TE OGH 2018/3/7 25Rs7/18t

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 07.03.2018
beobachten
merken

Kopf

Das Oberlandesgericht Innsbruck als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen hat durch den Senatspräsidenten Dr. Werner Lux als Vorsitzenden sowie den Senatspräsidenten Dr. Georg Menardi und den Richter Dr. Andreas Told als weitere Mitglieder des Senates in der Sozialrechtssache der klagenden Partei M***** P*****, vertreten durch S*****, M*****, W*****, Rechtsanwälte in *****, Deutschland, wider die beklagte Partei V*****, wegen Gewährung einer Invaliditätspension, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 10.1.2018, 48 Cgs 5/18y-3, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen:

Spruch

-

Dem Rekurs wird F o l g e gegeben und die angefochtene Entscheidung, die hinsichtlich der Abweisung des Antrages auf Bewilligung der Verfahrenshilfe im Umfang des § 64 Abs 1 Z 1 lit c und Z 5 ZPO mangels Anfechtung in Rechtskraft erwuchs, dahin a b g e ä n d e r t , dass der klagenden Partei Verfahrenshilfe im Umfang des § 64 Abs 1 Z 3 ZPO bewilligt wird.

-

Das Erstgericht hat die weiteren sich aus Punkt 1 der Entscheidung ergebenden Veranlassungen zu treffen.

-

Der Revisonsrekurs ist gemäß § 528 Abs 2 Z 4 ZPO jedenfalls u n z u l ä s s i g .

BEGRÜNDUNG:

Text

Die beklagte Partei hat mit Bescheid vom 3.10.2017 den Antrag des Klägers vom 15.3.2017 auf Gewährung einer Invaliditätspension mit der Begründung abgelehnt, dass Invalidität nicht dauerhaft vorliege. Im selben Bescheid hat sie allerdings eine vorübergehende Invalidität des Klägers im Ausmaß von voraussichtlich mindestens 6 Monaten ab 1.4.2017 anerkannt und ausgesprochen, dass – wiewohl als medizinische Maßnahme der Rehabilitation zur Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit des Klägers das Ergebnis weiterer Therapiemaßnahmen abzuwarten sei - weder ein Anspruch auf berufliche Maßnahmen der Rehabilitation noch ein solcher auf Rehabilitationsgeld aus der österreichischen Krankenversicherung bestehe.

Begründet wurde diese Entscheidung - zusammengefasst dargestellt - damit, dass beim Kläger unter anderem eine Alkoholabhängigkeit sowie eine bipolare affektive Störung vorliege, sodass er deshalb vorübergehend nicht imstande sei, eine - wiederum zusammengefasst - auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch bewertete Tätigkeit auszuüben. Zur Besserung des Gesundheitszustandes des Klägers und damit zur Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit seien medizinische Maßnahmen der Rehabilitation zweckmäßig und notwendig. Da der Kläger seinen Wohnsitz nicht in Österreich habe und auch sonst kein „laut der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (OGH) für den Export des Rehabilitationsgeldes notwendiges Naheverhältnis zu Österreich? aufweise, bestehe kein Anspruch auf Rehabilitationsgeld aus der österreichischen Krankenversicherung.

Gegen diesen Bescheid wendet sich der Kläger mit einer von F***** W*****, Rechtsanwalt in *****, Deutschland, unter Berufung auf eine (auch vorgelegte) schriftliche Vollmacht des Klägers verfassten und nicht im ERV eingebrachten Klage, in der er die Verpflichtung der beklagten Partei zur Gewährung der Invaliditätspension anstrebt. Unter einem beantragt der Kläger auch unter Beischluss eines entsprechend ausgefüllten Vermögensbekenntnisses (ZP-Form 1) die Bewilligung der Verfahrenshilfe im Umfang des § 64 Abs 1 Z 1 lit c (einstweilige Befreiung von der Entrichtung der Gebühren der Zeugen, Sachverständigen, Dolmetscher, Übersetzer und Beisitzer), Z 3 (der Kosten für die Vertretung durch einen Rechtsanwalt) und Z 5 (Anreisekosten zur mündlichen Verhandlung) ZPO. Diesen Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe begründet der Kläger damit, dass er auf Grund seiner persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse zur Tragung dieser Kosten nicht in der Lage sei, bestreite er doch seinen Lebensunterhalt mit einer von einer deutschen Rentenversicherung wegen voller Erwerbsminderung gewährten Rente und mit Leistungen im Rahmen der Grundsicherung durch die Stadt G*****. Darüber hinaus sei er im Hinblick auf seine psychische Erkrankung nicht in der Lage, sich im Prozess selbst zu vertreten. Da die Klage auch hinreichend Aussicht auf Erfolg verspreche, sei die Bewilligung der Verfahrenshilfe jedenfalls sachlich begründet und erforderlich, wobei ersucht werde, Rechtsanwalt F***** W***** dem Kläger unentgeltlich beizustellen.

