TE Lvwg Erkenntnis 2017/4/24 VGW-041/078/2434/2016

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 24.04.2017
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Entscheidungsdatum

24.04.2017

Index

60/01 Arbeitsvertragsrecht

Norm

AVRAG §7 Abs2
AVRAG §7g Abs2
AVRAG §7i Abs1

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Verwaltungsgericht Wien hat durch seinen Richter Mag. Marcus Osterauer über die Beschwerde des Herrn T. W., N., ..., gegen das Straferkenntnis des Magistrats der Stadt Wien vom 10. Februar 2016, Zl. MBA ... - S 50994/15, wegen Übertretung des Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetzes

zu Recht e r k a n n t:

I. Der Beschwerde wird stattgegeben, das angefochtene Straferkenntnis behoben und das Strafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 2 VStG eingestellt.

II. Gemäß § 52 Abs. 8 VwGVG hat der Beschwerdeführer keinen Beitrag zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens zu leisten.

III. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

1. Bekämpftes Straferkenntnis:

Nach Erstattung einer Strafanzeige durch die Wiener Gebietskrankenkasse am 13. Oktober 2015, erließ der Magistrat der Stadt Wien (in der Folge: belangte Behörde) das mit 10. Februar 2016 datierte verfahrensgegenständliche Straferkenntnis, GZ MBA ... – S 50994/15, gegen den Beschwerdeführer als Beschuldigten mit nachstehendem Spruch:

„Sie haben als Arbeitgeber mit Gewerbestandort in Wien, H.-gasse, entgegen § 7g Abs. 3 AVRAG (wonach der zuständige Träger der Krankenversicherung berechtigt ist, in die für die Tätigkeit nach § 7g Abs. 1 erforderlichen Unterlagen Einsicht zu nehmen und auf Verlangen des Trägers der Krankenversicherung Arbeitgeber die erforderlichen Unterlagen oder Ablichtungen zu übermitteln haben), der Wiener Gebietskrankenkasse (WGKK) am 17.09.2015 die Einsichtnahme in die geforderten Unterlagen, nämlich Dienstverträge/Dienstzettel, Lohnauszahlungsbelege, Arbeitsaufzeichnungen gemäß § 26 AZG und Lohnkonten für den Zeitraum von 01.10.2014 bis 25.08.2015 hinsichtlich folgender im Lokal in Wien, H.-g., beschäftigter Arbeitnehmer

1) K. Ha., geb. 1966

2) N. Wa. geb. 1995

3) G. Gr., geb. 1982

4) A. M., geb. 1992

insofern verweigert als in folgende Unterlagen nicht Einsicht genommen werden konnte, obwohl sie dazu mit Schreiben der WGKK vom 19.08.2015 und 25.08.2015 aufgefordert wurden:

ad 1) für K. Ha.: Lohnkonto Oktober 2014, Lohnauszahlungsbeleg Oktober 2014, Arbeitsaufzeichnungen Oktober 2014

ad 2) für N. Wa.: Lohnauszahlungsbelege Oktober 2014, November 2014, April 2015, Dienstvertrag/Dienstzettel, Lohnkonto 2014 + 2015

ad 3) für G. Gr.: Lohnkonten Oktober 2014, November 2014, August 2015, Lohnauszahlungsbelege Oktober 2014, November 2014, August 2015, Arbeitsaufzeichnungen Oktober 2014, November 2014, August 2015

ad 4) für A. M.: Lohnkonto Juli 2015

Sie haben dadurch folgende Rechtsvorschriften verletzt:

§ 7g Abs. 2 iVm § 7i Abs. 3 und 7i Abs. 2a Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetz – AVRAG, BGBl. Nr. 459/1993 in der geltenden Fassung

Wegen dieser Verwaltungsübertretungen werden über Sie folgende Strafen verhängt:

4 Geldstrafen von je € 1.000,00, falls diese uneinbringlich sind, 4 Ersatzfreiheitsstrafen von je 2 Tagen und 12 Stunden gemäß § 7i Abs. 3 iVm Abs. 2a erster Strafsatz AVRAG.

