TE Vwgh Erkenntnis 2000/6/29 98/20/0519

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Veröffentlicht am 29.06.2000
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §23;
AsylG 1997 §27 Abs1;
AsylG 1997 §38;
AVG §67d;
EGVG Art2 Abs2 D Z43a idF 1998/I/028;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Baur und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hohenecker, über die Beschwerde des am 5. September 1965 geborenen MN in Wien, vertreten durch Dr. Martina Simmlinger-Haas, Rechtsanwältin in 1030 Wien, Reisnerstraße 31, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 2. September 1998, Zl. 203.695/0-XI/35/98, betreffend Asylgewährung (weitere Partei: Bundesminister für Inneres) zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund (Bundeskanzleramt) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der demokratischen Republik Kongo, reiste am 24. Juni 1994 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 27. Juni 1994 die Gewährung von Asyl. Bei seiner Ersteinvernahme gab er zusammengefasst an, Mitglied und Organisator für Parteiversammlungen der PDC zu sein. Auf Grund seiner Aktivitäten für diese Partei sei er zweimal inhaftiert worden. Die erste Inhaftierung sei erfolgt, nachdem der Beschwerdeführer eine Demonstration gegen die eingesetzte Regierung mit organisiert habe. Der Beschwerdeführer habe vorerst Flugzettel verteilt und sei am Tag der Demonstration selbst von Soldaten, welche auch Tränengas eingesetzt hätten, angegriffen worden. Er sei festgenommen worden und drei Monate inhaftiert gewesen. Ohne dass er verhört worden sei, sei er schließlich mit der Ermahnung entlassen worden, nicht mehr für seine Partei tätig zu sein. Er habe daraufhin seine Tätigkeit für die Partei im Untergrund fortgesetzt und die Abhaltung einer Messe am 16. Februar 1994 vorgeschlagen, um der anlässlich eines Aufmarsches am 16. Februar 1992 ums Leben gekommenen Christen zu gedenken. Während des Gottesdienstes seien aber wieder Soldaten gekommen, in die Kirche eingedrungen und hätten die Leute mit Peitschen geschlagen. Sie hätten den Priester, ihn und andere Messbesucher festgenommen. Während der darauf folgenden Inhaftierung sei der Beschwerdeführer mit Peitschen am ganzen Körper geschlagen worden und habe Schwellungen und offene Wunden davongetragen. Heute sehe man aber keine Spuren von den Verletzungen mehr. Auf Nachfrage erklärte der Beschwerdeführer, er sei wiederholt mit einem Gürtel aus Leder geschlagen worden, manchmal auch mit einem Gummiknüppel. Am 30. April 1994 sei ihm schließlich durch Hilfe eines Wächters die Flucht gelungen.

Eine von der Asylbehörde erster Instanz veranlasste Untersuchung des Beschwerdeführers durch einen gerichtsmedizinischen Sachverständigen ergab, dass der Körper des Beschwerdeführers keine Vernarbungen zeigte, die auf die von ihm geschilderten Foltermethoden zurückzuführen wären. Nach dem Inhalt dieses Gutachtens, sei es zwar durchaus möglich, dass bei einem Geschlagenwerden mit Ledergürteln keinerlei Spuren sichtbar wären, dies wäre vor allem bei der angegebenen Häufigkeit aber sehr unwahrscheinlich. Wenn die Haut durch vorangegangene Schläge schon vorgeschädigt wäre oder das Unterhautbindegewebe durch vorhandene Blutergüsse vorgewölbt wäre, wäre die Haut so verletzlich, dass Schläge mit einem Ledergürtel mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit offene Wunden hervorriefen, welche dann als Narben abzuheilen pflegten.

Dieses Gutachten wurde dem Beschwerdeführer vorgehalten, welcher dazu erklärte, er habe bei seiner Ersteinvernahme nie behauptet, offene Wunden gehabt zu haben. Er habe vielmehr nur darauf hingewiesen, Schürfwunden davongetragen zu haben, bei welchen es sich um offene, blutende Wunden handle. Im Übrigen beharrte er darauf, in der von ihm geschilderten Form misshandelt worden zu sein.

Das Bundesasylamt wies mit Bescheid vom 2. August 1994 den Asylantrag ab. Dies wurde ausschließlich damit begründet, dass der Beschwerdeführer über die Art und Häufigkeit der erlittenen Misshandlungen nicht die Wahrheit gesagt habe, weshalb auch seinem übrigen Vorbringen die Glaubwürdigkeit zur Gänze abzuerkennen sei. Die Behörde erster Instanz stütze sich im Rahmen ihrer Beweiswürdigung diesbezüglich auf das Gutachten des Sachverständigen.

In seiner gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung wiederholte der Beschwerdeführer im Wesentlichen sein bisheriges Vorbringen und wies hinsichtlich der Widersprüche in seinen Angaben über die Art seiner Verletzungen darauf hin, sich in Französisch nicht gut verständigen zu können, weshalb es bei seiner ersten Einvernahme zu Missverständnissen gekommen sei. Er gab an, im Fall seiner Rückkehr in sein Heimatland behördlich gesucht zu werden und wieder Folter und Haft ausgesetzt zu sein.

Die belangte Behörde brachte dem Beschwerdeführer im Zuge des Berufungsverfahrens mit Schriftsatz vom 29. Juni 1998 die aktuelle politische Situation in seinem Heimatland zur Kenntnis. Demnach seien am 17. Juli 1997 Truppen der AFDL in Kinshasa einmarschiert und hätten den Sieg über die Truppen Mobutos verkündet. Kabila, der Führer der AFDL, habe sich zum Präsidenten erklärt, die Verfassung außer Kraft gesetzt und eine neue Regierung ernannt. Die öffentliche Tätigkeit von Parteien außerhalb der AFDL, insbesondere die Durchführung von Demonstrationen, sei im Mai 1997 verboten worden. Bei dennoch durchgeführten Demonstrationen sei es zu Ausschreitungen und Festnahmen gekommen. Alleine die Mitgliedschaft bei oppostionellen Bewegungen habe aber keine Repressionsmaßnahmen ausgelöst. Die Gegner des Mobuto-Regimes seien bei dessen Rückkehr in den Kongo politisch nicht verfolgt oder unmenschlichen bzw. lebensbedrohlichen Behandlungen unterworfen worden. Über Beschränkungen der Religionsfreiheit lägen keine Meldungen vor.

Der Beschwerdeführer erklärte dazu in einer Stellungnahme vom 28. August 1998, dass am 16. Februar 1998 u.a. Mitglieder der Partei, der er angehöre, während eines gemeinsamen Gebetes verhaftet worden seien. Von den inhaftierten Priestern seien drei befreit worden, es sei aber nicht bekannt, ob die restlichen Inhaftierten noch am Leben seien. Dieser Vorfall sei in seinem Gebiet passiert, weshalb es für ihn sehr gefährlich sei, nach Kinshasa zurückzufahren. Sein Name sei in einer Liste von Menschen, die am 16. Februar 1994 verhaftet worden seien. Er sei ein Mitglied von IDPS (Mobilisateur) in seinem Gebiet und werde bis heute in diesem Gebiet gesucht, wenn eine Demonstration sei.

Die belangte Behörde wies mit dem angefochtenen Bescheid die Berufung gemäß § 7 des Asylgesetzes 1997, BGBl. I Nr. 76 (AsylG) ab. Nach Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens und der bezughabenden Gesetzesbestimmungen führte die belangte Behörde aus, an den Angaben des Beschwerdeführers betreffend seine intensiven Misshandlungen durch Sicherheitskräfte bestünden angesichts des Gutachtens des medizinischen Sachverständigen erhebliche Zweifel. Dieser habe in schlüssiger und nachvollziehbarer Weise auf Grund der Angaben des Beschwerdeführers und der Untersuchung desselben festgestellt, dass Folterungen in der Art und Weise bzw. Häufigkeit wie vom Beschwerdeführer angegeben, mit Sicherheit ausgeschlossen werden könnten. Diesem Gutachten sei der Beschwerdeführer nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegen getreten. Angesichts der Tatsache, dass die Misshandlungen offenbar in einer von der Realität abweichenden Weise geschildert worden seien und den Misshandlungen in der Schilderung des Beschwerdeführers zentrale Bedeutung zukomme, bestünden auch an der Richtigkeit der übrigen Angaben des Beschwerdeführers erhebliche Bedenken.

Selbst wenn man aber den Darstellungen des Beschwerdeführers Glauben schenken wolle, könnten die die damalige Situation in Zaire betreffenden Ausführungen eine noch immer aufrechte Verfolgungsgefahr nicht darlegen. Seit der Machtübernahme Kabilas seien staatliche Übergriffe allein auf Grund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten politischen Gruppe nicht mehr bekannt geworden und es lägen keine Meldungen darüber vor, dass das nunmehrige Regime oppositionelle Tätigkeiten ahnden würde. Auch könne der Beschwerdeführer nicht darlegen, aus welchem Grund diese allgemeine Situation gerade auf seine Person keine Anwendung finden solle. Zu dem vom Beschwerdeführer geschilderten Vorfall vom 16. Februar 1998 sei zu bemerken, dass Teilnehmer an illegalen Veranstaltungen der Gefahr staatlicher Übergriffe ausgesetzt seien, solche Übergriffe auf Personen ausschließlich auf Grund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten politischen Gruppe seien aber nicht bekannt geworden. Derartigen Ereignissen käme für den Beschwerdeführer lediglich dann Relevanz zu, wenn staatliche Übergriffe ausschließlich auf Grund der Mitgliedschaft zu einer politischen Gruppierung erfolgt wären. Dies sei aber vom Beschwerdeführer nicht behauptet worden, sondern ergebe sich aus seinen Schilderungen, dass die Verhaftungen Folge einer parteipolitischen Veranstaltung seien. Weil der Beschwerdeführer seit der Machtübernahme Kabilas an keiner politischen Veranstaltung mehr teilgenommen habe, sei er auch nicht aktuell gefährdet. Dass eine solche Gefahr möglicherweise entstehe, wenn der Beschwerdeführer nach seiner Rückkehr an politischen Veranstaltungen teilnehme, habe nicht berücksichtigt werden können. Schließlich sei die gegenständliche Gedenkveranstaltung von staatlicher Seite offenbar als politische, nicht jedoch als (ausschließlich) religiöse Veranstaltung eingestuft worden, sodass die Auflösung derselben auch nicht als gegen die Religionsausübung gerichtet angesehen werden könne.

Von einer mündlichen Verhandlung habe Abstand genommen werden können, weil der Sachverhalt zur Beurteilung ausreichend geklärt erschienen sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht wird.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragte.

Der Verwaltungsgerichtshof hat hierüber in dem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Dreiersenat erwogen:

Der unabhängige Bundesasylsenat ist gemäß Art. 129 und 129c B-VG in der Fassung BGBl. I Nr. 87/1997 ein unabhängiger Verwaltungssenat. Er hat gemäß § 23 AsylG das AVG anzuwenden, weshalb für das Verfahren vor dem unabhängigen Bundesasylsenat grundsätzlich auch die Bestimmungen des AVG für das Verfahren vor den unabhängigen Verwaltungssenaten, insbesondere die Bestimmung des § 67d AVG über die Durchführung einer öffentlich-mündlichen Verhandlung, Anwendung findet. Gemäß Art. II Abs. 2 Z 43a EGVG ist § 67d AVG auf das behördliche Verfahren des unabhängigen Bundesasylsenates mit der Maßgabe anzuwenden, dass eine mündliche Verhandlung unterbleiben kann, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung geklärt erscheint. Im Sinne dieser Bestimmung ist der Sachverhalt im Verfahren vor dem unabhängigen Bundesasylsenat dann als aus der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung geklärt anzusehen, wenn er nach Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens und schlüssiger Beweiswürdigung der Behörde erster Instanz festgestellt wurde und in der Berufung kein dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens der Behörde erster Instanz entgegen stehender oder darüber hinaus gehender Sachverhalt - erstmalig und mangels Bestehens eines Neuerungsverbotes zulässigerweise - neu und in konkreter Weise behauptet wird.

Werden nach der Erhebung der Berufung im Berufungsverfahren von der Berufungsbehörde Sachverhaltsermittlungen durchgeführt, so hat die belangte Behörde eine mündliche Verhandlung durchzuführen, wenn sie gestützt auf die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens über das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens erster Instanz hinausgehend zusätzliche Sachverhaltsfeststellungen treffen will (vgl. das hg. Erkenntnis vom 23. April 1999, Zl. 98/20/0567, u.a.).

In seiner Berufung hat der Beschwerdeführer zu dem im Rahmen der Beweiswürdigung des Bundesasylamtes erhobenen Vorwurf, hinsichtlich der Art seiner Misshandlungen die Unwahrheit gesagt zu haben, mit dem Hinweis auf sprachliche Verständigungsschwierigkeiten und daraus resultierende Missverständnisse reagiert. In seiner Stellungnahme vom 28. August 1998 bringt der Beschwerdeführer erstmals vor, er sei deshalb im Falle einer Rückkehr nicht vor Verfolgung sicher, weil sein Name auf einer Liste der am 16. Februar 1994 verhafteten Personen stehe und er somit amtsbekannt sei. Wenn eine Demonstration stattfinde, werde er bis heute gesucht. Parteifreunde von ihm seien anlässlich eines Gedenkgottesdienstes verhaftet worden; ihr Schicksal sei ungewiss.

Bereits auf Grund dieser Vorbringen des Beschwerdeführers, zum einen hinsichtlich der von der Behörde erster Instanz aberkannten Glaubwürdigkeit, zum anderen hinsichtlich des neuen vom Beschwerdeführer geschilderten Sachverhaltes hätte die belangte Behörde mit dem Beschwerdeführer eine mündliche Verhandlung durchführen müssen. Diese Notwendigkeit ergibt sich im vorliegenden Fall aber auch deshalb, weil die belangte Behörde selbst im Berufungsverfahren ergänzende Ermittlungen über die politische Entwicklung im Heimatland des Beschwerdeführers anstellte und gestützt darauf zusätzliche Sachverhaltsfeststellungen traf.

Die belangte Behörde hat daher durch die Nichtdurchführung einer mündlichen Verhandlung, die der Beschwerdeführer im Übrigen in seiner Stellungnahme vom 28. August 1998 auch ausdrücklich beantragt hatte, Verfahrensvorschriften verletzt. Allerdings führt nicht jede Verletzung von Verfahrensvorschriften zur Aufhebung eines Bescheides, sondern nur dann, wenn die belangte Behörde bei deren Vermeidung zu einem anderen Bescheid hätte gelangen können.

Unter Zugrundelegung des im Falle der Durchführung einer mündlichen Verhandlung gegebenenfalls als glaubwürdig erachteten Vorbringens des Beschwerdeführers wäre aber nicht auszuschließen, dass der Beschwerdeführer aus politischen Gründen asylrelevante Verfolgung zu befürchten habe. Träfe es zu, dass der Beschwerdeführer wiederholt aus politischen Gründen inhaftiert und misshandelt worden wäre, in seiner Heimat als Organisator von regimekritischen Demonstrationen "amtsbekannt" sei und deshalb gesucht werde und trete auch das derzeit herrschende Regime tatsächlich gegen die Partei des Beschwerdeführers (wie anlässlich des Gedenkgottesdienstes) mit Verhaftungen und mehrmonatigen Inhaftierungen auf, so wäre nicht auszuschließen, dass der Beschwerdeführer im Fall seiner Rückkehr mit Verfolgung aus politischen Gründen rechnen müsste. Der Verfahrensmangel erweist sich somit als für das Verfahrensergebnis relevant.

Der angefochtene Bescheid war daher wegen Verletzung der Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben. Der Ausspruch über den Kostenersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/19965, hingewiesen.

Wien, am 29. Juni 2000

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2000:1998200519.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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