TE Vwgh Erkenntnis 2017/12/19 Ra 2017/09/0034

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Veröffentlicht am 19.12.2017
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Index

E000 EU- Recht allgemein
E1E
E3L E02100000
E3L E05100000
E3L E19100000
E6J
E6O
10/07 Verwaltungsgerichtshof
59/04 EU - EWR
60/04 Arbeitsrecht allgemein
62 Arbeitsmarktverwaltung

Norm

AuslBG §1 Abs2 litl
AuslBG §1 Abs2 litl idF 2013/I/072
EURallg
VwGG §42 Abs2 Z1
11997E018 EG Art18
11997E039 EG Art39
12010E021 AEUV Art21
12010E045 AEUV Art45
32004L0038 Unionsbürger-RL
62007CO0551 Sahin VORAB
62016CJ0165 Lounes VORAB

Beachte


Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):
Ra 2017/09/0035

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Rosenmayr, die Hofräte Dr. Doblinger, Dr. Hofbauer und Mag. Feiel sowie die Hofrätin Mag. Rossmeisel als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schachner, über die außerordentliche Revision der 1. G Y und 2. O GmbH, beide in W, vertreten durch Dr. Alice Gao, Rechtsanwältin in 1080 Wien, Lerchenfelder Straße 88-90/11, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 2. Juni 2017, VGW-041/078/3262/2016-26 (zu 1.), und VGW-041/V/078/3769/2016 (zu 2.), betreffend Bestrafung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Magistrat der Stadt Wien, Magistratisches Bezirksamt für den 6. und 7. Bezirk), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat den revisionswerbenden Parteien Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Mit behördlichem Straferkenntnis vom 10. Februar 2016 wurde die Erstrevisionswerberin als handelsrechtliche Geschäftsführerin und damit als das gemäß § 9 Abs. 1 VStG zur Vertretung nach außen befugte Organ der zweitrevisionswerbenden Partei schuldig erkannt, dass diese Gesellschaft als Arbeitgeberin vom 1. Jänner 2014 bis 16. März 2015 die am 27. Juli 1994 geborene chinesische Staatsangehörige Z beschäftigt habe, obwohl für diese keine der im Einzelnen aufgezählten arbeitsmarktrechtlichen Bewilligungen erteilt oder Bestätigungen ausgestellt gewesen sei. Wegen der dadurch begangenen Verwaltungsübertretung nach § 28 Abs. 1 Z 1 lit. a in Verbindung mit § 3 Abs. 1 Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG) wurde über sie gemäß § 28 Abs. 1 Z 1 lit. a erster Strafsatz AuslBG eine Geldstrafe von € 1.900,-- und für den Fall der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe von einem Tag und 20 Stunden verhängt. Ferner wurde nach § 9 Abs. 7 VStG die Haftung der zweitrevisionswerbenden Partei für die Geldstrafe sowie die Verfahrenskosten ausgesprochen.

2        Der von den revisionswerbenden Parteien dagegen erhobenen Beschwerde gab das Verwaltungsgericht Wien mit dem angefochtenen Erkenntnis nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung insofern Folge, als es die über die Erstrevisionswerberin verhängte Geldstrafe auf € 1.200,-- und die Ersatzfreiheitsstrafe auf einen Tag und 16 Stunden herabsetzte. Im Übrigen wies es die Beschwerde als unbegründet ab. Das Verwaltungsgericht sprach aus, dass die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

3        Nach Darstellung des Verfahrensgangs traf das Verwaltungsgericht dahingehende Feststellungen, dass die Erstrevisionswerberin Gesellschafterin und handelsrechtliche Geschäftsführerin der zweitrevisionswerbenden Partei sei. Letztere habe vom 1. Oktober 2013 bis zumindest 16. März 2015 die am 27. Juli 1994 geborene chinesische Staatsangehörige Z in ihrem Betrieb zunächst als Köchin und ab 1. September 2014 als Lehrling im Lehrberuf Restaurantfachfrau beschäftigt. Die Erstrevisionswerberin habe vor Aufnahme der Beschäftigung durch Z vom Arbeitsmarktservice nicht die telefonische Auskunft erhalten, dass Z für eine Beschäftigung bei der zweitrevisionswerbenden Partei keine arbeitsrechtlichen Dokumente benötige, weil sie eine österreichische Stiefmutter habe.

4        Z sei die Tochter von Y. Dieser sei im Jahr 2006 mit Z und seinen zwei anderen Töchtern von China nach Tschechien ausgewandert und habe mit ihnen in Prag gewohnt. Die Ehe zwischen Y und der Mutter seiner Töchter sei im Jahr 2009 geschieden worden. Y habe in Prag gemeinsam mit der österreichischen Staatsbürgerin X, die er noch von China her gekannt habe, ein Geschäft betrieben. X habe auch Massagesalons in Bregenz, Zürich und Winterthur betrieben. Während ihrer gemeinsamen Tätigkeit seien X und Y einander auch persönlich näher gekommen und ein Paar geworden. X sei etwa einmal im Monat nach Prag gefahren und habe bei Y und seinen Töchtern gewohnt, wobei sie jeweils unterschiedlich lange in Prag geblieben sei. Ihre Aufenthaltsdauer in Prag sei zwischen drei Tagen und einem halben Monat gelegen. Wenn X in Prag gewesen sei, habe sie in der Wohnung von Y gekocht, gewaschen und geputzt. Sie habe auch persönliche Gegenstände in der Wohnung von Y gehabt. Im Jahr 2011 sei Y mit seinen Töchtern, so auch mit Z, zu X nach Wien gezogen. Im Jahr 2013 hätten Y und X in Österreich geheiratet. Sowohl in Prag als auch in der Folge in Wien habe X Kleidung für die Töchter von Y gekauft. In Wien sei X auch für das Essen ihrer Stieftöchter aufgekommen und habe diese kostenlos in ihrer Wohnung wohnen lassen. X verfüge über keinen Aufenthaltstitel und keine Aufenthaltsbescheinigung für Tschechien. X sei öfter zu ihren Massagesalons in die Schweiz gereist, habe jedoch niemals in der Schweiz gewohnt. Weder die zweitrevisionswerbende Partei noch Z hätten im Zeitraum von 1. September 2014 bis 16. März 2015 über eines der in § 3 Abs. 1 AuslBG angeführten arbeitsmarktrechtlichen Dokumente verfügt.

5        Nach beweiswürdigenden Erwägungen und der Darstellung relevanter Gesetzesbestimmungen führte das Verwaltungsgericht in der Sache zusammengefasst rechtlich aus, dass die Ausnahmebestimmung des § 1 Abs. 2 lit. m AuslBG schon deshalb nicht anwendbar sei, weil Z im Beschäftigungszeitraum 21 Jahre alt und daher weder nach österreichischem noch nach chinesischem Recht minderjährig gewesen sei. Bei der vom Arbeitsmarktservice am 11. August 2015 gemäß § 3 Abs. 8 AuslBG ausgestellten Bestätigung, dass Z gemäß § 1 Abs. 2 lit. m AuslBG nicht dem Geltungsbereich des Ausländerbeschäftigungsgesetzes unterfalle, handle es sich um keine die belangte Behörde oder das Verwaltungsgericht gemäß § 38 AVG bindende rechtskräftige Entscheidung im Sinn dieser Bestimmung, weil eine Bestätigung der Rechtskraft nicht zugänglich sei. Weiters werde in der Bestätigung des Arbeitsmarktservice vom 11. August 2015 ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Bestätigung mit Vollendung des 18. Lebensjahres von Z ihre Gültigkeit verliere. Die Bestätigung habe somit niemals Gültigkeit erlangt.

6        Das Vorliegen eines Ausnahmetatbestands nach § 1 Abs. 2 lit. l AuslBG verneinte das Verwaltungsgericht ebenfalls. Gemäß Art. 7 Abs. 1 Buchstabe a der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 (Freizügigkeitsrichtlinie) habe jeder Unionsbürger das Recht auf Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats für einen Zeitraum von über drei Monaten, wenn er Arbeitnehmer oder Selbständiger im Aufnahmemitgliedstaat sei. Dies gelte nach Abs. 2 dieser Bestimmung auch für Familienangehörige, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besäßen und die den Unionsbürger in einen Aufnahmemitgliedstaat begleiteten oder ihm nachzögen. Gemäß Art. 23 Freizügigkeitsrichtlinie seien die Familienangehörigen eines Unionsbürgers, die das Recht auf Aufenthalt in einem Mitgliedstaat genießen, ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit berechtigt, dort eine Erwerbstätigkeit als Arbeitnehmer oder Selbständige aufzunehmen. Gemäß Art. 2 Nr. 2 Buchstabe c der Freizügigkeitsrichtlinie bezeichne der Begriff Familienangehörige die Verwandten in gerader absteigender Linie des Unionsbürgers und dessen Ehegatten, die das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet hätten oder denen von diesen Unterhalt gewährt werde. Nach der Judikatur des EuGH eröffne der durch eine gewisse Dauer gekennzeichnete Aufenthalt eines Unionsbürgers und des Drittstaatsangehörigen, der sein Familienangehöriger sei, im Aufnahmemitgliedstaat auf der Grundlage und unter Beachtung von Art. 7 Abs. 2 oder Art. 16 Freizügigkeitsrichtlinie bei der Rückkehr des Unionsbürgers in den Mitgliedstaat dessen Staatsangehörigkeit er besitze dem Drittstaatsangehörigen, mit dem der Unionsbürger im Aufnahmemitgliedstaat ein Familienleben geführt habe, ein auf Art. 21 Abs. 1 AEUV beruhendes abgeleitetes Aufenthaltsrecht. Gemäß Art. 23 der Freizügigkeitsrichtlinie sei mit einem solchen Aufenthaltsrecht auch das Recht auf freien Zugang zum Arbeitsmarkt verbunden.

7        X, Y und seine Töchter hätten sich nie längere Zeit in der Schweiz aufgehalten. Aus dem Aufenthalt von X in der Schweiz könne ihre Stieftochter Z somit schon deshalb kein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht in Österreich und keinen freien Zugang zum österreichischen Arbeitsmarkt ableiten, weil von einer Rückkehr von X aus der Schweiz nach Österreich im Sinn der Judikatur des EuGH keine Rede sein könne. Hinsichtlich des Aufenthalts von X in Tschechien könne dahingestellt bleiben, ob die Dauer des Aufenthalts von X in Tschechien bereits die erforderliche Dauer und Intensität im Sinne der Judikatur des EuGH erreicht habe, weil ein Drittstaatsangehöriger, der nicht zumindest während eines Teils seines Aufenthalts im Aufnahmestaat Familienangehöriger im Sinn von Art. 2 Nr. 2 der Freizügigkeitsrichtlinie gewesen sei, in diesem Mitgliedstaat kein abgeleitetes Aufenthaltsrecht gemäß Art. 7 Abs. 2 oder Art. 16 Abs. 2 dieser Richtlinie haben könne. Unter diesen Umständen könne sich der Drittstaatsangehörige daher auch nicht auf Art. 21 AEUV berufen, um bei der Rückkehr des Unionsbürgers in den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit dieser besitze, ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht zu erhalten (Hinweis auf EuGH 12.3.2014, C-456/12, Rn. 63). X und Y hätten jedoch erst in Österreich geheiratet, nachdem Z bereits von Tschechien nach Österreich gezogen gewesen sei, sodass eine Familienangehörigkeit von Z zu X erstmals in Österreich bestanden habe. Damit sei Z während des Aufenthalts von X im Aufnahmestaat Tschechien nicht deren Familienangehörige im Sinn von Art. 2 Nr. 2 der Freizügigkeitsrichtlinie gewesen. Z könne sich daher nicht auf Art. 21 AEUV berufen, um ein von X abgeleitetes Aufenthaltsrecht und den mit diesem verbundenen freien Zugang zum Arbeitsmarkt zu genießen. Auch die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 lit. l AuslBG lägen somit nicht vor, sodass das Ausländerbeschäftigungsgesetz auf das Beschäftigungsverhältnis Anwendung finde.

8        Abschließend führte das Verwaltungsgericht Näheres zur Strafzumessung aus und begründete die Nichtzulässigkeit der Revision mit dem Fehlen einer grundsätzlichen Rechtsfrage.

9        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhalts und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Revision. Die im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde nahm von der Erstattung einer Revisionsbeantwortung Abstand.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

10       Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist die Revision gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichts zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs nicht einheitlich beantwortet wird.

11       Bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist der Verwaltungsgerichtshof an den Ausspruch des Verwaltungsgerichts gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a VwGG). Er hat die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

12       Die revisionswerbenden Parteien bringen unter diesem Gesichtspunkt unter anderem vor, dass die Beschäftigte Z im Hinblick auf den von ihrer Stiefmutter gesetzten Freizügigkeitssachverhalt gemäß § 1 Abs. 1 lit. l AuslBG vom Geltungsbereich des Ausländerbeschäftigungsgesetzes ausgenommen sei.

13       Damit wird in der Revision eine grundsätzliche Rechtsfrage aufgezeigt, von deren Beantwortung die Revisionssache abhängt.

14       Die Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 („Freizügigkeitsrichtlinie“ bzw. „Unionsbürgerrichtlinie“ - in der Folge kurz: Freizügigkeitsrichtlinie) lautet (auszugsweise):

„Artikel 2

Begriffsbestimmungen

Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

1. ...

2. ‚Familienangehöriger‘

a)   den Ehegatten;

b)   den Lebenspartner, mit dem der Unionsbürger auf der Grundlage der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats eine eingetragene Partnerschaft eingegangen ist, sofern nach den Rechtsvorschriften des Aufnahmemitgliedstaats die eingetragene Partnerschaft der Ehe gleichgestellt ist und die in den einschlägigen Rechtsvorschriften des Aufnahmemitgliedstaats vorgesehenen Bedingungen erfüllt sind;

c)   die Verwandten in gerader absteigender Linie des Unionsbürgers und des Ehegatten oder des Lebenspartners im Sinne von Buchstabe b, die das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet haben oder denen von diesen Unterhalt gewährt wird;

d)   die Verwandten in gerader aufsteigender Linie des Unionsbürgers und des Ehegatten oder des Lebenspartners im Sinne von Buchstabe b, denen von diesen Unterhalt gewährt wird;

3. ‚Aufnahmemitgliedstaat' den Mitgliedstaat, in den sich der Unionsbürger begibt, um dort sein Recht auf Freizügigkeit oder Aufenthalt auszuüben.

...

Artikel 6

Recht auf Aufenthalt bis zu drei Monaten

(1) Ein Unionsbürger hat das Recht auf Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats für einen Zeitraum von bis zu drei Monaten, wobei er lediglich im Besitz eines gültigen Personalausweises oder Reisepasses sein muss und ansonsten keine weiteren Bedingungen zu erfüllen oder Formalitäten zu erledigen braucht.

(2) Absatz 1 gilt auch für Familienangehörige im Besitz eines gültigen Reisepasses, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen und die den Unionsbürger begleiten oder ihm nachziehen.

Artikel 7

Recht auf Aufenthalt für mehr als drei Monate

(1) Jeder Unionsbürger hat das Recht auf Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats für einen Zeitraum von über drei Monaten, wenn er

a)   Arbeitnehmer oder Selbstständiger im Aufnahmemitgliedstaat ist oder

b)   für sich und seine Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel verfügt, so dass sie während ihres Aufenthalts keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch nehmen müssen, und er und seine Familienangehörigen über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz im Aufnahmemitgliedstaat verfügen oder

c)   - bei einer privaten oder öffentlichen Einrichtung, die von dem Aufnahmemitgliedstaat aufgrund seiner Rechtsvorschriften oder seiner Verwaltungspraxis anerkannt oder finanziert wird, zur Absolvierung einer Ausbildung einschließlich einer Berufsausbildung als Hauptzweck eingeschrieben ist und

     - über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz im Aufnahmemitgliedstaat verfügt und der zuständigen nationalen Behörde durch eine Erklärung oder durch jedes andere gleichwertige Mittel seiner Wahl glaubhaft macht, dass er für sich und seine Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel verfügt, so dass sie während ihres Aufenthalts keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch nehmen müssen, oder

d)   ein Familienangehöriger ist, der den Unionsbürger, der die Voraussetzungen des Buchstaben a, b oder c erfüllt, begleitet oder ihm nachzieht.

(2) Das Aufenthaltsrecht nach Absatz 1 gilt auch für Familienangehörige, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen und die den Unionsbürger in den Aufnahmemitgliedstaat begleiten oder ihm nachziehen, sofern der Unionsbürger die Voraussetzung des Absatzes 1 Buchstabe a, b oder c erfüllt.

...

Artikel 23

Verbundene Rechte

Die Familienangehörigen eines Unionsbürgers, die das Recht auf Aufenthalt oder das Recht auf Daueraufenthalt in einem Mitgliedstaat genießen, sind ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit berechtigt, dort eine Erwerbstätigkeit als Arbeitnehmer oder Selbstständiger aufzunehmen.“

15       Die §§ 1 bis 3 Ausländerbeschäftigungsgesetz - AuslBG, BGBl. Nr. 218/1975, in der hier anzuwendenden Fassung BGBl. I Nr. 72/2013, lauten (auszugsweise):

§ 1. (1) ...

(2) Die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes sind nicht anzuwenden auf:

...

l)   Ausländer, die aufgrund eines Rechtsaktes der Europäischen Union Arbeitnehmerfreizügigkeit genießen;

m)   Ehegatten und minderjährige ledige Kinder (einschließlich Adoptiv- und Stiefkinder) österreichischer Staatsbürger, die zur Niederlassung nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005, berechtigt sind.

...

§ 2. (1) Als Ausländer im Sinne dieses Bundesgesetzes gilt, wer nicht die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt.

(2) ...

§ 3. ...

(8) Die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice hat Ausländern, die gemäß § 1 Abs. 2 oder aufgrund einer Verordnung gemäß § 1 Abs. 4 vom Geltungsbereich dieses Bundesgesetzes ausgenommen sind, auf deren Antrag eine Bestätigung darüber auszustellen.

...“

16       Vor der mit 1. Juli 2011 mit BGBl. I Nr. 25/2011 erfolgten Novellierung hatten die Bestimmungen des § 1 Abs. 2 lit. l und m AuslBG folgenden Inhalt:

„§ 1. ...

(2) Die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes sind nicht anzuwenden auf

...

l)   freizügigkeitsberechtigte EWR-Bürger, deren drittstaatsangehörige Ehegatten und Kinder (einschließlich Adoptiv- und Stiefkinder), die noch nicht 21 Jahre alt sind oder denen der EWR-Bürger oder der Ehegatte Unterhalt gewährt, sowie drittstaatsangehörige Eltern des EWR-Bürgers und seines Ehegatten, denen der EWR-Bürger oder der Ehegatte Unterhalt gewährt, sofern sie zur Niederlassung nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005 berechtigt sind;

m)   EWR-Bürger, die ihr Recht auf Freizügigkeit nicht in Anspruch nehmen, deren drittstaatsangehörige Ehegatten und Kinder (einschließlich Adoptiv- und Stiefkinder) sowie die drittstaatsangehörigen Ehegatten und Kinder österreichischer Staatsbürger, sofern der Ehegatte bzw. das Kind zur Niederlassung nach dem NAG berechtigt ist.

...“

17       Die revisionswerbenden Parteien führen zur Begründung ihrer Revision zunächst aus, dass auch eine unschlüssige Beweiswürdigung dazu führe, dass ein Erkenntnis wegen eines wesentlichen Verfahrensfehlers aufzuheben sei. Im vorliegenden Fall sei die Beweiswürdigung nicht nur unschlüssig, sondern das Gericht weiche von den schriftlichen Beweisergebnissen - insbesondere der Bestätigung gemäß § 3 Abs. 8 AuslBG - ab und verkehre die mündliche Aussage der Revisionswerberin ins Gegenteil.

18       Mit dieser allgemein gehaltenen Beweisrüge wird ein konkreter Verfahrensmangel nicht aufgezeigt. So kann die Beweiswürdigung eines Verwaltungsgerichts nicht schon mit der Behauptung mit Erfolg angegriffen werden, dass auch ein anderes (gegenteiliges) Ergebnis schlüssig begründbar gewesen wäre. Darüber hinaus hält im konkreten Fall die vom Verwaltungsgericht nach unmittelbarer Beweisaufnahme in einer mündlichen Verhandlung vorgenommene Beweiswürdigung auch den Prüfkriterien und der Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof (vgl. zu diesen VwGH 3.10.1985, 85/02/0053) stand. Das Verwaltungsgericht hat in einer nicht als unschlüssig zu erkennenden und mit nachvollziehbaren Argumenten untermauerten Beweiswürdigung insbesondere dargelegt, weshalb es die Aussage der Erstrevisionswerberin, bereits vor Eingehen des Beschäftigungsverhältnisses mit Z mit dem Arbeitsmarktservice telefoniert zu haben, nicht dem Sachverhalt zu Grunde legte.

19       Sofern die revisionswerbenden Parteien in ihrer Beweisrüge jedoch auch dahingehend argumentieren wollten, dass das Verwaltungsgericht an die schriftliche Bestätigung nach § 3 Abs. 8 AuslBG gebunden gewesen wäre, ist dazu anzumerken, dass es sich dabei um keine Frage der Beweiswürdigung sondern um eine solche der rechtlichen Beurteilung handelt.

20       Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 41 VwGG auf Grund des vom Verwaltungsgericht angenommenen Sachverhalts zu überprüfen.

21       Eine inhaltliche Rechtswidrigkeit wird in der Revision nun unter anderem darin erblickt, dass Z als Familienangehörige (gemeint: ihrer österreichischen Stiefmutter, die ihr Recht auf Freizügigkeit ausgeübt hat) gemäß § 1 Abs. 2 lit. l AuslBG Arbeitnehmerfreizügigkeit aufgrund eines Rechtsakts der Europäischen Union genieße.

22       Damit sind die revisionswerbenden Parteien im Recht:

23       Das Verwaltungsgericht begründete das Nichtvorliegen einer Ausnahme nach § 1 Abs. 2 lit. l AuslBG im Wesentlichen unter Berufung auf das Urteil des EuGH vom 12. März 2014, O. und B., C-456/12. Da die Beschäftigte Z in Tschechien mit ihrer Stiefmutter X kein Familienleben geführt habe, könne sie auch kein abgeleitetes Aufenthaltsrecht in Österreich haben.

24       Im vorliegenden Fall war zunächst zu prüfen, ob die österreichische Stiefmutter von Z von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat. Nur in diesem Fall besteht überhaupt die Möglichkeit, dass Z von ihrer Stiefmutter mit österreichischer Staatsbürgerschaft in Österreich eine unionsrechtliche Arbeitnehmerfreizügigkeit ableiten kann (vgl. jüngst EuGH 14.11.2017, Toufik Lounes, C-165/16, Rn. 31, 37f).

25       Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits in seinem Erkenntnis vom 29. September 2011, 2009/21/0386, VwSlg 18.229 A, (unter Hinweis auf VfSlg 18.269/2007), ausgeführt, dass das Recht auf Freizügigkeit nicht nur das Recht eines EWR-Bürgers, sich in Österreich niederzulassen, sondern auch die Ausübung aller Freiheiten nach dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (Art. 18 und 39 ff EG) umfasst, was entsprechend auf Österreicher umzulegen ist, wenn sie eines ihrer Rechte gemäß Art. 18 und 39 ff EG (nunmehr Art. 21 und 45 ff AEUV) im EWR-Raum außerhalb Österreichs ausüben. Der Verwaltungsgerichtshof kam in diesem Erkenntnis daher mit näherer Begründung - auf die gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird - zum Ergebnis, dass für den Umstand, dass eine österreichische Ankerperson von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht habe, es nicht nur auf die Niederlassung in Ausübung der Arbeitnehmerfreizügigkeit ankomme, sondern etwa auch die Freizügigkeit in Ausübung der Dienstleistungsfreiheit erfasst sei. Das Freizügigkeitsrecht muss hiefür jedoch mit einer gewissen Nachhaltigkeit ausgeübt worden sein (vgl. auch zu diesem Kriterium VwGH 29.9.2011, 2009/21/0386, mwN).

26       Ferner wurde vom Verwaltungsgerichtshof (18.10.2012, 2011/22/0163) zu § 57 NAG (unter Hinweis auf EuGH 19.12.2008, D. Sahin, C-551/07) ausgesprochen, dass auch solche Angehörige eine abgeleitete unionsrechtliche Berechtigung in Anspruch nehmen können, die unabhängig vom Unionsbürger in den Aufnahmemitgliedstaat gelangt sind und erst dort die Angehörigeneigenschaft erworben oder das Familienleben mit diesem Unionsbürger begründet haben. Unionsrechtlich gesehen kommt somit einem zeitlichen Zusammenhang zwischen der Inanspruchnahme der Freizügigkeit durch den Unionsbürger und der Begründung des Angehörigenverhältnisses keine Relevanz zu. Kommt es nun aber auf einen solchen zeitlichen Zusammenhang nicht an, so ist es auch nicht von rechtlicher Bedeutung, wann der österreichische Staatsbürger begonnen hat, seine unionsrechtliche Freizügigkeit auszuüben, wann er nach Österreich zurückgekehrt ist und wann das Angehörigenverhältnis mit dem Drittstaatsangehörigen begonnen wurde (VwGH 18.10.2012, 2011/22/0163, mwN; siehe auch VwGH 10.l2.2013, 2011/22/0003).

27       Im vorliegenden Fall ist im Hinblick auf die vom Verwaltungsgericht festgestellte unternehmerische Tätigkeit von X in Tschechien nicht davon zu sprechen, dass die österreichische Ankerperson bloß in einem ganz geringfügigen, nicht relevanten Ausmaß von ihrer Freizügigkeit Gebrauch gemacht hätte. Abgesehen davon, dass die österreichische Stiefmutter von Z mit dieser und deren Vater bereits bei ihren Aufenthalten in Tschechien in einem gemeinsamen Haushalt wohnte und somit schon von daher eine familiäre Nahebeziehung bestand sowie Y und seine Töchter wiederum in Österreich mit X in einem gemeinsamen Haushalt lebten, ist nach dem Vorgesagten der Zeitpunkt der Begründung der Familienverhältnisse für das Vorliegen eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts ohne Bedeutung.

28       An dieser Einschätzung ändert auch das vom Verwaltungsgericht zitierte Urteil des EuGH vom 12. März 2014, O. und B., C-456/12, nichts, unterscheiden sich die Rechtssachen doch auf Sachverhaltsebene in wesentlichen Aspekten. So hatten in den dort zu beurteilenden Fällen die Ankerpersonen gerade nicht ihr Recht auf Freizügigkeit als Arbeitnehmer (bzw. Selbständiger) in einem Aufnahmemitgliedstaat ausgeübt. Aus diesem Grund konnten sich daher die Drittstaatsangehörigen auch nicht auf ein aus der Freizügigkeitsrichtlinie abgeleitetes Aufenthaltsrecht berufen. Im Revisionsfall hingegen übte X über eine längere Zeit eine selbständige Tätigkeit in Tschechien aus, wo es überdies bereits zu ersten familiären Beziehungen zwischen der österreichischen Staatsbürgerin, ihrer späteren Stieftochter Z und deren Vater kam.

29       Da die Beschäftigte Z im hier relevanten Beschäftigungszeitraum das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte und das Familienverhältnis zu ihrer österreichischen Stiefmutter bereits bestand, konnte sie sich auf die von dieser abgeleiteten Arbeitnehmerfreizügigkeit auf Grund eines Rechtsakts der Europäischen Union berufen. Es war in dem zu untersuchenden Zeitraum somit die Ausnahmebestimmung des § 1 Abs. 2 lit. l AuslBG verwirklicht, sodass das Ausländerbeschäftigungsgesetz auf die Beschäftigte - und damit auf das vorliegende Beschäftigungsverhältnis - nicht anzuwenden war.

30       Indem das Verwaltungsgericht dies verkannte, belastete es sein Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit des Inhalts, weshalb dieses gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

31       Auf die in den Revisionsgründen des Weiteren aufgeworfenen Rechtsfragen zu einer allfälligen Bindungswirkung der vom Arbeitsmarktservice ausgestellten Bestätigung gemäß § 3 Abs. 8 in Verbindung mit § 1 Abs. 2 lit. m AuslBG (siehe jedoch bereits zur fehlenden Möglichkeit einer Ausstellung einer Bestätigung für in der Vergangenheit liegende Zeiträume VwGH 15.9.2011, 2009/09/0148; 9.9.2014, 2013/09/0184) oder zum Vorliegen einer Ausnahme nach § 1 Abs. 2 lit. m AuslBG (wobei das von den revisionswerbenden Parteien zitierte Erkenntnis VwGH 28.5.2008, 2006/09/0102, VwSlg 17.463 A, schon deshalb nicht einschlägig ist, weil es zu der oben dargestellten alten Rechtslage ergangen ist) brauchte daher nicht mehr eingegangen zu werden.

32       Die beantragte mündliche Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 5 VwGG unterbleiben.

33       Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 19. Dezember 2017

Gerichtsentscheidung

EuGH 62007CO0551 Sahin VORAB
EuGH 62016CJ0165 Lounes VORAB

Schlagworte

Besondere Rechtsgebiete Gemeinschaftsrecht Auslegung des Mitgliedstaatenrechtes EURallg2

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2017:RA2017090034.L00

Im RIS seit

08.06.2021

Zuletzt aktualisiert am

09.06.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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