Mit ihrer rechtzeitigen Klagebeantwortung hat die beklagte Partei dieses Begehren mit der bereits aus dem bekämpften Bescheid bekannten Begründung bestritten.

Mit dem - nunmehr bekämpften - Beschluss hat das Erstgericht den Antrag des Klägers auf Bewilligung der Verfahrenshilfe abgewiesen.

Begründet wurde diese Entscheidung nach Wiedergabe des interessierenden Textes des § 64 ZPO damit, dass im gegenständlichen Sozialrechtsverfahren für den Kläger keine Gerichts- und Sachverständigengebühren anfielen und dass er seine Reisekosten ohnedies gemäß § 79 ASGG ersetzt erhalten werde. Die Beigebung eines Rechtsanwaltes erscheine nicht erforderlich, da weder aus dem Klagsvorbringen noch der Klagebeantwortung besondere rechtliche oder tatsächliche Schwierigkeiten erkennbar seien, sodass der Antrag auf Verfahrenshilfe abzuweisen sei.

Diesen Beschluss bekämpft der Kläger mit seinem (jedenfalls rechtzeitigen) Rekurs, in dem er sich ausschließlich gegen die Abweisung seines Antrages auf Beigebung eines Rechtsanwaltes wendet und in dem er behauptet, dass es ihm als juristischen Laien unter ergänzender Berücksichtigung seiner psychischen Erkrankung nicht möglich und nicht zumutbar sei, sich mit der beklagten Partei, welche über fach- und sachkundiges Personal verfüge, erfolgversprechend auseinanderzusetzen und er auf Grund seiner wirtschaftlichen Verhältnisse nicht in der Lage sei, einen von ihm frei gewählten Rechtsanwalt zu finanzieren.

Die beklagte Partei hat sich am Rechtsmittelverfahren nicht beteiligt.

Der Rekurs ist berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

I. Verfahrensrechtliches:

1.1 Ist ein einschreitender Rechtsanwalt ein dienstleistender europäischer Rechtsanwalt, so gelten die Bestimmungen des Bundesgesetzes über den freien Dienstleistungsverkehr und die Niederlassung von europäischen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten sowie die Erbringung von Rechtsdienstleistungen durch international tätige Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte in Österreich (EIRAG, BGBl I 2000/27 idF BGBl I Nr 10/2017).

1.2 Nach § 5 Abs 1 EIRAG dürfen in Verfahren, in denen sich die Partei durch einen Rechtsanwalt vertreten lässt oder ein Verteidiger beigezogen werden muss, dienstleistende europäische Rechtsanwälte als Vertreter oder Verteidiger einer Partei nur im Einvernehmen mit einem in die Liste der Rechtsanwälte einer österreichischen Rechtsanwaltskammer eingetragenen Rechtsanwalt (Einvernehmens-Rechtsanwalt) handeln. Nach Abs 2 dieser Gesetzesstelle ist das Einvernehmen bei der ersten Verfahrenshandlung gegenüber den Gericht schriftlich nachzuweisen. Verfahrenshandlungen, für die der Nachweis des Einvernehmens im Zeitpunkt ihrer Vorlage nicht vorliegt, gelten als nicht von einem Rechtsanwalt vorgenommen (§ 5 Abs 2 dritter Satz EIRAG). Die Herstellung und der Nachweis eines Einvernehmens sind Bedingung dafür, dass die Verfahrenshandlung des einschreitenden ausländischen Rechtsanwaltes denen eines österreichischen Rechtsanwaltes gleichgestellt werden. Das Fehlen eines derartigen Nachweises eines Einvernehmens ist ein grundsätzlich der Verbesserung zugängliches Formgebrechen.

1.3 Nach der Rechtsprechung ist die Benennung eines Einvernehmens-Rechtsanwalts nur bei absoluter Anwaltspflicht erforderlich (RIS-Justiz RS01340), in den Fällen relativer Anwaltspflicht wird eine solche Verpflichtung hingegen verneint (3 Ob 210/14z). Letzteres wird auch damit begründet, dass die Hinzuziehung eines Einvernehmens-Rechtsanwaltes - wie die Anwaltspflicht selbst - als Schutznorm zu verstehen ist, wodurch die Partei in bestimmten Fällen vor jenen Nachteilen bewahrt werden soll, die aus der Unkenntnis des formellen Rechtes erwachsen können und dass bei Verfahrenshandlungen, die die Partei auch selbst vornehmen könnte, ein solcher Schutz nicht erforderlich ist.

1.4 Nach § 39 Abs 3 ASGG müssen sich in Sozialrechtssachen Parteien vor den Gerichten erster Instanz nicht vertreten lassen, sodass es hier - zumindest für das erstinstanzliche Verfahren - nicht schadet, dass der Klagsvertreter keinen Einvernehmens-Rechtsanwalt namhaft gemacht hat, womit auch die Einleitung eines entsprechenden Verbesserungsverfahrens entbehrlich ist.

1.5 Im sozialgerichtlichen Verfahren kann sich eine Partei vor den Gerichten zweiter Instanz nicht mehr selbst vertreten, sondern muss sich durch eine in § 40 Abs 1 ASGG genannte qualifizierte Person vertreten lassen. Bei einer Vertretung im zweitinstanzlichen Verfahren ist jedenfalls dann, wenn sich die Partei für die Vertretung durch einen (ausländischen) Rechtsanwalt entscheidet, grundsätzlich von der Verpflichtung der Benennung eines Einvernehmens-Anwaltes auszugehen.

1.6 In Verfahren zur Erlangung der Verfahrenshilfe ist jedoch gemäß § 72 Abs 3 ZPO keinerlei (auch keine relative) Anwaltspflicht vorgesehen, vielmehr können sich die Parteien in „Verfahrenshilfesachen? auch im Rekursverfahren selbst vertreten, sodass auch in dieser Hinsicht keine Verpflichtung zur Namhaftmachung eines Einvernehmens-Rechtsanwaltes besteht und daher – zumindest im derzeitigen Verfahrensstadium – auch unter diesem Gesichtspunkt kein entsprechendes Verbesserungsverfahren einzuleiten ist .

2.1 Rechtsanwälte und Notare sind gemäß § 89c Abs 5 Z 1 und 2 GOG idF BGBl I 2012/26 nach Maßgabe der technischen Möglichkeiten zur Teilnahme am elektronischen Rechtsverkehr (ERV) verpflichtet. Ein Verstoß gegen diese Bestimmung ist als Formmangel zu behandeln, der zu verbessern ist (§ 89c Abs 6 GOG idF BGBl I 2012/26). Auch dienstleistende europäische Rechtsanwälte im Sinne des § 1 Abs 1 EIRAG sind bei der Vertretung von Mandanten vor österreichischen Gericht ebenso wie inländische Rechtsanwälte zur Teilnahme am elektronischen Rechtsverkehr verpflichtet (stRsp, zuletzt etwa 2 Ob 117/17w).

2.2 Über die Verweisungsnorm des § 2 Abs 1 ASGG sind die Bestimmungen der §§ 84 und 85 ZPO über das Verbesserungsverfahren auch im vorliegenden Verfahren anzuwenden. Nach § 84 Abs 1 ZPO hat das Gericht die Beseitigung von Formgebrechen, welche die ordnungsgemäße geschäftliche Behandlung eines überreichten Schriftsatzes zu hindern geeignet sind, von Amts wegen anzuordnen. Die Bestimmungen der Zivilprozessordnung stellen also darauf ab, ob das Formgebrechen dazu führt, dass dadurch die ordnungsgemäße geschäftliche Behandlung des überreichten Schriftsatzes gehindert wird und ordnet nur in diesem Fall ein Verbesserungsverfahren an. Da sich der Kläger - wie dargestellt - in „Verfahrenshilfesachen? selbst vertreten könnte, geht das Rekursgericht davon aus, dass das (an sich zwingende) Formerfordernis der Teilnahme am ERV-Verkehr hier (derzeit noch) nicht gegeben ist. Somit ist (derzeit) weder ein Verbesserungsverfahren noch ein Bescheinigungsverfahren, dass der einschreitende Vertreter des Klägers (noch) über keine technischen Möglichkeiten zur Teilnahme am elektronischen Rechtsverkehr verfügt, einzuleiten (in diesem Sinn auch 5 Ob 235/15t, in der das Höchstgericht im Zusammenhang mit der inhaltlich begründeten Zurückweisung eines nicht im ERV eingebrachten außerordentlichen Revisionsrekurses ausführte, dass „bei dieser Sachlage“ von der Einleitung eines Verbesserungsverfahrens abgesehen werden kann).

2.2 Auch wenn - wie noch zu zeigen sein wird - die Bestellung des derzeit tätigen Vertreters des Klägers als Verfahrenshelfer ohnedies nicht in Frage kommt, sei doch zur Vermeidung allfälliger Missverständnisse ausdrücklich darauf hingewiesen, dass, sollte - aus welchem Grund auch immer - in weiterer Folge RA F***** W***** einschreiten, dessen Teilnahme am elektronischen Rechtsverkehr zu fordern sein wird, da nicht ernsthaft behauptet werden kann, dass bei einem in ***** ansässigen Rechtsanwalt die dafür nötigen technischen Gegebenheiten nicht gegeben sind. Sollte eine Anbindung an den ERV aus dem Ausland tatsächlich nicht möglich oder für ein bloß fallweises Einschreiten vor österreichischen Gerichten zu kostspielig sein, dann wäre eine Berechtigung des Einschreitens eines deutschen Rechtsanwaltes schon deshalb zu verneinen, da die Pflicht zur Teilnahme am elektronischen Rechtsverkehr für alle – und somit gemäß § 4 Abs 1 EIRAG auch für dienstleistende Rechtsanwälte - am österreichischen Rechtsverkehr teilnehmenden Rechtsanwälte und Notare besteht (vgl. dazu Schumacher in AnwBl 2016, Heft 4, S 220). Letztlich sei auch darauf hingewiesen, dass RA F***** W***** für eine Vertretung im zweitinstanzlichen Verfahren in der Hauptsache auch einen Einvernehmens-Rechtsanwalt zu benennen haben wird.

II. Zur Entscheidung in der Hauptsache:

1.1 Voranzustellen ist, dass gemäß § 63 Abs 1 ZPO einer Partei Verfahrenshilfe so weit zur Gänze oder zum Teil zu bewilligen ist, als sie außerstande ist, die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts zu bestreiten und die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht als offenbar mutwillig oder aussichtslos erscheint. Die Verfahrenshilfe für einen bestimmten Rechtsstreit sieht gemäß § 64 Abs 1 Z 3 ZPO u.a. für den Fall, dass die Vertretung durch einen Rechtsanwalt nach der Lage des Falles erforderlich erscheint, die vorläufig unentgeltliche Beigebung eines Rechtsanwaltes vor.

1.2 Das Erstgericht wies den Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe durch unentgeltliche Beigebung eines Rechtsanwaltes allein mit der Begründung ab, dass die Vertretung durch einen Rechtsanwalt nach der Lage des Falles deshalb nicht erforderlich sei, da keine besonderen rechtlichen oder tatsächlichen Schwierigkeiten erkennbar seien.

Das Rekursgericht vermag dieser Begründung nicht beizutreten.

2.1 Richtig ist, dass in Sozialrechtssachen die Beigebung eines Rechtsanwaltes nur dann in Betracht kommt, wenn der konkrete Sozialrechtsfall besondere Schwierigkeiten in rechtlicher und/oder tatsächlicher Hinsicht erwarten lässt, insbesondere, wenn der Prozess einen Verlauf nehmen kann, der sich der Übersicht und der Einsicht einer Partei entzieht. Die zuletzt genannte Voraussetzung ist dann zu bejahen, wenn die verfahrenshilfebeantragende Partei entweder auf Grund ihrer intellektuellen Fähigkeiten oder aber ihrer sonstigen sozialen Verhältnisse nur über einen geringen Grad an Verständnis bzw. an Rechtskenntnissen verfügt und damit auch der richterlichen Anleitung gemäß § 39 Abs 2 Z 1 ASGG Grenzen gesetzt sind (Bydlinski in Fasching II/13 [2015] Rz 16, stRsp des Rekursgerichtes, zuletzt etwa 25 Rs 69/17h).

2.2 Grundsätzlich ist zwar richtig, dass § 39 Abs 2 Z 1 ASGG bei unvertretenen Parteien die Bestimmung über die richterliche Anleitungs- und Belehrungspflicht massiv erweitert und auch die Verpflichtung umfasst, die Parteien über sämtliche in ihrer Position in Betracht kommenden rechtsbegründenden bzw. rechtsaufhebenden Bestimmungen zu unterrichten, sie also meritorisch zu belehren und sie anzuleiten, diejenigen Umstände vorzubringen bzw. diejenigen Prozesshandlungen vorzunehmen, die sich für die Position der unvertretenen Partei als günstig anbieten.

Angesichts diese sehr weitgehenden Rechtsfürsorgepflicht des Gerichtes wird verschiedentlich die Auffassung vertreten, es sei ausgeschlossen, dass die Partei in einem einfach gelagerten Sozialrechtsverfahren auch ohne qualifizierte Vertretung (§ 40 ASGG) Rechtsnachteile erleiden könnte, woraus folge, dass in solchen Rechtsstreitigkeiten die Beigebung eines Rechtsanwaltes als nicht erforderlich anzusehen und damit ein Rechtsanspruch auf Verfahrenshilfe gemäß § 64 Abs 1 Z 3 ZPO zu verneinen sei.

2.3 Im konkreten Fall ist zu beachten, dass der Kläger - völlig unstrittig - unter anderem an einer bipolaren affektiven Störung leidet, womit - amtsbekantermaßen - auch massive intellektuelle Beeinträchtigungen einhergehen können, und dass der Kläger darüber hinaus seinen Wohnsitz weitab vom erkennenden Erstgericht hat, weshalb er faktisch vieler Möglichkeiten zur selbstständigen Beschaffung notwendiger Informationen „beraubt“ ist. Vor allem aber geht es hier nicht allein um die Abklärung, ob der Kläger auf Grund seines körperlichen und/oder geistigen Zustandes voraussichtlich dauerhaft invalid im Sinne der §§ 254 ff ASVG ist, sondern (vor allem?) auch darum, ob er Anspruch auf Rehabilitationsgeld hat, zumal bei ihm auch nach Ansicht der beklagten Partei medizinische Maßnahmen der Rehabilitation zweckmäßig und notwendig sind,.

2.4 Die Antwort auf die Frage, ob Rehabilitationsgeld zu „exportieren? ist, richtet sich jedenfalls auch nach europarechtlichen Vorgaben. Wenngleich das Höchstgericht eine Reihe damit zusammenhängender Problemfelder bereits abschließend geklärt hat (vgl. dazu die unter RIS-Justiz RS0131207 veröffentlichten Entscheidungen), kann schon auf Grund dieser europarechtlicher Komponenten keine Rede davon sein, dass in dieser Rechtssache weder besondere rechtliche oder tatsächliche Schwierigkeiten erkennbar sind, sodass nach den Umständen des Einzelfalles der Kläger grundsätzlich Anspruch auf Beigabe eines Rechtsanwaltes als Verfahrenshelfer hat.

2.5 Im Hinblick auf den Antrag des Klägers, RA F***** W***** als Verfahrenshelfer zu bestellen, sei erläuternd darauf verwiesen, dass die Namhaftmachung eines konkreten Rechtsanwaltes als Verfahrenshelfer durch den Ausschuss der nach dem Sitz des Prozessgerichtes zuständigen Rechtsanwaltskammer zu erfolgen hat (§ 67 ZPO) und demzufolge – hier - nur die Bestellung eines der Tiroler Rechtsanwaltskammer zugehörigen Anwaltes erfolgen kann.

3. Infolge seiner Rechtsauffassung hat sich das Erstgericht mit rechtserheblichen Aspekten nicht auseinandergesetzt und es unterlassen, Feststellungen zu den finanziellen Voraussetzungen für die Verfahrenshilfe zu treffen. Da der Kläger ein ordnungsgemäß ausgefülltes Vermögensbekenntnis zur Erlangung der Verfahrenshilfe vorgelegt hat, dem er auch diverse Urkunden zum Nachweis seiner behaupteten (misslichen) wirtschaftlichen Verhältnisse beigeschlossen hat, konnte das Rekursgericht auf Grundlage dieser unbedenklichen Urkunden folgende Feststellungen treffen:

Der ledige Kläger wohnt in einer ca. 48 m2 großen Mietwohnung, für die er EUR 346,-- monatlich zu bezahlen hat. Von der d***** Rentenversicherung B***** bezieht er seit 1.9.2017 eine monatliche Rente von EUR 529,74 netto, weitere EUR 225,26 erhält er im Rahmen der Grundsicherung durch die Stadt G*****. Abgesehen von einem Guthaben auf einem Girokonto in Höhe von EUR 150,85, einem geringen Bargeldbetrag und einem Anteil an einer Wohnungsgenossenschaft im Wert von EUR 770,-- verfügt der Kläger über keinerlei Vermögensgegenstände. Der Kläger muss im Rahmen der Rückzahlung des für die Möblierung seiner Wohnung aufgenommen Kredits monatlich rund EUR 105,-- an eine Bank zahlen; Unterhaltspflichten und Unterhaltsansprüche hat er keine.

4. Nach § 63 Abs 1 ZPO ist die Verfahrenshilfe einer Partei so weit zur Gänze oder zum Teil zu bewilligen, als sie außerstande ist, die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts zu bestreiten, und die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht als offenbar mutwillig oder aussichtslos erscheint. Als notwendiger Unterhalt ist derjenige Unterhalt anzusehen, den die Partei für sich und ihre Familie, für deren Unterhalt sie zu sorgen hat, zu einer einfachen Lebensführung benötigt.

Im gegenständlichen Fall hat der Kläger ein monatliches Einkommen von rund EUR 755,--, von dem er EUR 346,-- zur Bestreitung seiner Wohnungskosten und EUR 105,-- zur Rückzahlung eines für die Lebensführung notwendigen Kredits aufwenden muss, sodass monatlich rund EUR 300,-- frei zur Verfügung stehen. Dass mit einem derartigen Betrag neben der Bestreitung des Lebensunterhaltes die Bezahlung eines frei gewählten Rechtsanwaltes nicht möglich ist, ist evident, sodass unter weiterer Berücksichtigung des Umstandes, dass die hier in Rede stehende Klagsführung weder mutwillig noch aussichtslos ist, die Voraussetzungen zur Bewilligung der Verfahrenshilfe vorliegen.

Dem Rekurs war daher Folge zu geben und die Entscheidung im Sinne einer Bewilligung der Verfahrenshilfe im Umfang des § 64 Abs 1 Z 3 ZPO abzuändern.

III. Eine Kostenentscheidung hatte zu entfallen, da der Kläger (zutreffend!) keine Verfahrenskosten ansprach.

IV. Der Ausschluss eines weiteren Rechtszuges an das Höchstgericht folgt aus § 528 Abs 2 Z 4 ZPO iVm § 2 Abs 1 letzter Satz ASGG.

Textnummer

EI0100055

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OLG0819:2018:0250RS00007.18T.0307.000

Im RIS seit

23.03.2018

Zuletzt aktualisiert am

26.03.2018
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten