TE Vwgh Beschluss 2017/11/27 Ra 2016/15/0032

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Veröffentlicht am 27.11.2017
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Index

E000 EU- Recht allgemein;
E1E;
E3L E15103030;
E6J;
59/04 EU - EWR;
83 Naturschutz Umweltschutz;

Norm

12010E174 AEUV Art174 Abs2;
31975L0442 Abfallrahmen-RL Anh1 idF 31991L0156;
31975L0442 Abfallrahmen-RL Art1 lita idF 31991L0156;
31975L0442 Abfallrahmen-RL;
31991L0156 Nov-31975L0442;
62000CJ0009 Palin Granit Oy VORAB;
ALSAG 1989 §3 Abs1;
AWG 2002 §2 Abs1;
EURallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und die Hofräte MMag. Maislinger und Mag. Novak als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Engenhart, über die Revision der E GmbH in F, vertreten durch Dr. Christian Stocker, Rechtsanwalt in 2700 Wiener Neustadt, Herzog-Leopold-Straße 26, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes vom 22. Februar 2016, Zl. RV/7200150/2014, betreffend Altlastenbeitrag für das 2. Quartal 2008 und Säumniszuschlag, den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Mit Bescheid der Gemeinde F vom 22.4.2008 wurde der Revisionswerberin, einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung, die Bewilligung zum Abbruch von Gebäuden (ehemalige Werkswohnungen/Baracken) mit der Auflage erteilt, dass Bauschutt, Sperrmüll und Aushubmaterial auf eine behördlich genehmigte Deponie zu verführen seien.

2 In weiterer Folge stellte die zuständige Bezirkshauptmannschaft fest, dass auf einer im Eigentum der Revisionswerberin stehenden Liegenschaft Metalle, Eisenreste, E-Herde, Spülen und Kühlschränke, Baurestmassen wie Beton und Ziegelabbruch, furnierte Platten, Strauchschnitt, Laub, Bretter und Baumstämme konsenslos abgelagert worden seien. Mit Bescheid vom 29.5.2009 trug die Bezirkshauptmannschaft der Revisionswerberin auf, diese Ablagerungen zu entsorgen und entsprechende Entsorgungsnachweise vorzulegen.

3 Eine gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft vom 29.5.2009 gerichtete Berufung wurde mit Berufungsentscheidung vom 24.8.2009 als unbegründet abgewiesen und die Frist für die ordnungsgemäße Entsorgung der Ablagerungen mit 10.10.2009 festgesetzt.

4 Die Revisionswerberin kam der Entsorgungsverpflichtung trotz Androhung der Ersatzvornahme nicht nach, weshalb am 17.2.2011 eine neuerliche Überprüfung durchgeführt und die Menge (Kubatur) der Ablagerungen ermittelt wurde. Weitere Überprüfungen fanden am 2.5.2012 und am 16.4.2013 statt. Bei diesen Überprüfungen wurde festgestellt, dass bezüglich der in Rede stehenden Ablagerungen - mit der Ausnahme, dass im Überprüfungsbericht vom 2.5.2012 angeführte Möbelreste mit einer Kubatur von ca. 300m3 entfernt worden seien - keine Änderung eingetreten sei.

5 Mit Bescheiden vom 22.11.2013 setzte das Zollamt gemäß § 201 BAO den Altlastenbeitrag für das Ablagern von Abfällen für das zweite Quartal 2008 in Höhe von 376.805 EUR und einen Säumniszuschlag von 7.520,10 EUR fest und führte begründend aus, dass es sich bei den Ablagerungen um Abfall handle, weil die gegenständlichen Materialien mit der offensichtlichen und klaren Absicht, sich ihrer zu entledigen, auf das Grundstück verbracht worden seien. Somit sei der subjektive Abfallbegriff erfüllt. Die Ablagerungen unterlägen gemäß § 3 Abs. 1 Z 1 lit. b ALSAG dem Altlastenbeitrag, weil für eine etwaige Lagerung zur Verwertung der Abfälle keine gewerbebehördliche bzw. abfallrechtliche Bewilligung vorliege. Die Ablagerungen seien kurz nach Ergehen des Abbruchbescheides der Gemeinde F vom 22.4.2008 erfolgt, weshalb die Abgabenschuld mit Ablauf des zweiten Quartals 2008 entstanden sei.

6 Die Revisionswerberin berief gegen den Bescheid vom 22.11.2013 und führte in der Berufung u.a. aus, dass es sich bei den gegenständlichen Ablagerungen nicht um Altlasten iSd § 2 Abs. 1 ALSAG handle, weil von diesen nicht erhebliche Gefahren für die Gesundheit des Menschen oder die Umwelt ausgingen. Die Ablagerungen erfüllten zudem weder den subjektiven noch den objektiven Abfallbegriff. Das Zollamt führe auch nicht aus, woraus es die behauptete Entledigungsabsicht ableite und auf welche Gegenstände sich diese beziehe.

7 Mit Beschwerdevorentscheidung vom 3.6.2014 wies das Zollamt die Berufung (nunmehr Beschwerde) als unbegründet ab und führte u. a. aus, mit Bescheid der Gemeinde F vom 22.4.2008 sei der Revisionswerberin der Abbruch ehemaliger Werkswohnungen/Baracken bewilligt worden. Im Spruch des in Rechtskraft erwachsenen Bescheides sei festgehalten, dass die Auflagen der Niederschrift einzuhalten seien. In der verwiesenen Niederschrift werde angeführt, dass der Bauschutt, Sperrmüll und das Aushubmaterial auf eine behördlich genehmigte Deponie zu verführen seien. Die Revisionswerberin habe die in der Niederschrift festgehaltene Auflage nicht bekämpft und bereits damit ihre Entledigungsabsicht bekundet.

8 Die Revisionswerberin beantragte die Vorlage der Beschwerde an das Bundesfinanzgericht und brachte ergänzend vor, dass die vom Zollamt angezogene Verbringung auf eine behördliche Deponie nur dann relevant sein könne, wenn eine zulässige Verwertung nicht in Betracht komme oder nicht angestrebt werde. Die Revisionswerberin habe immer eine Verwertung der gegenständlichen Materialien im Rahmen von Bautätigkeiten bzw. zu Heizzwecken angestrebt. Die Materialien hätten sich auch immer auf Liegenschaften der Revisionswerberin und somit in deren Gewahrsame befunden. Weiters wurde im Vorlageantrag ausgeführt, dass es bei der Revisionswerberin im Mai 2014 zu einem Wechsel der Gesellschafter und der Geschäftsführung gekommen sei und die neuen "Eigentümer" die zeitnahe Entfernung der auf dem Betriebsgelände befindlichen Fahrnisse beabsichtigten.

9 Mit Schriftsatz vom 15.12.2014 gab die Revisionswerberin dem Bundesfinanzgericht unter Beifügung entsprechender Entsorgungsnachweise bekannt, dass die gegenständlichen Ablagerungen zwischenzeitig entsorgt worden seien.

10 Das Bundesfinanzgericht gab der Beschwerde mit dem angefochtenen Erkenntnis keine Folge und begründete dies im Wesentlichen damit, dass der bloße Einwand des "Anstrebens einer Verwertung" nicht geeignet sei, den in Rede stehenden Materialien die Abfalleigenschaft zu nehmen. Erst mit der Zulässigkeit einer ordnungsgemäßen Verwertung, die im Revisionsfall nicht zu sehen sei, hätte die Abfalleigenschaft enden können. Ohne Entledigungsabsicht wäre wohl die ins Treffen geführte eigene Verwertung erfolgt. Letztlich seien die Materialien - der in Rechtskraft erwachsenen Abbruchbewilligung vom 22.4.2008 entsprechend - einer fachgerechten Entsorgung zugeführt worden. Da der subjektive Abfallbegriff erfüllt sei, könne eine Auseinandersetzung mit dem objektiven Abfallbegriff unterbleiben. Dass der Abbruch der Gebäude kausal für die gegenständlichen Ablagerungen gewesen sei, sei aus den Feststellungen ableitbar, die im Rahmen der mehrfach durchgeführten Kontrollen getroffen worden seien. Die Revisionswerberin habe den Tatbestand der Ablagerung von Abfällen gemäß § 3 Abs. 1 ALSAG erfüllt, weil auch das Ablagern für eine kürzere als die in § 3 Abs. 1 Z 1 lit. b ALSAG genannte Zeitdauer dem Altlastenbeitrag unterliege, wenn nicht alle für die Lagerung erforderlichen behördlichen Bewilligungen vorlägen.

11 Eine Revision erklärte das Bundesfinanzgericht für nicht zulässig, weil das Erkenntnis nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhänge, der grundsätzliche Bedeutung zukomme.

12 Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

13 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

14 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

15 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

16 Die Revision bringt zur Zulässigkeit vor, dass es bei der Revisionswerberin im Mai 2014 zu einem Wechsel der Gesellschafter und der Geschäftsführung gekommen sei und Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage fehle, ob eine Sache den subjektiven Abfallbegriff iSd § 2 Abs. 1 AWG bereits dann erfülle, wenn sich erst ein späterer Eigentümer oder Besitzer zu einem späteren Zeitpunkt ihrer entledigen wolle.

17 Nach der zur Abfall-Richtlinie (Richtlinie 75/442/EWG idF der Richtlinie 91/156/EWG) ergangenen Judikatur des EuGH handelt es sich bei dem in dieser Richtlinie definierten Abfallbegriff - danach bedeutet "Abfall": Alle Stoffe oder Gegenstände, die unter die in Anhang I der Richtlinie aufgeführten Gruppen fallen und deren sich ihr Besitzer entledigt, entledigen will oder entledigen muss (vgl. Art. 1 lit. a und Anhang I, insbesondere Punkt Q16 der genannten Richtlinie) - um einen gemeinsamen, die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten bindenden Begriff, weshalb der österreichische Abfallbegriff richtlinienkonform auszulegen ist (vgl. VwGH 27.6.2013, 2010/07/0110).

18 Im Urteil vom 18.4.2002, Palin Granit Oy, C-9/00, sprach der EuGH u.a. aus, dass das Tätigkeitswort "sich entledigen" im Licht der Zielsetzung der Richtlinie 75/442, die nach deren dritter Begründungserwägung im Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt gegen nachteilige Auswirkungen der Sammlung, Beförderung, Behandlung, Lagerung und Ablagerung von Abfällen besteht, und ferner im Licht von Art. 174 Abs. 2 EG auszulegen ist, wonach die Umweltpolitik der Gemeinschaft auf ein hohes Schutzniveau abzielt und namentlich auf den Grundsätzen der Vorsorge und Vorbeugung beruht. Folglich ist der Begriff "Abfall" weit auszulegen und die Frage, ob ein bestimmter Stoff Abfall ist, anhand sämtlicher Umstände zu beurteilen.

19 Die Abfall-Richtlinie gibt kein maßgebliches Kriterium für die Ermittlung des Willens des Besitzers vor, sich eines bestimmten Stoffes oder Gegenstandes zu entledigen. Allerdings hat der EuGH, der mehrmals nach der Einstufung verschiedener Stoffe als Abfall befragt worden ist, bestimmte Anhaltspunkte benannt, anhand derer sich der Wille des Besitzers auslegen lässt, und im Urteil vom 18.4.2002, Palin Granit Oy, C-9/00, Rn. 19, ausgesprochen, "dass sich der Besitzer von aus dem Betrieb eines Steinbruchs stammendem Bruchgestein, das für unbestimmte Zeit bis zu einer möglichen Verwendung gelagert wird, dieses Bruchgesteins entledigt oder entledigen will und dass dieses daher als Abfall im Sinne der Richtlinie 75/442 einzustufen ist".

20 Ob sich die Revisionswerberin der hier in Rede stehenden Stoffe, die auf einer in ihrem Eigentum stehenden Liegenschaft jahrelang konsenslos abgelagert worden sind, entledigen wollte, stellt nach dem Gesagten eine auf der Ebene der Sachverhaltsermittlung und Beweiswürdigung zu lösende Tatfrage dar, die anhand sämtlicher Umstände des Einzelfalls zu beurteilen ist.

21 Das Bundesfinanzgericht ging im angefochtenen Erkenntnis davon aus, dass die verfahrensgegenständlichen Ablagerungen aus dem Abbruch ehemaliger Werkswohnungen stammen und laut Abbruchbescheid auf eine behördlich genehmigte Deponie zu verführen gewesen wären. Die Entledigungsabsicht hielt das Bundesfinanzgericht für erwiesen, weil die Revisionswerberin die im Verwaltungs- und Beschwerdeverfahren bekundete Absicht, die abgelagerten Materialien im Rahmen von Bautätigkeiten bzw. für Heizzwecke zu verwerten, über Jahre hinweg nicht umgesetzt und diese Materialien letztlich - der bereits in der Abbruchbewilligung vom 22.4.2008 erteilten Auflage entsprechend - auf eine genehmigte Deponie verbracht habe. Die Beweiswürdigung des Bundesfinanzgerichtes, die sich nicht nur auf den Umstand stützt, dass die in Rede stehenden Materialien letztlich auf eine behördliche Deponie verbracht worden sind, stößt auf keine vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Bedenken.

22 Im Zulässigkeitsvorbringen werden somit keine Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen, von denen die Lösung der vorliegenden Revision abhängen würde. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 27. November 2017

Gerichtsentscheidung

EuGH 62000CJ0009 Palin Granit Oy VORAB

Schlagworte

Gemeinschaftsrecht Richtlinie richtlinienkonforme Auslegung des innerstaatlichen Rechts EURallg4/3

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2017:RA2016150032.L00

Im RIS seit

27.12.2017

Zuletzt aktualisiert am

15.02.2018
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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