TE Vwgh Erkenntnis 2000/4/28 96/21/0227

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Veröffentlicht am 28.04.2000
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1991;
AVG §46;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
FrG 1993 §37 Abs1;
FrG 1993 §37 Abs2;
FrG 1993 §54 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Rosenmayr, Dr. Pelant und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ferchenbauer, über die Beschwerde des am 1. Juli 1973 geborenen B in Klagenfurt, vertreten durch Dr. Friedrich Staudacher, Rechtsanwalt in 9020 Klagenfurt, Alter Platz 30, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Kärnten vom 25. Jänner 1996, Zl. Fr-2058/95, betreffend Feststellung gemäß § 54 Abs. 1 Fremdengesetz, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die vorliegende Beschwerde ist gegen einen im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Kärnten (der belangten Behörde) vom 25. Jänner 1996 gerichtet, mit welchem gemäß § 54 Abs. 1 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, festgestellt wurde, dass keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestünden, dass der Beschwerdeführer, ein irakischer Staatsbürger, in seinem Heimatstaat oder in einem anderen Land, in dem er vor einer Abschiebung in den Irak nicht sicher sei, gemäß § 37 Abs. 1 oder 2 FrG bedroht wäre.

Diese Entscheidung wurde im Wesentlichen wie folgt begründet:

Der Beschwerdeführer habe vorgebracht, bereits im Jahr 1991 erstmals inhaftiert und nur durch Zufall, durch die Eroberung von Kirkuk durch die Kurden, befreit worden zu sein. Zu Ostern 1995 wäre er erneut verhaftet worden. Im Juli 1995 hätte er seine Einheit in Basra verlassen und wäre desertiert. Die Lebensverhältnisse im Irak wären andere als in Österreich und würden beispielsweise im Amnesty International-Jahresbericht 1995 dahingehend geschildert, dass in diesem Jahr Tausende vermeintliche Oppositionelle und ihre Angehörigen festgenommen worden wären. Zehntausende in früheren Jahren verhaftete Personen, unter ihnen gewaltlose politische Gefangene, blieben inhaftiert. Folterungen wären nach wie vor weit verbreitet. Verwandte aus Familien, aus denen ein Angehöriger flüchtete, litten immer unter den Repressalien der irakischen Behörden. Auch das Deutsche Auswärtige Amt ginge davon aus, dass dann, wenn die irakischen Behörden von einem Asylantrag Kenntnis erlangten, Verfolgungsmaßnahmen bei der Abschiebung in den Irak nicht ausgeschlossen werden könnten. Amnesty International wiese darauf hin, dass generell davon ausgegangen werden müsse, dass die Asylantragstellung durch die irakischen Behörden als Illoyalität gegenüber dem Staat angesehen würde. Nach einem Bericht des UNHCR-Sonderberichterstatters Max van der Stoel könnte der Nordirak nicht generell als interne Fluchtalternative für irakische Asylwerber betrachtet werden.

Zu diesem Vorbringen werde - so führte die belangte Behörde weiter aus - auf die Begründung des am 1. Dezember 1995 rechtswirksam erlassenen Asylrechtsbescheides des Bundesministers für Inneres vom 28. November 1995 Bedacht genommen. Die belangte Behörde erhebe die Beweiswürdigung in diesem Bescheid zu der ihren und sei folglich der Auffassung, der Beschwerdeführer habe nicht glaubhaft machen können, dass ihm im Fall seiner Rückkehr in den Irak die in § 37 Abs. 2 FrG genannten Gefahren drohten.

Im derart verwiesenen und damit zum Inhalt des angefochtenen Bescheides gemachten Bescheid des Bundesministers für Inneres wird ausgeführt, dass dem Vorbringen des Beschwerdeführers die erforderliche Glaubwürdigkeit nicht habe zuerkannt werden können, weil die Ausführungen in der erstinstanzlichen Niederschrift zu widersprüchlich erschienen. So habe der Beschwerdeführer z. B. angegeben, lediglich einmal im März 1991 verhaftet worden zu sein, später in seiner niederschriftlichen Aussage habe er dann behauptet, auch zu Ostern 1995 für drei Tage festgenommen worden zu sein. Auf Vorhalt dieses Widerspruches habe er entgegnet, dass er die zweite Verhaftung nicht erwähnt habe, weil er angenommen habe, dass nur längere Gefängnisaufenthalte von Bedeutung wären. Dass die erste Haft nach seinen Angaben jedoch ebenfalls nur drei Tage gedauert habe, dürfte der Beschwerdeführer bis zu dieser Rechtfertigung schon wieder "vergessen" haben. Wenn der Beschwerdeführer als konkrete Verfolgungshandlung angebe, dass ständig nach ihm gefragt worden wäre, so stehe dies erstens im Widerspruch zu seinem behaupteten Militärdienst, weil die Behörde darüber mit Sicherheit informiert gewesen sei und ihn so jederzeit hätte erreichen können, und zweitens stelle dies keine Verfolgung im Sinn der Genfer Flüchtlingskonvention bzw. des Asylgesetzes 1991 dar. Zur Behauptung des Beschwerdeführers, dass er als Christ seine Religion nicht habe frei ausüben können, sei zu erörtern, dass die Christen verschiedener Konfessionen im Irak etwa 3,5 % der Bevölkerung ausmachten. Die Staatsreligion des Irak sei laut Verfassung zwar der Islam, andere Religionen würden jedoch ebenfalls verfassungsmäßig toleriert, sofern ihre Ausübung nicht gegen das öffentliche Interesse verstoße. Dazu sei auch anzumerken, dass im Irak sogar hoch gestellte Persönlichkeiten, wie der Außenminister, christlichen Glaubens seien. Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten (auch religiösen) Minderheit allein sei noch kein Grund für die Anerkennung als Flüchtling.

In einem Verfahren gemäß § 54 Abs. 1 FrG könnten nur solche Umstände Berücksichtigung finden, die eine Person unmittelbar beträfen. Daher könnten Familienmitglieder und andere Personen betreffende Ereignisse nicht den gewünschten Verfahrensausgang bewirken. Bezüglich der vom Beschwerdeführer behaupteten Desertion müsse festgestellt werden, dass die im Irak in Aussicht gestellte Strafe wegen dieses Deliktes allein noch nicht die Annahme eines asylrelevanten Aspektes seiner behaupteten Furcht rechtfertige. Desertion und Wehrdienstverweigerung seien auch in klassisch demokratischen und rechtsstaatlichen Ländern mit Strafe bedroht. Die Rekrutierung und damit auch die Bestrafung wegen Entziehung oder Verweigerung hätten nicht erkennbar den Zweck, die Wehrpflichtigen in schutzwürdigen persönlichen Merkmalen (Rasse, Religion, politische Überzeugung usw.) zu treffen.

Außerdem müsse festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer bereits im Nordirak vor einer - insofern bloß fiktiv angenommenen - Verfolgung sicher gewesen wäre. Im März 1991 sei nämlich von den Alliierten des Golfkrieges nördlich des 36. Breitengrades eine Sicherheitszone eingerichtet worden. Das dortige Gebiet der Kurden sei autonom und die Gefahr einer individuellen Verfolgung durch irakische Behörden ausgeschlossen. Der Beschwerdeführer habe daher im Nordirak keinerlei asylrelevante Verfolgung zu befürchten.

Der vom Beschwerdeführer als Beweis beigelegte Bericht des UNHCR sowie das Urteil eines deutschen Verwaltungsgerichtes, welches nicht ihn betreffe, könne nicht zur Glaubhaftmachung seines Vorbringens führen, da derart allgemeine Berichte nur einen Auszug der allgemeinen Situation wiederspiegeln könnten, in keiner Weise auf die individuelle Situation des Beschwerdeführers eingingen und somit für die Feststellung einer konkreten, gegen ihn persönlich gerichteten Verfolgung nicht genügten. Vielmehr habe der Beschwerdeführer auf ausdrückliches Befragen im Rahmen seiner niederschriftlichen Einvernahme angegeben, im kurdischen Sektor des Irak nicht der Gefahr einer Verfolgung ausgesetzt gewesen zu sein, da die irakische Regierung dort keinen Zugriff habe; er sei nur deshalb nicht im kurdischen Sektor geblieben, weil er weder gewillt sei, bei den Kurden, noch bei den Irakern zu leben.

In der Beschwerde wird die Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften beantragt.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, erstattete eine Gegenschrift und beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Im Verfahren gemäß § 54 Abs. 1 FrG ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vom Antragsteller mit konkreten, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerten Angaben das Bestehen einer aktuellen, also im Falle seiner Abschiebung in den im Antrag genannten Staat dort gegebenen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abwendbaren Bedrohung im Sinn des § 37 Abs. 1 oder 2 FrG glaubhaft zu machen und von der Behörde das Vorliegen konkreter Gefahren für jeden einzelnen Fremden für sich zu prüfen. Ebenso wie im Asylverfahren ist auch bei der Beurteilung des Vorliegens einer Gefahr gemäß § 37 Abs. 1 und 2 FrG im Verfahren gemäß § 54 FrG die konkrete Einzelsituation in ihrer Gesamtheit, gegebenenfalls vor dem Hintergrund der allgemeinen Verhältnisse, in Form einer Prognose für den gedachten Fall der Abschiebung des Antragstellers in diesen Staat zu beurteilen. Für diese Beurteilung ist nicht unmaßgeblich, ob etwa bislang gehäufte Verstöße der in § 37 Abs. 1 FrG umschriebenen Art durch den genannten Staat bekannt geworden sind. (Vgl. etwa das Erkenntnis vom 27. Februar 1998, Zl. 95/21/0905, m. w.N.)

Unter dem Gesichtspunkt einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften rügt der Beschwerdeführer, dass sich die belangte Behörde lediglich auf die Ergebnisse des Asylverfahrens gestützt habe. Für die Asylgewährung einerseits und die Abschiebungsvoraussetzungen anderseits seien jedoch keine deckungsgleichen Maßstäbe anzuwenden.

Mit diesen Ausführungen vermag der Beschwerdeführer keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides aufzuzeigen. Es ist zwar richtig, dass die belangte Behörde die Voraussetzungen des § 54 FrG selbstständig zu prüfen hat; es war ihr jedoch auf Grund des im § 46 AVG verankerten Grundsatzes der Unbeschränktheit der Beweismittel nicht verwehrt, die Ergebnisse des Asylverfahrens zu berücksichtigen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 17. November 1994, Zl. 94/18/0607). Im Hinblick darauf, dass im Asylverfahren die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung zu prüfen war und auch § 37 Abs. 2 FrG auf die Bedrohung von Leben und Freiheit des Fremden aus diesen Gründen abstellt, war die Berücksichtigung der Ergebnisse des Asylverfahrens nahe liegend (siehe auch dazu das oben zitierte Erkenntnis vom 17. November 1994). Eine derartige Verwertung der Ergebnisse des Asylverfahrens entbindet die Behörde aber nicht von ihrer Verpflichtung darzulegen, aus welchen Erwägungen in Bezug auf den Antragsteller die in § 37 Abs. 1 und 2 FrG genannten Gefahren als gegeben oder als nicht gegeben zu erachten sind. Sie ist auch in einem solchen Fall gehalten, in der Begründung ihres Bescheides in eindeutiger, einer nachprüfenden Kontrolle zugänglichen Weise aufzuzeigen, von welcher konkreten Sachverhaltsannahme sie bei ihrem Bescheid ausgegangen ist und worauf sich die getroffenen Tatsachenfeststellungen im Einzelnen stützen (vgl. die §§ 58 und 60 AVG; dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 18. Mai 1999, Zl. 99/21/0027). Im vorliegenden Fall hat der Beschwerdeführer bei seiner Antragstellung über sein im Asylverfahren erstattetes Vorbringen hinaus nichts Konkretes vorgebracht, weshalb es für die belangte Behörde keinen Grund gab, weitere Ermittlungen durchzuführen. Die belangte Behörde erörterte das gesamte Vorbringen des Beschwerdeführers. Dass sie dies im Wege einer Verweisung auf den Asylbescheid tat und derart die darin enthaltenen Erwägungen zu ihren eigenen machte, ist nicht rechtswidrig, zumal auch nicht zweifelhaft ist, dass der Asylbescheid dem Beschwerdeführer zugestellt wurde. In der Beschwerde wird im Übrigen auch nicht aufgezeigt, welche Umstände keine Berücksichtigung gefunden hätten.

Der Beschwerdeführer, dem bereits mit dem Bescheid der Behörde erster Instanz klar sein musste, dass seinen Angaben kein Glauben geschenkt werde, hat es im Verfahren vor der belangten Behörde unterlassen, seine Angaben zu präzisieren und derart zur Aufklärung der in seinen Aussagen enthaltenen Unklarheiten beizutragen. Daher vermag der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der ihm zukommenden Überprüfungsbefugnis (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 3. Oktober 1985, Zl. 85/02/0053) nicht zu erkennen, dass die von der belangten Behörde vorgenommene Beweiswürdigung unschlüssig wäre.

Im Übrigen hat der Beschwerdeführer auch mit seinen Hinweisen auf die allgemeinen Verhältnisse im Irak keine Situation geschildert, bei deren Vorliegen im Fall seiner Abschiebung mit ausreichender Wahrscheinlichkeit mit Gefahren iSd § 37 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG zu rechnen wäre. Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben wird, genügt nämlich nicht, um die Abschiebung des Fremden in diesen Staat unter dem Gesichtspunkt dieser Bestimmung als unzulässig erscheinen zu lassen. Vielmehr müssen ausreichend konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade der Betroffene einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde. (Vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 4. Dezember 1996, Zl. 96/21/0688, und vom 1. Juli 1999, Zl. 97/21/0804).

Das Vorbringen, der Beschwerdeführer habe im Fall seiner Abschiebung in den Irak zu erwarten, dass ihm im Sinn des Erlasses Nr. 115 vom 25. August 1994 gemäß den Vorschriften des Art. 42 § 1 der Verfassung des Irak wegen seiner Desertion die Ohrmuschel eines Ohres abgeschnitten werde, wird erstmals in der Beschwerde erstattet. Es handelt sich daher um eine im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof unbeachtliche Neuerung (vgl. § 41 Abs. 1 VwGG). Allenfalls wird sich die zuständige Behörde vor einer Abschiebung des Beschwerdeführers in den Irak mit diesem Vorbringen auseinander zu setzen haben.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 28. April 2000

Schlagworte

Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher Verfahrensmangel Grundsatz der Unbeschränktheit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2000:1996210227.X00

Im RIS seit

22.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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