TE Vfgh Beschluss 2017/9/21 G184/2017

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Veröffentlicht am 21.09.2017
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Index

32/01 Finanzverfahren, allgemeines Abgabenrecht

Norm

B-VG Art140 Abs1 Z1 litc
BAO §131b Abs4
RegistrierkassensicherheitsV §20 Abs4
VfGG §62 Abs1

Leitsatz

Zurückweisung eines Individualantrags auf Aufhebung einer Bestimmung der BAO über die Möglichkeit der bescheidmäßigen Feststellung der Manipulationssicherheit eines geschlossenen elektronischen Registrierkassensystems als zu eng gewählt und mangels Darlegung der unmittelbaren und aktuellen Betroffenheit

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

1.       Mit dem auf Art140 Abs1 Z1 litc B-VG gestützten Antrag begehrt die antragstellende Gesellschaft, §131b Abs4 BAO als verfassungswidrig aufzuheben.

2.       Die antragstellende Gesellschaft – ein Handels- und Gastronomieunternehmen, das zwei Registrierkassen in Verwendung hat – bringt zu ihrer Antrags-legitimation vor, der Bundesabgabenordnung zu unterliegen und daher seit dem 1. Jänner 2016 zur Verwendung einer Registrierkasse verpflichtet zu sein. Die angefochtene Bestimmung werde unmittelbar für sie wirksam: Zum einen sei es ihr nicht möglich, eine gerichtliche Entscheidung oder die Erlassung eines Bescheides zu erwirken, zumal sie Gefahr laufe, wegen Verstoßes gegen die angefochtene Norm mit einer Geldstrafe belegt zu werden, was ihr nicht zumutbar sei. Zum anderen müsste sie für einen Antrag nach §131b Abs4 BAO in erhebliche Vorleistung treten und u.a. ein Sachverständigengutachten über die Signatur- bzw. Siegelerstellungseinheit des von ihr verwendeten Registrierkassensystems beibringen. Dabei sei aber von Anfang an klar, dass ein Antrag nach §131b Abs4 BAO von der Finanzbehörde mangels Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen ab- bzw. zurückgewiesen würde, da die antragstellende Gesellschaft die Verwendung einer hohen Anzahl von Registrierkassen im Inland nicht nachweisen könne und eine Antragstellung in Ermangelung eines Antragsrechtes aussichtslos sei.

3.       §131b BAO idF BGBl I 77/2016 lautet (die angefochtene Bestimmung ist hervorgehoben):

"§131b. (1)

1. Betriebe haben alle Bareinnahmen zum Zweck der Losungsermittlung mit elektronischer Registrierkasse, Kassensystem oder sonstigem elektronischen Aufzeichnungssystem unter Beachtung der Grundsätze des §131 Abs1 Z6 einzeln zu erfassen.

2. Die Verpflichtung zur Verwendung eines elektronischen Aufzeichnungssystems (Z1) besteht ab einem Jahresumsatz von 15 000 Euro je Betrieb, sofern die Barumsätze dieses Betriebes 7 500 Euro im Jahr überschreiten.

3. Barumsätze im Sinn dieser Bestimmung sind Umsätze, bei denen die Gegenleistung (Entgelt) durch Barzahlung erfolgt. Als Barzahlung gilt auch die Zahlung mit Bankomat- oder Kreditkarte oder durch andere vergleichbare elektronische Zahlungsformen, die Hingabe von Barschecks, sowie vom Unternehmer ausgegebener und von ihm an Geldes statt angenommener Gutscheine, Bons, Geschenkmünzen und dergleichen.

(2) Das elektronische Aufzeichnungssystem (Abs1 Z1) ist durch eine technische Sicherheitseinrichtung gegen Manipulation zu schützen. Dabei ist die Unveränderbarkeit der Aufzeichnungen durch kryptographische Signatur bzw. durch kryptographisches Siegel jedes Barumsatzes mittels einer dem Steuerpflichtigen zugeordneten Signatur- bzw. Siegelerstellungseinheit zu gewährleisten und die Nachprüfbarkeit durch Erfassung der Signatur bzw. des Siegels auf den einzelnen Belegen sicherzustellen.

(3) Die Verpflichtungen nach Abs1 sowie Abs2 bestehen mit Beginn des viertfolgenden Monats nach Ablauf des Voranmeldungszeitraums, in dem die Grenzen des Abs1 Z2 erstmals überschritten wurden. Werden die Umsatzgrenzen (Abs1 Z2) in einem Folgejahr nicht überschritten und ist aufgrund besonderer Umstände absehbar, dass diese Grenzen auch künftig nicht überschritten werden, fällt die Verpflichtung zur Losungsermittlung mit elektronischem Aufzeichnungssystem gemäß §131b BAO mit Beginn der nächstfolgenden Kalenderjahres weg.

(4) Das für die Erhebung der Umsatzsteuer zuständige Finanzamt hat auf Antrag des Unternehmers mit Feststellungsbescheid die Manipulationssicherheit eines geschlossenen Gesamtsystems, das im Unternehmen als elektronisches Aufzeichnungssystem verwendet wird, zu bestätigen, wenn eine solche Sicherheit auch ohne Verwendung einer in Abs2 geforderten Signatur- bzw. Siegelerstellungseinheit besteht.

Antragsbefugt sind nur Unternehmer, die ein solches geschlossenes Gesamt-system verwenden und eine hohe Anzahl von Registrierkassen im Inland in Verwendung haben. Dem Antrag ist ein Gutachten eines gerichtlich beeideten Sachverständigen, in dem das Vorliegen der technischen und organisatorischen Voraussetzungen für die Manipulationssicherheit des geschlossenen Gesamt-systems bescheinigt wird, anzuschließen.

Die Wirksamkeit des Feststellungsbescheides erlischt, wenn sich die für seine Erlassung maßgeblichen tatsächlichen Verhältnisse geändert haben.

Unternehmer haben jede Änderung der tatsächlichen Verhältnisse für die Erlassung des Feststellungbescheides über die Manipulationssicherheit geschlossener Gesamtsysteme dem Finanzamt binnen einem Monat, gerechnet vom Eintritt des meldepflichtigen Ereignisses, zu melden.

(5) Der Bundesminister für Finanzen kann durch Verordnung festlegen:

1. Einzelheiten zur technischen Sicherheitseinrichtung, zur Signatur- bzw. Siegelerstellungseinheit, zur kryptografischen Signatur bzw. zum kryptographischen Siegel, sowie zu anderen, der Datensicherheit dienenden Maßnahmen,

2. Erleichterungen bezüglich der zeitlichen Erfassung der Bareinnahmen hinsichtlich betrieblicher Umsätze, die außerhalb der Betriebstätte getätigt werden,

3. Einzelheiten über die Erlassung von Feststellungsbescheiden (Abs4), insbesondere über die technischen und organisatorischen Anforderungen zur Gewährleistung der Manipulationssicherheit geschlossener Gesamtsysteme, die im Unternehmen als elektronische Aufzeichnungssysteme verwendet werden, sowie die im Abs4 genannte Anzahl von Registrierkassen,

4. Einzelheiten von Form und Inhalt der Meldungen nach Abs4 letzter Unterabsatz."

4.       §20 Registrierkassensicherheitsverordnung, BGBl II 410/2015 idF BGBl II 210/2016, lautet:

"4. Hauptstück

Geschlossene Gesamtsysteme

Technische und organisatorische Anforderungen

§20. (1) Die Manipulationssicherheit in geschlossenen Gesamtsystemen gemäß §131b Abs4 BAO ist durch eine Sicherheitseinrichtung zu gewährleisten, die aus einer Verkettung der Barumsätze mit Hilfe der aufbereiteten Daten nach §9 Abs2 im Signaturformat laut Z4 und 5 der Anlage besteht.

(2) Für geschlossene Gesamtsysteme gilt diese Verordnung mit Ausnahme der §§5 Abs2, 12, 15 und 17 Abs4. Die §§4 Abs1, 6 Abs4, 8 Abs2, 9, 16 Abs1 und 2, 17 Abs1 bis 3, 17 Abs7 und 18 sowie die Anlage sind mit der Maßgabe anzuwenden, dass weder eine Signatur- bzw. Siegelerstellungseinheit noch ein Signatur- bzw. Siegelzertifikat erforderlich sind und, dass einer Kassenidentifikationsnummer auch mehrere Registrierkassen mit einem gemeinsamen Datenerfassungsprotokoll zugeordnet werden dürfen. Abs4 bleibt hiervon unberührt.

(3) Bei geschlossenen Gesamtsystemen ist anstelle der Seriennummer des Signatur- bzw. Siegelzertifikates (§9 Abs2 Z6 und §10 Abs2 Z6) der Ordnungsbegriff des Unternehmers zu verwenden. Der Ordnungsbegriff des Unternehmers muss gegebenenfalls durch geeignete Zusätze (z. B. Ziffern) ergänzt werden, um eindeutige Validierungsdaten zu ermöglichen. In der Datenbank gemäß §18 sind anstelle der Seriennummer des Signatur- bzw. Siegelzertifikates die Validierungsdaten zu erfassen. Der Ordnungsbegriff des Unternehmers sowie die Validierungsdaten müssen aus dem Gutachten gemäß §21 hervorgehen.

(4) Antragsbefugt im Sinne §131b Abs4 BAO sind nur Unternehmer, die ein geschlossenes Gesamtsystem als elektronisches Aufzeichnungssystem verwenden, das mit mehr als 30 Registrierkassen verbunden ist."

5.       Gemäß Art140 Abs1 Z1 litc B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Verfassungswidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, wenn das Gesetz ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist. Wie der Verfassungsgerichtshof in seiner mit VfSlg 8009/1977 beginnenden ständigen Rechtsprechung ausgeführt hat, ist daher grundlegende Voraussetzung für die Antragslegitimation, dass das Gesetz in die Rechtssphäre der betroffenen Person unmittelbar eingreift und sie – im Fall seiner Verfassungswidrigkeit – verletzt. Hiebei hat der Verfassungsgerichtshof vom Antragsvorbringen auszugehen und lediglich zu prüfen, ob die vom Antragsteller ins Treffen geführten Wirkungen solche sind, wie sie Art140 Abs1 Z1 litc B-VG als Voraussetzung für die Antragslegitimation fordert (vgl. zB VfSlg 11.730/1988, 15.863/2000, 16.088/2001, 16.120/2001).

Die Grenzen der Aufhebung einer auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfenden Gesetzesbestimmung sind, wie der Verfassungsgerichtshof sowohl für von Amts wegen als auch für auf Antrag eingeleitete Gesetzesprüfungsverfahren schon wiederholt dargelegt hat (VfSlg 13.965/1994 mwN, 16.542/2002, 16.911/2003), notwendig so zu ziehen, dass einerseits der verbleibende Gesetzesteil nicht einen völlig veränderten Inhalt bekommt und dass andererseits die mit der aufzuhebenden Gesetzesstelle untrennbar zusammenhängenden Bestimmungen auch erfasst werden.

5.1.    Auf dieser Grundlage geht der Verfassungsgerichtshof davon aus, dass im Gesetzesprüfungsverfahren der Anfechtungsumfang der in Prüfung gezogenen Regelung bei sonstiger Unzulässigkeit des Prüfungsantrages nicht zu eng gewählt werden darf (vgl. zB VfSlg 8155/1977, 12.235/1989, 13.915/1994, 14.131/1995, 14.1498/1996, 14.890/1997, 16.212/2002, 16.869/2003; VfGH 21.2.2013, G45/12).

5.2.    §131b Abs4 BAO sieht für große Unternehmen, die über ein geschlossenes elektronisches Gesamtsystem zur Erfüllung der Aufzeichnungspflicht verfügen und eine hohe Zahl von Registrierkassen im Inland in Verwendung haben, die Möglichkeit vor, unter bestimmten Voraussetzungen die Manipulationssicherheit durch einen Feststellungsbescheid des zuständigen Finanzamtes auch ohne die in §131b Abs2 BAO vorgesehene Verwendung einer Signatur- bzw. Siegelerstellungseinheit bestätigt zu erhalten (vgl. die Erläut. zur RV 684 BlgNR 25. GP, 43). Antragsbefugt iSd §131b Abs4 BAO sind nach §20 Abs4 Registrierkassensicherheitsverordnung nur Unternehmer, die ein geschlossenes Gesamtsystem als elektronisches Aufzeichnungssystem verwenden, das mit mehr als 30 Registrierkassen verbunden ist. Dem Antrag ist – neben weiteren Voraussetzungen – ein Gutachten eines gerichtlich beeideten Sachverständigen anzuschließen, in dem das Vorliegen der technischen und organisatorischen Voraussetzungen für die Manipulationssicherheit des geschlossenen Gesamtsystems bescheinigt wird. Die Kosten der Begutachtung trägt der Unternehmer (§21 Abs7 Registrierkassensicherheitsverordnung).

5.3.    Vor dem Hintergrund der unter Pkt. 5.1. dargestellten Rechtsprechung erweist sich der auf Aufhebung der Bestimmung des §131b Abs4 BAO gerichtete Antrag als zu eng gefasst:

Die antragstellende Gesellschaft wendet sich im Wesentlichen gegen den Umstand, dass nach §131b Abs4 BAO nur jene Unternehmer antragsbefugt seien, die ein geschlossenes Gesamtsystem verwenden und eine hohe Anzahl von Registrierkassen im Inland in Verwendung hätten. Sie geht erkennbar davon aus, dass die Verwendung von bloß zwei Registrierkassen jedenfalls nicht unter §131b Abs4 BAO zu subsumieren sei. Die Tatbestandsvoraussetzung der Verwendung einer "hohen Zahl von Registrierkassen" wird jedoch überhaupt erst durch §20 Abs4 Registrierkassensicherheitsverordnung spezifiziert, wonach darunter ein elektronisches Aufzeichnungssystem zu verstehen ist, das mit mehr als 30 Registrierkassen verbunden ist. Der Anfechtungsumfang ist daher zu eng gewählt.

Der Antrag ist somit schon aus diesem Grund zurückzuweisen.

5.4.    Im Übrigen hat es die antragstellende Gesellschaft mit ihrem – völlig unsubstantiiert gebliebenen – Vorbringen unterlassen, gemäß §62 Abs1 VfGG dem formellen Erfordernis der Darlegung seiner unmittelbaren und aktuellen Betroffenheit in Bezug auf die angefochtene Bestimmung im Einzelnen nachzukommen (vgl. zB VfGH 21.11.2013, G85/2013). Ausreichende Angaben, anhand derer eine Verletzung ihrer Rechtssphäre durch §131b Abs4 BAO beurteilt werden könnte, sind dem Antrag nicht zu entnehmen. Die antragstellende Gesellschaft hat es insbesondere verabsäumt, darzulegen, worin der Wettbewerbsvorteil zu erblicken ist, der großen Unternehmen durch §131b Abs4 BAO eingeräumt wird, weshalb vor dem Hintergrund des Antragsvorbringens – selbst für den Fall der richtigen Abgrenzung des Anfechtungsumfanges – die Zurückweisung des Antrages zu gewärtigen wäre.

6.       Dieser Beschluss konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung gefasst werden.

Schlagworte

VfGH / Individualantrag, Finanzverfahren, Registrierkassenpflicht, VfGH / Prüfungsumfang, VfGH / Formerfordernisse

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2017:G184.2017

Zuletzt aktualisiert am

23.11.2017
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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