RS Vfgh 2018/3/14 E507/2017

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Veröffentlicht am 14.03.2018
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Index

L5500 Baumschutz, Landschaftsschutz, Naturschutz

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Allg
EMRK 7. ZP Art4 Abs1
NaturschutzG Tir §6, §9, §23, §45
StGB §182 Abs2

Leitsatz

Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch Verhängung einer Verwaltungsstrafe wegen Vornahme von Geländeveränderungen sowie Abholzungen ohne naturschutzrechtliche Bewilligung; kein Verstoß gegen das Doppelbestrafungsverbot auf Grund Unterscheidung der Straftatbestände des StGB und Tir NaturschutzG in wesentlichen Elementen

Rechtssatz

Eine verfassungsrechtlich unzulässige Doppel- oder Mehrfachbestrafung iSd Art4 Abs1 7. ZPEMRK liegt nur dann vor, wenn eine Strafdrohung oder Strafverfolgung wegen einer strafbaren Handlung bereits Gegenstand eines Strafverfahrens war und dabei der herangezogene Deliktstypus den Unrechts- und Schuldgehalt eines Täterverhaltens vollständig erschöpft. Ein weitergehendes Strafbedürfnis entfällt daher in dieser Konstellation, weil das eine Delikt den Unrechtsgehalt des anderen Delikts in jeder Beziehung mitumfasst. Strafverfolgungen bzw Verurteilungen wegen mehrerer Delikte, deren Straftatbestände einander wegen wechselseitiger Subsidiarität, Spezialität oder Konsumtion ausschließen, bilden verfassungswidrige Doppelbestrafungen, wenn und weil dadurch ein und dieselbe strafbare Handlung strafrechtlich mehrfach geahndet wird. Eine gesetzliche Strafdrohung widerspricht dem Doppelbestrafungsverbot gemäß Art4 Abs1 7. ZPEMRK, wenn sie den wesentlichen Gesichtspunkt ("aspect") eines Straftatbestandes, der bereits Teil eines von den Strafgerichten zu ahndenden Straftatbestandes ist, neuerlich einer Beurteilung und Bestrafung durch die Verwaltungsbehörden unterwirft.

In den §§180 ff StGB wird das Rechtsgut Umwelt unter strafrechtlichen Schutz gestellt, wobei Beeinträchtigungen des Bodens, des Wassers, der Luft und des Tier- und Pflanzenbestandes erfasst werden. §182 Abs2 StGB schützt den Tier- und Pflanzenbestand und ist verwaltungsakzessorisch ausgestaltet, setzt also für eine Strafbarkeit voraus, dass "entgegen einer Rechtsvorschrift oder einem behördlichen Auftrag auf andere als die im §180 bezeichnete Weise eine Gefahr für den Tier- oder Pflanzenbestand in erheblichem Ausmaß herbei[ge]führt [wird]". Generelle Rechtsvorschriften, an die eine Strafbarkeit nach §182 Abs2 StGB anknüpft, sind (insbesondere auch) solche des Verwaltungsrechts, wenn sie einen umweltspezifischen Charakter haben. Ferner setzt eine Bestrafung nach §182 Abs2 StGB eine Gefährdung des Tier- und Pflanzenbestandes "in erheblichem Ausmaß" voraus. Diesbezüglich ist das ökologische Gewicht des drohenden Schadens entscheidend.

Verfolgt eine Vorschrift des Verwaltungsrechts den Schutz des von §182 Abs2 StGB erfassten Tier- und Pflanzenbestandes in erheblichem Ausmaß und wird wegen einer Übertretung einer solchen verwaltungsrechtlichen Vorschrift ein gerichtliches Strafverfahren wegen des Verdachts einer Übertretung des §182 Abs2 StGB durchgeführt und - wie im vorliegenden Fall - mit einem rechtskräftigen Freispruch beendet, schließt dies in weiterer Folge die Durchführung eines entsprechenden Verwaltungsstrafverfahrens aus. Nach Auffassung des VfGH unterscheiden sich aber die Straftatbestände jener Bestimmungen des Tir NaturschutzG, wegen deren Übertretung der Beschwerdeführer verwaltungsstrafrechtlich verfolgt und bestraft wurde, von der Bestimmung des §182 Abs2 StGB (vor dem Hintergrund des Art4 Abs1 7. ZPEMRK) in ihren wesentlichen Merkmalen.

Keine Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht gemäß Art4 Abs1 des 7. ZPEMRK, wegen derselben Sache nicht zweimal bestraft bzw vor Gericht gestellt zu werden.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Doppelbestrafungsverbot, ne bis in idem, Strafrecht, Verwaltungsstrafrecht, Strafe (Verwaltungsstrafrecht), Naturschutz

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2018:E507.2017

Zuletzt aktualisiert am

30.07.2019
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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