TE Vfgh Beschluss 2017/10/11 E3093/2017

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Veröffentlicht am 11.10.2017
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Index

10/07 Verfassungs- und Verwaltungsgerichtsbarkeit

Norm

VfGG §34
ZPO §63 Abs1 / Aussichtslosigkeit
ZPO §530 Abs1 Z7, Abs2

Leitsatz

Bewilligung der Wiederaufnahme des Verfahrens und Aufhebung des Beschlusses über die Abweisung des Verfahrenshilfeantrages infolge Hervorkommens einer irrigen Datumsangabe

Spruch

I. Das mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 14. August 2017, E1291/2017-5, abgeschlossene Verfahren über den Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe wird wieder aufgenommen.

II. Der Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 14. August 2017, E1291/2017-5, wird aufgehoben.

III. Der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe wird abgewiesen.

Begründung

Begründung

I.       Sachverhalt und Vorbringen

1.       Der Einschreiter brachte mit Schriftsatz vom 12. April 2017 – dem Poststempel nach am 13. April 2017 zur Post gegeben – beim Verfassungsgerichtshof einen Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe gegen den oben bezeichneten Beschluss des Bundesfinanzgerichtes vom 21. Februar 2017 ein. In diesem Schriftsatz gab der Einschreiter an, dass ihm dieser Beschluss am 1. März 2017 zugestellt worden sei.

2.       Mit Verfügung vom 19. April 2017 forderte der Verfassungsgerichtshof den Einschreiter unter anderem auf, innerhalb von vier Wochen das Erkenntnis, dessen Anfechtung beabsichtigt ist, in Form einer Ausfertigung, Abschrift oder Kopie anzuschließen. Diesem Verbesserungsauftrag kam der Einschreiter mit Schriftsatz vom 22. Mai 2017 nach und gab wiederum an, dass ihm der oben bezeichnete Beschluss am 1. März 2017 zugestellt worden sei.

3.       Der Verfassungsgerichtshof wies in der Folge den Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe wegen offenbarer Aussichtslosigkeit der beabsichtigten Rechtsverfolgung (§63 Abs1 ZPO iVm §35 Abs1 und §20 Abs2 VfGG) ab, weil die sechswöchige Beschwerdefrist des §82 Abs1 VfGG zum Zeitpunkt der Postaufgabe des Antrages schon verstrichen war, aber nur ein innerhalb dieser Frist gestellter Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe deren Unterbrechung zu bewirken vermag (§82 Abs3 VfGG). Eine künftige Beschwerde erwiese sich daher als verspätet.

4.       Mit Eingabe vom 8. September 2017 ersucht der Einschreiter um "Richtigstellung des Beschlusses vom 14. August 2017" (E1291/2017-5) und um Bewilligung der beantragten Verfahrenshilfe. Begründend führt er aus, dass anscheinend ein Irrtum vorliege, da im Beschluss vom 14. August 2017, E1291/2017-5, davon ausgegangen werde, sein Antrag sei erst am 13. April 2017 zur Post gegeben worden. Sein Antrag auf Bewilligung von Verfahrenshilfe sei jedoch mit 12. April 2017 datiert worden. Ferner sei auch aus dem vorgelegten "Postaufgabeschein bzw. dem dazugehörigen Aufgabeschein ersichtlich", dass sein Antrag innerhalb der gesetzlichen Frist zur Post gegeben worden sei.

5.       Aus dem vom Einschreiter vorgelegten Aufgabeschein ist für den Verfassungsgerichtshof ersichtlich, dass der zu E1291/2017 protokollierte Schriftsatz des Einschreiters bereits am 12. April 2017 um 20:50:05 Uhr in einer Postfiliale zur Versendung aufgegeben wurde.

II.      Erwägungen

1.       Zum Antrag auf Wiederaufnahme:

1.1.    Das in der Eingabe vom 8. September 2017 formulierte Ersuchen auf "Richtigstellung des Beschlusses vom 14. August 2017" (E1291/2017-5) kann in Zusammenschau mit den begründenden Ausführungen als Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens verstanden werden.

1.2.    Der Verfassungsgerichtshof hat wiederholt ausgesprochen (zB VfSlg 11.041/1986, 12.306/1990, 14.695/1996, 18.050/2007, 19.152/2010), dass die Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofes – insbesondere auch seine Beschlüsse – endgültig sind, sofern es sich nicht um Fälle der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und der Wiederaufnahme des Verfahrens handelt. Da das VfGG die Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und die Wiederaufnahme des Verfahrens in seinen §§33 und 34 nicht selbst regelt, hat der Verfassungsgerichtshof die entsprechenden Bestimmungen der ZPO (§§146 und 530 ff.) sinngemäß anzuwenden.

Die Bewilligung der Wiederaufnahme eines abgeschlossenen Verfahrens wegen Vorliegens des – hier allein in Frage kommenden – Wiederaufnahmegrundes gemäß §530 Abs1 Z7 ZPO (iVm §35 Abs1 VfGG) setzt voraus, dass "die Partei in Kenntnis von neuen Tatsachen gelangt oder Beweismittel auffindet oder zu benützen in den Stand gesetzt wird, deren Vorbringen und Benützung im früheren Verfahren eine ihr günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde". Die Wiederaufnahme findet weiters nur statt, "wenn die Partei ohne ihr Verschulden außerstande war, [...] die neuen Tatsachen oder Beweismittel vor Schluß der mündlichen Verhandlung, auf welche die Entscheidung erster Instanz erging, geltend zu machen" (§530 Abs2 ZPO).

1.3.    Der Verfassungsgerichtshof deutet die Eingabe des Einschreiters vom 8. September 2017 zu seinen Gunsten (entsprechend dem zwar nicht ausdrücklich formulierten, der Sache nach aber erkennbaren Anliegen) als Antrag auf Wiederaufnahme wegen neu hervorgekommener, zum Zeitpunkt des Beschlusses vom 14. August 2017 dem Verfassungsgerichtshof nicht bekannter Tatsachen (nämlich der Tatsache, dass der zu E1291/2017 protokollierte Schriftsatz bereits am 12. April 2017 zur Post gegeben wurde, obwohl das Kuvert einen Poststempel mit dem Datum 13. April 2017 aufweist). (vgl. 14.3.2017, E17/2017 mwN und VfSlg 18.865/2009)

1.3.1.  Ausgehend von der Annahme, dass der zu E1291/2017 protokollierte Schriftsatz des Einschreiters am 13. April 2017 zur Post gegeben wurde, erfolgte die Abweisung des Antrages auf Bewilligung der Verfahrenshilfe wegen offenbarer Aussichtslosigkeit der beabsichtigten Rechtsverfolgung, weil sich eine künftige Beschwerde als verspätet erwiese; dieser Umstand lag jedoch – objektiv gesehen – nicht vor (siehe Pkt. II.1.3.). Das Hervorkommen einer "irrigen Datumsangabe" kann dem Fall des Auffindens neuer Tatsachen oder Beweismittel gleichgehalten werden. Eine solche sinngemäße Anwendung von §530 Abs1 Z7 ZPO ist auch im vorliegenden Fall geboten. (vgl. VfSlg 18.865/2009)

1.3.2.  Die Kenntnis des Umstandes, dass die Postaufgabe des zu E1291/2017 protokollierten Schriftsatzes bereits am 12. April 2017 erfolgte, wäre geeignet gewesen, die Abweisung des Antrages auf Bewilligung der Verfahrenshilfe – wegen zu gewärtigender Zurückweisung der Beschwerde als verspätet – zu verhindern. Es hätte dadurch eine günstigere Entscheidung ergehen können (vgl. VfSlg 19.152/2010 und VfGH 28.9.2017, E2821/2017 mwN). Dem Einschreiter kann kein Vorwurf gemacht werden, wenn er den Aufgabeschein erst vorgelegt hat, als er durch den den Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe abweisenden Beschluss Kenntnis davon erlangte, dass der Verfassungsgerichtshof auf Grund des Poststempels von der Postaufgabe am 13. April 2017 ausgegangen ist. Auf Grund der tatsächlich am 12. April 2017 erfolgten Aufgabe des Schriftsatzes, welche dem Einschreiter durch den Aufgabeschein bestätigt wurde, bestand aus der Sicht des Einschreiters kein Grund, den Aufgabeschein zu einem früheren Zeitpunkt vorzulegen. Ein die Wiederaufnahme ausschließendes Verschulden iSd §530 Abs2 ZPO liegt nicht vor. Der Antrag auf Wiederaufnahme wurde auch rechtzeitig gestellt und ist daher zulässig.

1.3.3.  Der Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 14. August 2017 ist daher unter sinngemäßer Anwendung des §530 Abs1 Z7 ZPO iVm §35 Abs1 VfGG aufzuheben (vgl. VfSlg 19.152/2010 und VfGH 28.9.2017, E2821/2017).

2.       Zum Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe:

2.1.    Unter Bedachtnahme auf die dem Verfassungsgerichtshof zur Verfügung stehenden Unterlagen besteht kein Anhaltspunkt für die Annahme, dass die Entscheidung auf einer rechtswidrigen generellen Norm beruht oder dass bei der Gesetzeshandhabung ein in die Verfassungssphäre reichender Fehler unterlaufen wäre; es ergeben sich vielmehr ausschließlich Fragen der richtigen Rechtsanwendung, die jedoch nicht in den Zuständigkeitsbereich des Verfassungsgerichtshofes fallen. Eine Rechtsverfolgung durch Erhebung einer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof erscheint somit als offenbar aussichtslos, zumal bei der gegebenen Lage sogar die Ablehnung der Beschwerdebehandlung zu gewärtigen wäre.

2.2.    Der Antrag ist sohin mangels der Voraussetzungen des §63 Abs1 ZPO (§35 Abs1 VfGG) abzuweisen.

3.       Diese Beschlüsse konnten gemäß §34 zweiter Satz VfGG bzw. §72 Abs1 ZPO iVm §35 Abs1 VfGG in nichtöffentlicher Sitzung gefasst werden.

Schlagworte

VfGH / Verfahrenshilfe, VfGH / Wiederaufnahme, Auslegung eines Antrages

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2017:E3093.2017

Zuletzt aktualisiert am

30.11.2017
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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