TE Vwgh Erkenntnis 2000/3/31 2000/02/0007

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 31.03.2000
beobachten
merken

Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

B-VG Art140 Abs1;
B-VG Art83 Abs2;
FrG 1997 §61 Abs1;
FrG 1997 §69 Abs5;
FrG 1997 §72 Abs1;
FrG 1997 §73 Abs4;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Riedinger, Dr. Holeschofsky und Dr. Beck als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Breunlich, über die Beschwerde des J in W, vertreten durch Dr. Wolfgang Rainer, Rechtsanwalt in Wien I, Schwedenplatz 2/74, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom 29. November 1999, Zl. Senat-F-99-022, betreffend Fortsetzung der Schubhaft, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Spruchpunkt 1. ihres Bescheides vom 25. November 1999 wies die belangte Behörde die an sie gerichtete, auf § 72 Fremdengesetzes 1997 (FrG) gestützte Beschwerde des Beschwerdeführers, soweit sie dessen Anhaltung in Schubhaft vom 15. September 1999 bis 15. November 1999 betraf unter Berufung auf § 67c Abs. 4 AVG in Verbindung mit § 73 FrG ab. In Spruchpunkt 2. dieses Bescheides wurde "der Beschwerde, soweit sie die Rechtswidrigkeit der Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft vom 16. November 1999 bis zur Erlassung des ggst. Bescheides betrifft, als rechtswidrig erklärt". In Spruchpunkt 3. wurde gemäß § 73 Abs. 4 erster Satz FrG festgestellt, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen.

Die belangte Behörde führte in der Begründung aus, gegen den Beschwerdeführer bestehe ein aufrechtes, wenn auch durch Berufung bekämpftes Aufenthaltsverbot; der Beschwerdeführer sei mittellos, er habe keine geregelte Beschäftigung in Aussicht, er verfüge über kein Reisedokument, er sei nicht krankenversichert, es liege keine Verpflichtungserklärung für ihn vor und er gelte mangels eines ordentlichen Wohnsitzes als unterstandslos. Der Anhaltung in Schubhaft sei ein vollstreckbarer Schubhaftbescheid zu Grunde gelegen. Da der Beschwerdeführer offensichtlich mit Hilfe von Schleppern in das Bundesgebiet gelangt, seine Identität noch nicht zweifelsfrei geklärt und er in Österreich sozial nicht weiter integriert sei, müsse befürchtet werden, dass er sich nach einem negativen Ausgang des Asylverfahrens verborgen halten werde, weshalb die Anwendung gelinderer Mittel anstelle der Schubhaft nicht ausreichen würde. Da der Beschwerdeführer noch nicht übermäßig lange in Schubhaft angehalten werde und die Bezirkshauptmannschaft Baden als vor dem Unabhängige Verwaltungssenat im Land Niederösterreich belangte Behörde unverzüglich die erforderlichen fremdenpolizeilichen Schritte, insbesondere zur Erlangung eines Heimreisezertifikates, in die Wege geleitet habe, erweise sich die Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft ab seiner Inhaftnahme am 15. September 1999 bis zum 15. November 1999 durch § 56 Abs. 1 Z. 1 und § 69 Abs. 1 und 2 FrG gedeckt. Ab dem 16. November 1999 bis zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides erweise sich die Anhaltung des Beschwerdeführers als rechtswidrig, weil er entgegen § 69 Abs. 5 FrG nicht ordnungsgemäß über seine aus den Gründen des Abs. 4 dieser Gesetzesstelle erfolgende weitere Anhaltung in Kenntnis gesetzt worden sei. Da jedoch weiterhin die Voraussetzungen für die Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft gegeben seien, habe die belangte Behörde gemäß § 73 Abs. 4 FrG das Vorliegen dieser Voraussetzungen festzustellen gehabt. Diese Feststellung stelle für die weitere Anhaltung in Schubhaft einen neuen Titel dar, sodass der Frage, ob zuvor ein Verstoß gegen § 69 Abs. 5 FrG unterlaufen sei, insoweit keine Bedeutung zukomme.

Ausdrücklich nur gegen Spruchpunkt 3. dieses Bescheides richtet sich die Rechtswidrigkeit seines Inhaltes geltend machende

Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Die für die Beurteilung des Beschwerdefalles maßgeblichen

Bestimmungen des FrG lauten:

"§ 61 (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern dies notwendig ist, um das Verfahren zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes oder einer Ausweisung bis zum Eintritt ihrer Durchsetzbarkeit oder um die Abschiebung, die Zurückschiebung oder die Durchbeförderung zu sichern. Über Fremde, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten, darf Schubhaft nur verhängt werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, sie würden sich dem Verfahren entziehen.

