TE Vwgh Beschluss 2000/5/4 98/20/0437

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Veröffentlicht am 04.05.2000
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/07 Verwaltungsgerichtshof;

Norm

B-VG Art131 Abs1 Z1;
VwGG §33 Abs1;
VwGG §56;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Stöberl, Dr. Baur, Dr. Nowakowski und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Winter, in der Beschwerdesache der MN in R, geb. am 22. November 1967, vertreten durch Dr. Alfred Steinbuch, Rechtsanwalt in 2620 Neunkirchen, Seebensteiner Straße 4, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 20. Juli 1998, Zl. 203.159/0-IX/25/98, betreffend Asylgewährung (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Beschwerde wird als gegenstandslos erklärt und das Verfahren eingestellt.

Der Bund (Bundeskanzleramt) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige des Iran, armenischer Volkszugehörigkeit und (gregorianische) Christin. Sie reiste am 2. April 1998 gemeinsam mit ihrem Mann (vgl. die hg. zur Zl. 98/20/0479 protokollierte Beschwerde) und ihren beiden Kindern unrechtmäßig in das Bundesgebiet ein und beantragte am 7. April 1998 Asyl.

Bei ihrer Befragung am 7. April 1998 durch das Bundesasylamt gab die Beschwerdeführerin Folgendes an:

"Ich habe mich nicht politisch betätigt. Mein Ehegatte hatte Probleme mit Revolutionswächtern. Zwei Revolutionswächter legten meinem Gatten Opium in dessen Lastwagen. Mein Gatte wurde deshalb, zu Unrecht, des Besitzes von Rauschgift beschuldigt. Die Revolutionswächter legten das Rauschgift in den Lastwagen meines Mannes, um diesen, wegen dessen armenischer Volksgruppenzugehörigkeit und dessen christlich gregorianischen Glaubensbekenntnisses, Probleme zu bereiten.

Im Falle einer Rückkehr in den Iran, würde mein Mann, aus erwähnten Gründen, zu Unrecht, zu einer Freiheitsstrafe unbekannten Ausmaßes verurteilt werden. Ich wäre dann mit meinen beiden unmündigen Söhnen auf mich alleine gestellt. Ich hätte mit den beiden unmündigen Söhnen keine Chance, den Lebensunterhalt zu bestreiten. Mein Gatte wurde gegen Hinterlegung einer Grundbuchsrolle aus dem Gefängnis entlassen."

Mit dem Bescheid des Bundesasylamtes vom 22. April 1998 wurde der Asylantrag der Beschwerdeführerin gemäß § 7 Asylgesetz 1997 abgewiesen und ausgesprochen, dass deren Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den Iran gemäß § 8 Asylgesetz 1997 nicht zulässig ist.

Das Bundesasylamt schenkte den Angaben der Beschwerdeführerin - abgesehen von ihrer nicht mit der "notwendigen Verlässlichkeit" feststellbaren Identität - Glauben, verneinte jedoch eine gegen die Beschwerdeführerin selbst gerichtete Verfolgungsgefahr.

Gegen den den Asylantrag abweisenden Teil dieses Bescheides erhob die Beschwerdeführerin Berufung, in der sie zusätzlich vorbrachte, dass der Umstand ihrer unerlaubten Einreise nach Österreich verbunden mit dem Asylansuchen in ihrem Heimatland Iran als politischer Verrat am herrschenden Regime betrachtet werde und deshalb Verfolgung im Konventionssinne nach sich ziehe.

Mit Schreiben vom 17. Juni 1998 gab die belangte Behörde der Beschwerdeführerin bekannt, dass nach einer ihr vorliegenden Mitteilung der Delegation der Niederlande an den Rat der Europäischen Union aus den behaupteten Nachfluchtgründen keine asylrelevante Verfolgungsgefahr abgeleitet werden könne. Die angesprochene Mitteilung selbst wurde aber weder aktenkundig gemacht noch der Beschwerdeführerin vorgehalten. Diese trat der Mitteilung der belangten Behörde mit dem Schreiben vom 2. Juli 1998 unter Zitierung einer Stellungnahme des UNHCR, die ebenfalls nicht vorgelegt wurde, entgegen.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung gemäß § 7 Asylgesetz 1997 ab. Sie schloss sich den vom Bundesasylamt getroffenen Sachverhaltsfeststellungen und der darauf aufbauenden rechtlichen Beurteilung mit Ausnahme der Feststellung über die fragliche Identität der Beschwerdeführerin vollinhaltlich an und hob hervor, dass sie keine gegen sie persönlich gerichtete Verfolgung durch die iranischen Behörden vorgebracht habe.

Die belangte Behörde führte weiter aus:

"Der ausschließliche Grund für das Asylbegehren waren behauptete Vorfälle, die gegen den Ehegatten der Berufungswerberin gerichtet waren. Dieser Umstand könnte allenfalls nur dann berücksichtigt werden, wenn im Fall des Ehegatten der Berufungswerberin die Voraussetzungen für die Gewährung von Asyl bestehen würden. Da jedoch auch im Fall des Ehegatten der Berufungswerberin eine maßgebliche Verfolgung nicht festgestellt werden konnte, ist die Gewährung von Asyl aus diesem Grund auch nicht zulässig.

Der von der Berufungswerberin erstmals in der Berufung geltend gemachte Nachfluchtgrund der illegalen Ausreise und Asylantragstellung im Ausland ist ebenfalls nicht geeignet in Verbindung mit den sonst von ihr vorgebrachten Fluchtgründen oder für sich alleine den Tatbestand der wohlbegründeten Furcht vor Verfolgung im Sinn des Art. 1 A Z 2 GFK zu begründen.

Grundsätzlich ist richtig, dass Umstände, mit denen der Asylwerber seine Furcht vor Verfolgung begründet, die erst während des Aufenthalts in Österreich eingetreten sind (sogenannte "Nachfluchtgründe") zur Asylgewährung führen können.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes können diese Nachfluchtgründe nur dann asylrelevant sein, wenn eine bereits vor der Flucht bestehende latente Gefährdungslage sich durch die Asylantragstellung bzw. illegale Ausreise zu einer konkreten Verfolgungsgefahr steigert.

Die von der Berufungswerberin geltend gemachten Fluchtgründe, die sich ausschließlich auf ihren Ehegatten bezogen, waren jedoch, wie bereits ausgeführt, in keinster Weise geeignet Verfolgungshandlungen aus Gründen der GFK anzunehmen, sodass auch von einer latenten Gefährdungslage, als Voraussetzung für einen allfälligen Nachfluchtgrund nicht gesprochen werden kann.

Der Berufungswerberin wurde im Übrigen zur Kenntnis gebracht, dass auf Grund vorliegenden Dokumentationsmaterials davon auszugehen ist, dass die iranischen Behörden, die Tatsache, dass jemand Asyl in einem anderen Land beantragt, nicht als politischen Akt ansehen und nicht als strafbare Handlung werten."

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.

Am 29. Juli 1999 teilte die belangte Behörde unter Vorlage der Kopie eines Schreibens des Bundesministeriums für Inneres vom 20. Juli 1999 mit, dass die Beschwerdeführerin am 11. Februar 1999 in die USA ausgewandert sei. Der Vertreter der Beschwerdeführerin hat von der ihm eingeräumten Gelegenheit, gemäß § 33 VwGG dazu Stellung zu nehmen, keinen Gebrauch gemacht. Der Verwaltungsgerichtshof geht daher von der Richtigkeit der ihm übermittelten Schreiben aus.

Vorauszuschicken ist, dass die Beschwerde zulässig ist, weil sich die Beschwerdeführerin im Zeitpunkt ihrer Einbringung (12. Oktober 1998) noch im Inland aufhielt und daher nicht davon ausgegangen werden kann, dass im Zeitpunkt der Beschwerdeeinbringung keine Rechtsverletzungsmöglichkeit durch den angefochtenen Bescheid gegeben sei.

Gemäß § 33 Abs. 1 erster Satz VwGG ist eine Beschwerde mit Beschluss als gegenstandslos geworden zu erklären und das Verfahren einzustellen, wenn in irgendeiner Lage des Verfahrens offenbar wird, dass die Beschwerdeführerin klaglos gestellt wurde.

Bei einer Bescheidbeschwerde gemäß Art. 131 Abs. 1 Z 1 B-VG ist unter einer "Klaglosstellung" nach § 33 Abs. 1 und § 56 erster Satz VwGG nur eine solche zu verstehen, die durch eine formelle Aufhebung des beim Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheides - im Besonderen durch die belangte Behörde oder die allenfalls in Betracht kommende Oberbehörde oder durch den Verfassungsgerichtshof - eingetreten ist (vgl. dazu den Beschluss eines verstärkten Senates vom 9. April 1980, Slg. Nr. 10.092/A).

§ 33 Abs. 1 VwGG ist aber nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht nur auf die Fälle der formellen Klaglosstellung beschränkt. Ein Einstellungsfall liegt, wie der Verwaltungsgerichtshof im zitierten Beschluss vom 9. April 1980 darlegte, zum Beispiel auch dann vor, wenn die Beschwerdeführerin kein rechtliches Interesse mehr an einer Sachentscheidung des Gerichtshofes hat (vgl. unter vielen den hg. Beschluss vom 23. Februar 1996, Zl. 95/17/0026). Ob in letzterem Sinne das rechtliche Interesse eines Beschwerdeführers weggefallen ist, hat der Verwaltungsgerichtshof nach objektiven Kriterien zu prüfen; er ist nicht an die Erklärung des Beschwerdeführers gebunden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 2. Oktober 1991, Zl. 88/07/0061).

Im Hinblick darauf, dass die Beschwerdeführerin in die USA ausgewandert ist, ist für den Verwaltungsgerichtshof nicht ersichtlich, welche praktische Bedeutung der Erledigung der Beschwerde noch zukommen sollte und welches rechtliche Interesse die Beschwerdeführerin an einer Sacherledigung des Verwaltungsgerichtshofes in der vorliegenden Beschwerdesache haben sollte. Die Beschwerde war daher in sinngemäßer Anwendung des § 33 Abs. 1 VwGG als gegenstandslos geworden zu erklären und das Verfahren einzustellen.

Der Ausspruch über den Kostenersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG, insbesondere auf § 58 Abs. 2 VwGG, in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Gemäß § 58 Abs. 2 VwGG in der Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 88/1997 ist bei der Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens der nachträgliche Wegfall des Rechtsschutzinteresses bei einer Beschwerde nicht zu berücksichtigen; würde hiebei die Entscheidung über die Kosten einen unverhältnismäßigen Aufwand erfordern, so ist darüber nach freier Überzeugung zu entscheiden.

Berücksichtigte man den nachträglichen Wegfall des Rechtsschutzinteresses bei der vorliegenden Beschwerde nicht, so ist davon auszugehen, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben gewesen wäre.

Die belangte Behörde hat der Beschwerdeführerin zur behaupteten Gefährdung wegen der bloßen Stellung des Asylantrags entgegengehalten, ihre unerlaubte Ausreise und Asylantragstellung würden von den iranischen Behörden "nicht als politischer Akt angesehen" werden. Diese Annahme der belangten Behörde beruht aber nicht auf einem fehlerfreien Verfahren, weil sie in Anbetracht der von ihr zusätzlich getroffenen Feststellungen gemäß § 67d Abs. 1 AVG i.V.m. Artikel II Abs. 2 lit. D Z 43a EGVG eine mündliche Verhandlung hätte durchführen müssen. Darüber hinaus hat es die belangte Behörde unterlassen, die von ihr zitierten Berichte der niederländischen Delegation an den Rat der Europäischen Union und des UNHCR beizuschaffen, sodass eine Überprüfung der Beweiswürdigung nicht möglich ist.

Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 und 7 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, verwiesen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Wien, am 4. Mai 2000

Schlagworte

Einstellung des Verfahrens wegen Klaglosstellung gemäß VwGG §56 erster Satz

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2000:1998200437.X00

Im RIS seit

02.05.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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