TE Lvwg Erkenntnis 2017/10/25 LVwG-490092/2/Wei/SW

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 25.10.2017
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

25.10.2017

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich erkennt durch seinen Richter Dr. Weiß über die Beschwerde der A W, geb. x, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. F M, D 17/11, W, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Wels-Land vom 31. Mai 2017, GZ: Pol96-118-2017, betreffend Abweisung von Anträgen auf alternative Vollzugsformen und Aufschub des Strafvollzuges,

zu Recht:

I.     Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen und der angefochtene Bescheid bestätigt.

II.    Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof unzulässig.

Entscheidungsgründe

I.       Verfahrensgang:

I.1.    Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Linz-Land vom 4. November 2015, GZ: Pol96-269-2015, wurde die Beschwerdeführerin (im Folgenden: Bfin) aufgrund ihrer Stellung als handelsrechtliche Geschäftsführerin der Firma P GmbH mit Sitz in G wegen Verstößen gegen das Glücksspielgesetz mit Geldstrafen belegt. Die Gesamtstrafe betrug 12.000 Euro zuzüglich 1.200 Euro Verfahrenskostenbeitrag (Ersatzfreiheitsstrafe insgesamt 134 Stunden). Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis
des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich vom 11.02.2016, GZ: LVwG-411141/6/KLE, als unbegründet abgewiesen. Die gegen dieses Erkenntnis erhobene Revision wurde mit Beschluss des VwGH vom 07.07.2016, Zl. Ra 2016/17/0112-3, zurückgewiesen.

I.2.    Mit Schreiben vom 13. April 2017 trat die Bezirkshauptmannschaft Linz-Land gemäß § 29a VStG den Strafvollzug nach erfolglosem Versuch einer gerichtlichen Exekution an die Bezirkshauptmannschaft Wels-Land ab.

I.3.    Mit Schreiben vom 2. Mai 2017 wurde die Bfin aufgefordert, die Ersatzfreiheitsstrafe binnen 14 Tagen anzutreten. Da die Geldstrafe uneinbringlich sei, sei nunmehr die Ersatzfreiheitsstrafe zu vollstrecken.

I.4.    Mit Eingabe vom 22. Mai 2017 beantragte die Bfin den Aufschub des Strafvollzuges gemäß § 54 VStG. Im Einzelnen wurde beantragt,

(1)   den Strafvollzug zum Zweck der Erbringung gemeinnütziger Leistungen aufzuschieben, in eventu

(2)   den Strafvollzug zum Zweck des Vollzugs der Strafe in Form des elektronisch überwachten Hausarrests aufzuschieben, in eventu

(3)   den Strafvollzug wegen der akuten Gefährdung der Erwerbsmöglichkeiten der nunmehrigen Bfin aufzuschieben.

Begründend wurde zusammengefasst vorgebracht, dass das Strafvollzugsgesetz (StVG), welches die im Erst- und Zweitantrag beantragten alternativen Vollzugsformen vorsehe, sinngemäß anzuwenden sei und die Verweigerung der Inanspruchnahme der genannten Vollzugsformen aus gleichheitsrechtlichen Überlegungen bedenklich sei. Die Bfin habe ein Recht auf Erbringung gemeinnütziger Leistungen bzw auf den Vollzug in Form des elektronisch überwachten Hausarrests. Betreffend die Gefährdung der Erwerbsmöglichkeiten wurde ausgeführt, dass die Bfin ihre Position als Geschäftsführerin verlöre, würde man sie inhaftieren.

I.5.    Die genannten Anträge wurden mit Bescheid der belangten Behörde vom 31. Mai 2017, GZ: Pol96-118-2017, abgewiesen. Im Bescheid wurde ausgeführt, dass im Vermögensverzeichnis vom 4. April 2017 die Unpfändbarkeit dokumentiert worden sei und damit von der Uneinbringlichkeit der Strafe ausgegangen werde. Begründend wurde insbesondere ausgeführt, dass durch den Verweis auf das StVG nur die Gleichbehandlung der Strafgefangenen innerhalb eines gerichtlichen Gefangenenhauses bzw einer Strafvollzugsanstalt bezweckt werden sollte. Weder seien die dortigen Bestimmungen in einem Polizeianhaltezentrum anzuwenden noch würde die sinngemäße Anwendung des StVG dazu führen, dass der Strafjustiz vorbehaltene Bestrafungsformen auf verwaltungsbehördliche Ersatzfreiheits-strafen anwendbar wären.

Ferner dürfe durch den Vollstreckungsaufschub der Zweck der Strafe nicht vereitelt werden. Ein Aufschub würde der general- und spezialpräventiven Wirkung der Sanktion zuwiderlaufen. Die Bfin sei bislang trotz ihrer beruflichen Stellung nicht imstande gewesen, sich irgendein pfändbares Vermögen aufzubauen, um die offene Strafzahlung zu leisten; auch ein Aufschub des Vollzugs würde nicht zu einer Zahlung des Strafbetrages führen. Außerdem würde ein Aufschub der Strafe nichts am drohenden Funktionsverlust ändern. Schließlich sei nicht ersichtlich, weshalb eine Ersatzfreiheitsstrafe von 134 Stunden nicht in Zeiten eines mit dem Dienstgeber vereinbarten Urlaubes erfolgen sollte, zumal eine Inhaftierung auch über ein (verlängertes) Wochenende möglich sei.

I.6.    Dagegen wurde mit Eingabe vom 27. Juni 2017 Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht erhoben. Begründend wurde vorgebracht, dass das StVG auch beim verwaltungsbehördlichen Strafvollzug sinngemäß anzuwenden sei bzw die Nichtanwendung der beantragten alternativen Strafvollzugsformen einen Wertungswiderspruch bedeuten würde. Die Bfin habe ein Recht darauf, die Ersatzfreiheitsstrafe durch gemeinnützige Leistungen bzw in der Form des elektronisch überwachten Hausarrestes zu tilgen. Ferner wurde erneut darauf hingewiesen, dass die Bfin ihre Stellung als Geschäftsführerin verlieren würde, würde man sie inhaftieren. Es wurden die oben angeführten Anträge wiederholt, eine öffentliche mündliche Verhandlung sowie eine schriftliche Ausfertigung des Erkenntnisses iSd § 29 VwGVG beantragt.

I.7.    Die belangte Behörde hat mit Vorlageschreiben vom 10. Juli 2017 die Beschwerde mit ihrem Verwaltungsakt zur Entscheidung vorgelegt und mitgeteilt, dass von der Möglichkeit einer Beschwerdevorentscheidung kein Gebrauch gemacht werde.

II.1.   Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den vorgelegten Verwaltungsakt und in den Bezug habenden Gerichtsakt LVwG-411141. Daraus ergab sich der unten festgestellte unstrittige Sachverhalt. Dementsprechend enthält die Beschwerde auch nur Rechtsausführungen. Von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 24 Abs 4 VwGVG abgesehen werden (vgl zur näheren Begründung Punkt V.). Es handelt sich im vorliegenden Fall um keine unter den Art 6 Abs 1 EMRK fallende Rechtssache, weil weder ein Verfahren über eine strafrechtliche Anklage, noch über eine Streitigkeit wegen „civil rights“ iSd Art 6 EMRK bzw Art. 47 GRC vorliegt. Die Anträge der Bfin auf Strafaufschub bzw alternative Vollzugsformen (gemeinnützige Leistungen, elektronisch überwachter Hausarrest) betreffen den Strafvollzug. Dabei geht es nur um ein Annexverfahren im Verhältnis zum rechtskräftigen Titelverfahren über die Erlassung eines Straferkenntnisses gegen die Bfin, das ohnehin den Verfahrensgarantien des Art 6 entsprechen musste. Im gegenständlichen Vollstreckungsverfahren zur Umsetzung eines verbindlich gewordenen Straferkenntnisses sind auch nur Rechtsfragen zu beantworten.

II.2.   Auf Grund der Aktenlage steht folgender Sachverhalt fest:

Über die Bfin wurden auf Grund ihrer Stellung als handelsrechtliche Geschäftsführerin der Firma P GmbH, x, mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Linz-Land vom 04.11.2015, Pol96-269-2015, bestätigt mit Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Oberösterreich vom 11. Februar 2016, Zl. LVwG-411141/6/KLE, wegen zwei Übertretungen nach § 52 Abs 1 Z 1 viertes Tatbild GSpG Geldstrafen in Höhe von insgesamt 12.000 Euro sowie Ersatzfreiheitsstrafen in Höhe von insgesamt 134 Stunden rechtskräftig verhängt. Die gegen dieses Erkenntnis erhobene Revision wurde mit Beschluss des VwGH vom 07.07.2016, Ra 2016/17/0112-3, zurückgewiesen.

Die Strafen wurden bislang von der Bfin nicht bezahlt. Die Zwangsvollstreckung (Gehalts- und Fahrnisexekution) ist vor der Abtretung des Strafvollzugs im Verfahren zu Pol96-269-2015 von der Bezirkshauptmannschaft Linz-Land durch Antragstellung beim Bezirksgericht Wels (Exekutionsverfahren zu 12 E 2957/16b) versucht worden und erfolglos geblieben (vgl Bericht des Gerichtsvollziehers vom 05.04.2017). Die Bfin verfügt über kein pfändbares Vermögen (vgl Vermögensverzeichnis nach § 47 EO vom 04.04.2017). Sie wurde daher von der belangten Behörde mit Schreiben vom 2. Mai 2017 zum Antritt der Ersatzfreiheitsstrafe aufgefordert. Daraufhin brachte sie durch ihren Rechtsvertreter den unter I.4. dargestellten Antrag auf Aufschub des Strafvollzuges vom 22. Mai 2017 ein, über den die belangte Behörde mit dem gegenständlich bekämpften Bescheid abweisend entschieden hat.

II.3.   Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich widerspruchsfrei aus den Akten. Die rechtskräftige Bestrafung der Bfin nach dem Glücksspielgesetz ist dem behördlichen Verwaltungsakt sowie dem zitierten Gerichtsakt des Landesverwaltungsgerichts Oberösterreich zu entnehmen; der Umstand, dass die Bfin über kein relevantes Vermögen verfügt, welches ihr ermöglichen würde, die rechtskräftig verhängten Strafen zu bezahlen, ergibt sich aus den unbestrittenen Sachverhaltsfeststellungen der belangten Behörde und wird durch aktenkundige Urkunden bescheinigt. Von der Bfin wurde kein Sachverhaltsvorbringen erstattet, weshalb auch beim Landesverwaltungsgericht keine Zweifel an der Richtigkeit der Sachverhaltsdarstellung der belangten Behörde aufgekommen sind.

III.    Rechtsvorschriften:

Das Verwaltungsstrafgesetz 1991 (BGBl 52/1991 idF BGBl I 120/2016; im Folgenden: VStG) lautet auszugsweise:

„Vollzug von Freiheitsstrafen

§ 53. (1) Die Freiheitsstrafe ist im Haftraum der Behörde oder jener Behörde zu vollziehen, der der Strafvollzug gemäß § 29a übertragen wurde. Können diese Behörden die Strafe nicht vollziehen oder verlangt es der Bestrafte, so ist die dem ständigen Aufenthalt des Bestraften nächstgelegene Bezirksverwaltungsbehörde oder Landespolizeidirektion um den Strafvollzug zu ersuchen, wenn sie über einen Haftraum verfügt. Kann auch diese Behörde die Strafe nicht vollziehen, so ist der Leiter des gerichtlichen Gefangenenhauses, in dessen Sprengel der Bestrafte seinen ständigen Aufenthalt hat, um den Strafvollzug zu ersuchen. Dieser hat dem Ersuchen zu entsprechen, soweit dies ohne Beeinträchtigung anderer gesetzlicher Aufgaben möglich ist.

