TE Vwgh Erkenntnis 2018/2/22 Ra 2018/11/0014

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Veröffentlicht am 22.02.2018
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Index

E6J;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
60/01 Arbeitsvertragsrecht;
60/02 Arbeitnehmerschutz;
62 Arbeitsmarktverwaltung;

Norm

62013CJ0586 Martin Meat VORAB;
AÜG §3 Abs3;
AVRAG 1993 §7d Abs1;
AVRAG 1993 §7d Abs2;
AVRAG 1993 §7i Abs4 Z3;
VwGG §42 Abs2 Z1;

Beachte

Serie (erledigt im gleichen Sinn):Ra 2018/11/0015 E 8. März 2018

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Rigler und den Hofrat Dr. Grünstäudl sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Soyer, über die Revision des Ing. Mag. G F in W, vertreten durch Mag. Klaus Ferdinand Lughofer, Dr. Alexander Mirtl, Mag. Dieter Niederhumer, Mag. Ariane Jazosch und Mag. Thomas Moser, Rechtsanwälte in 4020 Linz, Graben 16, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Oberösterreich vom 9. Oktober 2017, Zl. LVwG-301240/34/BMa/FE, betreffend Übertretung des AVRAG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Perg), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird, soweit es das erstinstanzliche Straferkenntnis bestätigt und dem Revisionswerber insoweit auch einen Kostenbeitrag vorschreibt, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde, soweit mit Revision bekämpft, der Revisionswerber als nach außen zur Vertretung Berufener der B. GmbH schuldig erkannt, diese Gesellschaft habe es am 17. Juni 2015 als inländische Beschäftigerin von zwei namentlich genannten ungarischen Arbeitskräften im Rahmen der grenzüberschreitenden Arbeitskräfteüberlassung unterlassen, deren Lohnunterlagen am Arbeitsort bereitzuhalten und damit gegen § 7d Abs. 1 iVm Abs. 2 AVRAG (hier in der zum angelasteten Tatzeitpunkt maßgebenden Fassung BGBl. I Nr. 94/2014) verstoßen. Über den Revisionswerber wurden deshalb gemäß § 7i Abs. 4 Z 3 AVRAG Geldstrafen verhängt und ein Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens (vom Verwaltungsgericht auch hinsichtlich des Beschwerdeverfahrens) vorgeschrieben.

2 Gleichzeitig wurde gemäß § 25a VwGG ausgesprochen, dass eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig sei.

3 Begründend stellte das Verwaltungsgericht nach durchgeführter Verhandlung u.a. fest, dass zwischen der (vom Revisionswerber vertretenen) B. GmbH und der (in Budapest ansässigen) T. Kft. ein mit 7. Jänner 2015 datierter Rahmenvertrag samt zugehörigem Leistungsverzeichnis betreffend die Bearbeitung (u.a. Biegen) von Betonstahl abgeschlossen worden sei.

4 Rechtlich führte das Verwaltungsgericht sodann näher aus, weshalb seiner Meinung nach das Vertragsverhältnis der B. GmbH mit der ungarischen T. Kft. entgegen dem Vorbringen des Revisionswerbers nicht als Werkvertrag betreffend das Bearbeiten (Biegen) von Betonstahl anzusehen sei, sondern als Arbeitskräfteüberlassung.

5 Gegen dieses Erkenntnis (erkennbar gegen dessen das erstinstanzliche Straferkenntnis bestätigenden und einen diesbezüglichen Kostenbeitrag vorschreibenden Teil) richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

Die belangte Behörde hat dazu eine Revisionsbeantwortung erstattet.

6 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

7 Die Revision ist zulässig und begründet, weil das angefochtene Erkenntnis, wie sich aus den nachstehenden Ausführungen ergibt, von der jüngeren hg. Rechtsprechung (vgl. VwGH 22.8.2017, Ra 2017/11/0068) zu den maßgebenden Kriterien betreffend das Vorliegen von grenzüberschreitender Arbeitskräfteüberlassung in entscheidenden Punkten abweicht.

8 Die gegenständlich relevanten Bestimmungen des Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetzes (AVRAG);

BGBl. Nr. 459/1993 in der Fassung BGBl. I Nr. 94/2014, lauten:

"§ 7d. (1) Arbeitgeber/innen im Sinne der §§ 7, 7a Abs. 1 oder 7b Abs. 1 und 9 haben während des Zeitraums der Entsendung insgesamt (§ 7b Abs. 4 Z 6) den Arbeitsvertrag oder Dienstzettel (§ 7b Abs. 1 Z 4), Lohnzettel, Lohnzahlungsnachweise oder Banküberweisungsbelege, Lohnaufzeichnungen, Arbeitszeitaufzeichnungen und Unterlagen betreffend die Lohneinstufung zur Überprüfung des dem/der entsandten Arbeitnehmers/in für die Dauer der Beschäftigung nach den österreichischen Rechtsvorschriften gebührenden Entgelts in deutscher Sprache am Arbeits(Einsatz)ort bereitzuhalten, auch wenn die Beschäftigung des/der einzelnen Arbeitnehmers/in in Österreich früher geendet hat. ...

(2) Bei einer grenzüberschreitenden Arbeitskräfteüberlassung trifft die Verpflichtung zur Bereithaltung der Lohnunterlagen den/die inländische/n Beschäftiger/in. Der/Die Überlasser/in hat dem/der Beschäftiger/in die Unterlagen nachweislich bereitzustellen.

...

Strafbestimmungen

§ 7i. ...

(4) Wer als ...

3. Beschäftiger/in im Falle einer grenzüberschreitenden

Arbeitskräfteüberlassung entgegen § 7d Abs. 2 die Lohnunterlagen nicht bereithält, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde für jede/n Arbeitnehmer/in mit einer Geldstrafe von 1 000 Euro bis 10 000 Euro, im Wiederholungsfall von 2 000 Euro bis 20 000 Euro, sind mehr als drei Arbeitnehmer/innen betroffen, für jede/n Arbeitnehmer/in von 2 000 Euro bis 20 000 Euro, im Wiederholungsfall von 4 000 Euro bis 50 000 Euro zu bestrafen.

..."

9 Die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Erkenntnisses hängt davon ab, dass die beiden im Straferkenntnis genannten ungarischen Arbeitskräfte von der T. Kft. grenzüberschreitend der B. GmbH zur Arbeitsleistung überlassen wurden und die letztgenannte Gesellschaft damit als Beschäftiger (§ 3 Abs. 3 AÜG) dieser Arbeitskräfte die Verpflichtung des § 7d Abs. 1 und 2 erster Satz AVRAG traf.

10 Hinsichtlich der im Zusammenhang stehenden Bestimmungen einerseits des AÜG und andererseits des Unionsrechts sowie der nach diesem maßgebenden Kriterien für das Vorliegen von grenzüberschreitender Arbeitskräfteüberlassung wird gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf das bereits genannte Erkenntnis VwGH 22.8.2017, Ra 2017/11/0068, verwiesen, in welchem der Verwaltungsgerichtshof unter Bezugnahme auf das dort auszugsweise zitierte Urteil des EuGH vom 18.6.2015, Martin Meat, C-586/13, wie folgt ausgeführt hat:

"32 Aus dem zitierten Urteil des EuGH, C-586/13, ergibt sich somit, dass für die Beurteilung, ob ein Sachverhalt als grenzüberschreitende Arbeitskräfteüberlassung zu beurteilen ist (...), aus unionsrechtlicher Sicht ‚jeder Anhaltspunkt' zu berücksichtigen ist und somit unter mehreren Gesichtspunkten (nach dem ‚wahren wirtschaftlichen Gehalt'; vgl. das zitierte hg. Erkenntnis Zl. 2012/09/0130 mit Bezugnahme auf das dem Urteil ‚Martin Meat' vorausgegangene Urteil des EuGH ‚Vicoplus', C-307/09 bis C-309/09) zu prüfen ist (vgl. zur ‚Gesamtbeurteilung aller Umstände' auch Art. 4 Abs. 1 der RL 2014/67/EU zur Durchsetzung der Richtlinie 96/71/EG über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen, samt dortigem fünften Erwägungsgrund).

33 Im Speziellen sind dabei entsprechend dem Urteil ‚Martin Meat' die Fragen, ob die Vergütung/das Entgelt auch von der Qualität der erbrachten Leistung abhängt bzw. wer die Folgen einer nicht vertragsgemäßen Ausführung der vertraglich festgelegten Leistung trägt (Rn 35 ff des EuGH-Urteils), ob also der für einen Werkvertrag essenzielle ‚gewährleistungstaugliche' Erfolg vereinbart wurde (vgl. abermals das zitierte hg. Erkenntnis Zl. 2012/09/0130, mwN), wer die Zahl der für die Herstellung des Werkes jeweils konkret eingesetzten Arbeitnehmer bestimmt (Rn 38) und von wem die Arbeitnehmer die genauen und individuellen Weisungen für die Ausführung ihrer Tätigkeiten erhalten (Rn 40 des EuGH-Urteils), von entscheidender Bedeutung.

34 Daher sind in einem Fall wie dem Vorliegenden (im Regelfall nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung) eindeutige Sachverhaltsfeststellungen dahin zu treffen, ob und welche der für die Arbeitskräfteüberlassung ausschlaggebenden Kriterien verwirklicht sind, um im Rahmen einer rechtlichen Gesamtbeurteilung fallbezogen das Vorliegen von grenzüberschreitender Arbeitskräfteüberlassung bejahen oder verneinen zu können.

..."

11 Der Verwaltungsgerichtshof hat jene Revisionsfälle, in denen bei der Beurteilung des Vorliegens von Arbeitskräfteüberlassung die nach dieser Judikatur maßgebenden Kriterien im Rahmen einer Gesamtbeurteilung herangezogen wurden bzw. in denen das Verwaltungsgericht einzelnen dieser Kriterien ein höheres, anderen aber ein geringeres Gewicht beigemessen hat, wegen ihrer einzelfallbezogenen Bedeutung als nicht revisibel angesehen (vgl. VwGH 20.9.2017, Ra 2017/11/0024 bis 0029 und Ra 2017/11/0016).

12 Anders als in den soeben genannten Fällen wurden im vorliegenden Revisionsfall bei der Beurteilung der Frage, ob die Arbeitskräfte von der T. Kft. grenzüberschreitend an die B. GmbH überlassen wurden (unbeschadet der vorgenommenen Beurteilung unter mehreren Gesichtspunkten und unter ausdrücklicher Bezugnahme auf das zitierte Erkenntnis Ra 2017/11/0068), die drei nach dem letztzitierten Erkenntnis jedenfalls als wesentlich anzusehenden Kriterien (ob also der für einen Werkvertrag essenzielle "gewährleistungstaugliche" Erfolg vereinbart wurde, wer die Zahl der für die Herstellung des Werkes jeweils konkret eingesetzten Arbeitnehmer bestimmt und von wem die Arbeitnehmer die genauen und individuellen Weisungen für die Ausführung ihrer Tätigkeiten erhalten) nicht bzw. nicht mängelfrei herangezogen:

13 So führte das Verwaltungsgericht gegen das Vorliegen eines Werkvertrages (und für die Qualifikation des Vertragsverhältnisses als Arbeitskräfteüberlassung) ins Treffen, dass als wesentliches Element eines Werkvertrages gegenständlich die Festlegung des konkreten Beginnes und Endes der Arbeiten am jeweils zu erbringenden Werk fehlten. Diese Annahme ist aber, wie die Revision zutreffend einwendet, ohne weitere Begründung nicht tragfähig, weil das Verwaltungsgericht im Rahmen des als erwiesen angenommenen Sachverhalts festgestellt hat, dass die konkreten Informationen darüber, wie die jeweiligen Eisenstücke gebogen hätten werden müssen, von einem Mitarbeiter der B. GmbH an den Vorarbeiter der T. Kft. in Form von "Etiketten" übergeben worden seien, und zwar zwei bis vier Tage bevor die betreffenden Eisenstücke hätten abgeliefert werden müssen, sodass es offenbar doch einen vereinbarten Fertigstellungszeitpunkt gab (vgl. auch unten Rn 15).

14 Vor allem unterblieb im vorliegenden Fall eine rechtliche Auseinandersetzung mit der nach der dargestellten Judikatur relevanten ("essenziellen") Frage, ob aufgrund des genannten Vertrages von der Vereinbarung eines gewährleistungstauglichen Erfolges auszugehen sei, wofür insbesondere auch entscheidend ist, ob das Entgelt für die zu erbringende Dienstleistung nur von der Menge des bearbeiteten Materials (hier: Betonstahls) oder auch von der Qualität abhängt (vgl. dazu auch das im Erkenntnis Ra 2017/11/0068 zitierte Urteil des EuGH C-586/13). Abgesehen davon spricht es gegenständlich für die Vereinbarung eines gewährleistungstauglichen Erfolges (und damit gegen das Ergebnis des Verwaltungsgerichts), wenn das Verwaltungsgericht im angefochtenen Erkenntnis, Seite 5, von (nicht näher präzisierten) Regelungen zur Gewährleistung in der Rahmenvereinbarung ausgeht und feststellt (Seite 8): "Es wurden etliche Gewährleistungsfälle zwischen der Firma T. Kft. und der B. GmbH abgewickelt."

15 Was das nach der zitierten Judikatur für die Abgrenzung der Arbeitskräfteüberlassung zum Werkvertrag maßgebende Kriterium, wer den Arbeitnehmern die genauen und individuellen Weisungen erteilt, betrifft, so meint das Verwaltungsgericht, dass die Dienst- und Fachaufsicht gegenständlich bei der B. GmbH gelegen sei. Begründet wird dies jedoch im Wesentlichen damit, dass durch die Übergabe der genannten "Etiketten" die Arbeit für jedes zu bearbeitende Eisenstück durch die B. GmbH definiert und die zeitliche Abfolge der Arbeiten vorgegeben worden sei.

16 Damit wird allerdings nicht die Dienst- und Fachaufsicht (die gegenüber dem Arbeitnehmer ausgeübt wird) angesprochen, die etwa die Einteilung der konkreten Arbeits- und Pausenzeiten der Arbeitnehmer bzw. Anordnungen und Kontrollen des jeweiligen Arbeitnehmers hinsichtlich der Fertigung des konkreten Werkstückes umfasst.

17 So hat auch der EuGH im erwähnten Urteil C-586/13, Rn 40 (wiedergegeben im zitierten hg. Erkenntnis Ra 2017/11/0068), klargestellt, dass "zwischen der Beaufsichtigung und Leitung der Arbeitnehmer selbst und der vom Kunden durchgeführten Überprüfung der ordnungsgemäßen Erfüllung eines Dienstleistungsvertrags zu unterscheiden" ist.

18 Wenn daher die B. GmbH (als Werkbesteller) das jeweils herzustellende Werk definiert und dem Vertragspartner (hier: T. Kft. bzw. ihrem Vorarbeiter) durch Etiketten bekanntgibt und anschließend die Vertragserfüllung (also die Herstellung des Werkes) kontrolliert, so betrifft dies einerseits nicht die Dienst- und Fachaufsicht und spricht andererseits für das Vorliegen eines Werkvertrages und gegen die Annahme einer Arbeitskräfteüberlassung.

19 Nicht zuletzt finden sich im angefochtenen Erkenntnis keinerlei Ausführungen hinsichtlich des nach dem Erkenntnis Ra 2017/11/0068 im Rahmen der Gesamtbeurteilung (jedenfalls auch) zu beachtenden Kriteriums, wer die Zahl der für die Herstellung des Werkes jeweils konkret eingesetzten Arbeitnehmer bestimmt.

20 Umgekehrt misst das Verwaltungsgericht im Rahmen seiner Gesamtbeurteilung dem Umstand, dass die für die Arbeiten erforderlichen Maschinen der T. Kft. von Seiten der B. GmbH mietweise zur Verfügung gestellt wurden, entscheidende Bedeutung bei, was jedoch nicht im Einklang mit dem zitierten EuGH-Urteil C- 586/13, Rn 39 (wiedergegeben im Erkenntnis Ra 2017/11/0068), steht.

21 Das angefochtene Erkenntnis war somit wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

22 Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 22. Februar 2018

Gerichtsentscheidung

EuGH 62013CJ0586 Martin Meat VORAB

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018110014.L00.1

Im RIS seit

27.03.2018

Zuletzt aktualisiert am

27.11.2018
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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