TE Vwgh Erkenntnis 2000/3/29 97/08/0436

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Veröffentlicht am 29.03.2000
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Index

20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);
62 Arbeitsmarktverwaltung;
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze;

Norm

ABGB §140;
NotstandshilfeV §6;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Nowakowski und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Brandtner, über die Beschwerde der G in W, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in W, gegen den aufgrund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom 13. Mai 1997, Zl. LGS-W Abt. 12/1218/56/1997, betreffend Notstandshilfe, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Arbeit, Gesundheit und Soziales) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 13.100,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin beantragte am 11. Dezember 1996 Notstandshilfe. Mit dem erstinstanzlichen Bescheid vom 30. Jänner 1997 wurde ihrem Antrag - nach Prüfung der Einkommensverhältnisse sowohl ihres Ehegatten als auch ihrer beiden Söhne - keine Folge gegeben. Zur Begründung wurde ausgeführt, das anrechenbare Einkommen des Ehegatten der Beschwerdeführerin übersteige "trotz Berücksichtigung der gesetzlichen Freigrenzen" die Höhe der der Beschwerdeführerin zustehenden Notstandshilfe.

In ihrer Berufung gegen diesen Bescheid machte die Beschwerdeführerin geltend, die bei der Anrechnung des Einkommens ihres Ehegatten zu berücksichtigende Freigrenze sei nicht nur im Sinne des § 36 Abs. 3 lit. B sublit. b erster Satz AlVG (also wegen des Lebensalters der Beschwerdeführerin und der Dauer des erschöpften Anspruchs auf Arbeitslosengeld), sondern auch im Hinblick auf die beiden als Lehrlinge beschäftigten Söhne erhöht, weshalb der Beschwerdeführerin Notstandshilfe gebühre.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung keine Folge. Die belangte Behörde ging von einer erhöhten Freigrenze für den Ehegatten der Beschwerdeführerin aus, vertrat hinsichtlich der beiden Söhne aber folgenden - rechnerisch zur Anrechnung eines den Notstandshilfeanspruch übersteigenden Einkommens des Ehegatten der Beschwerdeführerin führenden - Standpunkt:

"Freigrenzen für Ihre Söhne konnten deshalb nicht gewährt werden, da diese eine jeweils die Geringfügigkeitsgrenze übersteigende Lehrlingsentschädigung erhalten (Thomas S 8.292,74 und Christian S 4.986,61)."

Bei den erwähnten Beträgen handelt es sich - wie zwar nicht dem angefochtenen oder dem erstinstanzlichen Bescheid, aber den mit den Akten vorgelegten Lohnbescheinigungen zu entnehmen ist - um den vom Sohn Thomas, geboren am 15. Jänner 1977, im Dezember 1996 und den vom Sohn Christian, geboren am 24. Mai 1979, in den Monaten September bis Dezember 1996 jeweils bezogenen Nettobetrag an Lehrlingsentschädigung. Für den älteren Sohn der Beschwerdeführerin ist die Lehrlingsentschädigung der Monate September bis November 1996 in der Lohnbescheinigung mit dem gleichen Bruttobetrag, aber einem um S 80,-- höheren Nettobetrag als für Dezember 1996 angegeben (S 8.372,74 statt S 8.292,74).

Gegen die Annahme der belangten Behörde, eine "die Geringfügigkeitsgrenze übersteigende" Lehrlingsentschädigung stehe einer Erhöhung der Freigrenze im Hinblick auf die beiden Söhne entgegen, wendet sich die vorliegende Beschwerde. Nach den Ausführungen in der Beschwerde würde die Erhöhung der Freigrenze im Hinblick auf die beiden Söhne eine das Nettoeinkommen des Ehegatten der Beschwerdeführerin übersteigende Freigrenze ergeben, sodass der Beschwerdeführerin die Notstandshilfe ungekürzt zustünde.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, die folgende Rechtsausführungen enthält:

"Die BF geht davon aus, dass für ihre beiden Söhne die Freigrenzen hätten gewährt werden müssen.

Die belangte Behörde allerdings vertritt die Auffassung, dass für Personen, die in Beschäftigung stehen und dabei ein Einkommen erzielen, das über der Geringfügigkeitsgrenze liegt, eine Freigrenze nicht gewährt werden kann.

Die Söhne der BF erzielen ein Einkommen (Lehrlingsentschädigung) von S 8.292,-- bzw. 4.986,--. Da diese Einkommen jeweils über der Geringfügigkeitsgrenze liegen, konnten Freigrenzen nicht gewährt werden.

Das nunmehr, nach Abzug der zulässigen Freigrenzen verbleibende Einkommen des Gatten der BF, übersteigt jedoch schon rechnerisch die Notstandshilfe, weshalb in Übereinstimmung mit den geltenden gesetzlichen Bestimmungen ein Anspruch auf Notstandshilfe nicht gegeben war und daher die Berufung abgewiesen wurde."

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 6 Abs. 1 bis 3 der gemäß § 36 AlVG erlassenen Notstandshilfeverordnung, BGBl. Nr. 352/1973, zuletzt geändert mit BGBl. Nr. 240/1996, lauten:

"§ 6. (1) Bei Heranziehung des Einkommens des Ehepartners (Lebensgefährten bzw. der Lebensgefährtin) des (der) Arbeitslosen für die Beurteilung der Notlage ist wie folgt vorzugehen: Von dem Einkommen ist ein Betrag freizulassen, der zur Bestreitung des notwendigen Lebensunterhaltes des Ehepartners (Lebensgefährten bzw. der Lebensgefährtin) und der allenfalls von ihm zu versorgenden Familienmitglieder bestimmt ist (Freigrenze). Der die Freigrenze übersteigende Teil des Einkommens ist auf die Notstandshilfe anzurechnen.

(2) Die Freigrenze beträgt pro Monat 5 495 S für den das Einkommen beziehenden Ehepartner (Lebensgefährten bzw. die Lebensgefährtin) und 2 768 S für jede Person, für deren Unterhalt der Ehepartner (Lebensgefährte bzw. die Lebensgefährtin) aufgrund einer rechtlichen oder sittlichen Pflicht tatsächlich wesentlich beträgt.

(3) Die Freigrenze beträgt pro Monat 10 990 S für den das Einkommen beziehenden Ehepartner (Lebensgefährten bzw. die Lebensgefährtin) und 5 536 S für jede Person, für deren Unterhalt der Ehepartner (Lebensgefährte oder die Lebensgefährtin) aufgrund einer rechtlichen oder sittlichen Pflicht tatsächlich wesentlich beiträgt, wenn der Arbeitslose nach dem 50. Lebensjahr einen Anspruch auf Arbeitslosengeld für die Dauer von 52 Wochen (§ 18 Abs. 2 lit. b AlVG) oder länger erschöpft hat."

Gemäß § 7 Notstandshilfeverordnung sind die genannten Beträge jährlich in näher beschriebener Weise anzupassen.

Im Fall der Beschwerdeführerin scheint - trotz der Anführung nur des § 6 Abs. 2 Notstandshilfeverordnung im angefochtenen Bescheid - außer Streit zu stehen, dass die Freigrenzen nach § 6 Abs. 3 Notstandshilfeverordnung zu berechnen sind. Für die Lösung der allein strittigen Frage, ob bei der Anrechnung des Einkommens des Ehegatten der Beschwerdeführerin Freigrenzen für die beiden Söhne zu berücksichtigen sind, ist nach § 6 Notstandshilfeverordnung aber jedenfalls maßgeblich, ob der Ehegatte der Beschwerdeführerin zum "Unterhalt" der beiden Söhne "auf Grund einer rechtlichen oder sittlichen Pflicht tatsächlich wesentlich beiträgt".

Die belangte Behörde hat sich mit dem Zutreffen dieser Voraussetzung nicht auseinander gesetzt. Sie hat die angefochtene Entscheidung - in anscheinend autonomer, nicht näher begründeter Wertung - auf den Standpunkt gestützt, für Kinder, die eine "die Geringfügigkeitsgrenze" (gemeint offenbar: der nach § 5 Abs. 2 ASVG für die Geringfügigkeit eines Beschäftigungsverhältnisses maßgebliche Betrag) übersteigende Lehrlingsentschädigung erhalten, könnten keine Freigrenzen "gewährt werden". Der Versuch, einen Zusammenhang zwischen der "Geringfügigkeitsgrenze" und den von der belangten Behörde anzuwendenden Bestimmungen herzustellen, wird weder im angefochtenen Bescheid noch in der Gegenschrift unternommen. Ein solcher Versuch könnte auch nicht gelingen, weil die Höhe der Lehrlingsentschädigung nach § 6 Notstandshilfeverordnung zwar aus den noch darzustellenden Gründen nicht ohne Bedeutung ist, ihr Verhältnis zu dem für die sozialversicherungsrechtliche Geringfügigkeit einer Beschäftigung maßgeblichen Betrag mit der Frage, ob der Vater des Lehrlings zu dessen Unterhalt "aufgrund einer rechtlichen oder sittlichen Pflicht tatsächlich wesentlich beiträgt", aber erkennbar nichts zu tun hat. Der von der belangten Behörde demnach vorgenommene Austausch des rechtlich maßgeblichen Kriteriums gegen eine nur auf eigenem Gutdünken beruhende Voraussetzung belastet den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes.

Der Ansicht der Beschwerdeführerin, die Lehrlingsentschädigung habe wie beim Familienzuschlag außer Betracht zu bleiben, kann allerdings nicht gefolgt werden. Diese Ansicht würde voraussetzen, dass die für den Familienzuschlag in § 20 Abs. 2 AlVG getroffene Regelung auch im vorliegenden Zusammenhang heranzuziehen wäre, was nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes nicht der Fall ist. Mit der in § 6 Abs. 2 bis 4 Notstandshilfeverordnung jeweils erwähnten "rechtlichen Pflicht" wird vielmehr auf das Unterhaltsrecht verwiesen. Danach ist die Lehrlingsentschädigung - mit gewissen Abschlägen - in die Prüfung der Voraussetzungen für den Unterhaltsanspruch einzubeziehen, wobei als Orientierungshilfe für die Beurteilung der Selbsterhaltungsfähigkeit nicht etwa die sozialversicherungsrechtliche Geringfügigkeitsgrenze, sondern allenfalls die gesetzliche Mindestpension in Frage kommt (vgl. die Nachweise der reichhaltigen Rechtsprechung zu diesem Thema etwa bei Schwimann in Schwimann, ABGB2 I, § 140 Rz 80 ff). Dass im vorliegenden Fall eine Freigrenze für den jüngeren Sohn unter dem Gesichtspunkt einer Unterhaltspflicht des Vaters in Betracht kommt, scheint danach außer Frage zu stehen. Was den älteren Sohn anlangt, so ist - abgesehen von der Notwendigkeit eines Abzuges etwa solcher Teile der Lehrlingsentschädigung, die zur Deckung besonderer mit der Berufsausbildung verbundener Auslagen dienen - auch darauf hinzuweisen, dass Selbsterhaltungsfähigkeit die Fähigkeit zur selbständigen Haushaltsführung auch außerhalb des elterlichen Haushalts voraussetzt und daher nicht gegeben ist, solange das Kind auf die elterliche Unterkunftsgewährung oder Betreuung angewiesen ist (vgl. die Nachweise dazu bei Schwimann, a.a.O., Rz 90, und bei Pichler in Rummel, ABGB2, § 140 Rz 12; für Lehrlinge im Besonderen Knoll, ÖA 1988, 36). Dass als "wesentlicher Beitrag" zu demnach noch geschuldetem Unterhalt nicht nur ein finanzieller Beitrag in Frage kommt, hat der Verwaltungsgerichtshof in einem ähnlichen Zusammenhang schon hervorgehoben (vgl. das den Familienzuschlag betreffende Erkenntnis vom 5. September 1995, Zl. 94/08/0022, und die dort angeführte Vorjudikatur; zur Unmaßgeblichkeit der Geringfügigkeitsgrenze in einem vergleichbaren Zusammenhang etwa das Erkenntnis vom 27. März 1990, Zl. 88/08/0277, bereits mit Hinweisen auf die Rechtsprechung der ordentlichen Gerichte zur Frage der Selbsterhaltungsfähigkeit und auf die allenfalls heranzuziehende Mindestpensionshöhe).

Da die belangte Behörde sich mit der maßgeblichen Voraussetzung für die strittige Freigrenzenerhöhung bisher nicht auseinander gesetzt und die für die Prüfung dieser Voraussetzung erforderlichen Tatsachenfeststellungen auf Grund ihrer falschen Rechtsansicht nicht getroffen hat, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 29. März 2000

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2000:1997080436.X00

Im RIS seit

20.11.2000

Zuletzt aktualisiert am

27.10.2008
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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