. . . . . . . . . . .

(4) Die Verhängung der Schubhaft kann mit Beschwerde gemäß § 72 angefochten werden.

§ 69 (1) Die Behörde ist verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauert.

(2) Die Schubhaft darf nur so lange aufrechterhalten werden, bis der Grund für ihre Anordnung weggefallen ist oder ihr Ziel nicht mehr erreicht werden kann. Sie darf außer in den Fällen des Abs. 4 insgesamt nicht länger als zwei Monate dauern.

(3) Wird ein Aufenthaltsverbot oder eine Ausweisung durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.

(4) Kann oder darf ein Fremder nur deshalb nicht abgeschoben werden,

1. weil über einen Antrag gemäß § 75 noch nicht rechtskräftig entschieden ist oder

2. weil die Feststellung seiner Identität und Staatsangehörigkeit nicht möglich ist oder

3. weil er die für die Ein- oder Durchreise erforderliche Bewilligung eines anderen Staates nicht besitzt oder

4. weil er die Abschiebung dadurch vereitelt, dass er sich der Zwangsgewalt (§ 60) widersetzt, so kann die Schubhaft bis zum Ablauf der vierten Woche nach rechtskräftiger Entscheidung (Z 1), nach Feststellung der Identität und Staatsangehörigkeit (Z 2), nach Einlangen der Bewilligung bei der Behörde (Z 3) oder nach Vereitelung der Abschiebung (Z 4), insgesamt jedoch nicht länger als sechs Monate aufrecht erhalten werden; Abs. 6 bleibt jedoch unberührt.

(5) Die Behörde hat einen Fremden, der ausschließlich aus den Gründen des Abs. 4 in Schubhaft anzuhalten ist, hievon unverzüglich niederschriftlich in Kenntnis zu setzen.

     . . . . . . . . . . . . . . .

§ 72 (1) Wer gemäß § 63 festgenommen worden ist oder unter Berufung

auf dieses Bundesgesetz angehalten wird oder wurde, hat das Recht,

den unabhängigen Verwaltungssenat mit der Behauptung der

Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme oder der

Anhaltung anzurufen."

     . . . . . . . . . . . . . . .

§ 73 (4) Sofern die Anhaltung noch andauert, hat der unabhängige Verwaltungssenat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen. Im Übrigen hat er im Rahmen der geltend gemachten Beschwerdepunkte zu entscheiden. Die Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides ist jedoch als unzulässig zurückzuweisen, wenn der Fremde vor der Festnahme deswegen auch den Verwaltungsgerichtshof oder den Verfassungsgerichtshof angerufen hat."

Der Beschwerdeführer vertritt unter Hinweis auf die Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes vom 23. Juni 1994, B 2019/93 und vom 28. November 1994, B 218/94, die Auffassung, der Umstand, dass er über den Grund seiner Anhaltung nach dem 15. November 1999 nicht entsprechend den Bestimmungen des § 69 Abs. 5 FrG in Kenntnis gesetzt worden sei, belaste diese Anhaltung nicht nur bis zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides mit Rechtswidrigkeit, sondern ziehe infolge der Unheilbarkeit dieses Mangels auch die Rechtswidrigkeit der Fortsetzung der Schubhaft nach Erlassung des angefochtenen Bescheides bzw. die Rechtswidrigkeit der Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft nach sich.

Bereits in seinem Erkenntnis vom 7. April 1994, Zlen. 94/02/0197, 0198 und 0282, hat der Verwaltungsgerichtshof ausgeführt, dass eine Verletzung der behördlichen Verpflichtung, einen in Schubhaft Angehaltenen über die den Zeitraum von zwei Monaten übersteigende Aufrechterhaltung der Schubhaft zu verständigen, einen Verfahrensmangel darstelle, dessen Wesentlichkeit - insbesondere inwieferne der Beschwerdeführer im Fall einer rechtmäßigen Verständigung von der Verlängerung der Schubhaft besser gestellt wäre - darzulegen sei. In seinem Erkenntnis vom 27. Jänner 1995, Zl. 94/02/0363, hat der Verwaltungsgerichtshof in einem vergleichbaren Beschwerdefall unter Bezugnahme auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshof vom 23. Juni 1994, B 2019/93, dargelegt, dass die Entscheidung eines unabhängigen Verwaltungssenates gemäß § 52 Abs. 4 FrG (1992) (nunmehr - abgesehen vom hier unwesentlichen dritten Satz - gleichlautend § 73 Abs. 4 FrG), dass die Voraussetzungen für die weitere Anhaltung bestehen - in diesem Umfang war im damaligen Beschwerdefall die Behandlung der Beschwerde vom Verfassungsgerichtshof abgelehnt und die Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof abgetreten worden -, einen neuerlichen Titel für die Anhaltung der betreffenden Person in Schubhaft darstelle (Hinweis auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 18. Dezember 1993, B 2091/92). Daraus folge, dass bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit dieses Ausspruches bzw. des Vorliegens der Voraussetzungen für die Aufrechterhaltung der Schubhaft der Umstand, dass § 48 Abs. 5 FrG (1992) (nunmehr gleichlautend § 69 Abs. 5 FrG) verletzt worden ist, keine Rolle mehr spiele. Es sei daher unabhängig davon zu prüfen, ob die Schubhaft zum Zeitpunkt der Erlassung des vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheides zur Sicherung der im § 41 Abs. 1 FrG (1992) (nunmehr gleichlautend § 61 Abs. 1 erster Satz FrG) genannten fremdenpolizeilichen Maßnahmen erforderlich war. Ein Beschwerdevorbringen, welches sich auf die Verpflichtung der Behörde nach § 48 Abs. 5 FrG (1992) beziehe, gehe daher ins Leere.

Die vorliegende Beschwerde bietet keinen Anlass, von dieser Rechtsprechung abzugehen. Das Beschwerdevorbringen, mit dem geltend gemacht wird, der unabhängigen Verwaltungssenat sei im Fall eines "durchschlagenden" Rechtmäßigkeitsmangels der vorangegangenen Schubhaft nicht berechtigt, die in § 73 Abs. 4 FrG geregelte Feststellung zu treffen, findet angesichts des Umstandes, dass zufolge der angeführten Judikatur dieser Feststellung das Ergebnis der - unabhängig von der Frage der Rechtmäßigkeit der bisherigen Schubhaft vorzunehmenden - Prüfung der Voraussetzungen für die Anhaltung in Schubhaft im Zeitpunkt der Entscheidung des unabhängigen Verwaltungssenates zu Grunde zu legen ist, keine rechtliche Deckung. Insbesondere ist für die Beschwerde mit dem Hinweis auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 12. März 1992, Zlen. G 346/91 u. a., nichts zu gewinnen, weil sich daraus nicht entnehmen lässt, eine Entscheidung des unabhängigen Verwaltungssenates wie die vorliegend bekämpfte, sei rechtswidrig.

Der Beschwerdeführer erblickt in der Regelung des § 73 Abs. 4 FrG die Normierung einer Zuständigkeitskonkurrenz zwischen der Fremdenpolizeibehörde und dem unabhängigen Verwaltungssenat bzw. ein Verstoß gegen Art. 83 Abs. 2 B-VG (wonach niemand seinem gesetzlichen Richter entzogen werden darf). Eine solche Zuständigkeitskonkurrenz liegt deshalb nicht vor, weil der unabhängige Verwaltungssenat nur dann zur Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft berufen ist, wenn er gemäß § 72 Abs. 1 FrG angerufen wurde und die Schubhaft im Zeitpunkt seiner Entscheidung noch andauert. In einem solchen Fall ist - bezogen auf diesen Zeitpunkt - eine Zuständigkeit der Fremdenpolizeibehörden zur Erlassung eines (neuen) Schubhaftbescheides ausgeschlossen, weil - wie sich aus den bereits zitierten Erkenntnissen des Verwaltungsgerichtshofes vom 27. Jänner 1995, Zl. 94/02/0363, und des Verfassungsgerichtshofes vom 18. Dezember 1993, B 2091/92, ergibt - die gemäß § 73 Abs. 4 FrG ergehende Entscheidung des unabhängigen Verwaltungssenates einen neuen Titelbescheid für die weitere Anhaltung in Schubhaft darstellt.

Da somit weder eine Zuständigkeitskonkurrenz noch - zufolge der durch das Gesetz vorgenommenen klaren Abgrenzung der Zuständigkeit des unabhängigen Verwaltungssenates - ein Verstoß gegen Art. 83 Abs. 2 B-VG vorliegt, war der Anregung des Beschwerdeführers, beim Verfassungsgerichtshof die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des § 73 Abs. 4 FrG zu beantragen, nicht näher zu treten.

Die sich somit insgesamt als unbegründet erweisende Beschwerde war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 31. März 2000

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2000:2000020007.X00

Im RIS seit

20.11.2000

Zuletzt aktualisiert am

23.04.2013
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten