TE Vwgh Beschluss 2000/6/20 AW 2000/20/0167

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 20.06.2000
beobachten
merken

Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §21 Abs1;
AsylG 1997 §21 Abs2;
FrG 1997 §55;
FrG 1997 §56;
FrG 1997 §57;
VwGG §30 Abs2;

Beachte

Serie (erledigt im gleichen Sinn):AW 2000/20/0173 B 20. Juni 2000

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat über den Antrag des A in W, geboren am 13. August 1952, vertreten durch Dr. Silvia Franek, Rechtsanwalt in 2500 Baden, Am Fischertor 5/4, der gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 12. Mai 2000, Zl. 201.344/0-V/15/98, betreffend Asylgewährung, erhobenen und zur hg. Zl. 2000/20/0228 protokollierten Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, den Beschluss gefasst:

Spruch

Gemäß § 30 Abs. 2 VwGG wird dem Antrag mit der Wirkung stattgegeben, dass dem Antragsteller die Rechtsstellung zukommt, die er als Asylwerber vor Erlassung des angefochtenen Bescheides hatte.

Im Besonderen wird jede Zurück- oder Abschiebung der antragstellenden Partei aus Österreich für die Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens ausdrücklich untersagt.

Begründung

Gemäß § 21 Abs. 2 erster Satz Asylgesetz darf ein Asylwerber "nicht in den Herkunftsstaat zurückgewiesen und überhaupt nicht zurückgeschoben oder abgeschoben werden".

Mit Erkenntnis vom 26. Mai 2000, Zlen. 99/02/0376-0379, hat der Senat 02 des Verwaltungsgerichtshofes vier Beschwerden gegen Bescheide des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien, mit denen Zurückschiebungsversuche an Asylwerbern für rechtmäßig erklärt worden waren, als unbegründet abgewiesen. Der Senat 02 vertritt in diesem Erkenntnis die Auffassung, § 21 AsylG stehe der Zurück- oder Abschiebung eines Asylwerbers in einen anderen als seinen Herkunftsstaat nur entgegen, wenn der Asylwerber die Voraussetzungen des § 21 Abs. 1 AsylG erfülle. Der für alle Asylwerber geltende erste Satz des § 21 Abs. 2 AsylG beziehe sich nicht nur hinsichtlich der Zurückweisung, sondern auch hinsichtlich der Zurück- oder Abschiebung eines Asylwerbers nur auf dessen Herkunftsstaat.

Angesichts dieses Erkenntnisses des Senates 02 des Verwaltungsgerichtshofes bedarf es einerseits der - bisher nicht üblichen - Aufnahme eines besonderen Ausspruches darüber, dass jede Zurück- oder Abschiebung der antragstellenden Partei aus Österreich für die Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens ausdrücklich untersagt wird, in den vorliegenden Beschluss über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung und andererseits einer Darlegung der Gründe, weshalb das für diese Entscheidung zuständige Mitglied des mit der Beschwerde der antragstellenden Partei befassten Senates des Verwaltungsgerichtshofes der Rechtsansicht des Senates 02 nicht zu folgen vermag.

Diese Gründe lassen sich dahingehend zusammenfassen, dass das Erkenntnis des Senates 02 in einem offenen Widerspruch zum Gesetzeswortlaut steht und auch nicht auf Argumente gestützt ist, die es nahelegen würden, vom unzweifelhaften Ergebnis der Wort- bzw. grammatikalischen Auslegung abzuweichen:

1. Der Widerspruch zum Gesetzeswortlaut ergibt sich daraus, dass sich zwischen der Wendung "in den Herkunftsstaat" und dem Verbot der Zurück- oder Abschiebung in der eingangs zitierten Gesetzesstelle keine sprachliche Beziehung herstellen lässt. Die Gesetzesstelle untersagt - sprachlich unzweideutig - jede Zurück- oder Abschiebung eines Asylwerbers aus Österreich.

2. Der Senat 02 hat seine Entscheidung der Sache nach nur auf das Argument gestützt, in § 21 Abs. 1 AsylG werde unter den dort normierten Voraussetzungen die Anwendung u.a. des § 55 FrG (Zurückschiebung) ausgeschlossen und dies wäre überflüssig, wenn der zweite Absatz der Bestimmung ohne Bindung an die im ersten Absatz normierten Voraussetzungen ein umfassendes, nicht nur den Herkunftsstaat des Asylwerbers betreffendes Zurückschiebungsverbot enthielte. Mit diesem Argument, das von vornherein nicht ausreicht, um eine mit dem Wortlaut des Gesetzes unvereinbare Auslegung zu tragen, wird übersehen, dass in § 21 Abs. 1 AsylG zwar u.a.

- überflüssigerweise - § 55 FrG (Zurückschiebung), aber nicht § 56 FrG (Abschiebung) von der Anwendung auf Asylwerber, die die Voraussetzungen des ersten Absatzes erfüllen, ausgenommen wird. Die Behauptung des Senates 02, auch die Absicht des Gesetzgebers, die Abschiebung solcher Asylwerber zu verbieten, sei im ersten Absatz der Bestimmung zum Ausdruck gekommen, beruht auf einem offenkundigen Irrtum. Nach der Deutung der Gesamtregelung durch den Senat 02 hätten diese Asylwerber daher einen Schutz vor Zurück-, aber keinen Schutz vor Abschiebung in einen Drittstaat, in dem sie nicht im Sinne des § 57 FrG gefährdet sind. Schon diese vom Senat 02 nicht berücksichtigte Konsequenz beweist, dass der Denkansatz nicht richtig ist.

3. Der Senat 02 verweist auch auf die Erläuterungen zur Regierungsvorlage, wo an einer Stelle von einem "Verbot, Asylwerber in den Herkunftsstaat und Asylwerber mit vorläufiger Aufenthaltsberechtigung abzuschieben, zurückzuschieben oder zurückzuweisen," die Rede ist. Durch eine solche Bezugnahme in Gesetzesmaterialien wird dem Gesetz selbst nicht derogiert. Im vorliegenden Fall lässt sich aber auch nachweisen, dass es sich um eine Formulierung aus den Erläuterungen zu einem früheren, in diesem Punkt noch anders lautenden Entwurf handelt, die nur nicht ausreichend angepasst wurde, und dass der Gesetzgeber sich - im Zusammenhang mit dem teilweisen Abgehen vom ex-lege-Erwerb der vorläufigen Aufenthaltsberechtigung einerseits und der Einrichtung des abgekürzten Berufungsverfahrens andererseits - mit voller Absicht dazu entschlossen hat, Zurück- und Abschiebungen von Asylwerbern während des laufenden Asylverfahrens generell zu verbieten (vgl. dazu auch die in Punkt IV.2. des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes vom 24. Juni 1998, Slg. Nr. 15.218, wiedergegebene Stellungnahme der Bundesregierung). Das vom Senat 02 erzielte Ergebnis stünde auch in einem völligen Widerspruch zur Drittstaatenregelung des österreichischen Asylgesetzes, wonach ein Drittstaat nur als sicher anzusehen ist, wenn er Asylwerbern bis zum Abschluss des Verfahrens den Aufenthalt gestattet (vgl. etwa das Erkenntnis vom 11. November 1998, Zl. 98/01/0284). Der Berufung auf die erwähnte Stelle in den Erläuterungen zur Regierungsvorlage ist schließlich noch entgegenzuhalten, dass die vom Senat 02 vorgenommene Umdeutung des Gesetzes auch alle Asylwerber mit vorläufiger Aufenthaltsberechtigung vom Zurückschiebungsverbot in Bezug auf Drittstaaten ausschließen würde, wenn sie nicht die zusätzlichen Voraussetzungen des § 21 Abs. 1 Z. 1 oder 2 AsylG erfüllen. Diese Voraussetzungen haben mit der Aufenthaltsberechtigung nichts zu tun (vgl. hiezu etwa das Erkenntnis vom 29. Mai 1998, 98/02/0044). Der Versuch, dem Problem mit der Einführung des Begriffes eines "Aufenthaltsrechtes im Sinne des Absatzes 1" zu begegnen, ist schon deshalb zum Scheitern verurteilt.

Asylwerber dürfen daher - wie das Gesetz unmissverständlich anordnet - nicht nur nicht in den Herkunftsstaat, sondern überhaupt nicht zurück- oder abgeschoben werden. Da die Effektivität dieser Anordnung des Gesetzgebers nach der Entscheidung des Senates 02 nicht mehr ohne weiteres vorausgesetzt werden kann, war in den Beschluss ein gesonderter Ausspruch darüber aufzunehmen.

Wien, am 20. Juni 2000

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2000:AW2000200167.A00

Im RIS seit

03.04.2001

Zuletzt aktualisiert am

22.07.2011
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten