RS Vfgh 2016/10/15 WIV1/2016

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Veröffentlicht am 15.10.2016
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Index

10/04 Wahlen

Norm

B-VG Art6 Abs3
B-VG Art141 Abs1 litf, litg
BundespräsidentenwahlG 1971 §5
NRWO 1992 §23, §28, §30, §32
WählerevidenzG 1973 §1, §2
MeldeG 1991 §1 Abs7, §15a
VfGG §67 Abs2, Abs4
EMRK Art6

Leitsatz

Keine Stattgabe der Anfechtung eines Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichtes betreffend Versagung der Berichtigung des Wählerverzeichnisses für die Wahl des Bundespräsidenten durch Streichung einer Person aus der Wählerevidenz wegen Nichtvorliegens eines Hauptwohnsitzes; Anknüpfung an den am Stichtag gemeldeten Hauptwohnsitz in Wels nicht rechtswidrig

Rechtssatz

Zulässigkeit der auf Art141 Abs1 litg B-VG gestützten Anfechtung (vgl VfSlg 19944/2015).

§67 Abs2 VfGG ist, wie schon Aufbau und Systematik zeigen, auf die Anfechtung von Volkswahlen zu allgemeinen Vertretungskörpern zugeschnitten und berücksichtigt Verfahren über die Aufnahme von Personen in Wählerevidenzen und die Streichung von Personen aus Wählerevidenzen nicht. Läge in dieser Gesetzesnorm eine abschließende Regelung der Legitimation auch zur Anfechtung von Aufnahmen in oder Streichungen aus Wählerevidenzen nach Art141 Abs1 litf B-VG, würde dies zur Folge haben, dass auch einem von der rechtswidrigen Nichteintragung (Streichung) in (aus) eine(r) Wählerevidenz betroffenen Wahlberechtigten keine Legitimation zur Anfechtung dieser Entscheidung zukommt; dies obgleich er dadurch in seinem durch Art60 Abs1 iVm Art26 Abs1 B-VG verfassungsgesetzlich gewährleisteten Wahlrecht des Bundespräsidenten verletzt wäre. Eine sinngemäße Anwendung von §67 Abs2 VfGG auf Verfahren über die Aufnahme von Personen in Wählerevidenzen (Wählerverzeichnisse) und die Streichung von Personen aus Wählerevidenzen (Wählerverzeichnissen) kommt somit nicht in Betracht.

Die Anfechtungslegitimation ist - bei Fehlen entsprechender bundesgesetzlicher Regelungen - unmittelbar aus Art141 B-VG selbst abzuleiten. Gemäß Art141 Abs1 Satz 2 B-VG kann die Anfechtung gemäß litg auf die behauptete Rechtswidrigkeit des Verfahrens gegründet werden. Demnach ist für die Beurteilung der Frage, welchen Personen in Verfahren über die Aufnahme von Personen in Wählerevidenzen (Wählerverzeichnisse) und die Streichung von Personen aus Wählerevidenzen (Wählerverzeichnissen) Anfechtungslegitimation zukommt, auf die einfachgesetzliche Ausgestaltung des zugrunde liegenden Verfahrens Bedacht zu nehmen.

Obgleich der Anfechtungswerber zwar nicht selbst von der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes betroffen ist, wird ihm durch die - gemäß §5 BPräsWG für das Berichtigungs- und Beschwerdeverfahren geltenden - Bestimmungen des §28 bis §32 NRWO bereits im Berichtigungsverfahren der Wählerverzeichnisse eine Antrags- und Beschwerdelegitimation und somit Parteistellung eingeräumt. Im Hinblick darauf, dass eine Anfechtung gemäß Art141 Abs1 Satz 2 B-VG auf die behauptete Rechtswidrigkeit des Verfahrens zu gründen ist und keine andere Beschränkung der Anfechtungslegitimation vorgesehen ist, ist die Anfechtungslegitimation des Anfechtungswerbers gegeben.

Rechtzeitigkeit der innerhalb der in §67 Abs4 iVm §68 Abs1 VfGG festgelegten (vierwöchigen) Anfechtungsfrist eingebrachten Anfechtung.

In Anbetracht der Rechtslage und des Umstandes, dass der Anfechtungswerber als Grund für das Nichtvorliegen eines Hauptwohnsitzes der Betroffenen (§28 Abs3 NRWO) lediglich auf seine "persönliche Wahrnehmung" und jene seiner Ehefrau verwiesen hat, kann der Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes nicht entgegengetreten werden, wenn es für die Frage, ob die Betroffene aus dem Wählerverzeichnis zu streichen ist, an ihren zum Stichtag, dem 23.02.2016, nach dem MeldeG gemeldeten Hauptwohnsitz in Wels anknüpft und sich bei der Begründung insbesondere auf ihre gemäß §15a MeldeG erstattete Wohnsitzerklärung vom 02.02.2016 stützt, wonach die Betroffene ihre Aufenthaltsdauer - angesichts eines erhöhten Betreuungsbedarfes ihrer Mutter - über den Verlauf eines Jahres mit 205 Tagen an der Anschrift in Wels und 160 Tagen an jener in Wien bezifferte. Im Hinblick auf Art6 Abs3 B-VG und §1 Abs7 Satz 2 MeldeG, wonach für den Fall, dass die sachlichen Voraussetzungen eines Hauptwohnsitzes bei einer Gesamtbetrachtung der beruflichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebensbeziehungen eines Menschen auf mehrere Wohnsitze zutreffen, er jenen als Hauptwohnsitz zu bezeichnen hat, zu dem er das überwiegende Naheverhältnis hat, kommt nämlich der zeitnah zum Stichtag erstatteten Wohnsitzerklärung besondere Bedeutung zu. Eine vom Anfechtungswerber behauptete Rechtswidrigkeit des Verfahrens hat sich somit nicht ergeben.

Kein mangelhaftes Ermittlungsverfahren; Verfahren über die Aufnahme und Streichung von Personen aus Wählerverzeichnissen sind nicht von Art6 EMRK umfasst.

Da eine Rechtswidrigkeit des Verfahrens somit nicht erwiesen werden konnte, konnte auch die Nichtbeachtung der viertägigen Entscheidungsfrist des §32 Abs2 NRWO nicht von Einfluss auf das Verfahrensergebnis sein (Art141 Abs1 Satz 3 B-VG).

Entscheidungstexte

Schlagworte

Wahlen, Wählerevidenz, Wahlrecht, Bundespräsident, Wohnsitz, VfGH / Legitimation

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2016:WIV1.2016

Zuletzt aktualisiert am

01.03.2018
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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