TE Vwgh Erkenntnis 2017/12/18 Ra 2016/15/0071

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Veröffentlicht am 18.12.2017
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Index

32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;

Norm

BAO §303 Abs1 litb idF 2013/I/014;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn sowie die Hofrätin Dr. Büsser und die Hofräte MMag. Maislinger, Mag. Novak und Dr. Sutter als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Engenhart, über die Revision der S Privatstiftung in S, vertreten durch die LeitnerLeitner GmbH, Wirtschaftsprüfer und Steuerberater in 1030 Wien, Am Heumarkt 7, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes vom 16. Juni 2016, Zl. RV/6100613/2013, betreffend Abweisung eines Antrages auf Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Körperschaftsteuer 2006, zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Die Revisionswerberin, eine Privatstiftung, ist Gesamtrechtsnachfolgerin der X GmbH, die im Jahr 2006 Einkünfte aus einer Beratertätigkeit erklärt und mit Bescheid vom 14. Februar 2008 mit den Einkünften aus dieser Tätigkeit zur Körperschaftsteuer veranlagt worden ist.

2 Am 7. Juni 2011 beantragte die X GmbH u.a. die Wiederaufnahme des Körperschaftsteuerverfahrens 2006 und führte aus, dass ihr zwischenzeitig Informationen zugegangen seien, wonach die im Jahr 2006 erklärten Einkünfte auf fingierten Beraterverträgen beruhten und daher gar nicht von der X GmbH zu versteuern wären. Zum Nachweis dafür, dass nicht die X GmbH sondern Dr. G die Einkünfte zu versteuern habe, lag dem Antrag ein diesbezügliches Gerichtsurteil und ein Pfändungsbescheid bei.

3 Das Finanzamt wies den Antrag auf Wiederaufnahme mit der Begründung ab, dass es sich bei dem vorgelegten Urteil und dem Pfändungsbescheid um "nova producta" handle und die Revisionswerberin nicht dargetan habe, welche Sachverhaltselemente den Vertretungsorganen und Beratern der X GmbH im abgeschlossenen Verfahren nicht bekannt gewesen seien.

4 Die X GmbH berief gegen den Abweisungsbescheid und brachte in der Berufung im Wesentlichen vor, der dem Urteil und dem Pfändungsbescheid zugrundeliegende Sachverhalt, wonach es sich bei den von der X GmbH als Beraterhonorare deklarierten Beträgen um von Dr. G vereinnahmte Bestechungsgelder handle, stelle die neue Tatsache dar. Dieser Sachverhalt sei weder dem damaligen noch dem nunmehrigen Geschäftsführer der X GmbH bekannt gewesen.

5 Das Finanzamt wies die Berufung mit Berufungsvorentscheidung als unbegründet ab, woraufhin die X GmbH deren Vorlage an die Abgabenbehörde zweiter Instanz, die Durchführung einer mündlichen Verhandlung und die Entscheidung durch den gesamten Berufungssenat beantragte. In einer Ergänzung zur Berufung brachte sie weiters vor, Dr. G habe zugestanden, dass es sich bei den von der X GmbH vereinnahmten Geldern nicht um Zahlungen für Beratungsleistungen gehandelt habe. Dr. G sei daraufhin zu 8,5 Jahren Haft wegen Bestechlichkeit, Untreue und Steuerhinterziehung verurteilt worden.

6 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesfinanzgericht der Berufung (nunmehr Beschwerde) nach Durchführung eines Erörterungstermins und einer mündlichen Verhandlung keine Folge. Es stellte u.a. fest, für Zeiträume vor dem 3. Mai 2007 lägen keine Hinweise auf die Existenz der X GmbH vor. An diesem Tag sei die X GmbH gesellschaftsrechtlich von einer Privatstiftung gegründet worden, die selbst erst mit diesem Tag errichtet worden sei. Erst an diesem Tag sei die X GmbH nach außen hin in Erscheinung getreten. Ebenfalls an diesem Tag habe sie einen Treuhandvertrag mit der Y GmbH abgeschlossen. In der Körperschaftsteuererklärung 2006 sei vorgebracht worden, die X GmbH sei als Vorgründungsgesellschaft tätig gewesen und habe ein Beratungsprojekt abgewickelt. Das Entgelt dafür habe die Y GmbH im Jahr 2006 treuhändig für die X GmbH vereinnahmt. Als Nachweis dafür enthielten die Akten seit Erlassung des Erstbescheides nur den Hinweis auf die Treuhandvereinbarung. Neu hervorgekommen sei, dass die von der Y GmbH vereinnahmten Gelder nicht für Beratungsleistungen geflossen seien, sondern für von Dr. G gesetzte strafbare Handlungen.

7 Die X GmbH und deren Alleingesellschafterin seien im Mai 2007 gegründet worden und existierten zivil- und abgabenrechtlich frühestens ab diesem Zeitpunkt. Wenn man der - rechtlich nicht gedeckten - Verwaltungsübung zu Vorgründungsgesellschaften folge, wären der X GmbH allenfalls Geschäftsfälle ab Februar 2007, nicht aber solche aus dem Jahr 2006 zurechenbar. Diese Tatsache sei dem Finanzamt bei Erlassung des Erstbescheides ohne Zweifel bekannt gewesen. Der Körperschaftsteuerbescheid 2006 hätte daher mangels Existenz eines Körperschaftsteuersubjektes, dem man Einkommen zurechnen könne, von vornherein nicht ergehen dürfen. Auf diese rechtliche Beurteilung habe es keinen Einfluss, wenn - wie im Streitfall - später hervorkomme, dass die erklärten Einkünfte einer natürlichen Person zuzurechnen seien. Dies ändere nichts daran, dass der Körperschaft - mangels Rechtspersönlichkeit - von vornherein keine Einkünfte hätten zugerechnet werden dürfen. Auch bei Berücksichtigung dieser (neuen) Tatsache hätte eine Veranlagung zu unterbleiben gehabt. Die genannten Wiederaufnahmegründe seien damit nicht entscheidungsrelevant.

8 Eine Revision erklärte das Bundesfinanzgericht für nicht zulässig, weil die hier entscheidungserheblichen Fragen durch höchstgerichtliche Rechtsprechung geklärt oder nicht von grundsätzlicher Bedeutung seien.

9 In der gegen dieses Erkenntnis gerichteten außerordentlichen Revision wird zur Zulässigkeit u.a. vorgebracht, aus dem Gesetzeswortlaut des § 303 Abs. 1 BAO sei nicht ersichtlich, dass eine neue Tatsache iSd § 303 Abs. 1 BAO nur dann entscheidungserheblich sei, wenn nicht schon das ursprüngliche Bescheidergebnis bei richtiger rechtlicher Subsumtion zu der nunmehr im wiederaufgenommenen Verfahren zu erlassenden Entscheidung hätte gelangen können. Auch rechtswidrige Bescheide - zum Vorteil wie zum Nachteil des Bescheidadressaten - seien rechtswirksam, damit rechtlich existent und müssten folglich einer Wiederaufnahme zugänglich sein. Die Wiederaufnahme trotz Vorliegens neuer Tatsachen iSd § 303 Abs. 1 lit. b BAO nur deswegen zu versagen, weil bereits auf Basis der im Zeitpunkt der Bescheiderlassung bekannten Tatsachen eine anderslautende Entscheidung hätte ergehen müssen, sei kein in § 303 BAO normiertes Kriterium. Ein solches Kriterium sei auch der Rechtsprechung oder Literatur nicht zu entnehmen.

10 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

11 Die Revision ist zulässig und begründet.

12 Gemäß § 303 Abs. 1 lit. b BAO idF des FVwGG 2012, BGBl. I Nr. 14/2013, kann ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen wiederaufgenommen werden, wenn Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.

13 Die Wendung "im abgeschlossenen Verfahren" beruht erkennbar auf einem Redaktionsversehen. Zweck der Wiederaufnahme wegen Neuerungen ist - wie schon nach der Regelung vor dem FVwGG 2012 - die Berücksichtigung von bisher unbekannten, aber entscheidungswesentlichen Sachverhaltselementen. Gemeint sind also Tatsachen, die zwar im Zeitpunkt der Bescheiderlassung "im abgeschlossenen Verfahren" bereits existierten, aber erst danach hervorgekommen sind (vgl. VwGH 26.11.2015, Ro 2014/15/0035, mwN).

14 Die Revisionswerberin hat die Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Körperschaftsteuer 2006 mit der Begründung beantragt, dass ihr zwischenzeitig Informationen zugegangen seien, wonach die im Jahr 2006 erklärten Einkünfte auf fingierten Beratertätigkeiten beruhten, was dem Geschäftsführer ihrer Rechtsvorgängerin (X GmbH) nicht bekannt gewesen sei.

15 Der Umstand, dass es sich bei den als Beraterhonorare deklarierten Beträgen nicht um Einkünfte für Leistungen der X GmbH gehandelt hat, stellt eine Tatsache dar, deren Kenntnis einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte. Voraussetzung für eine Wiederaufnahme auf Anträge wäre freilich, dass es sich hiebei um eine für die Revisionswerberin neu hervorgekommene Tatsache handelt (vgl. dazu VwGH 19.10.2016, Ra 2014/15/0058). Dass das Finanzamt bei Erlassung des ursprünglichen Bescheides andere bereits bekannte Tatsachen nicht bzw. rechtlich unzutreffend gewürdigt und schon seinerzeit einen rechtswidrigen Bescheid erlassen hat, ändert nichts an der Entscheidungswesentlichkeit der neu hervorgekommenen Tatsache.

16 Das angefochtene Erkenntnis erweist sich daher als mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet, weshalb es gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

17 Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 18. Dezember 2017

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2017:RA2016150071.L00

Im RIS seit

12.01.2018

Zuletzt aktualisiert am

08.03.2018
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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