Summe der Geldstrafen: € 4.000,00

Summe der Ersatzfreiheitsstrafen: 1 Woche, 3 Tage

Ferner haben Sie gemäß § 64 des Verwaltungsstrafgesetzes (VStG) zu zahlen:

€ 400,00 als Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens, d.s. 10 % der Strafe (mindestens jedoch € 10,00 je Übertretung).

Der zu zahlende Gesamtbetrag (Strafe/Kosten) beträgt daher € 4.400,00.

Außerdem sind die Kosten des Strafvollzuges zu ersetzen.“

In der Begründung des Straferkenntnisses führte die belangte Behörde insbesondere Nachstehendes aus:

„[…]

Die Ihnen zur Last gelegte und im Spruch näher ausgeführte Verwaltungsübertretung gelangte der erkennenden Behörde durch eine Anzeige der WGKK zur Kenntnis.

Da Sie einer ordnungsgemäß zugestellten Aufforderung zur Rechtfertigung trotz Androhung der Rechtsfolgen des § 42 Abs. 1 Z. 2 VStG ungerechtfertigt keine Folge geleistet haben, war das Strafverfahren ohne Ihre Anhörung durchzuführen, und es ist die Ihnen zur Last gelegte Tat aufgrund der schlüssigen und nachvollziehbaren Feststellungen des Anzeigenlegers in objektiver Hinsicht als erwiesen anzusehen.

Bei der vorliegenden Verwaltungsübertretung handelt es sich um ein so genanntes Ungehorsamsdelikt im Sinne des § 5 Abs. 1 VStG. Gemäß dieser Bestimmung genügt, wenn eine Verwaltungsvorschrift über das Verschulden nicht anderes bestimmt, zur Strafbarkeit fahrlässiges Verhalten. Fahrlässigkeit ist bei Zuwiderhandeln gegen ein Verbot oder bei Nichtbefolgung eines Gebotes dann ohne weiteres anzunehmen, wenn zum Tatbestand einer Verwaltungsübertretung der Eintritt eines Schadens oder einer Gefahr nicht gehört und der Täter nicht glaubhaft macht, dass ihn an der Verletzung der Verwaltungsvorschrift kein Verschulden trifft.

Ein derartiges Vorbringen, das geeignet gewesen wäre, Ihr mangelndes Verschulden glaubhaft zu machen, haben Sie aber nicht erstattet.

[…]“

Bei der Strafbemessung ging die belangte Behörde vom Vorliegen eines durchschnittlichen Unrechtsgehaltes und Verschuldens des Beschwerdeführers aus. Seine bisherige verwaltungsstrafrechtliche Unbescholtenheit wurde als mildernd gewertet, als erschwerend wurde kein Umstand herangezogen. Die belangte Behörde ging hinsichtlich der wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers mangels Angaben durch den Beschwerdeführer von durchschnittlichen Werten aus. Unter Berücksichtigung aller Strafzumessungsgründe habe mit der Mindeststrafe das Auslangen gefunden werden können.

2. Beschwerde und Beschwerdeverfahren:

2.1. Gegen dieses Straferkenntnis erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde mit folgendem wesentlichen Inhalt:

„[…]

Ich, T. W., habe Ihr Schreiben vom 10.02.2016 erhalten und möchte hiermit bekannt geben, dass ich die Einsicht meiner Unterlagen bei der WGKK nicht verweigerte und somit nicht verstehe, wie es zu dieser Straferkenntnis kam.

Anbei sende Ihnen auch die Niederschrift vom 17.09.2015, die mir Frau S. von der Abteilung „Beitragsprüfung der WGKK“ mitgab, um belegen zu können, dass tatsächlich Einsicht genommen wurde, auf:

?    Dienstvertrag/Dienstzettel

?    Lohnkonten

?    Lohnauszahlungsnachweise

?    Arbeitsaufzeichnungen

?    Urlaubsaufzeichnungen

Hiermit möchte ich Sie höflichst ersuchen von der Strafe abzusehen. Aufgrund meiner finanziellen Lage ist es mir nicht möglich diese Summe zu bezahlen.

Gerne komme ich auch persönlich bei Ihnen vorbei um noch einmal all meine Unterlagen vorzulegen, falls mir irgendein Fehler unterlaufen sein oder ich aufgrund anderer Umstände etwas vergessen haben sollte.

Wegen damaligem Personalmangel und Problemen mit der AK, aufgrund einer ehemaligen Mitarbeiterin, ist es möglich, dass ich deshalb Termine verabsäumte.

Deshalb bitte ich Sie mir noch einmal die Möglichkeit zu geben, fehlende Unterlagen nachzubringen um einer Strafe diesen Ausmaßes zu entgehen.“

 

Der Beschwerde beigefügt war eine Niederschrift über die Vorsprache des Beschwerdeführers bei der WGKK am 17. September 2015 mit folgendem auszugsweisen Inhalt:

„[…]

Sie wurden aufgefordert zum heutigen Termin folgende Unterlagen für sämtliche Dienstnehmer vorzulegen:

?    Dienstvertrag/Dienstzettel

?    Lohnkonten

?    Lohnauszahlungsnachweise

?    Arbeitsaufzeichnungen

?    Urlaubsaufzeichnungen

Welche Unterlagen legen Sie vor?

Für den Dienstnehmer Mi. R., ..., lege ich Dienstzettel vor.

Für Dienstnehmer M. A., ... lege ich einen Dienstzettel, Lohnzahlungsbelege (Juli und August 2015) und Arbeitszeitaufzeichnungen (Juli 2015) vor.

Für Dienstnehmer Ha. K., ... lege ich keine Unterlagen vor.

Für Dienstnehmer Wa. N., ... lege ich Lohnzahlungsbelege (Oktober 2014 bis August 2015) und Arbeitszeitaufzeichnungen (Oktober 2014 bis August 2015) vor.

Für Dienstnehmer Gr. G., ... lege ich einen Dienstzettel ab 11.08.2015 sowie eine Änderung ab 01.09.2015 vor.

[…]“

2.2. Die belangte Behörde nahm von einer Beschwerdevorentscheidung Abstand und legte die Beschwerde unter Anschluss des Verwaltungsaktes dem Verwaltungsgericht Wien zur Entscheidung vor.

2.3. Das Verwaltungsgericht Wien machte der Wiener Gebietskrankenkasse gemäß § 10 VwGVG Mitteilung von der Beschwerde. In ihrer Stellungnahme vom 24. Mai 2016 führte die Wiener Gebietskrankenkasse Folgendes aus:

„[…]

Der Beschwerdeführer (in Folge: Bf) bringt in seiner Beschwerde vor, dass er die Einsicht in Unterlagen nicht verweigert hätte und legt in weiterer Folge die Niederschrift vom 17.09.2015 (aktenkundig) vor, welche belegen soll, dass in von ihm vorgelegte Unterlagen tatsächlich Einsicht genommen wurde. Die im Rahmen der Niederschrift vorgelegten Unterlagen waren jedoch unvollständig, in der Niederschrift wird unter anderem festgehalten, dass für den Arbeitnehmer Ha. K. keine Unterlagen vorgelegt wurden.

In der Anzeige vom 13.10.2015 (aktenkundig) wird ausführlich erläutert, welche der geforderten Unterlagen im Zuge der Niederschrift vom 17.09.2015 vorgelegt und welche eben nicht vorgelegt wurden. Nur durch die vollständige Vorlage aller verlangten Unterlagen ist aber eine Überprüfung hinsichtlich § 7g Abs. 1 AVRAG (Unterentlohnung) möglich.

Auch der Bf selbst gibt in seiner Beschwerde an, er käme gerne persönlich im Magistratischen Bezirksamt für den ... Bezirk vorbei, „um noch einmal all meine Unterlagen vorzulegen, falls mir irgendein Fehler unterlaufen sein oder ich aufgrund anderer Umstände etwas vergessen haben sollte“.

