TE Vfgh Erkenntnis 1998/2/24 B1942/97

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Veröffentlicht am 24.02.1998
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Index

L8 Boden- und Verkehrsrecht
L8200 Bauordnung

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
WohnungseigentumsG 1975 §1
Wr BauO 1930 §129
ABGB §825

Leitsatz

Verletzung im Gleichheitsrecht durch verfassungswidrige Gesetzesauslegung bei Verhängung einer Verwaltungsstrafe wegen Nichtbefolgung eines baupolizeilichen Beseitigungsauftrags über die Miteigentümerin einer Liegenschaft hinsichtlich eines nicht in ihrem Wohnungseigentum stehenden Teils der Liegenschaft; verfassungskonforme Gesetzesauslegung geboten

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Das Land Wien ist schuldig, dem Beschwerdeführer zu Handen seiner Rechtsvertreter die mit S 18.000,- bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1.1. Der Beschwerdeführer ist handelsrechtlicher Geschäftsführer der P F Verwaltungsgesellschaft mbH, welche Miteigentümerin der Liegenschaft in ... Wien, ..., ist. Mit ihrem Anteil an dieser Liegenschaft ist das Wohnungseigentum an einer bestimmten Wohnung verbunden. Die übrigen Miteigentümer sind eine weitere Gesellschaft mbH als Mehrheitseigentümerin sowie andere Miteigentümer, mit deren Anteilen an der Liegenschaft das Wohnungseigentum an bestimmten Wohnungen verbunden ist.

Die Mehrheitseigentümerin der Liegenschaft hat ein ihrer Nutzung unterliegendes Geschäftslokal (diesbezüglich besteht kein Wohnungseigentum!) vermietet; die Mieterin nahm darin baubewilligungspflichtige Umbauten ohne Baubewilligung vor.

Mit Bescheid vom 5. Oktober 1994 trug der Magistrat der Stadt Wien sämtlichen Liegenschafts(mit)eigentümern gemäß §129 Abs10 der Bauordnung für Wien auf, diese ohne Baubewilligung durchgeführten baulichen Abänderungen zu beseitigen. Gegen diesen Bescheid hat (nur) die genannte Mehrheitseigentümerin Berufung erhoben, der mit Bescheid der Bauoberbehörde für Wien vom 28. April 1995 jedoch mangels Erbringung eines Nachweises für die Bevollmächtigung des einschreitenden Vertreters zurückgewiesen wurde.

Ein von der oben erwähnten Mieterin am 19. Jänner 1995 hinsichtlich der in Rede stehenden Bauführungen gestelltes Ansuchen um (nachträgliche) Baubewilligung wurde mangels Vorliegens der Zustimmung der Liegenschaftseigentümer mit Bescheid des Magistrates der Stadt Wien vom 23. Juni 1995 zurückgewiesen.

1.1.2. Mit Straferkenntnis vom 10. April 1996 verhängte der Magistrat der Stadt Wien über den Beschwerdeführer wegen Übertretung des §129 Abs10 der Bauordnung für Wien gemäß §135 Abs1 leg. cit. eine Geldstrafe in der Höhe von S 21.000,- sowie eine Ersatzfreiheitsstrafe in der Höhe von 21 Tagen. Dieser habe es als handelsrechtlicher Geschäftsführer - und somit als zur Vertretung nach außen Berufener - einer Haus- und Grundstücksmiteigentümerin der genannten Liegenschaft zu verantworten, daß in der Zeit vom 15. Mai 1995 bis zum 1. September 1995 bestimmte, konkret angeführte Abweichungen von den Bauvorschriften nicht behoben worden seien.

1.2. Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien gab der dagegen vom Beschwerdeführer erhobenen Berufung mit Bescheid vom 24. April 1997 insoweit Folge, als der Beginn des Tatzeitraums mit dem 5. Juli 1995 festgesetzt wurde, änderte die Bezeichnung der verletzten Rechtsvorschrift im Spruch des Bescheides auf "§129 Abs10 iVm §135 Abs1 und 3 der Bauordnung für Wien, LGBl. 11/1930 idF 2/1995" ab, setzte die verhängte Geldstrafe auf S 13.000,-, die Ersatzfreiheitsstrafe auf 3 Tage herab und wies die Berufung im übrigen als unbegründet ab.

1.3.1. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz sowie in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt wird.

1.3.2. Die belangte Behörde erstattete - unter Vorlage der Verwaltungsakten - eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde begehrt.

2. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

2.1. Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 10413/1985, 11682/1988) nur vorliegen, wenn der angefochtene Bescheid auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn die Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat.

2.2. Im Erkenntnis B5012/96 vom 10. Dezember 1997, dem die Beschwerde einer anderen Miteigentümerin des gegenständlichen Hauses, mit deren Anteil ebenfalls das Wohnungseigentum an einer bestimmten Wohnung verbunden ist, zugrundelag, gelangte der Verfassungsgerichtshof zur Auffassung, daß §129 Abs10 erster Satz der Bauordnung für Wien, LGBl. 11/1930 idF 18/1976, bei verfassungskonformer Auslegung nur so verstanden werden könne, daß bei bestehendem Wohnungseigentum dem jeweiligen Wohnungseigentümer keine baupolizeilichen Aufträge erteilt werden dürfen, die sich - abgesehen von jenen Teilen der Liegenschaft, die der allgemeinen Benützung dienen oder deren Zweckbestimmung einer ausschließlichen Benützung entgegensteht (§1 Abs4 WEG) - nicht auf das seinem ausschließlichen Nutzungs- und Verfügungsrecht unterliegende Objekt beziehen.

2.3. Die belangte Behörde hat somit im vorliegenden Fall dem §129 Abs10 erster Satz der Bauordnung für Wien einen verfassungs-, nämlich gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt und dadurch den Beschwerdeführer in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt.

Der Bescheid war daher aufzuheben.

3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG 1953. In den zuerkannten Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von

S 3.000,- enthalten. Die beantragten Barauslagen werden nicht zugesprochen, da diese bereits im Pauschalbetrag enthalten sind.

Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Auslegung verfassungskonforme, Baurecht, Baupolizei, Wohnungseigentum, Zivilrecht, Eigentum

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1998:B1942.1997

Dokumentnummer

JFT_10019776_97B01942_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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