Bestimmungen über die Abstände (§13 Stmk BauG) die Grundlage für subjektiv-öffentlichrechtliche Einwendungen. Der Abs3 des die Abstände regelnden §13 Stmk BauG verweist auf den Bebauungsplan ("sofern durch einen Bebauungsplan [...] nichts anderes bestimmt ist"). Nachbarn können also aus dem Bebauungsplan unmittelbar oder mittelbar subjektive Rechte ableiten. Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zu Flächenwidmungs- und Bebauungsvorschriften haben Nachbarn jedenfalls einen Anspruch darauf, dass ein Bauwerk, das nach solchen Vorschriften nicht errichtet werden darf, auch nicht errichtet wird.

Im vorliegenden Fall, in dem die Erlassung eines Bebauungsplans zwingend vorgesehen ist, kann die Frage, ob die Baubewilligung für ein eingereichtes Bauprojekt zu erteilen ist, nur anhand eines Bebauungsplans abschließend beurteilt werden. Da ein solcher zum Entscheidungszeitpunkt nicht vorlag, hätte das Landesverwaltungsgericht Steiermark nicht zu dem Ergebnis kommen dürfen, dass die Beschwerde gegen die Baubewilligung abzuweisen ist (vgl. zum analogen Fall eines fehlenden Ortsbildkonzeptes VfGH 18.06.2014, B683/2012).

2.5. Die das angefochtene Erkenntnis erlassende Behörde hat durch dieses Verkennen der Rechtslage das angefochtene Erkenntnis mit Willkür iSd ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes belastet.

IV.      Ergebnis

1.       Die Beschwerdeführer sind somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.

2.        Das angefochtene Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

3.       Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4.       Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist ein Streitgenossenzuschlag in Höhe von € 218,–, Umsatzsteuer in Höhe von € 479,60 sowie der Ersatz der Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.

Schlagworte

Baurecht, Raumordnung, Bebauungsplan, Baubewilligung, Nachbarrechte, Rechte subjektive öffentliche

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2018:E1328.2016

Zuletzt aktualisiert am

19.04.2018
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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