TE Bvwg Erkenntnis 2018/2/2 I419 2177184-1

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Veröffentlicht am 02.02.2018
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Entscheidungsdatum

02.02.2018

Norm

BFA-VG §22a Abs1
BFA-VG §34 Abs3 Z3
B-VG Art.133 Abs4
VwG-AufwErsV §1 Z1
VwGVG §35 Abs1

Spruch

I419 2177184-1/8E

I419 2177186-1/8E

I419 2177187-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Tomas JOOS über die Beschwerden von XXXX, XXXX, und XXXX, gesetzlich vertreten durch die Mutter XXXX, alle StA. ARMENIEN, vertreten durch WEH Rechtsanwalt GmbH, gegen die Festnahme am 19.11.2017 und Anhaltung aufgrund derselben zu Recht:

A) I. Der Beschwerde von XXXX, gegen die Festnahme am 19.11.2017 und

die Anhaltung im Zuge der Festnahme wird stattgegeben und seine Festnahme und Anhaltung am 19.11.2017 von 06:05 bis 10:03 Uhr für rechtswidrig erklärt.

II. Der Beschwerde von XXXX, gegen die Festnahme am 19.11.2017 und die Anhaltung im Zuge der Festnahme wird stattgegeben und ihre Festnahme und Anhaltung am 19.11.2017 von 06:05 bis 10:03 Uhr für rechtswidrig erklärt.

III. Der Beschwerde von XXXX, gegen die Festnahme am 19.11.2017 und die Anhaltung im Zuge der Festnahme wird stattgegeben und seine Festnahme und Anhaltung am 19.11.2017 von 06:05 bis 10:03 Uhr für rechtswidrig erklärt.

IV. Gemäß § 35 Abs. 1 VwGVG hat der Bund den Beschwerdeführern zuhanden ihres ausgewiesenen Vertreters Aufwendungen in Höhe von pro Beschwerde € 737,60 - zusammen also € 2.212,80 - binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Die beschwerdeführenden Parteien (kurz bP, in weiterer Folge entsprechend der Reihenfolge ihrer Nennung im Spruch als bP1, bP2 und bP3 bezeichnet) brachten nach rechtswidriger Einreise am 17.06.2014 (bP1 und bP2) bzw. nach Geburt am 26.02.2015 in Österreich Anträge auf internationalen Schutz ein. Sie sind armenische Staatsangehörige und Christen, wobei bP3 im Haushalt von bP1 und bP2 in Vorarlberg als deren Sohn lebt.

Diese Anträge wurden am 06.09.2016 mit Bescheiden des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) abgewiesen und den bP der Status von Asylberechtigten nicht zuerkannt. Der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Armenien wurde nicht zugesprochen, und Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG 2005 wurden nicht erteilt. Gegen die bP wurden Rückkehrentscheidungen erlassen und festgestellt, dass ihre Abschiebung nach Armenien zulässig sei, und die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.

Die Beschwerden dagegen hat dieses Gericht am 08.06.2017 als unbegründet abgewiesen, womit die Rückkehrentscheidung rechtskräftig wurde. Gegen das abweisende Erkenntnis haben die bP Beschwerden an den VfGH erhoben und beantragt, diesen aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

Der VfGH hat diesen Anträgen Folge gegeben und den Beschwerden mit Beschluss vom 08.08.2017, E 2508-2510/2017-5, die aufschiebende Wirkung zuerkannt. Unter einem hat er die Zustellung des Beschlusses zuhanden des Vertreters der bP sowie an das BFA und an dieses Gericht verfügt. Der Vertreter der bP erhielt die Ausfertigung am selben Tag und leitete diese seinerseits noch am Nachmittag des Tages per Telekopie auch an das BFA weiter, wo sie einlangte und per E-Mail um 16:24 Uhr an dessen Einlaufstelle weitergeleitet wurde.

Dessen ungeachtet betrieb das BFA nicht nur die Beschaffung von Heimreisezertifikaten weiter, sondern organisierte auch die Abschiebung der bP für den 21.11.2017, einen Dienstag, per Charterflug um 12:00 Uhr ab Schwechat.

Zu diesem Zweck erließ es gegen alle drei bP am 14.11.2017 Festnahmeaufträge, nach denen die Festnahme bereits am 19.11.2017, also dem Sonntag, um 06:00 Uhr in der Unterkunft der Familie erfolgten sollte. Dabei sollten die bP schriftlich über die Abschiebung informiert werden.

Diesen Auftrag führte die Polizei durch und nahm die bP um 06:05 Uhr fest. Nach Intervention des Vertreters der bP veranlasste der Journaldienst des BFA den Abbruch der Abschiebung, worauf die Polizei die Festnahmen um 10:03 Uhr aufhob.

Mit den tags darauf verfassten und rechtzeitig eingebrachten Beschwerden wenden sich die bP gegen ihre Festnahme und Anhaltung und beantragen, diese für rechtswidrig zu erklären. Das BFA hat trotz Aufforderung zur Stellungnahme keine solche erstattet.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die unter Punkt I getroffenen Ausführungen werden als Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden folgende Feststellungen getroffen:

1.1 Zu den Beschwerdeführern:

Die bP sind während der 14-tägigen Frist für die freiwillige Ausreise nicht aus dem Bundesgebiet ausgereist.

1.2 Zu den Festnahmeaufträgen:

Die Festnahmeaufträge ergingen zugleich mit Abschiebeaufträgen betreffend die bP und Durchsuchungsaufträgen für den Wohnsitz der bP laut ZMR.

2. Beweiswürdigung:

2.1 Zum Verfahrensgang:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten, speziell dem Polizeibericht über den 19.11.2017 von diesem Tag (AS 205 ff) und den vorliegenden Gerichtsakten des Bundesverwaltungsgerichts, einschließlich dessen der Beschwerdeentscheidungen des Asylverfahrens, L518 2135945-1/36E, 2135938-1/20E und 2135942-1/12E. Auskünfte aus dem Strafregister, dem Zentralen Melderegister (ZMR) und dem Betreuungsinformationssystem der Grundversorgung (GVS) wurden ergänzend eingeholt.

Das BFA ist dem Tatsachenvorbringen in den Beschwerden nicht entgegengetreten, sondern hat von der Erstattung einer Stellungnahme abgesehen.

2.2 Zu den Beschwerdeführern:

Soweit Feststellungen zur Identität und zur Staatsangehörigkeit der Beschwerdeführer getroffen wurden, beruhen diese auf den in den bisherigen Erkenntnissen getroffenen Feststellungen.

Die Feststellung betreffend die unterlassene Ausreise ergibt sich aus den Ladungen des BFA im zweiten Halbjahr 2017 sowie dem ZMR und dem Register der Grundversorgung.

2.3 Zu den Festnahmeaufträgen:

Die Feststellungen dazu ergaben sich aus dem BFA-Akt (AS 177 ff).

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1 Zu Spruchteil A)

3.1.1 Zu den Spruchpunkten I bis III - Rechtswidrigkeit der Maßnahmen

Nach § 22a Abs. 1 BFA-VG haben Fremde das Recht, das Bundesverwaltungsgericht mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit - unter anderem - einer Festnahme oder Anhaltung anzurufen, wenn sie nach dem BFA-VG festgenommen (Z. 1) oder unter Berufung darauf angehalten wurden (Z. 2).

Die Beschwerdeführer wurden am 19.11.2017 aufgrund eines Festnahmeauftrags des BFA gemäß § 34 Abs. 3 Z. 3 BFA-VG festgenommen. Diese Bestimmung sieht vor, dass das BFA die Festnahme anordnen kann, wenn gegen einen Fremden "ein Auftrag zur Abschiebung (§ 46 FPG) erlassen werden soll". In § 46 Abs. 1 FPG ist als Voraussetzung dafür, Fremde "zur Ausreise zu verhalten (Abschiebung)" unter anderem vorgesehen, dass eine Rückkehrentscheidung, eine Anordnung zur Außerlandesbringung, eine Ausweisung oder ein Aufenthaltsverbot gegen den betreffenden Fremden durchsetzbar ist.

Der VfGH hat den Beschwerden der bP gegen die Entscheidung dieses Gerichts am 08.08.2017 die aufschiebende Wirkung zuerkannt. Damit lagen - und liegen bis dato - seit diesem Tag keine durchsetzbaren Rückkehrentscheidungen gegen die bP vor. Somit war auch kein Auftrag zur Abschiebung zulässig. Dies hat das BFA verkannt, indem es zeitgleich mit den Festnahme- auch Abschiebungsaufträge die bP betreffend erließ.

Aus diesem Grund folgt, dass die Festnahmeaufträge ergingen, ohne dass jeweils die Voraussetzung des § 34 Abs. 3 Z. 3 BFA-VG vorlag. Damit beruhen sowohl die Festnahmen als auch die Anhaltungen der bP auf rechtswidrigen Entscheidungen des BFA. Sie sind deshalb ihrerseits mit Rechtswidrigkeit belastet (vgl. VwGH 28.02.2013, 2011/21/0118). Die Festnahmen und Anhaltungen im Rahmen der Festnahmen am 19.11.2017, 06:05 Uhr bis 10:03 Uhr waren daher für rechtswidrig zu erklären.

3.1.2 Zu Spruchpunkt IV (Kostenersatz)

Gemäß § 35 Abs. 1 VwGVG hat die im Verfahren über Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt obsiegende Partei Anspruch auf Ersatz ihrer Aufwendungen durch die unterlegene Partei. Wenn die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig erklärt wird, dann sind die Beschwerdeführer die obsiegenden Parteien.

Der Rechtsträger der Behörde als unterlegener Partei - beim BFA der Bund - ist damit ersatzpflichtig, und da die Behörde zur Gänze unterlegen ist, zu 100 %.

Nach § 1 Z. 1 VwG-AufwErsV beträgt der Pauschalbetrag für den Ersatz des Schriftsatzaufwands des Beschwerdeführers als obsiegende Partei € 737,60. Dieser ist in den Beschwerden jeweils richtig geltend gemacht worden und war daher für die drei Beschwerden zusammen dreimal zuzusprechen.

3.2 Zu Spruchteil B) - (Un)Zulässigkeit der Revision:

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung zu den Folgen der aufschiebenden Wirkung oder zu den Voraussetzungen der Abschiebung nach § 46 FPG.

Die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage(n) kamen nicht hervor.

4. Zum Unterbleiben einer Verhandlung:

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint, oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht.

Die Abhaltung einer Verhandlung konnte daher unterbleiben, weil der Sachverhalt durch die Akten und die Beschwerden geklärt war, keine Widersprüche vorlagen und keine relevanten Umstände durch weitere Hinterfragung zu klären gewesen wären.

Schlagworte

Anhaltung, aufschiebende Wirkung, Beschwerde, Festnahme,
Kostenersatz, Rechtswidrigkeit, VfGH

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:I419.2177184.1.00

Zuletzt aktualisiert am

12.02.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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