(2) [...]

Zuständige Behörde

§ 53a. Alle Anordnungen und Entscheidungen im Zusammenhang mit dem Vollzug der Freiheitsstrafe obliegen bis zum Strafantritt der Behörde oder jener Behörde, der der Strafvollzug gemäß § 29a übertragen wurde. Mit Strafantritt stehen diese Anordnungen und Entscheidungen, soweit nicht das Vollzugsgericht zuständig ist, der Verwaltungsbehörde zu, der gemäß § 53 der Strafvollzug obliegt (Strafvollzugsbehörde).

Einleitung des Vollzuges von Freiheitsstrafen

§ 53b. (1) Ein Bestrafter auf freiem Fuß, der die Strafe nicht sofort antritt, ist aufzufordern, die Freiheitsstrafe binnen einer bestimmten angemessenen Frist anzutreten.

(2) Kommt der Bestrafte der Aufforderung zum Strafantritt nicht nach, so ist er zwangsweise vorzuführen. Dies ist ohne vorherige Aufforderung sofort zu veranlassen, wenn die begründete Sorge besteht, daß er sich durch Flucht dem Vollzug der Freiheitsstrafe entziehen werde. Solange eine solche Sorge nicht besteht, ist mit dem Vollzug bis zur Erledigung einer vor dem Verfassungsgerichtshof oder dem Verwaltungsgerichtshof in der Sache anhängigen Beschwerde zuzuwarten. § 36 Abs. 1 zweiter Satz und § 36 Abs. 3 sind anzuwenden.

[...]

Vollzug in gerichtlichen Gefangenenhäusern und Strafvollzugsanstalten

§ 53d. (1) Soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, sind auf den Vollzug von Freiheitsstrafen in gerichtlichen Gefangenenhäusern oder Strafvollzugsanstalten die Bestimmungen des Strafvollzugsgesetzes über den Vollzug von Freiheitsstrafen, deren Strafzeit achtzehn Monate nicht übersteigt, mit Ausnahme der §§ 31 Abs. 2, 32, 45 Abs. 1, 54 Abs. 3, 115, 127, 128, 132 Abs. 4 und 149 Abs. 1 und 4 sinngemäß anzuwenden, soweit dies nicht zu Anlaß und Dauer der von der Verwaltungsbehörde verhängten Freiheitsstrafe außer Verhältnis steht. Die Entscheidungen des Vollzugsgerichtes stehen dem Einzelrichter zu.

(2) [...]

(3) Wird eine Freiheitsstrafe nach § 53 Abs. 2 in einer Strafvollzugsanstalt vollzogen, so bleiben die im Strafvollzug gewährten Vergünstigungen und Lockerungen auch für den Vollzug der durch eine Verwaltungsbehörde verhängten Freiheitsstrafe aufrecht.

[...]

Aufschub und Unterbrechung des Strafvollzuges

§ 54a. (1) Auf Antrag des Bestraften kann aus wichtigem Grund der Strafvollzug aufgeschoben werden, insbesondere wenn

1.       durch den sofortigen Vollzug der Freiheitsstrafe die Erwerbsmöglichkeit des Bestraften oder der notwendige Unterhalt der ihm gegenüber gesetzlich unterhaltsberechtigten Personen gefährdet würde oder

2.       dringende Angelegenheiten, die Angehörige (§ 36a AVG) betreffen, zu ordnen sind.

(2) Auf Antrag des Bestraften kann aus wichtigem Grund (Abs. 1) auch die Unterbrechung des Vollzuges der Freiheitsstrafe bewilligt werden. Die Zeit der Unterbrechung des Strafvollzuges ist nicht in die Strafzeit einzurechnen.

(3) Ein Aufschub oder eine Unterbrechung des Strafvollzuges ist dem Bestraften auf Antrag für die Dauer von mindestens sechs Monaten zu bewilligen, wenn er während der letzten sechs Monate schon ununterbrochen sechs Wochen wegen einer von einer Verwaltungsbehörde verhängten Strafe in Haft war. Besteht jedoch begründete Sorge, dass sich der Bestrafte dem Strafvollzug durch Flucht entziehen werde, so ist der Antrag auf Aufschub oder Unterbrechung des Strafvollzuges abzuweisen, wenn die Umstände, die Anlass zur begründeten Sorge geben, bereits im Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag vorliegen.

(4) Der Aufschub oder die Unterbrechung des Vollzuges der Freiheitsstrafe ist zu widerrufen, wenn begründete Sorge besteht, daß sich der Bestrafte dem Strafvollzug durch Flucht entziehen werde.“

IV.      Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat in rechtlicher Hinsicht erwogen:

IV.1.   Zu den Anträgen auf Aufschub des Strafvollzuges „zum Zweck der Erbringung von gemeinnütziger Leistung“ sowie „zum Zweck des Vollzugs der Strafe in Form des elektronisch überwachten Hausarrests“:

IV.1.1.   Die Bfin bringt vor, dass im Verwaltungsstrafverfahren die Bestimmungen des Strafvollzugsgesetzes (BGBl 144/1969 idgF; im Folgenden: StVG) sinngemäß anzuwenden seien. Folglich seien die Erbringung gemeinnütziger Leistungen und der Strafvollzug in Form des elektronisch überwachten Hausarrestes möglich. Dies sei zwar nicht explizit im VStG geregelt, ergebe sich aber bei „korrekter“ Interpretation aus dem Gesetz und entspreche auch dem Willen des Gesetzgebers. Eine Verweigerung der Möglichkeit zur Erbringung von gemeinnützigen Leistungen bzw zu elektronisch überwachtem Hausarrest stelle eine Verletzung des Gleichheitssatzes dar.

Zu diesem Vorbringen ist einleitend zu bemerken, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bei der Auslegung von Verwaltungsgesetzen der Wortinterpretation in Verbindung mit der grammatikalischen und der systematischen Auslegung Vorrang einzuräumen sowie äußerste Zurückhaltung gegenüber der Anwendung sog. „korrigierender Auslegungsmethoden“ zu üben ist (vgl. VwGH 16.03.2016, Ro 2014/04/0070 mwN; VwGH 20.02.2003, 2001/06/0057, VwSlg 16.016 A/2003 mwN).

Wie der Wortlaut und die Systematik der Strafvollstreckungsbestimmungen des VStG zeigen, erfolgt der Strafvollzug nach den dort normierten Regelungen und sind andere Rechtsnormen nur insoweit anwendbar, als auf diese explizit verwiesen wird. Der Strafvollzug hat gemäß § 53 VStG grundsätzlich in behördlichen Hafträumen (und zwar jener Behörde, die die Strafe verhängt hat; alternativ jener Behörde, welcher das Verfahren gemäß § 29a VStG übertragen wurde, der nächstgelegenen Bezirksverwaltungsbehörde oder der Landespolizeidirektion) zu erfolgen. Die konkreten Bedingungen des Strafvollzuges werden in § 53c VStG näher geregelt. In diesem Zusammenhang wird nur punktuell auf die Regelungen des StVG verwiesen (vgl § 53c Abs 6 VStG zu den Hausordnungen der Hafträume der Bezirksverwaltungsbehörden oder Landespolizeidirektionen, deren Regelungen unter sinngemäßer Berücksichtigung der sich aus dem Strafvollzugsgesetz ergebenden Grundsätze zu erfolgen haben, sowie zur Unfallfürsorge); im Übrigen ist das StVG nicht anwendbar.

Nur für den Fall, dass der Vollzug der Freiheitsstrafe – in vom VStG bezeichneten Ausnahmefällen – in gerichtlichen Gefangenenhäusern oder Strafvollzugsanstalten erfolgt, kommt es im Sinne der Gleichbehandlung der Insassen zu einer weitreichenderen Anwendung des StVG (vgl § 54d Abs 1 und 2 VStG), wobei auch hier die Bestimmungen des VStG jenen des StVG vorgehen (so auch der klare Wille des Gesetzgebers; vgl Erl zur RV 133 BlgNr 17. GP 13).

Im Ergebnis ist festzustellen, dass das VStG die von der Bfin angesprochenen alternativen Vollzugsformen nicht vorsieht, sondern die Strafvollstreckung in den behördlichen Hafträumen normiert.

 

IV.1.2.   Dieses Ergebnis begegnet auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken:

Wie der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 12. Dezember 2013, B 628/2013 (= VfSlg 19.831), ausführlich darlegte, steht es dem Gesetzgeber „im Rahmen seines rechtspolitischen Gestaltungsspielraumes grundsätzlich frei, sich in unterschiedlichen Verfahrensbereichen für eigenständige Ordnungssysteme zu entscheiden, die deren jeweiligen Erfordernissen und Besonderheiten Rechnung tragen.“ Aus diesem Grund würden unterschiedliche Sanktionssysteme in verschiedenen Verfahrensbereichen daher nicht dem Gleichheitssatz widersprechen.

Ferner hob der Verfassungsgerichtshof hervor, dass Ersatzfreiheitsstrafen – wie dargestellt – grundsätzlich in behördlichen Hafträumen vollzogen würden; nur subsidiär komme der Strafvollzug in einem gerichtlichen Gefangenenhaus oder einer Strafvollzugsanstalt in Betracht. „Nur in einer solchen (im Hinblick auf die erfolgte bzw. beabsichtigte Anhaltung [...] im Polizeianhaltezentrum der zuständigen Landespolizeidirektion hier nicht vorliegenden) Konstellation hat die Strafvollzugsbehörde gemäß § 53d Abs1 VStG das StVG [...] anzuwenden. Nach dem Willen des Gesetzgebers hat der Vollzug der Ersatzfreiheitsstrafe im Bereich des Verwaltungsstrafrechts daher (sieht man von Fällen des ‚Anschlussvollzuges‘ gemäß § 53 Abs 2 VStG ab) nur in Ausnahmefällen in einem gerichtlichen Gefangenenhaus zu erfolgen; in der Regel gehen daher insoweit die Bestimmungen des VStG jenen des StVG vor (vgl. RV 133 BlgNR 17. GP, 13). Dies ist mit Blick auf die (auch im Vergleich zum FinStrG – je nach Delikt sechs Wochen bzw. drei Monate – § 20 FinStrG) relativ geringe Höhe der im VStG vorgesehenen maximalen (Ersatz-)Freiheitsstrafen (zwei Wochen, nur bei Vorliegen besonderer Erschwerungsgründe sechs Wochen – §§ 12 und 16 VStG) sowie vor dem Hintergrund, dass das VStG weitergehende Erleichterungen als das StVG ermöglicht (vgl. zB zu Aufschub und Unterbrechung des Strafvollzuges § 54a VStG einerseits bzw. §§ 5 und 6 StVG andererseits), nicht zu beanstanden.“

Zusammengefasst kam der Verfassungsgerichtshof zum Ergebnis, dass es im rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers liege, die im StVG eingeräumte Möglichkeit der Erbringung gemeinnütziger Leistungen anstelle des Vollzuges der Ersatzfreiheitsstrafe auch im VStG vorzusehen oder in diesem Bereich nicht zu gewährleisten. Der Gesetzgeber habe sich für letzteres entschieden. Die Entscheidung, von dem Instrument gerade keinen Gebrauch zu gemachen, begegnete daher keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.

IV.1.3.   Auch der Verwaltungsgerichtshof verneinte – unter expliziter Bezugnahme auf das dargestellte Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes – die Möglichkeit eines Strafaufschubes zur Erbringung gemeinnütziger Leistungen. Insbesondere wurde darauf hingewiesen, dass mangels Vorliegens einer echten Gesetzeslücke auch keine Veranlassung besteht, die Bestimmungen der §§ 3 und 3a StVG durch eine analoge Anwendung im Verwaltungsstrafrecht zur Geltung zu bringen (VwGH 19.03.2014, Ro 2014/09/0009; vgl. ferner VwGH 19.05.2014, Ro 2014/09/0042).

Damit besteht nach übereinstimmender Judikatur von Verwaltungs- und Verfassungsgerichtshof kein Recht auf Erbringung von gemeinnützigen Leistungen anstelle der Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe in einem Haftraum.

IV.1.4.   Vor dem Hintergrund der dargestellten höchstgerichtlichen Rechtsprechung erscheinen die darin angestellten Überlegungen auch auf den elektronisch überwachten Hausarrest übertragbar. Der Gesetzgeber regelt gerichtliche Strafen sowie Verwaltungsstrafen und den daran jeweils anknüpfenden Strafvollzug in voneinander unabhängigen Regelungssystemen. Wie vom Verfassungsgerichtshof ausgeführt, liegt es damit im Ermessensspielraum des Gesetzgebers, Erleichterungen des einen Vollzugsbereichs auch für den jeweils anderen Vollzugsbereich vorzusehen oder dies nicht zu tun.

Der Gesetzgeber hat sich zwar entschlossen, im Bereich des Vollzugs von gerichtlichen Strafurteilen mit der „Fußfessel“ eine alternative Form des Strafvollzugs einzuführen, ist damit aber nicht gehalten, diese Form auch im VStG vorzusehen; dies insbesondere zumal die im Verwaltungsstrafrecht drohenden Freiheitssanktionen idR nur als Ersatzfreiheitsstrafen verhängt werden und ganz erheblich hinter jenen des gerichtlichen Strafrechts zurückbleiben (so ist im Verwaltungsstrafbereich eine zwei- bis maximal sechswöchige Ersatzfreiheitsstrafe möglich; gemäß § 54a Abs 3 VStG besteht ein Recht auf Strafaufschub, wenn während der letzten sechs Monate bereits sechs Wochen Haft verbüßt wurden, etc.).

Weder entstanden Bedenken hinsichtlich der Verfassungskonformität der einschlägigen Regelungen des VStG, noch gibt es Anhaltspunkte für eine planwidrige Lücke, die über eine analoge Anwendung der Bestimmungen des StVG zu schließen wäre. Dagegen spricht im Übrigen auch, dass das VStG bis zur VStG-Novelle 1987 (BGBl 516) eine Freiheitsstrafe in Form des „Hausarrestes“ vorsah, diese jedoch abgeschafft wurde.

IV.2.   Zum Antrag auf Aufschub des Strafvollzuges wegen der akuten Gefährdung der Erwerbsmöglichkeiten der Bfin:

IV.2.1.   Die Bfin hat schließlich noch die Aufschiebung des Strafvollzuges mit der Begründung beantragt, dass sie ihre Position als Geschäftsführerin verlöre, würde man sie inhaftieren.

Gemäß § 54a VStG kommt ein Strafaufschub u.a. dann in Betracht, wenn durch den sofortigen Vollzug der Freiheitsstrafen die Erwerbsmöglichkeiten des Bestraften oder der notwendige Unterhalt gefährdet würden. Durch die Bestimmung des § 54a Abs 1 VStG soll vor allem vermieden werden, dass durch die Wahl des Zeitpunktes der Vollstreckung der Freiheitsstrafe auf unbillige Weise in die persönliche Lebensführung des Bestraften eingegriffen wird (so VwGH 16.09.2010, 2010/09/0094). Bei einem Strafaufschub handelt es sich um eine Ermessensentscheidung, bei der die vom Bestraften geltend gemachten wichtigen Gründe gegen den Strafzweck abzuwägen sind (vgl Wessely in Raschauer/Wessely [Hrsg], VStG2 § 54a VStG Rz 5 mwN; Fister in Lewisch/Fister/Weilguni, VStG2 § 54a Rz 6 mwN; siehe ferner VwGH 27.01.1982, 81/01/0282, VwSlg 10.644 A/1982).

Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich verkennt nicht, dass der Verlust der beruflichen Anstellung eine Gefährdung der Erwerbsmöglichkeiten iSd. § 54a Abs 1 Z 1 VStG darstellen kann (idS die Literatur: Fister, aaO, § 54a Rz 4; Walter/Thienel II § 54a Anm 9), erachtet jedoch den Antrag der Bfin für unbegründet.

IV.2.2.   Einleitend ist festzuhalten, dass dem Gesetzgeber nicht zugesonnen werden kann, dass die Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafen bei berufstätigen Personen generell nicht möglich wäre. Der Vollzug einer Freiheitsstrafe ist zwar unstrittig mit einem Eingriff in die Lebensführung verbunden, jedoch ist dies einem System, in dem Geldstrafen und damit verbundene Ersatzfreiheitsstrafen verhängt werden, immanent und damit vom Normgeber mitbedacht. Der Normgeber sieht wohl die Berufstätigkeit der Bürger als Regelmodell an und hat folglich auch berücksichtigt, dass es zur Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafen bei Personen kommen kann, die einem Beruf nachgehen.

Dieser Umstand alleine kann damit keinen Hinderungsgrund darstellen, zumal der Gesetzgeber offensichtlich nicht davon ausgeht, dass mit der Vollstreckung von Verwaltungsstrafen bis zum Ende der Berufstätigkeit zuzuwarten ist, sondern vielmehr das Bild einer sehr zeitnahen Vollstreckung zeichnet: Dies ergibt sich aus einer Zahlungsfrist von zwei Wochen für rechtskräftige Geldstrafen (§ 54b Abs 1 VStG), die ggf nach Mahnung unter Setzung einer weiteren maximal zweiwöchigen Frist einer Vollstreckung zuzuführen sind. Im Falle der Uneinbringlichkeit oder begründeten Annahme der Uneinbringlichkeit hat der Vollzug der Ersatzfreiheitsstrafe zu erfolgen (§ 54b Abs 2 VStG). Hierfür hat idR eine Aufforderung zu ergehen, bei deren Nichtbefolgung die zwangsweise Vorführung erfolgt (§ 53b Abs 1 und 2 VStG).

IV.2.3.   Nur für jene Fälle, die über den Regelfall hinausgehende unbillige Härten schaffen würden, wurde die Möglichkeit des Vollstreckungsaufschubes vorgesehen. Dazu bringt die Bfin im Wesentlichen nur ihre Berufstätigkeit vor, was für sich jedoch noch keinen Aufschiebungsgrund darstellt. Die Bfin konnte keine konkreten Gründe vorbringen, weshalb die Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe zum aktuellen Zeitpunkt bzw über eine abgrenzbare Zeitspanne hinweg unbillig wäre.

Einem „Aufschub“ ist es nämlich immanent, dass bloß die aktuelle Situation, in der sich der Bestrafte befindet, mit einem Strafvollzug nicht vereinbar ist (arg: „durch den sofortigen Vollzug“ in § 54a Abs 1 Z 1 VStG; vgl ferner das oben zitierte Erkenntnis des VwGH vom 16.09.2010, wonach „durch die Wahl des Zeitpunktes der Vollstreckung“ kein unbilliger Eingriff erfolgen darf; siehe ferner VwGH 17.10.1984, 84/03/0173, VwSlg 11.560 A/1984, wonach ein subjektives Recht besteht, „dass [...] während der Dauer des betreffenden Zustandes eine Freiheitsstrafe nicht vollstreckt wird“; zu konkreten Beispielen aus der Rsp siehe VwGH 18.09.1979, Zl. 3347/78, wonach „gesundheitliche Schäden“ infolge „Verzögerung einer wichtigen Operation“ einen triftigen Grund darstellen sowie VwGH 27.01.1982, 81/01/0282, VwSlg 10.644 A/1982, zu einem „mitten im Dissertationsstadium“ befindlichen Bestraften, der „terminisierte Verpflichtungen [...] übernommen hat“; Hervorhebungen jeweils nicht im Original, Anm.).

IV.2.4.   Insbesondere ist nicht ersichtlich, wodurch die im Antrag vom 22. Mai 2017 mit einem Jahr bezifferte Dauer des Vollstreckungsaufschubes begründet sein soll, zumal nicht erkennbar ist, in welcher besonderen, über die bloße Berufstätigkeit hinausgehenden Situation sich die Bfin befindet bzw weshalb die ggst (kurze) Ersatzfreiheitsstrafe nicht angetreten werden kann. Dazu kommt, dass die Bfin als Geschäftsführerin tätig ist und es daher selbst in der Hand haben müsste, geeignete Vorkehrungen für die Dauer ihrer haftbedingten Abwesenheit zu treffen. Auch wird eine Kontaktaufnahme mit ihr für unvorhergesehene, nicht bis nach der Haft aufschiebbare Angelegenheiten grundsätzlich in gewissem Umfang möglich sein.

Des Weiteren ist zu beachten, dass die Bestrafung der Bfin eine Angelegenheit betrifft, in der sie gemäß § 9 VStG als zur Außenvertretung berufenes Organ zur Verantwortung gezogen wurde. Die Strafe fußt also unmittelbar auf einem verpönten Verhalten, das der juristischen Person zurechenbar ist, bei der die Bfin nach ihren Ausführungen die Anstellung verlieren würde, müsste sie die Ersatzfreiheitsstrafe antreten. Es würde die Konzeption des § 9 VStG ad absurdum führen, könnte sich der danach verwaltungsstrafrechtlich Verantwortliche schon dadurch dem Strafvollzug entziehen, dass er schlicht vorbringt, die Anstellung bei der betreffenden juristischen Person aufgrund des Strafvollzugs zu verlieren.

IV.2.5.   Dazu kommt, dass die Bfin im konkreten Fall bloß eine Ersatzfreiheitsstrafe von 134 Stunden zu verbüßen hat. Diese Dauer ist – auch in Ansehung der Maßstäbe des VStG, welches eine maximale Ersatzfreiheitsstrafe von zwei Wochen (bzw sechs Wochen bei materiengesetzlicher Regelung) vorsieht – sehr kurz. Auch liegt der Wert weit unter einem üblichen Jahresurlaubsausmaß. Da der Zeitpunkt des Haftantritts entsprechend der behördlichen Aufforderung über einen Zeitraum von 14 Tagen von der Bfin frei gewählt werden kann (etwa unter Ausnützung eines Wochenendes, von sonstigen dienstfreien Tagen, etc.), hat die Bfin ferner die Möglichkeit zur Reduktion der tatsächlich erforderlichen beruflichen Abwesenheit bzw zum Treffen von Vorkehrungen für die Dauer ihrer Abwesenheit. Wie die belangte Behörde im Übrigen zutreffend ausführte, konnte die Bfin – trotz Anstellung als Geschäftsführerin – bislang kein Vermögen aufbauen, das ihr die Bezahlung der Geldstrafe ermöglichen würde und gibt es auch keinerlei Vorbringen oder Hinweise dahingehend, dass die Bfin durch den beantragten Vollstreckungsaufschub in die Lage versetzt werden würde, die Strafe zu bezahlen.

Unter Beachtung dieser Situation der Bfin, der verhältnismäßig kurzen Dauer der zu vollstreckenden Ersatzfreiheitsstrafe sowie unter Berücksichtigung des Umstandes, dass nicht nur die Verhängung, sondern insbesondere auch die tatsächliche Vollstreckung von Verwaltungsstrafen aus spezial- und generalpräventiven Gründen erforderlich ist, war der Antrag der Bfin als unbegründet abzuweisen und spruchgemäß zu entscheiden.

V.       Zum Absehen von einer Verhandlung:

V.1.    Historisches Regelungsziel: Anpassung des VStG an die EMRK

Mit der VStG-Novelle 1990 (BGBl Nr. 358/1990) wurden Sonderbestimmungen für das Berufungsverfahren in Verwaltungsstrafsachen vor den mit der B-VG-Novelle 1988 (BGBl Nr. 685/1988) eingerichteten unabhängigen Verwaltungssenaten geschaffen. Nach den Erläuterungen zur Regierungsvorlage (vgl 1090 BlgNR 17. GP, Seite 8) ging es dem Gesetzgeber im Wesentlichen um die Zurückziehung des österreichischen Vorbehalts zu Art 5 EMRK (der bekanntlich von österreichischer Seite auch auf Art 6 EMRK ausgedehnt wurde) und um die dafür erforderliche Anpassung des VStG an die Anforderungen der Art 5 und 6 EMRK. Das Verfahren sollte den Erfordernissen des Art 6 EMRK entsprechen. So wird auch im Besonderen Teil der Erläuterungen die mit § 44 VwGVG vergleichbare Vorgängerbestimmung des § 51e VStG im Zusammenhang mit den Erfordernissen des Art 6 EMRK dargestellt (vgl 1090 BlgNR 17. GP, Seiten 19 f).

An dieser rechtspolitischen Zielsetzung der Anpassung an die Anforderungen der EMRK hat das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) nichts geändert. Aus der Regierungsvorlage (vgl Erl RV 2009 BlgNR 24. GP, Seite 8) zum Verwaltungsgerichtbarkeits- Ausführungsgesetz (BGBl I Nr. 33/2013), das im Art 1 das VwGVG enthält, ist ersichtlich, dass die Bestimmungen der früheren §§ 51e bis 51i VStG über die Verhandlung vor den unabhängigen Verwaltungssenaten bis auf den § 51e Abs 7 VStG, der die gemeinsame Verhandlung in verschiedenen Verfahren regelte, ins VwGVG vorbehaltlos übernommen werden sollten. Deshalb entspricht der § 44 VwGVG im Wesentlichen dem früheren § 51e VStG (vgl Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren [2013] § 44 VwGVG Anm 3). Dieser war vor dem Hintergrund der Rechtsentwicklung zu Art 6 Abs 1 EMRK und dem vom EGMR für unwirksam erklärten Vorbehalt Österreichs zu sehen. Entsprechend den Anforderungen an ein Verfahren über die Stichhaltigkeit einer strafrechtlichen Anklage nach Art 6 EMRK sah der § 51e VStG die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung vor (vgl Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens6 [2004], Anm 2 zu § 51e VStG). Im Ergebnis folgt aus dieser Vorgeschichte, was Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren [2013] § 44 VwGVG Anm 2 treffend wie folgt formulieren: „Auch § 44 VwGVG ist den Verfahrensgarantien des Art 6 und des Art 47 GrC geschuldet.“.

§ 44 VwGVG ist im historischen Kontext mit § 51e VStG einzuordnen und dementsprechend nach den Erfordernissen des Art 6 EMRK auszulegen. Dieser Maßstab entspricht dem Willen des Gesetzgebers ebenso wie dem objektiv erkennbaren Regelungszweck. Eine darüber hinausgehende ausdehnende Auslegung darf dem Gesetzgeber weder unterstellt werden, noch erscheint sie objektiv begründet.

V.2.    Art 6 EMRK ist auf Titelverfahren, nicht auch Annexverfahren anwendbar

In der Entscheidung des EGMR vom 9. Februar 2006, Nr. 4533/02, im Fall Freilinger u.a. gegen Österreich wurde klargestellt, dass Annexverfahren, die keine Entscheidung in der Hauptsache enthalten, grundsätzlich nicht in den Anwendungsbereich des Art 6 EMRK fallen. Dies gilt u.a. für Exekutionsverfahren zur Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen, über die zuvor in einem Zivilprozess (Erkenntnisverfahren) rechtskräftig entschiedenen worden ist. Der Verwaltungsgerichtshof geht im Anschluss an den EGMR in ständiger Judikatur davon aus, dass Vollstreckungsverfahren, die der Durchsetzung einer bereits in einem Titelverfahren getroffenen Entscheidung dienen, nicht unter Art 6 EMRK fallen, weil allein durch die Umsetzung eines rechtskräftigen Titelbescheides in die Wirklichkeit keine Grundrechtsverletzung iSd Art 6 EMRK eintreten kann (vgl u.a. VwGH 28.05.2013, Zl. 2011/05/0139 und VwGH 16.03.2012, Zl. 2010/05/0090).

Ebenso wenig fallen in den Anwendungsbereich des Art 6 EMRK die richterliche Vollstreckungstätigkeit bzw das Vollstreckungsverfahren und zusammenhängende Verfahren (bspw Strafaufschub oder Anordnung der Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe) nach rechtskräftiger Entscheidung durch Urteil über die Stichhaltigkeit einer Anklage im strafprozessrechtlichen Erkenntnisverfahren (vgl Vogler in Pabel/Schmahl [Hrsg], IntKommEMRK, Art 6 Rz 218 mwN). Maßnahmen im Strafvollzug sind keine Strafsachen iSd Art 6 EMRK (vgl Meyer-Ladewig/Harrendorf/König in Meyer-Ladewig/Nettesheim/Raumer [Hrsg], EMRK Handkommentar4 [Nomos Verlag 2017] Rz 32 zu Art 6 EMRK).

Verfahrensgegenstand muss nämlich die Entscheidung über die strafrechtliche Anklage selbst und damit die Entscheidung über Schuld oder Unschuld des Angeklagten sein. Maßnahmen im Rahmen eines Strafprozesses wie Haftprüfung oder Verfahren zur Sicherung oder zur Vorbeugung sind zwar Verfahren strafrechtlicher Natur, betreffen aber nicht die Stichhaltigkeit einer Anklage, weshalb es nicht um Strafverfahren iSd Art 6 EMRK geht (vgl mwN Grabenwarter in Korinek/Holoubek [Hrsg], Bundesverfassungsrecht Bd II/1, EMRK, Art 6 Rz 38, [8. Lfg 2007]; Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention6 [Beck, 2016] § 24, Rz 28).

Art 6 EMRK ist bis zur Beendigung des Strafverfahrens mit rechtskräftigem Urteil oder gegebenenfalls mit Einstellung ohne Urteil zu beachten. Die Verfahrensgarantien des Art 6 EMRK betreffen das strafprozessuale Erkenntnisverfahren bis zu seiner rechtskräftigen Beendigung. Die Entscheidung über die Stichhaltigkeit einer strafrechtlichen Anklage umfasst die Feststellung der Verwirklichung eines Straftatbestandes (Schuldspruch) sowie die Sanktionsfolgen im Rahmen der Strafzumessung samt Nebenentscheidungen (vgl Frowein/Peukert, EMRK-Kommentar3 [2009], 165, Art 6 Rz 43).

V.3.    Vollstreckungsverfahren und andere Annexverfahren fallen unter § 24 VwGVG

Im gegenständlichen Verfahren nach den §§ 53 – 54d VStG geht es nicht um ein Strafverfahren iSd Art 6 EMRK, sondern ausschließlich um Fragen des Strafvollzugs. Die §§ 53 bis 54d VStG sind im III. Teil des VStG unter „Strafvollstreckung“ zu finden. Es handelt sich nur um leges speciales zum VVG für die Vollstreckung von Freiheits- und Geldstrafen. Soweit besondere Regelungen fehlen, ist das VVG heranzuziehen (vgl mwN Fister in Lewisch/Fister/Weilguni, VStG2 Vor §§ 53 – 54d Rz 1 u 2/1 [Stand 1.5.2017, rdb.at].

Da ein solches Annexverfahren kein Strafverfahren iSd Art 6 EMRK darstellt und § 44 VwGVG für Erkenntnisverfahren über eine strafrechtliche Anklage konzipiert wurde, findet diese Sonderbestimmung keine Anwendung auf den vorliegenden Fall eines Vollstreckungsverfahrens bzw Strafvollzugsverfahrens und es bleibt bei der Anwendbarkeit der generellen Bestimmung des § 24 VwGVG über die Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht in Verwaltungssachen. Somit konnte gemäß dem § 24 Abs 4 VwGVG ungeachtet eines Parteiantrages von einer Verhandlung abgesehen werden, weil im gegenständlichen Verwaltungsverfahren nur Rechtsfragen zum beantragten Aufschub des Strafvollzuges zu lösen waren, die mündliche Erörterung eine weitere Klärung nicht erwarten ließ und dem Entfall der Verhandlung weder Art 6 Abs 1 EMRK, noch Art 47 GRC entgegenstehen.

VI.      Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:

Die ordentliche Revision ist unzulässig, weil die Rechtslage zu den angewandten Normen klar und eindeutig ist. In solchen Fällen liegt selbst dann keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vor, wenn zu einem „vergleichbaren Sachverhalt“ (vgl VwGH 23.09.2014, Ro 2014/01/0033) oder einer anzuwendenden Norm noch keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ergangen ist (vgl VwGH 18.06.2014, Ra 2014/01/0032; VwGH 28.05.2014, Ro 2014/07/0053 = VwSlg 18862 A/2014; VwGH 27.08.2014, Ra 2014/05/0007). Die Unzulässigkeit alternativer Strafvollzugsformen ergibt sich mangels diesbezüglicher Normierungen eindeutig aus dem VStG und wurde auch höchstgerichtlich bestätigt (vgl unter IV.1.). Auch die Frage, ob im gegenständlichen Fall ein Aufschub des Strafvollzugs aus wichtigen Gründen zu gewähren ist, warf keine über den Einzelfall hinausgehenden Rechtsfragen auf. Die Entscheidung wurde anhand der Leitlinien des Verwaltungsgerichtshofs getroffen (vgl unter IV.2.). Die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

Schlagworte

Verwaltungsstrafrechtlicher Strafvollzug: Verhältnis VStG – StVG; Hausarrest; Fußfessel; gemeinnützige Arbeiten; Ersatzfreiheitsstrafe – Gefährdung der Berufsausübung – Vollstreckungsaufschub; Absehen von öffentlicher mündlicher Verhandlung; keine Anwendbarkeit des Art 6 EMRK auf bloße Annexverfahren (zB Strafvollzug)

Anmerkung

Alle Entscheidungsvolltexte sowie das Ergebnis einer gegebenenfalls dazu ergangenen höchstgerichtlichen Entscheidung sind auf der Homepage des Oö LVwG www.lvwg-ooe.gv.at abrufbar.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGOB:2017:LVwG.490092.2.Wei.SW

Zuletzt aktualisiert am

05.12.2017
Quelle: Landesverwaltungsgericht Oberösterreich LVwg Oberösterreich, http://www.lvwg-ooe.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten