TE Lvwg Erkenntnis 2018/2/22 LVwG-S-645/001-2017

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Veröffentlicht am 22.02.2018
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Entscheidungsdatum

22.02.2018

Norm

ÄrzteG 1998 §51 Abs1

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich erkennt durch Mag. Marzi als Einzelrichter über die Beschwerde des Dr. AK, vertreten durch pfletschinger renzl Rechtsanwalts Partnerschaft in ***, ***, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Lilienfeld vom 13. Februar 2017, Zl. LFS2-V-16 1262/5, betreffend Bestrafungen nach dem Ärztegesetz 1998 nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, zu Recht:

1.   Der Beschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Straferkenntnis zur Gänze aufgehoben und die Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 2 Verwaltungsstrafgesetz 1991 (VStG) eingestellt.

2.   Eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist nicht zulässig.

Entscheidungsgründe:

1.   Feststellungen:

1.1.  Der Beschwerdeführer war der behandelnde praktische Arzt von Frau MM, geboren *** (in der Folge: Patientin), unter anderem betreffend einen Unfall vom 27. März 2014. Die Patientin wollte Ansprüche gegenüber der *** Versicherung AG (in der Folge: Versicherungsgesellschaft) geltend machen und trat mit dieser in Kontakt. Sie erhielt in der Folge postalisch ein Schreiben der Versicherungsgesellschaft, welchem ein als „Vollmacht für medizinische Auskünfte“ bezeichnetes Formular beigelegt war. Die Patientin übermittelte das Formular in folgender Form an die Versicherungsgesellschaft retour:

[Abweichend vom Original – Bild nicht wiedergegeben]

„…

…“

Die Versicherungsgesellschaft verglich die Unterschrift mit bei ihr aufliegenden Unterschriften. Persönlich und mit Ausweis wurde die Patientin im Zusammenhang mit der Erteilung der Vollmacht bei der Versicherungsgesellschaft nicht vorstellig.

1.2.  Mit Schreiben vom 27. Juli 2014, gerichtet an den Beschwerdeführer, und unter Beilage der „Vollmacht für medizinische Auskünfte“ ersuchte die Versicherungsgesellschaft um Folgendes (Anonymisierung hier und in der Folge durch das Landesverwaltungsgericht):

„Sehr geehrter Herr [Beschwerdeführer],

für die genannte Person besteht bei uns eine Personenversicherung.

Der Behandelte hat sich in der beiliegenden Zustimmungserklärung mit Anfragen unsererseits über bestehende oder frühere Krankheiten und Gebrechen bei Ärzten und Krankenanstalten einverstanden erklärt. Diese sind dadurch im Sinne des Datenschutzgesetzes ausdrücklich ermächtigt, uns die entsprechenden Auskünfte zu erteilen und diesbezüglich von der beruflichen Schweigeplicht entbunden. Die

entsprechende Zustimmungserklärung liegt bei.

Die versicherte Person stand/steht in Ihrer Behandlung. Zur Beurteilung und Erfüllung von Ansprüchen aus dem konkreten Versicherungsfall/den konkreten Versicherungsfällen, bitten wir Sie um folgende Informationen:

-    einen Karteiauszug der letzten 5 Jahre

-    den Behandlungsbericht ab Beginn mit Anamnese

Wir danken für ihre Mühe und werden die Gebühr für diesen Bericht sofort nach Erhalt überweisen.“

1.3.  Nach Erhalt des Schreibens der Versicherungsgesellschaft hielt der Beschwerdeführer Rücksprache mit seiner Patientin und bat sie, zu ihm in die Ordination zu kommen, damit die – aus Sicht des Beschwerdeführers unklare und mit dem Anforderungsschreiben der Versicherungsgesellschaft nicht übereinstimmende – Vollmacht besprochen und ein an die Versicherungsgesellschaft vorzulegendes Konvolut ausgedruckt werden könne. Die Patientin nahm diese Anmerkung des Beschwerdeführers lediglich zur Kenntnis, kam jedoch in der Folge nicht in die Ordination. Der Beschwerdeführer übermittelte die geforderte Dokumentation daher nicht an die Versicherungsgesellschaft.

1.4.  Nach Urgenzschreiben der Versicherungsgesellschaft am 1. September 2015 und 28. September 2015, auf welche der Beschwerdeführer ebenfalls nicht reagierte, rief ein Mitarbeiter der Versicherungsgesellschaft, der Zeuge S, beim Beschwerdeführer an und fragte nach, ob die Krankengeschichte übermittelt werde. Der Beschwerdeführer verneinte dies gegenüber dem Zeugen S.

1.5.  Mit Schreiben vom 4. November 2015 wurde der Patientin seitens der Versicherungsgesellschaft Folgendes mitgeteilt:

„Sehr geehrte Frau [Patientin],

wir bearbeiten die Unterlagen zu dem Vorfall vom 27.03.2014. Leider können wir die Überprüfung nicht abschließen, da einige Informationen noch fehlen.

Der Patient persönlich hat jedenfalls das Recht auf die Herausgabe der medizinischen Unterlagen. Bitte sorgen Sie deshalb dafür, dass wir auf diesem Weg eine Kopie der Krankengeschichte für den unfallbedingten Aufenthalt erhalten. Wenn Ihnen dabei Kosten entstehen, schicken Sie bitte die entsprechenden Belege mit. Wir werden Ihnen diese Ausgaben selbstverständlich ersetzen.“

Einen weiteren Kontakt der Patientin mit dem Beschwerdeführer gab es auch nach diesem Schreiben nicht.

1.6.  Am 11. Mai 2016 kam ein Mitarbeiter des Außendienstes der Versicherungsgesellschaft, der Zeuge H, persönlich in die Ordination des Beschwerdeführers. Der Beschwerdeführer war nicht anwesend, sondern lediglich dessen Sprechstundenhilfe. Herr H verlangte unter Vorweis der oben ersichtlichen Vollmacht Einsicht in die Krankengeschichte, was ihm seitens der Sprechstundenhilfe nicht gestattet wurde. Die Sprechstundenhilfe ersuchte den Zeugen H, auf den Beschwerdeführer zu warten. Der Zeuge H wartete nicht, sondern verlies die Ordination, nachdem er die Vollmacht in der Ordination gelassen hatte. Persönliche Daten – etwa eine Visitenkarte oder ähnliches – hat der Zeuge H nicht in der Ordination zurückgelassen. Die Sprechstundenhilfe kennt Herrn H persönlich. Dem Beschwerdeführer war der Zeuge H zu diesem Zeitpunkt völlig unbekannt, insbesondere war ihm nicht bekannt, dass der Zeuge bei der Versicherungsgesellschaft arbeitet.

Einige Tage später rief der Zeuge H beim Beschwerdeführer wegen der geforderten Unterlagen an, worauf der Beschwerdeführer erklärte, dass mit Vollmacht, Ausweis und einer Bestätigung, dass der Zeuge H bei der Versicherungsgesellschaft arbeite, selbstverständlich Einsicht in die Krankengeschichte genommen werden kann. Der Zeuge H kam in der Folge jedoch nicht mehr in die Ordination.

1.7.  Mit dem nunmehr angefochtenen Straferkenntnis wurde dem Beschwerdeführer Folgendes zur Last gelegt:

„Sie haben folgende Verwaltungsübertretungen begangen:

Zeit:

1. zumindest ab September 2015 bis 15.01.2016;

2. Anfang Mai 2016 bis zumindest 11.05.2016

Ort:

[…]

Tatbeschreibung:

1. Sie haben der Versicherungsgesellschaft […] auf Anfrage vom 27.07.2015 bis zumindest 15.01.2016 nicht die geforderten Auskünfte bezüglich Ihrer Patientin […], erteilt, obwohl die Versicherungsgesellschaft […] eine Vollmacht für medizinische Auskünfte von der Versicherungsnehmerin MM vorlegte.

2. Sie haben der Versicherungsgesellschaft […] auf persönliche Anfrage des Herrn H Anfang Mai 2016 und weiterführende telefonische Nachfrage am 11.05.2016 nicht die geforderten Auskünfte bezüglich Ihrer Patientin […] erteilt, obwohl die Versicherungsgesellschaft […] eine Vollmacht für medizinische Auskünfte von der [Patientin] vorlegte.

Gemäß § 51 Abs. 1 letzter Satz des Ärztegesetzes 1998 sind Ärzte verpflichtet, dem Patienten Einsicht in die Dokumentation zu gewähren oder gegen Kostenersatz die Herstellung von Abschriften zu ermöglichen. Eine Verschwiegenheitspflicht besteht aufgrund der von der Patientin erteilten Vollmacht gemäß § 54 Abs. 2 Z.3 des Ärztegesetzes 1998 nicht.

Sie haben dadurch folgende Rechtsvorschriften verletzt:

zu 1. und 2.  § 51 Abs. 1 iVm § 199 Abs. 3 Ärztegesetz 1998

Wegen dieser Verwaltungsübertretungen werden über Sie folgende Strafen verhängt:

Geldstrafen von

falls diese uneinbringlich ist, Ersatzfreiheitsstrafen von

Gemäß

zu 1.  250,00

39 Stunden

§ 199 Abs. 3 Ärztegesetz 1998

zu 2.  250,00

39 Stunden

§ 199 Abs. 3 Ärztegesetz 1998

 

 

 

Vorgeschriebener Kostenbeitrag gemäß § 64 Abs.2 Verwaltungsstrafgesetz 1991 (VStG), das sind 10% der Strafe, mindestens jedoch 10 Euro

                 50,00

                                                           Gesamtbetrag:

                 550,00“

1.8.  Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher mit näherer Begründung die Aufhebung des angefochtenen Straferkenntnisses zur Gänze sowie die Einstellung der zugrunde liegenden Verwaltungsstrafverfahren beantragt wird.

2.   Beweiswürdigung:

Die Feststellungen gründen auf der mündlichen Verhandlung vom 16. Februar 2018, in welcher Beweis erhoben wurde durch Einsichtnahme in den von der belangten Behörde vorgelegten Verwaltungsstrafakt, Einvernahme des Beschwerdeführers sowie H und S als Zeugen sowie das vom Zeugen S vorgelegte Schreiben vom 4. November 2015 (Beilage ./1 zur Verhandlungsschrift).

Hinsichtlich der Umstände beim Besuch des Zeugen H in der Ordination sowie dem Inahlt des Telefongesprächs zwischen ihm und dem Beschwerdeführer folgt das Landesverwaltungsgericht der insofern glaubwürdigen Aussage des Beschwerdeführers. Der Zeuge H konnte sich konkret weder an den Ordinationsbesuch noch an das Telefonat erinnern.

3.   Rechtliche Erwägungen:

3.1.  Gemäß § 51 Abs. 1 des Ärztegesetztes 1998, BGBl. I Nr. 169/1998 in der im Beschwerdefall maßgebenden Fassung BGBl Nr. 32/2014, ist der Arzt verpflichtet, Aufzeichnungen über jede zur Beratung oder Behandlung übernommene Person zu führen und hierüber der beratenen oder behandelnden oder zu ihrer gesetzlichen Vertretung befugten Person alle Auskünfte zu erteilen. Der Arzt ist verpflichtet, dem Patienten Einsicht in die Dokumentation zu gewähren oder gegen Kostenersatz die Herstellung von Abschriften zu ermöglichen.

In den Erläuterungen zu dieser Bestimmung heißt es auszugsweise wie folgt (vgl. 629 BlgNR 21. GP, 53):

Zu Z 44 und 45 (§ 51 Abs. 1):

Die Änderung in der Zitierung des Arzneimittelgesetzes dient der Behebung eines

Redaktionsversehens.

Korrespondierend zu den im § 51 Abs. 1 normierten Arztpflichten besteht schon bisher nach herrschender Rechtslehre sowie der geltenden Rechtsprechung das Recht des Patienten auf Einsicht in die vollständig vorliegende Krankengeschichte, welches als elementare nebenvertragliche Verpflichtung aus dem zwischen Patient und Arzt abgeschlossenen Behandlungsvertrag angesehen wird. Das Recht auf Einsichtnahme umfasst unbestritten auch die Befugnis des Patienten, Kopien der Dokumentation zu verlangen (siehe dazu ausführlich Juen, Arzthaftungsrecht (1997), 75 ff, bzw. den Sachverhalt in OGH 23. Mai 1984, SZ 57/89, Herausgabe einer Abschrift der Krankengeschichte als Streitgegenstand). Aus Gründen der Rechtsklarheit soll allerdings das Recht auf Einsicht über Verlangen des Patienten in die Krankengeschichte expressis verbis im Ärztegesetz 1998 festgeschrieben werden.

Zur Verpflichtung des Arztes, Einsicht zu gewähren oder Abschriften herzustellen, ist festzuhalten, dass die herrschende Lehre und Judikatur davon ausgehen, dass diese Verpflichtung dann nicht besteht, wenn Einsicht oder Herstellung von Abschriften zu einer erheblichen Gefährdung des Wohls des betroffenen Patienten führen würde (vgl. das sogenannte „therapeutische Privileg“).

Der Vollständigkeit halber ist noch darauf hinzuweisen, dass sämtliche Dokumentationsvorschriften einschließlich der Gewährung der Einsicht bzw. der Herstellung von Abschriften nicht für allfällige darüber hinausgehende höchstpersönliche Aufzeichnungen des Arztes gelten, die vor allem dazu dienen, in subjektiven Deutungen mögliche Therapieverläufe zu reflektieren. Da diese subjektiven Reflexionen der höchstpersönlichen Sphäre des Arztes zuzuordnen sind, liegt ihre Preisgabe, soweit der Verschwiegenheitspflicht unterliegende Informationen aus ihnen nicht hervorgehen, im Ermessen des Arztes.“

 

3.2.1.  Soweit das angefochtene Straferkenntnis ergangen ist, weil der Beschwerdeführer der Versicherungsgesellschaft die verlangten Informationen aus der Krankengeschichte nicht übermittelt hat, stellte ein derartiges Verhalten keine Übertretung des § 51 Abs. 1 ÄrzteG 1998 dar; eine Übermittlungsverpflichtung ist aus dieser Bestimmung nämlich nicht abzuleiten (vgl. betreffend die Akteneinsicht § 17 AVG zB VwGH vom 25. Februar 2010, 2009/06/0226).

3.2.2.  Überdies hat das Verhalten des Beschwerdeführers im konkreten Fall auch sonst nicht dem § 51 Abs. 1 ÄrzteG 1998 widersprochen:

Die seitens der Versicherungsgesellschaft übermittelte Vollmacht wies weder Datum noch eine konkrete Bezugnahme zum Beschwerdeführer auf. Die Vollmacht bezog sich lediglich mit einem handschriftlichen Vermerk auf einen „Vorfall vom 27.3.2014“. Weitere Konkretisierungen sind dieser Vollmacht nicht zu entnehmen und wurde insbesondere die Zeile „Name und Adressen sonstiger behandelnder Ärzte“ nicht – mit dem Namen des Beschwerdeführers – ausgefüllt. Aufgrund dieser Unklarheiten bat der Beschwerdeführer seine Patientin zu einem persönlichen Besuch in die Ordination. Die Patientin kam jedoch nicht. Auch eine Konkretisierung der Vollmacht durch die Patientin erfolgte nicht.

Auf Basis dieser unklaren Vollmacht war der Beschwerdeführer nicht verpflichtet, der Versicherungsgesellschaft Auskünfte über die Patientin zu erteilen bzw. Einsichtnahme in die bei ihm geführte Dokumentation gemäß § 51 Abs. 1 letzter Satz Ärztegesetz 1998 zu gewähren.

3.2.3.  Nach dem Vorgesagten fand keine Übertretung des § 51 Abs. 1 ÄrzteG 1998 statt, weshalb das angefochtene Straferkenntnis zur Gänze aufzuheben und die zugrundeliegenden Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 2 VStG einzustellen sind.

3.3.  Zur Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:

Die Revision ist nicht zulässig, da lediglich eine einzelfallbezogene Beurteilung vorzunehmen war (vgl. VwGH vom 22. November 2017/19/0482) und ansonsten die Rechtslage eindeutig ist (vgl. aus der stRsp zur Unzulässigkeit der Revision in derartigen Fällen zB VwGH vom 15. Dezember 2016, Ra 2016/18/0343).

Schlagworte

Freie Berufe; Ärzte; Verwaltungsstrafe; Auskunft; Schweigepflicht;

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGNI:2018:LVwG.S.645.001.2017

Zuletzt aktualisiert am

05.03.2018
Quelle: Landesverwaltungsgericht Niederösterreich LVwg Niederösterreic, http://www.lvwg.noe.gv.at
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