TE OGH 2017/11/14 11Fss3/17f

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Veröffentlicht am 14.11.2017
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Der Oberste Gerichtshof hat am 14. November 2017 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger und Mag. Fürnkranz als weitere Richter über den von Andrzej S***** im Verfahren AZ 28 Hv 20/15g des Landesgerichts Innsbruck gestellten Fristsetzungsantrag nach Anhörung der Generalprokuratur und Abstimmung gemäß § 60 Abs 1 zweiter Satz OGH-Geo. 2005 den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Text

Gründe:

Andrzej S***** wurde mit Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 19. Mai 2015 (ON 345) mehrerer strafbarer Handlungen schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. An Verwahrungs- und Untersuchungshaft wurden im gegenständlichen Verfahren verbrachte Haftzeiten von 18. Dezember 2014 12:35 Uhr bis 19. Mai 2015 17:55 Uhr angerechnet (ON 345).

Nach Zurückweisung der Nichtigkeitsbeschwerde des Genannten mit Beschluss des Obersten Gerichtshofs vom 19. Mai 2016, AZ 11 Os 106/15w (11 Os 107/15t, 11 Os 110/15h, 11 Os 121/15a; ON 523), gab das Oberlandesgericht Innsbruck seiner Berufung mit Urteil vom 29. Juni 2016, AZ 6 Bs 169/16w (ON 558), nicht Folge.

Mit Beschluss vom 13. Juli 2017, AZ 12 Os 130/16h (12 Os 141/16a, 12 Os 1/17i, 12 Os 2/17m; ON 704a) wies der Oberste Gerichtshof Anträge des Verurteilten auf Erneuerung des Strafverfahrens zurück und einen solchen auf außerordentliche Wiederaufnahme des Strafverfahrens ab.

Mit Endverfügung vom 14. Juli 2016, die gemäß § 400 StPO eine Anrechnung der Zwischenhaft vom 19. Mai 2015, 17:55 Uhr bis 20. Mai 2015, 10:00 Uhr und von 14. März 2016, 17:36 Uhr bis 29. Juni 2016 10:15 Uhr vorsah (dazwischen verbüßte der Angeklagte eine zu AZ 37 Hv 42/09t des Landesgerichts Salzburg offene [Rest-]Freiheitsstrafe), wurde der Justizanstalt Innsbruck die Strafvollzugsanordnung übermittelt (ON 559, 569, 570). Derzeit wird die Freiheitsstrafe in der Justizanstalt Stein vollzogen (ON 714).

Mit Schreiben vom 13. September 2017 (ON 716) stellte der Verurteilte ua den Antrag, der Oberste Gerichtshofe möge dem Oberlandesgericht Innsbruck im Zusammenhang mit dem vorgenannten Verfahren zu AZ 6 Bs 169/16w eine angemessene Frist setzen zur „Fällung, Ausfertigung und Zustellung einer Entscheidung“ über eine mit der Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 19. Mai 2015 verbundene „Beschwerde“ gegen „die Nichtanwendung der bedingten Nachsicht des Strafrests“ gemäß „§ 265 StPO (§ 46 Abs 1, Abs 2, Abs 5 StGB) iVm § 498 Abs 2 letzter Satz, Abs 3 StPO“.

Der Antragsteller steht zusammengefasst auf dem Standpunkt, das Berufungsgericht hätte seinerzeit anlässlich der Entscheidung über die Strafberufung auch eine Entscheidung über eine „Beschwerde“ gegen „die Nichtanwendung von § 265 StPO“ zu treffen gehabt und sei seither damit säumig. Dabei geht er von der Prämisse aus, ihm seien im gegenständlichen Verfahren zahlreiche Haften anzurechnen gewesen, die er in Deutschland von 1994 bis 10. April 2014 in Strafhaft verbüßt oder in Untersuchungshaft verbracht habe.

Zunächst sei festgehalten, dass das erstinstanzliche Urteil ausschließlich die Anrechnung von im gegenständlichen Verfahren (im Inland) erlittener Verwahrungs- und Untersuchungshaft vornahm (ON 345 S 11). Einen Beschluss, der (positiv oder negativ) im Sinn des § 265 StPO über die Frage allfälliger bedingter Entlassung absprach, fasste es nicht. Auf Basis der von ihm ausgesprochenen Vorhaftanrechnung bestand – schon mangels Vorliegens der zeitlichen Voraussetzungen für eine bedingte Entlassung – für das Erstgericht auch keinerlei Veranlassung, einen solchen Beschluss von Amts wegen zu fällen (vgl Mayerhofer/Hollaender, StPO § 265 E 1 und 1a).

Der Antragsteller erklärte seinerzeit unmittelbar im Anschluss an die Urteilsverkündung nach Rücksprache mit seinem Verteidiger, als Rechtsmittel „Nichtigkeits-beschwerde, Beschwerde und Berufung“, „somit volles Rechtsmittel“ zu erheben (ON 344 S 25). Mit Schriftsatz vom 20. Mai 2015 meldete er durch seinen Verteidiger „Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung“ an (ON 347). Mit Vorlagebericht vom 10. August 2017 (ON 437) legte das Erstgericht die Akten bezüglich der vom Verteidiger ausgeführten Nichtigkeitbeschwerde und Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe gegen das Ersturteil (ON 400) vor.

Bei der Anmeldung von Rechtsmitteln und im weiteren Berufungsverfahren erstattete der Antragsteller keinerlei Vorbringen, das auf die Anrechnung weiterer (etwa im Ausland verbrachter) Haftzeiten (§ 283 Abs 2 zweiter Satz StPO) oder gar auf eine Beschlussfassung im Sinn des § 265 StPO abzielte (ON 344 S 25, ON 400 S 65, ON 554; ON 556). Auf welchen Beschluss sich die mündlich angemeldete „Beschwerde“ beziehen sollte, obwohl zugleich mit dem Urteil kein Beschluss (insbesondere im Sinn von §§ 494a ff oder § 265 StPO) ergangen war, blieb offen. Von sämtlichen beteiligten Gerichten wurde die mündliche Erklärung deshalb erkennbar im Sinn der schriftlichen Anmeldung und Ausführung von Rechtsmitteln durch den Verteidiger als der Sache nach volles Rechtsmittel gegen das (allein) ergangene Urteil, sohin als Nichtigkeitsbeschwerde und – bei der mündlichen Anmeldung bloß irrig auch als „Beschwerde“ bezeichnete – Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe gedeutet und behandelt.

Rechtliche Beurteilung

Mit seiner Berufungsentscheidung entschied das Oberlandesgericht Innsbruck nach Zurückweisung der Nichtigkeitsbeschwerde durch den Obersten Gerichtshof bereits rechtskräftig über diese Berufung.

Von sich aus sah es dabei offenbar keinen Grund, die erstinstanzliche Entscheidung über die Anrechnung von Haftzeiten zu thematisieren oder (zu Gunsten des Angeklagten) zu korrigieren. Auf dieser Basis bestand aber auch für das Berufungsgericht im Zeitpunkt seiner Entscheidung keine Veranlassung, amtswegig einen (positiven oder negativen) Beschluss im Sinn des § 265 Abs 1 zweiter Satz StPO zu fassen (vgl neuerlich Mayerhofer/Hollaender, StPO § 265 E 1 und 1a). Mangels Vorliegens eines erstinstanzlichen (positiven oder negativen) Beschlusses im Sinn des § 265 StPO und mangels deutlicher und bestimmter Bezeichnung durch den Angeklagten war es auch nicht gehalten, die undeutliche und unbestimmte Anmeldung einer „Beschwerde“ von sich aus als eine intendierte Beschwerde im Sinn des § 265 Abs 2 StPO zu interpretieren. Über eine (bloß) implizite Beschwerde hatte es in diesem Zusammenhang schon deshalb nicht zu entscheiden, weil ein erstinstanzlicher Beschluss im Sinn von § 498 Abs 3 dritter Satz StPO (auch iVm § 265 Abs 2 StPO) gar nicht existierte.

Dass die Rechtsmittelentscheidung des Oberlandesgerichts vom 29. Juni 2016 inhaltlich nicht den erst danach artikulierten Wünschen des Antragstellers auf Anrechnung weiterer Haftzeiten und damit einhergehender bedingter Entlassung entsprach, kann keinesfalls (nachträglich) im Fristsetzungsverfahren durchgesetzt werden (vgl RIS-Justiz RS0059285).

Gemäß § 91 Abs 1 GOG setzt der Erfolg eines Fristsetzungsantrags im Übrigen voraus, dass das betroffene Gericht mit einer Entscheidung oder der Vornahme einer Verfahrenshandlung säumig ist (vgl in diesem Verfahren bereits: 11 Fss 1/16k; 11 Fss 2/16g; 11 Fss 1/17m; 11 Fss 2/17h).

Da dem Oberlandesgericht Innsbruck nach seiner rechtskräftigen Entscheidung gerade keine konkret-aktuelle Kompetenz für eine Entscheidung gemäß § 265 Abs 1 oder 2 StPO zukommt, hat der Antragsteller auch keinen Anspruch auf eine Erledigung seines der Sache nach bloß auf eine inhaltliche Korrektur der seinerzeitigen Rechtsmittel-entscheidung abzielenden Begehrens.

Deshalb war der Fristsetzungsantrag zurückzuweisen.

Schlagworte

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Textnummer

E120110

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2017:011FSS00003.17F.1114.000

Im RIS seit

28.12.2017

Zuletzt aktualisiert am

28.12.2017
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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