TE Vwgh Erkenntnis 2017/12/19 Ra 2017/18/0451

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 19.12.2017
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Index

E000 EU- Recht allgemein
E1P
E3L E19103000
E6J
001 Verwaltungsrecht allgemein
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
19/05 Menschenrechte
25/04 Sonstiges Strafprozessrecht
32/07 Stempelgebühren Rechtsgebühren Stempelmarken
40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht
41/02 Staatsbürgerschaft

Norm

AsylG 2005 §12
AsylG 2005 §12a
AsylG 2005 §12a Abs1
AsylG 2005 §12a Abs2
AsylG 2005 §12a Abs2 Z2
AsylG 2005 §12a Abs2 Z3
AsylG 2005 §2 Abs1 Z23
AsylG 2005 §22 Abs10
AVG §62 Abs2
AVG §68
BFA-VG 2014 §22
BFA-VG 2014 §22 Abs1
BFA-VG 2014 §22 Abs2
BFA-VG 2014 §22 Abs3
B-VG Art130
EURallg
FrÄG 2009
FrPolG 2005 §52
FrPolG 2005 §61
FrPolG 2005 §66
FrPolG 2005 §67
MRK Art2
MRK Art3
MRK Art8
VwRallg
12010P/TXT Grundrechte Charta Art47
32013L0032 IntSchutz-RL
32013L0032 IntSchutz-RL Art31 Abs8 litf
32013L0032 IntSchutz-RL Art31 Abs8 litg
32013L0032 IntSchutz-RL Art33
32013L0032 IntSchutz-RL Art33 Abs2 litd
32013L0032 IntSchutz-RL Art34
32013L0032 IntSchutz-RL Art40 Abs5
32013L0032 IntSchutz-RL Art41 Abs1
32013L0032 IntSchutz-RL Art41 Abs1 litb
32013L0032 IntSchutz-RL Art46 Abs8
62016CJ0348 Sacko VORAB

Beachte


Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):
Ra 2017/18/0452
Ra 2017/18/0452

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie den Hofrat Mag. Nedwed, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober, den Hofrat Dr. Sutter und die Hofrätin Dr. Koprivnikar als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Wech, über die Revision der revisionswerbenden Parteien 1. M M, und 2. L M, beide in W und vertreten durch Dr. Michael Vallender, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Paulanergasse 10, gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 5. Oktober 2017, Zlen. G308 1412150-3/2E, G308 2147961-2/2E, betreffend Asylangelegenheiten (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

1        Die Revisionswerberinnen sind Staatsangehörige des Kosovo; die Erstrevisionswerberin ist die Mutter der minderjährigen Zweitrevisionswerberin.

2        Nachdem über Anträge der Erstrevisionswerberin auf internationalen Schutz in Österreich in den Jahren 2010 und 2014 bereits zweimal negativ entschieden worden war, stellte die Erstrevisionswerberin am 7. Oktober 2015 für sich und die mittlerweile geborene Zweitrevisionswerberin erneut Anträge auf internationalen Schutz. Diese Anträge wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Bescheiden vom 27. Jänner 2016 zur Gänze ab, erteilte keine Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gegen die Revisionswerberinnen Rückkehrentscheidungen, erklärte die Abschiebung in den Kosovo für zulässig, legte keine Frist für die freiwillige Ausreise fest und erkannte den Beschwerden die aufschiebende Wirkung ab. Die gegen diese Entscheidungen erhobenen Beschwerden wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit Beschluss vom 6. Juni 2017 als unzulässig zurück. Dieser Beschluss erwuchs am 14. Juni 2017 in Rechtskraft.

3        Am 25. August 2017 stellten die Revisionswerberinnen einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz. Mit mündlich verkündetem Bescheid vom 3. Oktober 2017 hob das BFA den faktischen Abschiebeschutz der Revisionswerberinnen gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 auf.

4        Nach Vorlage der Akten an das BVwG stellte dieses mit dem angefochtenen Beschluss fest, dass die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes rechtmäßig gewesen sei. Die Revision erklärte das BVwG für nicht zulässig.

5        Begründend führte das BVwG - zusammengefasst - aus, dem Verfahren lägen Folgeanträge der Revisionswerberinnen im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005 zugrunde. Fälle des § 12a Abs. 1 AsylG 2005 seien nicht gegeben. Gegen die Revisionswerberinnen bestünden auch aufrechte Rückkehrentscheidungen; sie befänden sich zur Sicherung der Abschiebung derzeit in Schubhaft. Das BFA habe auf der Grundlage des von ihm durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhalts zu Recht von der Prognose ausgehen können, dass die Folgeanträge der Revisionswerberinnen voraussichtlich zurückzuweisen sein würden, weil keine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhalts eingetreten sei.

Die Erstrevisionswerberin habe zwar angegeben, dass sie einen Drohanruf vom Vater der Zweitrevisionswerberin erhalten habe, der ihr im Falle der Rückkehr in den Kosovo mit dem Umbringen oder jedenfalls mit der Wegnahme der Zweitrevisionswerberin gedroht habe. Dieses Vorbringen sei jedoch schon in den vorangegangenen, rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren behandelt worden. Im Herkunftsstaat bestehe - noch immer - ein wirksames System der polizeilichen Gefahrenabwehr und der Strafverfolgung. Den Revisionswerberinnen drohe bei Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den Kosovo somit keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK bzw. der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention und es bestehe auch keine ernsthafte Bedrohung ihres Lebens oder ihrer Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes. Auch in Bezug auf die persönlichen Interessen der Revisionswerberinnen am Verbleib in Österreich habe sich im Vergleich zum Vorverfahren keine relevante Änderung ergeben. Ihnen drohe daher auch keine Gefahr einer Verletzung der durch Art. 8 EMRK gewährleisteten Rechte. Da alle Voraussetzungen für die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 gegeben seien, sei die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes durch das BFA rechtmäßig gewesen. Gemäß § 22 Abs. 1 zweiter Satz BFA-VG sei ohne Abhaltung einer mündlichen Verhandlung zu entscheiden gewesen.

6        Die Nichtzulassung der Revision begründete das BVwG damit, dass die maßgeblichen Rechtsfragen des Falles klar seien und keiner Auslegung bedürften.

7        Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, in der zur Zulässigkeit im Wesentlichen vorgebracht wird, die Erstrevisionswerberin sei beim BFA „lediglich nach Durchführung einer Rechtsberatung“ einvernommen worden. Eine tatsächliche Vertretung durch die Rechtsberaterin sei bei dieser Einvernahme nicht erfolgt. Auch sei sie über die Möglichkeit einer Verfahrenshilfe nicht belehrt worden. Es fehle Rechtsprechung zur Klärung der Frage, inwieweit ein Auftreten vor dem BFA ohne qualifizierte Unterstützung im Hinblick auf den zu gewährenden Rechtsschutz effektiv sei. Auch gebe es keine Rechtsprechung zum verfassungsrechtlichen Spannungsverhältnis zwischen § 12a Abs. 2 AsylG 2005 und dem Recht nach Art. 130 B-VG (bzw. Art. 47 GRC), eine Beschwerde erheben zu können. Nach § 22 Abs. 1 AsylG 2005 dürfe das BVwG auch keine Verhandlung durchführen, was zweifellos dem Unionsrecht widerspreche. Insgesamt liege daher keine klare Rechtslage vor. Das BVwG habe mangels gesetzlicher Grundlage gegen die Rechte der Revisionswerberinnen auf ein faires Verfahren sowie auf eine wirksame Beschwerde im Sinne des Art. 47 GRC verstoßen. Es habe auch keine Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK vorgenommen; insofern weiche die angefochtene Entscheidung von der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab.

8        In der Sache bringen die Revisionswerberinnen vor, sie hätten in ihren Folgeanträgen vom 25. August 2017 einen geänderten Sachverhalt behauptet, der zu einer neuen inhaltlichen Prüfung der Anträge hätte führen müssen. Während dem vorangegangenen Asylverfahren die bloß allgemeine Möglichkeit einer asylrelevanten Bedrohung der Revisionswerberinnen (durch den Kindesvater) zugrunde gelegen sei, unterscheide sich der neue Antrag in der nunmehr konkreten Verfolgungshandlung, welche sich für die Revisionswerberinnen auch durch einen Vorfall vom 4. November 2017 dramatisch verwirklicht habe. An diesem Tag seien die Revisionswerberinnen vom Kindesvater aufgesucht worden und er habe sich gewaltsam Zutritt zur Wohnung verschafft, um der Erstrevisionswerberin die Zweitrevisionswerberin wegzunehmen. Letztlich habe die Erstrevisionswerberin sich und die Zweitrevisionswerberin mit einem Messer verteidigt, sodass der Kindesvater die Wohnung wieder verlassen habe. Dieser Vorfall in Wien sei auch polizeilich gemeldet worden. Schon dadurch ergebe sich eine entscheidungswesentliche Änderung des Sachverhalts.

9        Dem BFA sei auch anzulasten, dass es der Erstrevisionswerberin bei der Einvernahme am 3. Oktober 2017 bloß die Möglichkeit geboten habe, die Länderfeststellungen zum Kosovo zur Kenntnis zu nehmen, jedoch keine Möglichkeit zur Stellungnahme eingeräumt worden sei. Sie sei auch nicht vertreten gewesen, hätte aber aufgrund der Komplexität des Falles Verfahrenshilfe bekommen müssen. Über diese Möglichkeit sei sie nicht belehrt worden.

10       Was das Privat- und Familienleben der Revisionswerberinnen betreffe, sei festzuhalten, dass sich in Österreich drei volljährige Brüder der Erstrevisionswerberin befänden, die die Revisionswerberinnen mit Geld und Essen unterstützen. Ausgehend davon habe keine ausreichende Gewichtung der persönlichen Interessen der Revisionswerberinnen am Verbleib in Österreich stattgefunden.

11       Zum in der Zulassungsbegründung angeführten Anfechtungspunkt sei aufzuzeigen, dass die Revisionswerberinnen in ihren Rechten insbesondere dadurch verletzt worden seien, dass ihnen die Möglichkeit, eine Beschwerde auszuführen, verwehrt worden sei. Bei einer Beschwerdeausführung, allenfalls bei Durchführung einer Verhandlung, hätten die Revisionswerberinnen die Möglichkeit gehabt, ihre Beschwerdepunkte auszuführen und vorzubringen. Durch die gesetzlichen Vorgaben werde den Revisionswerberinnen das Recht auf rechtliches Gehör genommen. Deshalb beantragten die Revisionswerberinnen, dem EuGH aus Anlass der Beschwerde gemäß Art. 267 AEUV folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

„1. Ob § 22 Abs 1 BFA-Verfahrensgesetz idgF so auszulegen ist, dass einer Partei trotz ihres Rechts auf Erhebung einer Beschwerde gegen einen Bescheid bzw. Beschluss nach Artikel 130 Abs 1 B-VG keine Beschwerdelegitimation zukommt. 2. Ob § 22 Abs 1 BFA-Verfahrensgesetz idgF so auszulegen ist, dass dem Bundesverwaltungsgericht die Durchführung einer Verhandlung entgegen Artikel 47 Grundrecht Charta verboten ist. 3. Ob § 22 Abs 1 BFA-Verfahrensgesetz idgF so auszulegen ist, dass der durch einen Bescheid/Beschluss belasteten Partei sowohl das Recht auf Ausführung einer Beschwerde im Sinne des Artikel 130 Abs 1 B-VG sowie eine Antragstellung auf Durchführung einer Verhandlung zur Darlegung der Beschwerdepunkte zusteht.“

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revision - ohne Durchführung eines Vorverfahrens - erwogen:

12       Die Revision ist zulässig, weil zu den in der Zulassungsbegründung der Revision angesprochenen Rechtsfragen in Bezug auf die Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes bei Folgeanträgen noch keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vorliegt und die Rechtslage einer Klarstellung bedarf.

13       Die Revision ist jedoch nicht begründet.

14       Die maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen lauten auszugsweise:

1. Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 70/2015 (zu § 12a) bzw. idF BGBl. I Nr. 24/2016 (zu § 22) - AsylG 2005:

„Faktischer Abschiebeschutz bei Folgeanträgen

§ 12a. (1) ...

(2) Hat der Fremde einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) gestellt und liegt kein Fall des Abs. 1 vor, kann das Bundesamt den faktischen Abschiebeschutz des Fremden aufheben, wenn

1.gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG besteht,

2.der Antrag voraussichtlich zurückzuweisen ist, weil keine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhalts eingetreten ist, und

3.die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2, 3 oder 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten und für ihn als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

...

Entscheidungen

§ 22. (1) [bis] (9) ...

(10) Entscheidungen des Bundesamtes über die Aufhebung des Abschiebeschutzes gemäß § 12a Abs. 2 ergehen mündlich in Bescheidform. Die Beurkundung gemäß § 62 Abs. 2 AVG gilt auch als schriftliche Ausfertigung gemäß § 62 Abs. 3 AVG. Die Verwaltungsakten sind dem Bundesverwaltungsgericht unverzüglich zur Überprüfung gemäß § 22 BFA-VG zu übermitteln. Diese gilt als Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht; dies ist in der Rechtsmittelbelehrung anzugeben. Über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des Abschiebeschutzes hat das Bundesverwaltungsgericht im Rahmen der Überprüfung gemäß § 22 BFA-VG mit Beschluss zu entscheiden.“

2. BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 idF BGBl. I Nr 68/2013 (BFA-VG):

„Überprüfung der Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes

§ 22. (1) Eine Entscheidung des Bundesamtes, mit der der faktische Abschiebeschutz eines Fremden aufgehoben wurde (§ 12a Abs. 2 AsylG 2005), ist vom Bundesverwaltungsgericht unverzüglich einer Überprüfung zu unterziehen. Das Verfahren ist ohne Abhaltung einer mündlichen Verhandlung zu entscheiden. § 20 gilt sinngemäß. § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG ist nicht anzuwenden.

(2) Die Aufhebung des Abschiebeschutzes gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 und eine aufrechte Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG oder eine Ausweisung gemäß § 66 FPG sind mit der Erlassung der Entscheidung gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 durchsetzbar. Mit der Durchführung der die Rückkehrentscheidung oder Ausweisung umsetzenden Abschiebung gemäß § 46 FPG ist bis zum Ablauf des dritten Arbeitstages ab Einlangen der gemäß § 22 Abs. 10 AsylG 2005 zu übermittelnden Verwaltungsakten bei der zuständigen Gerichtsabteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuzuwarten. Das Bundesverwaltungsgericht hat das Bundesamt unverzüglich vom Einlangen der Verwaltungsakten bei der zuständigen Gerichtsabteilung und von der im Rahmen der Überprüfung gemäß Abs. 1 getroffenen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des Abschiebeschutzes zu verständigen.

(3) Über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des Abschiebeschutzes im Rahmen der Überprüfung gemäß Abs. 1 hat das Bundesverwaltungsgericht binnen acht Wochen zu entscheiden.“

15       Ein Fremder, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, genießt gemäß § 12 AsylG 2005 grundsätzlich bis zur Erlassung einer durchsetzbaren Entscheidung, bis zur Gegenstandslosigkeit des Verfahrens oder nach einer Einstellung bis zu dem Zeitpunkt, an dem eine Fortsetzung des Verfahrens gemäß § 24 Abs. 2 AsylG 2005 nicht mehr zulässig ist, faktischen Abschiebeschutz; das bedeutet, dass er weder zurückgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben werden darf.

16       Durch das Fremdenrechtsänderungsgesetz 2009, BGBl. I Nr. 122/2009, wurden für Folgeanträge auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005 Sonderregelungen geschaffen, die in bestimmten Fällen Ausnahmen vom faktischen Abschiebeschutz vorsehen.

17       Sie haben - nach den Gesetzesmaterialien (RV 330 BlgNR 24. GP 11) - „unter Wahrung der notwendigen rechtsstaatlichen Garantien ... das Ziel, jene Fälle, in denen ein berechtigtes Interesse an einem neuerlichen Asylverfahren besteht, möglichst früh von klar missbräuchlichen Antragstellungen zu unterscheiden und diese in weiterer Folge als Mittel zur Hintanhaltung fremdenpolizeilicher Maßnahmen unbrauchbar zu machen.“

18       Dieses Ziel wird sowohl vom Verfassungsgerichtshof in seiner bisher zu § 12a AsylG 2005 ergangenen Rechtsprechung (vgl. etwa VfSlg. 19.215/2010, VfSlg 19.841/2014) als auch im Unionsrecht als legitim anerkannt. So sieht die Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (Verfahrensrichtlinie) zum einen vor, Folgeanträge unter bestimmten Voraussetzungen als unzulässig zu betrachten (vgl. Art. 33 Abs. 2 lit. d, Art. 40 Abs. 5 leg. cit.), zum anderen erlaubt Art. 41 Abs. 1 der Verfahrensrichtlinie den Mitgliedstaaten, Ausnahmen vom Recht auf Verbleib im Hoheitsgebiet zu machen, wenn eine Person a) nur zur Verzögerung oder Behinderung der Durchsetzung einer Entscheidung, die zu ihrer unverzüglichen Abschiebung aus dem betreffenden Mitgliedstaat führen würde, förmlich einen ersten Folgeantrag gestellt hat, der gemäß § 40 Abs. 5 nicht weiter geprüft wird, oder b) nach einer bestandskräftigen Entscheidung, einen ersten Folgeantrag gemäß Art. 40 Abs. 5 als unzulässig zu betrachten, oder nach einer bestandskräftigen Entscheidung, einen ersten Folgeantrag als unbegründet abzulehnen, in demselben Mitgliedstaat einen weiteren Folgeantrag stellt. Allerdings können die Mitgliedstaaten eine solche Ausnahme nur dann machen, wenn die Asylbehörde die Auffassung vertritt, dass eine Rückkehrentscheidung keine direkte oder indirekte Zurückweisung zur Folge hat, die einen Verstoß gegen die völkerrechtlichen und unionsrechtlichen Pflichten dieses Mitgliedstaates darstellt. In den aufgeführten Fällen können die Mitgliedstaaten ferner - im Einklang mit dem nationalen Recht - von den für beschleunigte Verfahren üblicherweise geltenden Fristen abweichen, sofern das Prüfungsverfahren gemäß Art. 31 Abs. 8 lit. g der Verfahrensrichtlinie beschleunigt durchgeführt wird, bzw. - im Einklang mit dem nationalen Recht - von den Fristen abweichen, die üblicherweise für Zulässigkeitsprüfungen gemäß den Art. 33 und 34 der Verfahrensrichtlinie gelten. Auch kann von Art. 46 Abs. 8 der Verfahrensrichtlinie abgewichen werden, wonach dem Antragsteller gewöhnlich bis zur Entscheidung über seinen Rechtsbehelf gestattet wird, im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaates zu verbleiben.

19       Die Verfahrensrichtlinie erlaubt es daher, das Recht auf Verbleib eines Asylwerbers im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates auch während der Prüfung seines Folgeantrags zu beschränken, wenn der Folgeantrag entweder nur dazu dient, eine (rechtmäßige) Abschiebung zu verzögern oder zu behindern, oder wenn nach vorangegangener Prüfung eines Folgeantrags, der zu einer Zurückweisung oder Abweisung geführt hat, (zumindest) ein weiterer Folgeantrag gestellt wird. In jedem Fall ist jedoch der Refoulementschutz zu wahren.

20       Vor diesem rechtlichen Hintergrund ist auch die in Rede stehende Norm des § 12a Abs. 2 AsylG 2005 auszulegen. Sie sieht vor, dass das BFA den faktischen Abschiebeschutz eines Fremden, der einen Folgeantrag gestellt hat und bei dem - wie im vorliegenden Fall - die Voraussetzungen des § 12a Abs. 1 AsylG 2005 nicht erfüllt sind, aberkennen kann, wenn drei Voraussetzungen gegeben sind: Erstens muss gegen den Fremden eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG bestehen; zweitens muss die Prognose zu treffen sein, dass der Antrag voraussichtlich zurückzuweisen ist, weil keine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhalts eingetreten ist, und drittens darf die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2, 3 oder 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten und für ihn als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen.

21       Zur Tatbestandsvoraussetzung des § 12a Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 („wenn der Antrag voraussichtlich zurückzuweisen ist, weil keine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhalts eingetreten ist“) führen die Gesetzesmaterialien (RV 220 BlgNR 24. GP 13) aus, dass „eine Grobprüfung in Form einer Prognose über die Zulässigkeit des Antrags“ zu treffen ist. Zieht man das vom Gesetz angestrebte Ziel in Betracht, den faktischen Abschiebeschutz nur für „klar missbräuchliche Anträge“ beseitigen zu wollen, kann damit nur gemeint sein, dass schon bei einer Grobprüfung die (spätere) Zurückweisung des Folgeantrags auf der Hand liegt, weil sich der maßgebliche Sachverhalt nicht entscheidungswesentlich geändert hat. Nicht jeder Folgeantrag, bei dem eine (spätere) Zurückweisung wegen entschiedener Sache gemäß § 68 AVG in Betracht kommen könnte, berechtigt daher zur Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes nach § 12a Abs. 2 AsylG 2005. Es muss sich vielmehr um einen Fall handeln, in dem sich dieser Verfahrensausgang von vornherein deutlich abzeichnet. Nur dann kann auch angenommen werden, dass die Antragstellung in Wirklichkeit den Zweck verfolgt, die Durchsetzung einer vorangegangenen und mit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme verbundenen (rechtskräftigen) Vorentscheidung zu verhindern.

22       Auf einen solchen missbräuchlichen Zweck deutet - unter Bedachtnahme auf Art. 41 Abs. 1 lit. b der Verfahrensrichtlinie - etwa auch die mehrfache Folgeantragstellung hin, wenn dieser keine substanziell neuen und eine andere Beurteilung rechtfertigenden Sachverhaltselemente zugrunde liegen. Möglich sind aber auch andere Umstände, die den Schluss zulassen, dass der Fremde mit seinem Folgeantrag eine (bevorstehende) Abschiebung verhindern oder verzögern möchte.

23       Werden diese - einschränkenden - Voraussetzungen für die Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes berücksichtigt, so erweist sich die Kritik der Revision an den Verfahrensregelungen des § 22 Abs. 10 AsylG 2005 und § 22 BFA-VG als unberechtigt:

24       Nach § 22 Abs. 10 AsylG 2005 ergeht die Entscheidung des BFA über die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes mündlich in Bescheidform. Die Beurkundung nach § 62 Abs. 2 AVG gilt auch als schriftliche Bescheidausfertigung. Um eine gerichtliche Überprüfung dieser Entscheidung sicherzustellen, sieht die Norm überdies vor, dass die Verwaltungsakten unverzüglich zur Überprüfung gemäß § 22 BFA-VG dem BVwG zu übermitteln sind; dies gilt als Beschwerde an das BVwG, das im Folgenden gemäß § 22 Abs. 1 BFA-VG die Entscheidung des BFA unverzüglich einer Überprüfung zu unterziehen hat.

25       Wenn die Revision geltend macht, dass der Fremde durch diese - besondere - gesetzliche Vorgangsweise in seinen Rechten auf Erhebung einer Beschwerde nach Art. 130 B-VG bzw. in seinem Grundrecht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz nach Art. 47 GRC beschränkt wird, ist ihr zu erwidern, dass die oben beschriebene Rechtslage eine gerichtliche Überprüfung der verwaltungsbehördlichen Entscheidung in jedem Fall garantiert. Es ist dem Fremden auch nicht verwehrt, im amtswegig eingeleiteten Beschwerdeverfahren zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Entscheidung des BFA nach § 12a Abs. 2 AsylG 2005 durch eine Beschwerdeergänzung auf Umstände des Falles hinzuweisen, die ihm entscheidungsrelevant erscheinen.

26       Nach § 22 Abs. 2 BFA-VG ist mit der Abschiebung des Fremden (nach Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes) bis zum Ablauf des dritten Arbeitstages ab Einlangen der Verwaltungsakten beim BVwG zuzuwarten. Für die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes steht dem BVwG nach § 22 Abs. 3 BFA-VG eine Frist von acht Wochen zur Verfügung. Gegen diese kurzen Fristen hat der Verfassungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung zu den vergleichbaren Vorgängerbestimmungen des § 41a AsylG 2005 aF keine (grundrechtlichen) Einwände erhoben, sondern sie als verfassungsrechtlich unbedenklich eingestuft (vgl. VfSlg. 19.215/2010).

27       Dem schließt sich der Verwaltungsgerichtshof auch unter dem Blickwinkel des effektiven Rechtsschutzes nach dem Unionsrecht an. Ohne Zweifel schränken kurze Fristen, innerhalb derer ein Gericht überprüfen muss, ob der Abschiebeschutz eines Asylwerbers entgegen dem Ausspruch des BFA aufrecht bleibt, die Verteidigungsrechte des Fremden nach Art. 47 GRC ein. Wie der EuGH aber in seiner ständigen Rechtsprechung zum Ausdruck bringt, sind diese Rechte nicht schrankenlos gewährleistet, sondern können Beschränkungen unterworfen werden, die dem Gemeinwohl dienen, die im Hinblick auf den verfolgten Zweck keinen unverhältnismäßigen und untragbaren Eingriff darstellen, und die den Wesensgehalt der durch Art. 47 GRC gewährleisteten Rechte nicht antasten (vgl. jüngst etwa EuGH 26.7.2017, Sacko, C-348/16, Rn. 38). Dementsprechend ist es erforderlich, zwischen dem Recht des Asylwerbers, sich in Bezug auf die Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes wirksam verteidigen zu können, einerseits, und dem mit einer Fristenregelung verfolgten und dem Gemeinwohl dienenden Ziel andererseits einen Ausgleich zu finden, wobei im Ergebnis eine verhältnismäßige und mit dem Wesensgehalt des Grundrechts vereinbare Lösung erzielt werden muss.

28       Eben das wurde mit den in Rede stehenden Normen erfüllt. Es darf nicht übersehen werden, dass im Fall eines Folgeantrages zuvor bereits (zumindest) ein rechtsstaatliches Asylverfahren durchgeführt worden ist, das rechtskräftig mit einer negativen Entscheidung und einer damit verbundenen aufenthaltsbeendenden Maßnahme geendet hat. Dies rechtfertigt es - auch aus Sicht des Unionsrechts (vgl. Rz 18) - Folgeanträge einer besonderen (oftmals auch beschleunigten) Behandlung zu unterziehen. Es liegt auch im Interesse der Allgemeinheit, Folgeanträge hintanzuhalten, die dazu dienen, eine in einem rechtsstaatlichen Verfahren getroffene Entscheidung, die zur Abschiebung eines Fremden führen soll, zu behindern oder zu vereiteln. All das spricht dafür, den Aufenthalt von Fremden, die derartige Anträge stellen, möglichst rasch zu beenden. Umgekehrt soll aber keinem Fremden die Möglichkeit einer gerichtlichen Überprüfung der verwaltungsbehördlichen Entscheidung in Bezug auf ihre Rechtmäßigkeit verwehrt werden. Bei Vorliegen der in § 12a Abs. 2 AsylG 2005 genannten Voraussetzungen ist es allerdings verhältnismäßig, diese Überprüfung sehr rasch, nämlich innerhalb der in § 22 Abs. 2 und 3 BFA-VG normierten Fristen, vorzunehmen. Dem BVwG stehen für seine Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes zwar grundsätzlich acht Wochen zur Verfügung, es hat aber nach Einlangen der Verwaltungsakten unverzüglich (also jedenfalls innerhalb der dreitägigen Frist des § 22 Abs. 2 BFA-VG) zu prüfen, ob die Abschiebung im Sinne des Refoulementschutzes und der Wahrung der Grundrechte des Fremden (vgl. § 12a Abs. 2 Z 3 AsylG 2005) verhindert werden muss; gegebenenfalls hat es die notwendige Entscheidung entsprechend rasch zu treffen.

29       Die Revision beanstandet auch, dass nach § 22 Abs. 1 BFA-VG das Beschwerdeverfahren vor dem BVwG ohne Abhaltung einer mündlichen Verhandlung zu entscheiden ist. Sie sieht darin ein „gesetzliches Verhandlungsverbot“, das gegen Art. 47 GRC verstoße. Dem ist im Ergebnis nicht zuzustimmen. In dem bereits zitierten Urteil vom 26. Juli 2017, Sacko, C-348/16, hat der EuGH erkannt, dass es weder der Verfahrensrichtlinie noch Art. 47 GRC widerspricht, wenn ein nationales Gericht einen Rechtsbehelf gegen die Entscheidung, einen offensichtlich unbegründeten Antrag (wozu nach Art. 31 Abs. 8 lit. f der Verfahrensrichtlinie auch ein unzulässiger Folgeantrag gehört) abzulehnen, ohne Anhörung des Fremden entscheidet. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass der Fremde im erstinstanzlichen Verfahren persönlich angehört worden ist, seine Angaben in den Akten aufscheinen und die tatsächlichen Umstände keine Zweifel an der Begründetheit der ablehnenden Entscheidung aufkommen lassen. Gleichzeitig hat der EuGH aber betont, dass der nationale Gesetzgeber das Gericht nicht daran hindern darf, eine Anhörung anzuordnen, wenn es die bei der persönlichen Anhörung des Fremden im erstinstanzlichen Verfahren erlangten Informationen für unzureichend hält und deshalb eine solche Anhörung als erforderlich ansieht, um eine umfassende, sich sowohl auf Tatsachen als auch auf Rechtsfragen erstreckende Ex-nunc-Prüfung vorzunehmen (vgl. insbesondere Rn. 49 des zitierten Urteils).

30       Nichts anderes kann aber gelten, wenn es - wie hier - um eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes bei einem Folgeantrag geht, handelt es sich dabei doch um eine der endgültigen Entscheidung über den Folgeantrag vorgelagerte Anordnung mit weitreichenden Folgen für den Status und den Schutz des Betroffenen.

31       § 22 Abs. 1 BFA-VG ist daher - unionsrechtskonform - so zu verstehen, dass das BVwG zwar ohne Verhandlung entscheiden kann, die Norm aber kein „Verhandlungsverbot“ statuiert, sondern dem BVwG die Möglichkeit offen lässt, im Sinne der zitierten Rechtsprechung des EuGH erforderlichenfalls eine Verhandlung durchzuführen.

32       Auf der Grundlage der angesprochenen unionsrechtlichen Vorschriften und der zitierten Judikatur des EuGH ist die von den Revisionswerberinnen angeregte Befassung des EuGH - entsprechend der vorgenommenen unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts - nicht erforderlich, um eine weitere Klärung der Rechtslage herbeizuführen.

33       Werden die dargelegten rechtlichen Grundsätze auf den vorliegenden Fall angewandt, so erweist sich die Revision als unbegründet:

34       Unstrittig ist, dass gegen die Revisionswerberinnen im Verfahren über die Folgeanträge vom 25. August 2017 aufrechte Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 FPG vorlagen.

35       Zu Recht gingen sowohl das BFA als auch das BVwG auch davon aus, dass die Folgeanträge der Revisionswerberinnen die Voraussetzungen des § 12a Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 erfüllen. Die Erstrevisionswerberin hatte im Vorfeld des gegenständlichen Verfahrens bereits erfolglos mehrere Asylverfahren in Österreich durchlaufen. Zuletzt waren gegen sie und die - mittlerweile geborene - Zweitrevisionswerberin negative Entscheidungen in Bezug auf ihre Anträge auf internationalen Schutz vom 7. Oktober 2015 ergangen, in denen auch eine Auseinandersetzung mit dem Vorbringen der Erstrevisionswerberin stattgefunden hatte, sie könne mit der Zweitrevisionswerberin (ihrer Tochter) nicht in den Kosovo zurückkehren, weil der Kindesvater die Erstrevisionswerberin töten und ihr die Tochter wegnehmen würde bzw. sie dort nicht überleben könnten. Diese Entscheidungen und die damit verbundenen Rückkehrentscheidungen erwuchsen Mitte Juni 2017 in Rechtskraft. Nur kurze Zeit später, nämlich am 25. August 2017, stellten die Revisionswerberinnen die in Rede stehenden Folgeanträge, in denen die Erstrevisionswerberin (neuerlich) eine Bedrohung durch den Kindesvater behauptete und erklärte, sie wolle ihr Kind nicht in den Kosovo bringen. Bei dieser Sachlage ist die Prognose des BVwG im angefochtenen Bescheid, die Folgeanträge seien voraussichtlich zurückzuweisen, nicht zu beanstanden. Eine solche Zurückweisung wegen entschiedener Sache war nämlich nicht bloß möglich, sondern zeichnete sich fallbezogen von vornherein deutlich ab.

36       Wenn die Revision geltend macht, die geänderte Sachlage werde durch einen Vorfall vom 4. November 2017 verdeutlicht, anlässlich dessen der Vater der Zweitrevisionswerberin gewaltsam in die Wohnung der Revisionswerberinnen in Wien eingedrungen sei und diese bedroht habe, wird dabei übersehen, dass sich dieser Vorfall - sollte er sich wie vorgebracht ereignet haben - erst nach Erlassung der angefochtenen Entscheidung ereignet hat, dem Neuerungsverbot im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht unterliegt und daher schon deshalb bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung keine Beachtung finden kann.

37       Zu den behaupteten Verfahrensverstößen ist schließlich anzumerken, dass die Revisionswerberinnen nicht nur Rechtsberatung im Rahmen des § 49 BFA-VG erfahren haben, sondern überdies vor ihrer Einvernahme vor dem BFA auch Vollmacht eines frei gewählten Rechtsanwaltes gelegt haben, der zur Einvernahme am 3. Oktober 2017 geladen worden, dort aber nicht erschienen ist. Auf Nachfrage des einvernehmenden Organwalters erklärte die Erstrevisionswerberin sich ausdrücklich einverstanden, die Amtshandlung in Abwesenheit ihres bevollmächtigten Rechtsvertreters durchzuführen. Es ist daher nicht zu erkennen, dass die Revisionswerberinnen in ihrem Recht auf Rechtsberatung und Rechtsbeistand verletzt worden wären.

38       Letztlich vermag die Revision auch nicht aufzuzeigen, dass es § 12a Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 entgegen der Begründung des angefochtenen Erkenntnisses geboten hätte, ihnen den faktischen Abschiebeschutz zu belassen. Das Vorbringen der Revision, den Revisionswerberinnen sei keine ausreichende Möglichkeit zur Stellungnahme zu den behördlich herangezogenen Länderberichten betreffend die Lage im Kosovo gegeben worden, vermag schon deshalb keinen relevanten Verfahrensmangel aufzuzeigen, weil die Revision nicht darlegt, welches andersgelagerte relevante Vorbringen die Revisionswerberinnen noch erstatten hätten können. Auch eine unvertretbare Abwägung der Interessen nach Art. 8 EMRK legt die Revision mit dem Hinweis auf drei volljährige Brüder der Erstrevisionswerberin in Österreich nicht dar.

39       Da somit schon der Inhalt der Revision erkennen lässt, dass die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war sie gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nicht öffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.

Wien, am 19. Dezember 2017

Gerichtsentscheidung

EuGH 62016CJ0348 Sacko VORAB

Schlagworte

Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2 Gemeinschaftsrecht Richtlinie EURallg4 Rechtsgrundsätze Fristen VwRallg6/5

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2017:RA2017180451.L00

Im RIS seit

08.06.2021

Zuletzt aktualisiert am

09.06.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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