Grundsätzlich ist anzumerken, dass die Bestimmungen des § 7g Abs. 2 AVRAG den zuständigen Träger der Krankenversicherung (in diesem Fall die WGKK) berechtigen, in die für die Tätigkeit nach Abs. 1 erforderlichen Unterlagen Einsicht zu nehmen und Abschriften dieser Unterlagen anzufertigen. Auf Verlangen haben Arbeitgeber/innen die erforderlichen Unterlagen oder Ablichtungen an den Träger der Krankenversicherung zu übermitteln. Gemäß § 7i Abs. 3 AVRAG ist ein Arbeitgeber, der entgegen § 7g Abs. 2 leg. cit. die Einsichtnahme der Unterlagen verweigert, zu bestrafen. Die Verpflichtung zur Vorlage der Unterlagen besteht somit nur gegenüber dem zuständigen Träger der Krankenversicherung und nicht gegenüber der Verwaltungsstrafbehörde. Demzufolge kann die Strafbestimmung des § 7i Abs. 3 AVRAG auch nur die Nichtvorlage gegenüber dem Träger der Krankenversicherung sanktionieren. Die Verwaltungsübertretung ist daher bereits verwirklicht, wenn bis zum Ablauf der behördlichen Frist (hier: 17.09.2015) die Vorlage der Unterlagen an den Träger der Krankenversicherung nicht erfolgt ist.

Nach herrschender Rechtsprechung bildet ein Verstoß gegen die Verpflichtung zur Vorlage und Übermittlung von Unterlagen nach behördlicher Aufforderung jedenfalls kein Dauerdelikt. Wird einem Verlangen einer zuständigen Behörde nicht innerhalb der gestellten Frist entsprochen, so ist die Tat mit Fristablauf vollendet. Gleichzeitig beginnt die Frist des § 31 Abs. 1 VStG (vgl. VwGH 31.10.1986, 86/10/0018).

Folglich kann auch durch eine (ohnehin nicht erfolgte) nachträgliche Vorlage dieser Unterlagen (noch dazu, wenn diese erst im Verwaltungsstrafverfahren erfolgt) das Delikt nicht mehr beseitigt werden. Ebenso ändert eine (ebenfalls nicht erfolgte) nachträgliche Vorlage von Lohnunterlagen an die Verwaltungsstrafbehörde nichts an der Verwirklichung des Tatbestandes, da keine Verpflichtung zur Vorlage an diese besteht.

Wenn der Bf weiter anführt, es sei möglich, dass er wegen damaligen Personalmangel und Problemen mit der AK Termine verabsäumt hätte, ist anzuführen, dass bei aufgrund von gesetzlichen Bestimmungen zu führenden Unterlagen und Aufzeichnungen der Grund und die Umstände, warum die Unterlagen nicht vorgelegt wurden, unwesentlich sind und das Verhalten jedenfalls als Verweigerung der Einsichtnahme zu werten ist.

Welche Strafen im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten als tat- und schuldangemessen anzusehen sind, obliegt der Entscheidung der Behörde. Bemerkt wird jedoch, dass lediglich die Mindeststrafen verhängt wurden“

2.3. Am 22. November 2016 führte das Verwaltungsgericht Wien eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, in der mit den Parteien insbesondere in rechtlicher Hinsicht die Abgrenzung der Straftatbestände des § 7i Abs. 1 letzter Satz AVRAG und des § 7i Abs. 3 AVRAG erörtert wurde. Der Vertreter der WGKK brachte dazu vor, dass die Abgrenzung so zu erfolgen habe, dass, wenn der Arbeitgeber physisch anwesend sei und eine Einsichtnahme in Lohnunterlagen nicht möglich sei, von einer Verweigerungshandlung im Sinne des § 7i Abs. 3 AVRAG auszugehen sei. Erörtert wurde mit den Parteien weiters, ob die an den Beschwerdeführer ergangenen Aufforderungen, persönlich bei der WGKK vorzusprechen und bei dieser Vorsprache Lohnunterlagen vorzulegen, Aufforderungen zur Übermittlung von Unterlagen im Sinne des § 7i Abs. 1 letzter Satz AVRAG darstellen.

3. Sachverhaltsfeststellungen und Beweiswürdigung:

3.1.1. Der Beschwerdeführer ist Inhaber eines Gastgewerbebetriebes mit dem Gewerbestandort in Wien, H.-gasse. (unstrittig)

3.1.2. Am 19. August 2015 führte ein Bediensteter der WGKK im Zuge einer Überprüfung gemäß § 7g Abs. 1 AVRAG eine Kontrolle im Betrieb des Beschwerdeführers durch. Dem Beschwerdeführer wurde im Wege der Ersatzzustellung an die Arbeitnehmerin Gr. anlässlich der Kontrolle eine Einladungskarte zugestellt, mit der der Beschwerdeführer zwecks Auskunfterteilung und/oder Vorlage von Lohnunterlagen (§§ 42, 43 und 362 ASVG, § 19 AVG sowie § 7g Abs. 2 AVRAG) eingeladen wurde, entweder am 26. August 2015 nur von 13:30 Uhr bis 13:45 Uhr bei der WGKK vorzusprechen oder sich telefonisch mit der zuständigen Sachbearbeiterin in Verbindung zu setzen. Weiters wurde der Beschwerdeführer in diesem Schreiben zur Vorlage näher bezeichneter Lohnunterlagen aufgefordert (Einladungsschreiben AS 7, Aktenvermerk vom 18. September 2015, AS 15f).

3.1.3. Am 25. August 2015 rief der Beschwerdeführer bei der WGKK an und gab bekannt, dass er die Unterlagen nicht beisammen habe, weshalb er den Termin nicht wahrnehmen könne (Aktenvermerk vom 18. September 2015, AS 15f).

3.1.4. Mit Schreiben der Wiener Gebietskrankenkasse vom 25. August 2015 wurde der Beschwerdeführer unter Hinweis auf seine gesetzliche Verpflichtung zur Auskunftserteilung (§§ 42 und 358 ASVG) sowie auf seine gesetzliche Verpflichtung zur Vorlage von Lohnunterlagen (§ 7g Abs. 2 AVRAG) aufgefordert, am 17. September 2015 in der Abteilung Beitragsprüfung der Wiener Gebietskrankenkasse vorzusprechen und betreffend die Dienstnehmer K. Ha., N. Wa., G. Gr. und A. M. Dienstvertrag/Dienstzettel, Lohnkonten, Lohnzahlungsnachweise (Überweisungsbelege, Kassabelege, sonstige Belege), Arbeitsaufzeichnungen und Urlaubsaufzeichnungen vorzulegen. Dem Schreiben waren Auszüge aus dem ASVG und dem AVRAG, insbesondere § 7g Abs. 1 und 2 AVRAG sowie § 7i Abs. 1 AVRAG jeweils in der Fassung vor dem Bundesgesetz BGBl. I Nr. 94/2014 angefügt. Dieses Schreiben wurde dem Beschwerdeführer am 28. August 2015 durch Ersatzzustellung an die Arbeitnehmerin N. Wa. zugestellt (Schreiben vom 25. August 2015, AS 9ff).

3.1.5. Der Beschwerdeführer sprach am 17. September 2015 bei der WGKK vor und legte für K. Ha. keine Unterlagen, für A. M. einen Dienstzettel, Lohnzahlungsbelege (Juli und August 2015) und Arbeitsaufzeichnungen (Juli 2015), für N. Wa. Lohnzahlungsbelege (Oktober 2014 bis August 2015) und Arbeitsaufzeichnungen (Oktober 2014 bis August 2015) und für G. Gr. einen Dienstzettel ab 11. August 2015 sowie eine Änderung ab 1. September 2015 vor (Niederschrift vom 17. September 2015).

3.2. Die Sachverhaltsfeststellungen stützen sich auf die jeweils in Klammer angegebenen Beweismittel und sind im Übrigen unstrittig. Entgegen den Angaben in der Anzeige der WGKK hat der Beschwerdeführer allerdings laut Niederschrift betreffend N. Wa. die Lohnauszahlungsbelege Oktober und November 2014 sowie April 2015 sehr wohl vorgelegt.

4. Rechtslage:

§§ 7g Abs. 1 und 2 und 7i Abs. 1, 2a und 3 Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetz – AVRAG BGBl. Nr. 459/1993, in der im gegenständlichen Fall anzuwendenden Fassung BGBl. I Nr. 94/2014 lauten:

„Feststellung von Übertretungen durch den Träger der Krankenversicherung
§ 7g.

(1) Stellt der zuständige Träger der Krankenversicherung im Rahmen seiner Tätigkeit fest, dass der/die Arbeitgeber/in

1.

dem/der dem ASVG unterliegenden Arbeitnehmer/in oder

2.

dem/der Arbeitnehmer/in, der/die seinen/ihren gewöhnlichen Arbeitsort in Österreich hat ohne dem ASVG zu unterliegen,

nicht zumindest das ihm/ihr nach Gesetz, Verordnung oder Kollektivvertrag in Österreich unter Beachtung der jeweiligen Einstufungskriterien zustehende Entgelt im Sinne des § 7i Abs. 5 leistet, gilt § 7e Abs. 3 bis 5 mit der Maßgabe, dass an die Stelle des Kompetenzzentrums LSDB der zuständige Träger der Krankenversicherung tritt.

(2) Der zuständige Träger der Krankenversicherung ist berechtigt, in die für die Tätigkeit nach Abs. 1 erforderlichen Unterlagen Einsicht zu nehmen und Abschriften dieser Unterlagen anzufertigen. Auf Verlangen haben Arbeitgeber/innen die erforderlichen Unterlagen oder Ablichtungen zu übermitteln, wobei die Unterlagen oder Ablichtungen bis zum Ablauf des der Aufforderung zweitfolgenden Werktags abzusenden sind. Für die Übermittlung gebührt kein Ersatz der Aufwendungen.

Strafbestimmungen
§ 7i.

(1) Wer die erforderlichen Unterlagen entgegen § 7d Abs. 1 oder § 7f Abs. 1 Z 3 nicht übermittelt, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde für jede/n Arbeitnehmer/in mit Geldstrafe von 500 Euro bis 5 000 Euro, im Wiederholungsfall von 1 000 Euro bis 10 000 Euro zu bestrafen. Ebenso ist zu bestrafen, wer entgegen § 7g Abs. 2 oder § 7h Abs. 2 die Unterlagen nicht übermittelt.

(2a) Wer die Einsichtnahme in die Unterlagen nach den §§ 7b Abs. 5 und 7d verweigert, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist für jede/n Arbeitnehmer/in von der Bezirksverwaltungsbehörde mit einer Geldstrafe von 1 000 Euro bis 10 000 Euro, im Wiederholungsfall von 2 000 Euro bis 20 000 Euro zu bestrafen.

(3) Ebenso ist nach Abs. 2a zu bestrafen, wer als Arbeitgeber/in entgegen § 7g Abs. 2 die Einsichtnahme in die Unterlagen verweigert.

…“

5. Rechtliche Beurteilung

5.1. Gemäß § 7g Abs. 2 AVRAG ist der zuständige Träger der Krankenversicherung berechtigt, in die für die Tätigkeit nach Abs. 1 erforderlichen Unterlagen Einsicht zu nehmen und Abschriften dieser Unterlagen anzufertigen. Auf Verlangen haben Arbeitgeber/innen die erforderlichen Unterlagen oder Ablichtungen zu übermitteln, wobei die Unterlagen oder Ablichtungen bis zum Ablauf des der Aufforderung zweitfolgenden Werktags abzusenden sind. Für die Übermittlung gebührt kein Ersatz von Aufwendungen. Gemäß § 7i Abs. 3 in Verbindung mit § 7i Absatz 2a AVRAG begeht eine Verwaltungsübertretung, wer als Arbeitgeber/in entgegen § 7g Abs. 2 AVRAG die Einsichtnahme in die Unterlagen verweigert und ist für jede/n Arbeitnehmer/in mit Geldstrafe von 1.000,00 Euro bis 10.000,00 Euro, im Wiederholungsfall von 2.000,00 Euro bis 20.000,00 Euro zu bestrafen.

5.2. Der Beschwerdeführer wurde mit dem gegenständlichen Straferkenntnis gemäß § 7g Abs. 2 in Verbindung mit § 7i Abs. 3 AVRAG und 7i Abs. 2a AVRAG bestraft, weil er als Arbeitgeber der Wiener Gebietskrankenkasse am 17. September 2015 die Einsichtnahme in näher bezeichnete geforderte Unterlagen insofern verweigert habe, als in diese nicht Einsicht genommen werden konnte, obwohl er dazu mit Schreiben der WGKK vom 19. August 2015 und 25. August 2015 aufgefordert wurde.

5.3. Aus einer systematischen Betrachtung der einschlägigen Normen des AVRAG ergibt sich jedoch, dass das Verhalten des Beschwerdeführers nicht unter die Strafsanktionsnorm des § 7i Abs. 3 iVm § 7i Abs. 2a AVRAG fällt. § 7i Abs. 3 AVRAG verweist auf § 7i Abs. 2a AVRAG. § 7i Abs. 2a AVRAG wiederum sanktioniert die Verweigerung der Einsichtnahme in die Unterlagen nach den §§ 7b Abs. 5 und 7d AVRAG. Bei den Unterlagen gemäß §§ 7b Abs. 5 und 7d AVRAG handelt es sich um Unterlagen, die am Arbeits(Einsatz)ort bereitzuhalten sind und in die die Organe der Abgabenbehörde gemäß § 7f Abs. 1 Z 3 AVRAG sowie die Organe der Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse gemäß § 7h Abs. 2 AVRAG Einsicht zu nehmen berechtigt sind. Das Einsichtsrecht in die Unterlagen nach den §§ 7b Abs. 5 und 7d AVRAG bezieht sich somit immer auf am Arbeits(Einsatz)ort zum Zeitpunkt der Kontrolle tatsächlich vorhandene Unterlagen, sodass die Einsichtnahme auch nur hinsichtlich von am Arbeits(Einsatz)ort tatsächlich vorhandenen Unterlagen verweigert werden kann. Die Verweigerung der Einsichtnahme setzt daher voraus, dass die Unterlagen an dem Ort, an dem in sie Einsicht genommen werden soll, tatsächlich vorhanden sind.

Da § 7i Abs. 3 AVRAG auf § 7i Abs. 2a AVRAG Bezug nimmt, kann sich auch die Verweigerung der Einsichtnahme in Unterlagen gemäß § 7i Abs. 3 AVRAG nur auf Unterlagen beziehen, die an dem Ort, an dem in sie Einsicht genommen werden soll, tatsächlich vorhanden sind und nicht auf solche, die erst zum Ort, an dem sie eingesehen werden sollen, gebracht werden müssen.

Entgegen der von der WGKK vertretenen Rechtsansicht liegt eine Verweigerung der Einsichtnahme in die Unterlagen hingegen nicht immer schon dann vor, wenn der zur Gewährung der Einsichtnahme verpflichtete Arbeitgeber an Ort und Stelle physisch anwesend ist und eine Einsichtnahme in die Unterlagen, weil diese nicht an Ort und Stelle vorhanden sind, nicht möglich ist. Eine solche Auslegung hätte nämlich zur Folge, dass ein Arbeitgeber die für eine Überprüfung gemäß § 7g Abs. 1 AVRAG erforderlichen Unterlagen am Ort der Kontrolle bereithalten müsste. Eine solche Verpflichtung lässt sich dem Gesetz jedoch – entgegen der Bereithaltung der Lohnunterlagen für entsendete Arbeitnehmer - nicht entnehmen.

Eine Verweigerung der Einsichtnahme in Unterlagen liegt daher nur dann vor und eine Bestrafung nach § 7i Abs. 3 AVRAG kommt daher nur dann in Betracht, wenn die Einsicht in an Ort und Stelle tatsächlich vorhandene Unterlagen verweigert wird. Dies ist jedoch gegenständlich nicht der Fall, da der Beschwerdeführer die erforderlichen Unterlagen zum Ort der Einsichtnahme direkt bei der WGKK gar nicht erst mitgebracht hat. Dieses Verhalten kann jedoch nach dem Vorgesagten nicht als Verweigerung der Einsichtnahme betrachtet werden, sodass eine Bestrafung des Beschwerdeführers gemäß § 7i Abs. 3 AVRAG nicht in Frage kommt.

5.4. Der Vollständigkeit halber festzuhalten noch, dass eine Bestrafung des Beschwerdeführers gemäß § 7i Abs. 1 letzter Satz AVRAG im verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren schon deshalb nicht in Frage kommt, da dem Beschwerdeführer die Nichtübermittlung der geforderten Unterlagen im Sinne des § 7i Abs. 1 AVRAG im Verfahren vor der belangen Behörde nicht vorgehalten wurde und auch nicht Gegenstand des bekämpften Straferkenntnisses ist. Weiters wurde der Beschwerdeführer mit Schreiben der Wiener Gebietskrankenkasse aufgefordert, am 17. September 2015 in der Abteilung Beitragsprüfung vorzusprechen und Unterlagen „mitzubringen“. Bei dieser Aufforderung handelt es sich jedoch um kein Verlangen zur Übermittlung von Unterlagen im Sinne des § 7g Abs. 2 zweiter Satz AVRAG. § 7g Abs. 2 zweiter Satz AVRAG verpflichtet den Arbeitgeber nämlich nicht dazu, die Unterlagen, deren Übermittlung verlangt wird, persönlich an den Krankenversicherungsträger zu übergeben, sondern lediglich dazu, diese an den Krankenversicherungsträger - auf welche Weise auch immer - zu übermitteln, wobei dieser Verpflichtung insbesondere dann entsprochen wird, wenn die Unterlagen fristgerecht abgesendet werden. Der Krankenversicherungsträger kann daher gemäß § 7 Abs. 2 zweiter Satz AVRAG immer nur die Übersendung der Unterlagen verlangen, nicht jedoch die Übermittlung auf andere Art und Weise. § 7g Abs. 2 AVRAG bildet daher keine gesetzliche Grundlage für die Aufforderung der WGKK, der Beschwerdeführer möge die geforderten Unterlagen anlässlich einer Vorsprache mitbringen. Dazu, die Unterlagen an die WGKK auf andere Weise als durch persönliche Übergabe zu übermitteln, insbesondere diese abzusenden, wurde der Beschwerdeführer jedoch nicht aufgefordert. Der allgemein gehaltene Hinweis auf die gesetzliche Verpflichtung zur Vorlage von Lohnunterlagen gemäß § 7g Abs. 2 AVRAG im Schreiben vom 25. August 2015 reicht auch in Verbindung mit dem Beiblatt, das insbesondere die Bestimmung des § 7g AVRAG in der Fassung vor dem Bundesgesetz BGBl. Nr. I 94/2014 umfasst, jedenfalls nicht aus, davon auszugehen, dass die WGKK den Beschwerdeführer aufgefordert hat, die Unterlagen auch auf andere Art und Weise als durch Vorlage anlässlich der Vorsprache zu übermitteln. Da es somit an einer den Anforderungen des § 7g Abs. 2 AVRAG entsprechenden Aufforderung zur Übermittlung von Unterlagen durch die WGKK fehlt, hat der Beschwerdeführer durch die Nichtübermittlung der Unterlagen auch nicht die Verwaltungsübertretung des § 7i Abs. 1 letzter Satz AVRAG in Verbindung mit § 7g Abs. 2 AVRAG begangen.

5.5. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden, das angefochtene Straferkenntnis zu beheben und das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 2 VStG einzustellen.

5.6. Die Kostenentscheidungen gründet sich auf die zwingende Bestimmung des § 52 Abs. 8 VwGVG.

Zum Ausspruch über die Zulässigkeit der Revision

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Im gegenständlichen Fall war auszusprechen, dass die ordentliche Revision zulässig ist, da eine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Soweit ersichtlich fehlt nämlich Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ob ein Arbeitgeber, der einer Aufforderung des zuständigen Krankenversicherungsträgers, bei ihm vorzusprechen und zu dieser Vorsprache die für die Tätigkeit des Krankenversicherungsträgers nach § 7g Abs. 1 AVRAG erforderlichen Unterlagen mitzubringen, nicht vollständig nachkommt, eine Verwaltungsübertretung nach § 7g Abs. 2 in Verbindung mit § 7i Abs. 1 oder Abs. 3 AVRAG begeht.

Schlagworte

Arbeitgeber; Arbeitnehmer; Abhängigkeit, persönliche, wirtschaftliche; persönliche Arbeitspflicht; Bereithaltung der Lohnunterlagen; Übermittlung der Lohnunterlagen; Verweigerung der Einsichtnahme; Krankenversicherung; Einsichtsrecht; Unterentlohnung; tatsächlich vorhandene Lohnunterlagen; Nichtübermittlung; Aufforderung zur Vorsprache

Anmerkung

VwGH v. 26.4.2018, Ro 2017/11/0016

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGWI:2017:VGW.041.078.2434.2016

Zuletzt aktualisiert am

28.05.2018
Quelle: Landesverwaltungsgericht Wien LVwg Wien, http://www.verwaltungsgericht.wien.gv.at
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