TE Vfgh Beschluss 2017/9/21 G203/2017

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Veröffentlicht am 21.09.2017
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Index

22/02 Zivilprozessordnung

Norm

B-VG Art140 Abs1 Z1 litd
ZPO §289 Abs1

Leitsatz

Zurückweisung eines Parteiantrags mangels Präjudizialität der angefochtenen Bestimmung der ZPO über das Fragerecht bei der Beweisaufnahme in einem Verfahren über die Ablehnung einer Verfahrensrichterin

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

I.       Sachverhalt und Antragsvorbringen

1.       Die einschreitende Gesellschaft ist die beklagte Partei in einem zivilgerichtlichen Verfahren vor dem Landesgericht Salzburg. Mit Beschluss vom 20. Juli 2017, 22 Nc 31/17x-2, wies das Landesgericht Salzburg einen von der einschreitenden Gesellschaft in diesem Verfahren gestellten Ablehnungsantrag gegen die Verhandlungsrichterin zurück. Begründend führte das Landesgericht Salzburg hiezu aus, der einschreitenden Gesellschaft sei es nicht gelungen, Gründe aufzuzeigen, die den Anschein der Voreingenommenheit der Verhandlungsrichterin befürchten ließen; insbesondere könne aus der Handhabung des Fragerechtes gemäß §289 Abs1 ZPO hinsichtlich des von der einschreitenden Partei beigezogenen Privatsachverständigen keine Befangenheit abgeleitet werden. Darüber hinaus sei der Ablehnungsantrag auch verspätet erhoben worden.

2.       Gegen diesen Beschluss erhob die einschreitende Gesellschaft Rekurs und stellte den vorliegenden, auf Art140 Abs1 Z1 litd B-VG gestützten Antrag auf Aufhebung von §289 Abs1 ZPO idF RGBl. 113/1895 wegen Verfassungswidrigkeit. Die einschreitende Gesellschaft begründet diesen Antrag – zusammengefasst – damit, dass §289 Abs1 ZPO nur den Parteien selbst, nicht aber von diesen beigezogenen Privatsachverständigen ein Fragerecht gewähre. Die Möglichkeit einer Fragestellung durch Privatsachverständige sei aber erforderlich, damit die Parteien bei technisch komplexen Sachverhalten ihre Rechte effektiv wahrnehmen könnten. Durch die Einschränkung des Fragerechtes verstoße die angefochtene Bestimmung gegen das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein faires Verfahren gemäß Art6 EMRK.

II.      Rechtslage

§289 des Gesetzes vom 1. August 1895, über das gerichtliche Verfahren in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten (Zivilprozessordnung – ZPO), RGBl. 113/1895, lautet (die angefochtene Bestimmung ist hervorgehoben):

"§. 289.

(1) Die Parteien können bei der Beweisaufnahme zugegen sein; sie können an die Zeugen und Sachverständigen diejenigen Fragen durch den Vorsitzenden oder den die Beweisaufnahme leitenden Richter stellen lassen oder mit deren Zustimmung selbst stellen, welche sie zur Aufklärung oder Vervollständigung der Aussage, sowie zur Aufklärung des Streitverhältnisses oder der für die Beweiskraft der Aussagen wesentlichen Verhältnisse für dienlich erachten. Fragen, welche dem Richter unangemessen erscheinen, hat er zurückzuweisen.

(2) Mit der Beweisaufnahme ist, soweit dies nach Lage der Sache geschehen kann, vorzugehen, wenn auch keine der verständigten Parteien erschienen ist. Es kann jedoch vom erkennenden Gerichte, oder, so lange die Beweisaufnahme noch nicht beendet ist, auch von dem beauftragten oder ersuchten Richter eine Ergänzung der Beweisaufnahme zugelassen werden, wenn die Partei glaubhaft macht, dass ihr durch ein unvorhergesehenes Ereignis verursachtes Nichterscheinen eine wesentliche Unvollständigkeit der Beweisaufnahme zur Folge hatte und wenn zugleich die Ergänzung der Beweisaufnahme ohne erhebliche Verzögerung des Rechtsstreites stattfinden kann."

III.    Zur Zulässigkeit

Der Antrag ist nicht zulässig:

1.       Gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen "auf Antrag einer Person, die als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, aus Anlass eines gegen diese Entscheidung erhobenen Rechtsmittels".

2.       Ein auf Art140 Abs1 Z1 litd B-VG gestützter Antrag auf Aufhebung eines Gesetzes oder von bestimmten Stellen eines solchen kann gemäß §62 Abs2 VfGG nur dann gestellt werden, wenn das Gesetz vom Gericht in der anhängigen Rechtssache unmittelbar anzuwenden bzw. die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes eine Vorfrage für die Entscheidung der beim Gericht anhängigen Rechtssache ist oder nach Ansicht des Antragstellers wäre. Eine Antragstellung gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG setzt daher voraus, dass die angefochtene Bestimmung eine Voraussetzung der Entscheidung des ordentlichen Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl. VfSlg 20.010/2015, 20.029/2015).

3.       Im vorliegenden Fall ist eine Anwendung des §289 ZPO ausgeschlossen: Die von der einschreitenden Gesellschaft angefochtene Bestimmung des §289 Abs1 ZPO regelt das Recht der Parteien, im Rahmen des Beweisverfahrens Fragen an Zeugen und Sachverständige zu stellen. Der Beschluss des Landesgerichtes Salzburg, welcher den Anlass des vorliegenden Antrages bildet, betrifft ein Verfahren über die Ablehnung der Verhandlungsrichterin wegen behaupteter Befangenheit, welches in den §§19 ff. JN als eigenes Verfahren näher festgelegt wird (vgl. Mayr, in Rechberger [Hrsg.], Kommentar zur ZPO4, §21 JN, Rz 3). Eine Anwendung des §289 Abs1 ZPO kommt in einem derartigen Ablehnungsverfahren nicht in Betracht, woran auch die Tatsache, dass das Landesgericht Salzburg im Rahmen seines Beschlusses auf §289 Abs1 ZPO Bezug nimmt, nichts zu ändern vermag: Das Landesgericht Salzburg folgert lediglich, dass ein "Überdenken der Ausübung des Fragerechtes im Sinne des §289 Abs1 ZPO" keinen Fall der Befangenheit darstelle, sondern höchstens "eine Frage eines allfälligen Verfahrensmangels, der in einem Rechtsmittel gegen die Entscheidung in der Hauptsache zu relevieren wäre." Entgegen der Behauptung der antragstellenden Gesellschaft kann darin keinesfalls eine "Anwendung" des §289 Abs1 ZPO durch das Landesgericht Salzburg gesehen werden.

4.       Der Antrag ist daher schon aus diesem Grund wegen fehlender Präjudizialität der angefochtenen Bestimmung gemäß §19 Abs3 Z2 lite VfGG in nichtöffentlicher Sitzung als unzulässig zurückzuweisen.

Schlagworte

VfGH / Parteiantrag, VfGH / Präjudizialität, Zivilprozess

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2017:G203.2017

Zuletzt aktualisiert am

23.11.2017
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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