TE Vwgh Erkenntnis 2000/4/27 98/02/0145

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Veröffentlicht am 27.04.2000
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Index

90/01 Straßenverkehrsordnung;

Norm

StVO 1960 §4 Abs5;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Riedinger und Dr. Beck als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Breunlich, über die Beschwerde der I in G, vertreten durch Dr. Anton Hintermeier, Rechtsanwalt in St. Pölten,

Andreas Hofer-Straße 8, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom 27. Februar 1998, Zl. Senat-PL-97-015, betreffend Übertretungen der StVO, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Niederösterreich hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von S 15.000.-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom 27. Februar 1998 wurde die Beschwerdeführerin schuldig erkannt, sie habe als Lenkerin eines dem Kennzeichen nach näher bestimmten Fahrzeugs am 19. September 1996 gegen 11.15 Uhr an einem näher genannten Ort in St. Pölten

1. bei einem Verkehrsunfall an der Feststellung des Sachverhaltes nicht mitgewirkt, obwohl ihr Verhalten am Unfallort mit dem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang gestanden sei, weil sie die Unfallstelle verlassen habe, ohne dass ihre Fahrtüchtigkeit überprüft werden habe können,

2. nicht die nächste Polizei- oder Gendarmeriedienststelle vom Verkehrsunfall mit Sachschaden ohne unnötigen Aufschub verständigt, obwohl das Verhalten am Unfallsort mit dem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang gestanden sei und ein gegenseitiger Identitätsnachweis von Namen und Anschrift nicht erfolgt sei. Sie habe dadurch zu 1. eine Übertretung gemäß § 4 Abs. 1 lit. c in Verbindung mit § 99 Abs. 2 lit. a StVO und zu 2. eine Übertretung gemäß § 4 Abs. 5 in Verbindung mit § 99 Abs. 3 lit. b StVO begangen, weshalb jeweils eine Geldstrafe (Ersatzfreiheitsstrafe) verhängt wurde.

In der Begründung dieses Bescheides wird u.a. ausgeführt, die Beschwerdeführerin beteuere, dass die Unfallgegnerin die Einschaltung der Polizei nicht begehrt habe, wogegen die Anzeigerin Gegenteiliges darstelle und eine anschließende Fahrerflucht der Beschwerdeführerin behaupte. Ohne den Wahrheitsgehalt der gegenteiligen Aussagen etwa durch Einholung weiterer Zeugenaussagen näher prüfen zu müssen, sei seitens der belangten Behörde dazu in rechtlicher Hinsicht jedenfalls festzuhalten:

Es sei beim gegenständlichen Vorfall eine Beschädigung eingetreten, welche nach Ansicht der belangten Behörde bei einigermaßen genauer Nachschau auch seitens der Beschwerdeführerin leicht hätte wahrgenommen werden können. Der Tatbestand des § 4 Abs. 5 StVO sei aber schon dann gegeben, wenn dem Täter objektive Umstände zum Bewusstsein gekommen seien oder bei gehöriger Aufmerksamkeit zum Bewusstsein hätten kommen müssen, aus denen er die Möglichkeit eines Verkehrsunfalls mit einer Sachbeschädigung zu erkennen vermocht hätte. Die Beschwerdeführerin wäre daher nach dem wahrgenommenen Anstoß verpflichtet gewesen, sich besonders sorgfältig zu vergewissern, ob und welcher Sachschaden durch die von ihr wahrgenommene Kollision entstanden sei. Es sei weder ein Identitätsnachweis gemäß § 4 Abs. 5 StVO erfolgt, noch habe die Beschwerdeführerin die nächstgelegene Sicherheitsdienststelle verständigt. Erfolge nach einem Verkehrsunfall mit Sachschaden ein Identitätsnachweis nicht, so bestehe die Verständigungspflicht nach § 4 Abs. 5 StVO, welche auch die Mitwirkungspflicht nach § 4 Abs. 1 StVO nach sich ziehe, sodass auch hinsichtlich Bescheidpunkt 1 entgegen der Rechtsmeinung der Beschwerdeführerin eine Verwaltungsübertretung begründet sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Die Beschwerdeführerin stellt zunächst den Sachverhalt so dar, dass sie beim Einparken "etwas zurückschieben" hätte müssen und dabei an den von der Anzeigerin gelenkten PKW gestoßen sei. Diese und die Beschwerdeführerin seien sofort ausgestiegen, hätten die Fahrzeuge besichtigt, aber keinen Schaden festgestellt. Der Anzeigerin sei das Kennzeichen des von der Beschwerdeführerin gelenkten PKWs bekannt gewesen; sie habe jedoch weder die Bekanntgabe der "Personaldaten" der Beschwerdeführerin, noch das Einschreiten der Exekutive verlangt, sondern sich "ohne weiteres" entfernt.

Die Beschwerdeführerin wendet in ihrer Beschwerde ein, die belangte Behörde gehe im angefochtenen Bescheid davon aus, dass die an den Fahrzeugen eingetretenen Beschädigungen durch das gegenständliche Kontaktereignis vom 19. Dezember 1996 verursacht worden sei. Dies, ohne auf die Einwendungen und Anträge, die belangte Behörde möge eine Stellprobe durchführen, näher einzugehen. Die belangte Behörde führe dazu aus, dass es eher unwahrscheinlich sei, dass die Beschädigung von einem früheren, unbemerkt gebliebenen Kontaktereignis stamme. Die Behörde übersehe dabei, dass die Unfallgegnerin (=Anzeigerin) nach ihren eigenen Angaben nicht mit ihrem eigenen Fahrzeug, sondern mit dem ihres Freundes E. B. unterwegs gewesen sei, sodass der festgestellte Schaden durchaus von der Unfallgegnerin unbemerkt bei Fahrtantritt am 19. Dezember 1996 bereits vorgelegen haben könnte. Die Unfallkausalität sei letztlich nur durch eine Stellprobe, welche allerdings auch von der belangten Behörde nicht durchgeführt worden sei, eindeutig zu klären. Das Beweisverfahren sei in diesem wesentlichen Punkt unvollständig geblieben und mangelhaft durchgeführt worden.

Die Beschwerdeführerin hat im Verwaltungsstrafverfahren zwar die Durchführung einer Stellprobe beantragt, jedoch bestanden nach der Aktenlage keine Hinweise auf die technische Unmöglichkeit eines Kontaktes an der von der Anzeigerin genannten Stelle, die die Vornahme einer Stellprobe unerlässlich gemacht hätten. Eine solche Unmöglichkeit wurde von der Beschwerdeführerin auch nicht behauptet. Sie zeigt daher mit diesem Vorbringen nicht die Wesentlichkeit eines der belangten Behörde unterlaufenen Verfahrensmangels auf.

Im Übrigen ist dem Gerichtshof ein allgemeiner Erfahrungssatz, Aussagen über die Möglichkeit der Verursachung bestimmter Schäden an bestimmten Fahrzeugen könnten nur nach Vornahme einer Stellprobe gemacht werden, unbekannt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. Februar 1992, Zl. 92/02/0020).

Die Beschwerdeführerin rügt ferner, die belangte Behörde gehe im angefochtenen Bescheid davon aus, dass die eingetretene Beschädigung bei einigermaßen genauer Nachschau leicht hätte wahrgenommen werden können. Die Unfallgegnerin habe in ihrer Anzeige angegeben, dass sie vorerst nach Hause gefahren sei und erst dort bemerkt habe, dass das von ihr gelenkte Fahrzeug ihres Freundes beschädigt gewesen sei. Dies bedeute, dass auch der Unfallgegnerin die Schäden vorerst nicht aufgefallen seien, was dafür spreche, dass die Schäden nicht leicht wahrnehmbar gewesen seien. Selbst nach der Aktenlage seien die festgestellten Schäden unauffällig und nicht leicht wahrnehmbar, was auch vom Beifahrer der Beschwerdeführerin , dem Zeugen J. S., welcher entgegen ihren Anträgen nicht befragt worden sei, bestätigt worden wäre. Bei Einvernahme dieses Zeugen, aber auch auf Grund der Aktenlage, hätte die belangte Behörde hinsichtlich der Wahrnehmbarkeit der Beschädigung zu einem anderen Ergebnis kommen müssen.

Mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerdeführerin hingegen die Wesentlichkeit eines der belangten Behörde unterlaufenen Verfahrensmangels auf, zumal die Beschwerdeführerin auch in der Berufung die Einvernahme dieses Zeugen zum Beweis dafür verlangte, dass die Angaben der Anzeigerin, wonach sich die Beschwerdeführerin geweigert habe, ihre Daten bekannt zu geben, nicht der Wahrheit entspreche. Der Zeuge hätte - so die Beschwerdeführerin in der Berufung an die belangte Behörde weiter - bestätigen können, dass die Anzeigerin den Austausch der Daten gar nicht verlangt habe, weil auch sie keinerlei Beschädigung an dem von ihr gelenkten Fahrzeug habe feststellen können.

Die der Entlastung des Beschuldigten dienlichen Umstände sind nach § 25 Abs. 2 VStG in gleicher Weise zu berücksichtigen wie die belastenden.

Eine Einvernahme des den Behörden des Verwaltungsstrafverfahrens von der Beschwerdeführerin bekannt gegebenen Entlastungszeugen ist jedoch unzulässigerweise unterblieben. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die belangte Behörde bei Vermeidung dieses Verfahrensmangels zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, weshalb dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben war. Es erübrigt sich daher auch, auf das weitere Beschwerdevorbringen näher einzugehen. Ergänzend sei allerdings noch darauf hingewiesen, dass bisher - soweit aus den vorgelegten Verwaltungsakten zu ersehen ist - auch eine förmliche Einvernahme der Anzeigerin als Zeugin - deren Angaben laut Anzeige mit der Rechtfertigung der Beschwerdeführerin im Verwaltungsverfahren nicht vereinbar sind - nicht erfolgt ist.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff. VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 27. April 2000

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2000:1998020145.X00

Im RIS seit

12.06.2001

Zuletzt aktualisiert am

09.08.2010
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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