TE Vwgh Erkenntnis 2018/1/29 Ra 2016/04/0090

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Veröffentlicht am 29.01.2018
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/07 Verwaltungsgerichtshof;

Norm

AufwandersatzV VwGH 2014;
B-VG Art130 Abs2 Z2;
B-VG Art14b;
VwGG §47 Abs5;
VwRallg;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):Ra 2016/04/0091

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Rigler, die Hofräte Dr. Kleiser und Dr. Mayr, die Hofrätin Mag. Hainz-Sator sowie den Hofrat Mag. Brandl als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Tiefenböck, über die Revisionen I. der Stadt Wien - Wiener Wohnen, vertreten durch die Shmp Schwartz Huber Medek Pallitsch Rechtsanwälte OG in 1010 Wien, Hohenstaufengasse 7, (protokolliert zu Ra 2016/04/0090), und II. der L GmbH in W, vertreten durch die CMS Reich-Rohrwig Hainz Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Gauermanngasse 2, (protokolliert zu Ra 2016/04/0091) jeweils gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 17. Mai 2016, Zl. VGW-123/074/4026/2015-5, betreffend vergaberechtliches Feststellungsverfahren (mitbeteiligte Partei zu I: L GmbH in W, vertreten durch die CMS Reich-Rohrwig Hainz Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Gauermanngasse 2; mitbeteiligte Partei zu II.: Stadt Wien - Wiener Wohnen, vertreten durch die Shmp Schwartz Huber-Medek Pallitsch Rechtsanwälte OG in 1010 Wien, Hohenstaufengasse 7), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird im Umfang der Spruchpunkte I und III wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, im Umfang des Spruchpunktes II wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts aufgehoben.

Das Land Wien hat der Zweitrevisionswerberin Aufwendungen in Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Der Antrag der Erstrevisionswerberin auf Zuerkennung von Aufwandersatz wird abgewiesen.

Begründung

1 1. Die Erstrevisionswerberin (im Folgenden: Auftraggeberin) führte als öffentliche Auftraggeberin ein offenes Verfahren im Oberschwellenbereich nach den Regeln des BVergG 2006 zur Vergabe von Rahmenverträgen für die Dauer von drei Jahren betreffend Maler- , Anstreicher-, Bodenleger- und Reinigungsdienstleistungen für städtische Wohnhausobjekte durch. Die Ausschreibung war in 48 Lose (Gebietseinheiten=GE) gegliedert. Die Vergabe erfolgte nach dem Billigstbieterprinzip.

2 Die Zweitrevisionswerberin (im Folgenden: Antragstellerin) beteiligte sich am Vergabeverfahren durch die Abgabe eines Angebotes unter anderem für die Gebietseinheiten KD 11 GE 4 bis GE 6 (Lose 16 bis 18).

3 In einem ersten Verfahrensgang wurde betreffend die Lose KD 11 GE 4 bis GE 6 (Lose 16 bis 18) die Antragstellerin jeweils als an zweiter Stelle hinter der näher bezeichneten Zuschlagsempfängerin gereiht bekannt gegeben. In der Folge teilte die Auftraggeberin der zu diesem Zeitpunkt ermittelten Zuschlagsempfängerin mit, dass sie das Ausscheiden ihres Angebotes beabsichtige. Unter einem teilte die Auftraggeberin die Zuschlagsentscheidung zugunsten der Antragstellerin mit.

4 Sowohl die Ausscheidensentscheidung als auch die Zuschlagsentscheidung wurden mit Bescheid des Vergabekontrollsenats Wien vom 26. Juli 2011, VKS-5962/11, für nichtig erklärt.

5 Nach einer fortgesetzten vertieften Angebotsprüfung wurde von der Auftraggeberin am 6. Dezember 2011 die Zuschlagsentscheidung betreffend die Lose KD 11 GE 4 bis GE 6 (Lose 16 bis 18) zugunsten wiederum der bereits im ersten Verfahrensgang ermittelten Zuschlagsempfängerin bekannt gegeben.

6 Gegen diese Zuschlagsentscheidung erhob die Antragstellerin am 16. Dezember 2011 einen Antrag auf Nichtigerklärung. Der diesen Antrag abweisende Bescheid des VKS Wien wurde mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom 17. September 2014, 2012/04/0016, aufgehoben.

7 2. Am 7. April 2015 brachte die Antragstellerin im Anschluss an das eben erwähnte Nichtigerklärungsverfahren einen Antrag auf Feststellung gemäß § 39 Abs. 2 Wiener Vergaberechtsschutzgesetz (WVRG) beim Verwaltungsgericht Wien (Verwaltungsgericht) ein und begehrte die Feststellung, dass die Zuschlagsentscheidung vom 6. Dezember 2011 betreffend die Lose KD 11 GE 4 bis GE 6 (Lose 16 bis 18) zugunsten der näher bezeichneten Zuschlagsempfängerin rechtswidrig erfolgt sei.

8 In diesem Feststellungsverfahren stellte die Auftraggeberin in der Folge ihrerseits den Antrag, es möge gemäß § 39 Abs. 4 WVRG 2014 festgestellt werden, dass die Antragstellerin auch bei Einhaltung der Bestimmungen des BVergG 2006 und der hierzu ergangenen Verordnungen keine echte Chance auf den Zuschlag gehabt hätte.

9 3.1. Mit dem angefochtenen Erkenntnis sprach das Verwaltungsgericht aus, dass dem Feststellungsantrag der Antragstellerin, wonach die Zuschlagsentscheidung vom 6. Dezember 2011 betreffend die Lose KD 11 GE 4 bis GE 6 (Lose 16 bis 18) zugunsten der Zuschlagsempfängerin rechtswidrig erfolgt sei, Folge gegeben werde (Spruchpunkt I).

10 Ebenso wurde dem Gegenfeststellungsantrag der Auftraggeberin, es möge gemäß § 39 Abs. 4 WVRG 2014 festgestellt werden, dass die Antragstellerin auch bei Einhaltung der Bestimmungen des BVergG 2006 und der hierzu ergangenen Verordnungen keine echte Chance auf den Zuschlag gehabt hätte, Folge gegeben (Spruchpunkt II).

11 Weiters wurde dem Antrag der Antragstellerin auf Ersatz der Pauschalgebühren Folge gegeben und die Auftraggeberin zum Ersatz der Pauschalgebühren in Höhe von EUR 4.096,50 verpflichtet (Spruchpunkt III).

In seinem Spruchpunkt IV erklärte das Verwaltungsgericht die Revision für nicht zulässig.

12 3.2. Soweit für das Revisionsverfahren von Relevanz traf das Verwaltungsgericht unter anderem folgende unbestrittene Feststellungen:

"(...) Insgesamt haben sich 31 Bieter am Vergabeverfahren beteiligt, darunter die Antragstellerin, die für alle Lose Angebote gelegt hat.

(...) Im Angebot der Antragstellerin wurden mit Angebotsabgabe am 30.4.2010 Daten für die Bieterlücken angegeben. Unter der Rubrik ‚Begleitschreiben' im Angebot der Antragstellerin (Karton 4, Ordner 1 von 6) werden in einer Aufstellung, welche in einer tabellarischen Form die Positionen aus dem Leistungsverzeichnis, den jeweils namhaft gemachten ‚Lieferanten', das ‚Material' und eine Einheitsangabe enthält, Angaben zu Bieterlücken gemacht. Diese Angaben nennen einen Erzeuger und ein Material, zu welchen es verschiedene Produkte am Markt gibt. (...) Fest steht demnach, dass sich unter der angeführten Bezeichnung im Angebot der Antragstellerin mehrere Materialien des im Angebot bezeichneten Herstellers am Markt befinden. (...)

Die Bieterlücken im Angebot der Antragstellerin sowie im Angebot der Zuschlagsempfängerin waren sohin zum Zeitpunkt der Angebotsöffnung am 30.4.2010 unzureichend befüllt. (...)"

13 3.3. In rechtlicher Hinsicht führte das Verwaltungsgericht zu Spruchpunkt I begründend aus, nach der Rechtsprechung führe das Nichtausfüllen einer einzigen echten Bieterlücke zum Ausscheiden des Angebots, weil die Behebung des Mangels zu einer materiellen Verbesserung der Wettbewerbsstellung des Bieters führe.

14 Im vorliegenden Fall sei von der Auftraggeberin kein beispielhaftes Erzeugnis angegeben, sodass vom Vorliegen einer echten Bieterlücke auszugehen sei.

15 Im Angebot der Zuschlagsempfängerin sei anstelle eines bestimmten Produktes in den Bieterlücken ein Hersteller angeführt. Da der Hersteller mehr als ein in Betracht kommendes Produkt im Sortiment habe, sei mit dieser Angabe das angebotene Produkt nicht ausreichend bestimmt. Das Nachreichen von Produktdatenblättern sei erst nach Angebotsöffnung erfolgt, weshalb das Angebot der Zuschlagsempfängerin wegen Vorliegens eines nicht verbesserbaren Mangels auszuscheiden gewesen wäre.

16 Hinsichtlich Spruchpunkt II führte das Verwaltungsgericht in rechtlicher Hinsicht aus, im Angebot der Antragstellerin würden sich in der Aufstellung ebenso anstelle von Produktdaten Herstellernamen finden. Da mangels Angabe eines Leitproduktes in der Ausschreibung diesbezüglich eine "echte Bieterlücke" vorliege, habe auch die Antragstellerin einen Ausscheidensgrund gesetzt. Entsprechend § 39 Abs. 4 WVRG 2014 habe die Antragstellerin aus diesem Grund keine echte Chance auf Zuschlagserteilung gehabt, weshalb dem auf die Feststellung gerichteten Gegenantrag der Auftraggeberin stattzugeben gewesen sei.

17 Der Ausspruch betreffend die Ersatzpflicht der Pauschalgebühren gründe auf dem teilweisen Obsiegen der Antragstellerin gemäß § 16 Abs. 1 und 2 WVRG 2014.

18 Die ordentliche Revision sei nicht zulässig, weil sich das Verwaltungsgericht an die einheitliche Rechtsprechung zu den hier zu beurteilenden Bieterlücken halte. Eine Rechtsfrage im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG liege nicht vor.

19 4. Ad I.: (Ra 2016/04/0090) Gegen die Spruchpunkte I und III dieses Erkenntnisses richtet sich die außerordentliche Revision der Auftraggeberin mit dem Antrag, das Erkenntnis im angefochtenen Umfang aufzuheben.

20 Die Antragstellerin beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision zurück- oder abzuweisen.

21 Ad II.: (Ra 2016/04/0091) Gegen Spruchpunkt II des Erkenntnisses richtet sich die außerordentliche Revision der Antragstellerin mit dem Antrag, das Erkenntnis im angefochtenen Umfang wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts und/oder Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

22 Die Auftraggeberin beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision der Antragstellerin zurück- oder abzuweisen.

23 5. Der Verwaltungsgerichtshof hat über die - wegen ihres engen sachlichen und rechtlichen Zusammenhangs zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen -Revisionen erwogen:

24 Die Revisionsfälle gleichen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht in den entscheidungswesentlichen Punkten jenem, der vom Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom heutigen Tag, Ra 2016/04/0086 und 0087, entschieden wurde. Auch der Inhalt der Revisionen stimmt mit jenem der Revisionsschriftsätze in den genannten Verfahren überein.

25 Gemäß § 43 Abs. 2 VwGG wird daher auf die Entscheidungsgründe der genannten Erkenntnisse verwiesen. Aus den dort angeführten Gründen ist das angefochtene Erkenntnis im Umfang der Spruchpunkte I und III gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG, im Umfang des Spruchpunktes II gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts aufzuheben.

26 Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

27 Gemäß § 47 Abs. 5 VwGG ist der dem Revisionswerber zu leistende Aufwandersatz von jenem Rechtsträger zu tragen, in dessen Namen die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verwaltungsverfahren gehandelt hat. Bei der vergaberechtlichen Nachprüfung (Beschwerden wegen Rechtswidrigkeit eines Verhaltens eines Auftraggebers in den Angelegenheiten des öffentlichen Auftragswesens nach Art. 130 Abs. 2 Z 2 B-VG) liegt ein derartiges Handeln einer Behörde nicht vor. Da dem Gesetzgeber des VwGG nicht unterstellt werden kann, er wollte für diese Fälle von einem Aufwandersatz nach den §§ 47 ff leg. cit. absehen, ist diese Lücke dahingehend zu schließen, dass der Kostenersatz von jenem Rechtsträger zu tragen ist, in dessen Namen das Verwaltungsgericht in der Beschwerdesache gehandelt hat. Danach ist entscheidend, ob das Verwaltungsgericht im Rahmen der vergaberechtlichen Nachprüfung in einer Angelegenheit tätig wurde, die nach den Zuständigkeitsregeln des B-VG (hier des Art. 14b B-VG) in den Vollzugsbereich des Bundes oder der Länder fällt (VwGH 27.10.2014, Ra 2014/04/0022).

Daher ist vorliegend das Land Wien als zuständiger Rechtsträger zum Aufwandersatz zu verpflichten.

Dem Antrag auf Aufwandersatz der Erstrevisionswerberin war nicht stattzugeben, da Land und Stadt Wien eine einzige Gebietskörperschaft sind (vgl. zur Identität der Rechtsträger VwGH 9.4.2013, 2010/04/0105, mwN).

Wien, am 29. Jänner 2018

Schlagworte

Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Analogie Schließung von Gesetzeslücken VwRallg3/2/3

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2018:RA2016040090.L00

Im RIS seit

27.02.2018

Zuletzt aktualisiert am

08.03.2018
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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