TE Lvwg Erkenntnis 2017/12/29 VGW-151/032/17004/2017

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Veröffentlicht am 29.12.2017
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Entscheidungsdatum

29.12.2017

Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht
19/05 Menschenrechte

Norm

NAG §21 Abs1
NAG §21 Abs2
NAG §21 Abs3
NAG §21 Abs4
NAG §21 Abs6
EMRK Art. 8

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Verwaltungsgericht Wien hat durch seinen Richter Mag. Pühringer über die Beschwerde des L. B. (geb.: 1981, StA: Serbien), vertreten durch Rechtsanwalt, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 18. Oktober 2017, Zl. MA35-9/3181374-01, mit welchem der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels für den Zweck "Rot-Weiß-Rot - Karte plus (§ 46/1/2)" gemäß § 21 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz – NAG, abgewiesen wurde

zu Recht erkannt:

I. Gemäß § 21 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a Abs. 1 VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig.

Entscheidungsgründe

I.       Verfahrensgang

1.       Mit dem angefochtenen Bescheid wurde ein Antrag des Beschwerdeführers vom 7. September 2017 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels für den Zweck "Rot-Weiß-Rot – Karte plus" gemäß § 21 Abs. 1 NAG wegen unzulässiger Inlandsantragstellung abgewiesen. Der Beschwerdeführer halte sich seit 3. August 2016 im Bundesgebiet auf und habe seine visumfreie Zeit damit überschritten. Der belangten Behörde sei bekannt, dass der Beschwerdeführer eine Fußfessel tragen müsse und es ihm daher nicht möglich sei, das Land zu verlassen. Dennoch sei er nicht zur Inlandsantragstellung berechtigt. Einen Zusatzantrag nach § 21 Abs. 3 NAG habe der Beschwerdeführer trotz Belehrung nicht gestellt.

2.       Gegen diesen Bescheid richtet sich die – zulässige – Beschwerde, mit welcher der Beschwerdeführer die Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels begehrt. Zur Inlandsantragstellung führt der Beschwerdeführer in der Beschwerde aus, dass dem Beschwerdeführer gemäß § 21 Abs. 2 Z 1 NAG die Berechtigung zukomme, seinen Antrag im Inland zu stellen. Des Weiteren hätte die belangte Behörde den amtsbekannten Umstand, dass der Beschwerdeführer eine Fußfessel trage, als Zusatzantrag iSd § 21 Abs. 3 NAG werten müssen.

3.       Die belangte Behörde traf keine Beschwerdevorentscheidung und legte die Beschwerde dem Verwaltungsgericht Wien samt der Akten des Verwaltungsverfahrens vor.

II.      Sachverhalt

1.       Das Verwaltungsgericht Wien legt seiner Entscheidung folgende Feststellungen zugrunde:

Der am …1981 geborene Beschwerdeführer ist serbischer Staatsbürger.

Er ist mit der serbischen Staatsbürgerin I. R. verheiratet; diese verfügt über eine Aufenthaltskarte gemäß § 54 NAG.

Der Beschwerdeführer hält sich seit dem 3. August 2016 durchgehend im Bundesgebiet auf.

Mit rechtkräftigem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 30. Jänner 2017 wurde der Beschwerdeführer wegen einer am 11. Oktober 2016 begangenen Tat gemäß § 15 StGB iZm § 28a Abs. 1 5. Fall SMG zu einer teilweise bedingten Freiheitsstrafe von 18 Monaten verurteilt. Derzeit befindet sich der Beschwerdeführer in elektronisch überwachtem Hausarrest.

Der Beschwerdeführer hat den verfahrensgegenständlichen Antrag am 7. September 2017 persönlich bei der belangten Behörde gestellt. Mit Schreiben der belangten Behörde vom 27. September 2017 – dem Beschwerdeführer zugestellt am 2. Oktober 2017 – wurde der Beschwerdeführer über die Möglichkeit der Stellung eines Zusatzantrags gemäß § 21 Abs. 3 NAG belehrt. Einen solchen Antrag hat der Beschwerdeführer bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheids nicht gestellt.

2.       Diese Feststellungen ergeben sich aus folgender Beweiswürdigung:

Das Verwaltungsgericht Wien hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Verwaltungsakt, Würdigung des Beschwerdevorbringens und Berücksichtigung der vom Beschwerdeführer vorgelegten Unterlagen.

Der entscheidungserhebliche Sachverhalt ist im Wesentlichen unstrittig und ergibt sich aus dem Verwaltungsakt bzw. den eigenen Angaben des Beschwerdeführers. Der Beschwerdeführer hat zu einer Reihe von Vorbringen in der Beschwerde seine eigene Einvernahme als Beweismittel beantragt. Für das Verwaltungsgericht Wien ist jedoch nicht ersichtlich, welche strittigen Tatsachen damit konkret unter Beweis gestellt werden sollen. Weder steht in Zweifel, dass der Beschwerdeführer mit seiner Ehegattin verheiratet ist und es sich dabei um eine serbische Staatsbürgerin handelt, noch steht in Zweifel, dass sich der Beschwerdeführer derzeit in elektronisch überwachtem Hausarrest befindet bzw. dass dieser Umstand der belangten Behörde bekannt war.

Soweit sich diese Beweisanträge auf rechtliche Schlussfolgerungen beziehen, ist darauf zu verweisen, dass Rechtsfragen einem Beweisverfahren nicht zugänglich sind (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung VwGH 18.10.2017, Ra 2017/19/0226, uva).

III.     Rechtliche Beurteilung

1.       Anzuwendende Rechtsvorschriften:

Die im Beschwerdefall maßgeblichen Bestimmungen des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes – NAG, BGBl. I 100/2005 idF BGBl. I 145/2017, lauten:

"Verfahren bei Erstanträgen

§ 21. (1) Erstanträge sind vor der Einreise in das Bundesgebiet bei der örtlich zuständigen Berufsvertretungsbehörde im Ausland einzubringen. Die Entscheidung ist im Ausland abzuwarten.

(2) Abweichend von Abs. 1 sind zur Antragstellung im Inland berechtigt:

         1. Familienangehörige von Österreichern, EWR-Bürgern und Schweizer Bürgern, die in Österreich dauernd wohnhaft sind und nicht ihr unionsrechtliches oder das ihnen auf Grund des Freizügigkeitsabkommens EG-Schweiz zukommende Aufenthaltsrecht von mehr als drei Monaten in Anspruch genommen haben, nach rechtmäßiger Einreise und während ihres rechtmäßigen Aufenthalts;

         2. Fremde bis längstens sechs Monate nach Ende ihrer rechtmäßigen Niederlassung im Bundesgebiet, wenn sie für diese Niederlassung keine Bewilligung oder Dokumentation nach diesem Bundesgesetz benötigt haben;

         3. Fremde bis längstens sechs Monate nach Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft, oder der Staatsangehörigkeit der Schweiz oder eines EWR-Staates;

         4. Kinder im Fall der Familienzusammenführung binnen sechs Monaten nach der Geburt, soweit der Zusammenführende, dem die Pflege und Erziehung zukommt, rechtmäßig aufhältig ist;

         5. Fremde, die zur visumfreien Einreise berechtigt sind, nach rechtmäßiger Einreise und während ihres rechtmäßigen Aufenthalts;

         6. Fremde, die eine Niederlassungsbewilligung – Forscher' (§ 43c) beantragen, und deren Familienangehörige jeweils nach rechtmäßiger Einreise und während ihres rechtmäßigen Aufenthalts;

         7. Drittstaatsangehörige, die einen Aufenthaltstitel 'Rot-Weiß-Rot – Karte' gemäß § 41 Abs. 1 beantragen, während ihres rechtmäßigen Aufenthaltes im Bundesgebiet mit einem Visum gemäß § 24a FPG;

         8. Drittstaatsangehörige, die gemäß § 1 Abs. 2 lit. i oder j AuslBG oder § 1 Z 5, 7 oder 9 AuslBVO vom Anwendungsbereich des AuslBG ausgenommen sind oder die unter § 1 Z 4 Personengruppenverordnung 2014 – PersGV 2014, BGBl. II Nr. 340/2013, fallen und die eine 'Niederlassungsbewilligung – Sonderfälle unselbständiger Erwerbstätigkeit', eine Aufenthaltsbewilligung 'Sonderfälle unselbständiger Erwerbstätigkeit' oder eine Aufenthaltsbewilligung 'Studierender' beantragen, nach rechtmäßiger Einreise und während ihres rechtmäßigen Aufenthalts;

         9. Drittstaatsangehörige, die über ein österreichisches Reife-, Reifeprüfungs- oder Diplomprüfungszeugnis einer in- oder ausländischen Schule verfügen, nach rechtmäßiger Einreise und während ihres rechtmäßigen Aufenthalts und

         10. Drittstaatsangehörige, die über einen gültigen Aufenthaltstitel „ICT“ eines anderen Mitgliedstaates (§ 58a) verfügen.

(3) Abweichend von Abs. 1 kann die Behörde auf begründeten Antrag die Antragstellung im Inland zulassen, wenn kein Erteilungshindernis gemäß § 11 Abs. 1 Z 1, 2 oder 4 vorliegt und die Ausreise des Fremden aus dem Bundesgebiet zum Zweck der Antragstellung nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar ist:

         1. im Fall eines unbegleiteten Minderjährigen (§ 2 Abs. 1 Z 17) zur Wahrung des Kindeswohls oder

         2. zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK (§ 11 Abs. 3).

Die Stellung eines solchen Antrages ist nur bis zur Erlassung des Bescheides zulässig. Über diesen Umstand ist der Fremde zu belehren.

(4) Beabsichtigt die Behörde den Antrag nach Abs. 3 zurück- oder abzuweisen, so hat die Behörde darüber im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen.

[…]

(6) Eine Inlandsantragstellung nach Abs. 2 Z 1, Z 4 bis 9, Abs. 3 und 5 schafft kein über den erlaubten visumfreien oder visumpflichtigen Aufenthalt hinausgehendes Bleiberecht. Ebenso steht sie der Erlassung und Durchführung von Maßnahmen nach dem FPG nicht entgegen und kann daher in Verfahren nach dem FPG keine aufschiebende Wirkung entfalten.

[…]"

2.       Der Beschwerdeführer wäre gemäß § 21 Abs. 1 NAG grundsätzlich verpflichtet gewesen, seinen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels im Herkunftsstaat – Serbien – zu stellen und die Entscheidung dort abzuwarten. § 21 Abs. 2 NAG sieht jedoch abweichend von der in Abs. 1 grundsätzlich aufgestellten Verpflichtung mehrere Ausnahmen vor, die zur Antragstellung im Inland berechtigen.

Der Beschwerdeführer geht in seiner Beschwerde davon aus, dass er gemäß § 21 Abs. 2 Z 1 NAG auf Grund seiner Ehe mit der serbischen Staatsbürgerin I. R. zur Antragstellung im Inland berechtigt sei. Dabei übersieht der Beschwerdeführer zum einen, dass sich diese Bestimmung nur auf "Familienangehörige von Österreichern, EWR-Bürgern und Schweizer Bürgern" bezieht und dass zum anderen das Recht zur Inlandsantragstellung nur "nach rechtmäßiger Einreise und während ihres rechtmäßigen Aufenthalts" besteht. Beides liegt im Beschwerdefall nicht vor.

Auch der bei einem serbischen Staatsbürger grundsätzlich anwendbare § 21 Abs. 2 Z 5 NAG vermittelt dem Beschwerdeführer kein Recht zur Inlandsantragstellung, weil dieser bei Antragstellung am 7. September 2017 seine visumfreie Zeit bereits überschritten hatte.

Ansonsten liegt im Beschwerdefall keine der in § 21 Abs. 2 NAG aufgezählten Konstellationen vor; insbesondere enthält diese Liste keinen Tatbestand, welcher wegen einer im Inland zu verbüßenden Haftstrafe, Hausarreststrafe oder sonstigen behördlichen Anhaltung zur Inlandsantragstellung berechtigt. Ein solcher Umstand könnte allenfalls bei einer Interessenabwägung nach Art. 8 Abs. 2 EMRK berücksichtigt werden.

3.       Der Beschwerdeführer wäre somit gemäß § 21 Abs. 1 NAG verpflichtet gewesen, seinen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels im Herkunftsstaat –zu stellen und die Entscheidung dort abzuwarten.

Entgegen dem Beschwerdevorbringen hat der Beschwerdeführer im verwaltungsbehördlichen Verfahren keinen Antrag auf Zulassung der Inlandsantragstellung zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK gestellt. Ein solcher Antrag müsste aktenkundig sein. Aus dem bloßen Umstand, dass sich der Beschwerdeführer derzeit in elektronisch überwachtem Hausarrest befindet und der Behörde dieser Umstand mitunter bekannt war, lässt sich keine Antragstellung fingieren, wie es der Beschwerdeführer in seiner Beschwerde argumentiert. § 21 Abs. 3 letzter Satz NAG entsprechend wurde der Beschwerdeführer über die Möglichkeit der Stellung eines Zusatzantrags nachweislich belehrt, hat es aber verabsäumt, einen solchen zu stellen.

Der belangten Behörde und auch dem Verwaltungsgericht Wien war und ist es in der Folge verwehrt, die Zulässigkeit der Inlandsantragstellung aus Gründen des Art. 8 EMRK zu überprüfen. Diese war somit jedenfalls unzulässig.

4.       Die belangte Behörde hat daher zu Recht den Antrag des Beschwerdeführers wegen unzulässiger Inlandsantragstellung abgewiesen. Auf die weiteren Erteilungsvoraussetzungen und die in diesem Zusammenhang gestellten Beweisanträge ist im Beschwerdefall nicht weiter einzugehen.

5.       Diese Entscheidung konnte gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG ohne Durchführung einer – vom Beschwerdeführer beantragten – öffentlichen mündlichen Verhandlung getroffen werden, weil einzig nicht übermäßig komplexe Rechtsfragen zu klären waren und der entscheidungserhebliche Sachverhalt unstrittig anhand der Aktenlage und des Beschwerdevorbringens festgestellt werden konnte. In einem solchen Fall ist von vornherein absehbar, dass die mündliche Erörterung nichts zur Ermittlung der materiellen Wahrheit beitragen kann (VwGH 16.11.2015, Ra 2015/12/0026). Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren waren keine Tatsachenfragen strittig und keine weiteren Beweise aufzunehmen, der entscheidungserhebliche Sachverhalt hat sich umfassend aus dem Akteninhalt und dem damit übereinstimmenden Beschwerdevorbringen ergeben. Nach der Judikatur des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte erfordert insbesondere in Fällen, in denen nur Rechtsfragen und keine Fragen der Beweiswürdigung strittig sind, auch Art. 6 EMRK nicht zwingend die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung (VwGH 29.6.2017, Ra 2017/06/0100). Im Übrigen berührt die Versagung eines Aufenthaltstitels kein civil right iSd Art. 6 EMRK (VwGH 15.06.2010, 2009/22/0347).

6.       Die ordentliche Revision ist unzulässig, da im Beschwerdefall keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Das Verwaltungsgericht Wien hat sich bei seiner Entscheidung am insofern eindeutigen und klaren Gesetzeswortlaut des § 21 NAG orientiert. Ist die Rechtslage nach den in Betracht kommenden Normen klar und eindeutig, dann liegt keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG vor, und zwar selbst dann, wenn zu einer der anzuwendenden Normen noch keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ergangen wäre (VwGH 15.12.2016, Ra 2016/18/0343).

Schlagworte

Inlandsantragstellung, Zusatzantrag, Familienangehöriger, Unmöglichkeit der Ausreise, Arrest

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGWI:2017:VGW.151.032.17004.2017

Zuletzt aktualisiert am

19.01.2018
Quelle: Landesverwaltungsgericht Wien LVwg Wien, http://www.verwaltungsgericht.wien.gv.at
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