TE Vwgh Erkenntnis 2017/10/18 Ra 2017/19/0034

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Veröffentlicht am 18.10.2017
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Index

E000 EU- Recht allgemein
E3R E19104000
E6J
10/07 Verwaltungsgerichtshof
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §5
AsylG 2005 §5 Abs1
EURallg
VwGG §42 Abs2 Z1
32013R0604 Dublin-III Art13 Abs1
32013R0604 Dublin-III Art18
32013R0604 Dublin-III Art18 Abs1 litb
32013R0604 Dublin-III Art19 Abs2
32013R0604 Dublin-III Art19 Abs3
32013R0604 Dublin-III Art3 Abs2
62015CJ0063 Ghezelbash VORAB
62015CJ0155 Karim VORAB

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Robl, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Rossmeisel sowie die Hofräte Dr. Pürgy und Mag. Stickler als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Friedwagner, über die Revision des A B in W, vertreten durch Mag. Robert Hofbauer, Rechtsanwalt in 2351 Wiener Neudorf, Am Anningerpark 4/1/43, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 30. November 2016, W168 2127223-1/6E, betreffend Zurückweisung eines Antrages auf internationalen Schutz nach dem AsylG 2005 und Anordnung einer Außerlandesbringung nach dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 19. Jänner 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz. In der am selben Tag durchgeführten Ersteinvernahme gab er - befragt zu seiner Reiseroute - an, aus dem Iran über die Türkei, Griechenland, Mazedonien, Serbien, Kroatien, Slowenien und Österreich zunächst nach Deutschland gereist zu sein. Aus dem Verwaltungsakt des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) ergibt sich, dass dem Revisionswerber die Einreise nach Deutschland verweigert wurde.

Weiters führte der Revisionswerber im Zuge der Erstbefragung aus, er habe auch in Bulgarien einen Asylantrag gestellt, jedoch wisse er nicht, in welchem Stadium sich dieses Verfahren befinde, weil er die Unterlagen in Afghanistan weggeworfen habe. In Bulgarien habe er sich drei Monate aufgehalten, ehe er nach Afghanistan „zurückgeschoben“ worden sei.

Noch am Tag der Antragstellung wurde ein Abgleich der Fingerabdrücke des Revisionswerbers im Eurodac-System durchgeführt. Dem daraufhin automationsunterstützt gelieferten „Eurodac Treffer Ergebnis“ ist zu entnehmen, dass die Fingerabdrücke des Revisionswerbers im Eurodac-System mit dem Hinweis verzeichnet waren, dass er am 9. Jänner 2015 und am 2. Februar 2015 in Bulgarien erkennungsdienstlich behandelt worden sei. Darüber hinaus sei er dieser Auskunft zufolge am 11. Jänner 2016 in Griechenland erkennungsdienstlich behandelt worden.

2        Mit Verfahrensanordnung vom 24. Jänner 2016 teilte das BFA dem Revisionswerber mit, dass beabsichtigt sei, seinen Antrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen, weil eine Zuständigkeit Bulgariens angenommen werde.

3        Am 8. Februar 2016 leitete das BFA ein Konsultationsverfahren mit Bulgarien ein und ersuchte die zuständige bulgarische Asylbehörde um Wiederaufnahme des Revisionswerbers gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. b der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (Dublin III-VO).

Mit E-Mail vom 20. April 2016 stimmte Bulgarien der Wiederaufnahme des Revisionswerbers ausdrücklich zu.

4        In einer am 13. Mai 2016 vor dem BFA durchgeführten niederschriftlichen Einvernahme führte der Revisionswerber aus, er sei zweieinhalb bis drei Monate in Bulgarien in einem Gefängnis sowie in einem Lager aufhältig gewesen. Im Zuge seiner erkennungsdienstlichen Behandlung habe er „etwas unterschrieben“, es seien ihm zwangsweise Fingerabdrücke abgenommen worden. Einen Asylantrag in Bulgarien habe er allerdings nicht gestellt.

5        Mit Bescheid vom 20. Mai 2016 wies das BFA den Antrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz gemäß § 5 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) als unzulässig zurück und stellte fest, dass Bulgarien gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. b der Dublin III-VO zuständig sei. Gemäß § 61 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) ordnete es die Außerlandesbringung des Revisionswerbers an und sprach aus, dass seine Abschiebung nach Bulgarien gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig sei.

6        Begründend führte das BFA aus, auf Grund der Angaben des Revisionswerbers und der Zustimmung Bulgariens ergebe sich ein „bestehender und bis in die Gegenwart andauernder und ununterbrochener Aufenthalt“ des Revisionswerbers in der Europäischen Union, weshalb ein Erlöschen der Zuständigkeit Bulgariens für sein Asylverfahren nicht eingetreten sei.

7        Dagegen richtete der Revisionswerber eine fristgerecht eingebrachte Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

8        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und erklärte die Revision an den Verwaltungsgerichtshof für nicht zulässig.

9        Es stellte - soweit entscheidungswesentlich - fest, der Revisionswerber sei illegal über mehrere Staaten, „jedenfalls über Bulgarien kommend“, in das österreichische Bundesgebiet eingereist. Zuvor habe er am 2. Februar 2015 einen Asylantrag in Bulgarien gestellt. Die Zuständigkeit Bulgariens sei durch dessen ausdrückliche Zustimmung zur Wiederaufnahme nach Konsultierung auf Grund eines Eurodac-Treffers gegeben.

10       Dazu führte das Bundesverwaltungsgericht beweiswürdigend aus, die festgestellten Tatsachen ergäben sich aus dem Akt des BFA, „insbesondere den Niederschriften und der ausdrücklichen Zustimmung Bulgariens auf Grund der Eurodac-Treffer“. Die Feststellungen zum Reiseweg des Revisionswerbers stützten sich auf sein eigenes Vorbringen in Zusammenhalt mit der Eurodac-Abfrage, das durchgeführte Konsultationsverfahren sowie auf den weiteren Akteninhalt. Die Feststellung bezüglich der Zuständigkeit des „zuständigen Mitgliedstaates Bulgarien“ ergebe sich aus dem durchgeführten Konsultationsverfahren zwischen den österreichischen und den bulgarischen „Dublin-Behörden“ sowie der ausdrücklich erteilten Zustimmung zur Wiederaufnahme.

11       In rechtlicher Hinsicht kam das Bundesverwaltungsgericht zum Ergebnis, die Zuständigkeit Bulgariens basiere auf dessen ausdrücklicher Zustimmung gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. b der Dublin III-VO. Für die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates gebe es keine Anhaltspunkte. Zweifellos habe sich der Revisionswerber - nachvollziehbar durch seine eigenen Angaben, aber auch durch die vorliegenden Eurodac-Treffer - in Bulgarien aufgehalten und sei dort ebenso zweifelsfrei registriert worden bzw. habe er in Bulgarien einen Asylantrag gestellt. Auf Grund dieser Registrierung bzw. der erfolgten ausdrücklichen Zustimmung sei jedenfalls von einer Zuständigkeit Bulgariens auszugehen. Die Dublin III-VO normiere kein subjektives Recht auf die Zuständigkeit eines bestimmten Landes für Parteien, sondern ausschließlich Rechte und Pflichten zwischen Staaten. Weitere Ausführungen in Bezug auf die seitens des BFA jedenfalls zu Recht angenommene Zuständigkeit Bulgariens bedürfe es demnach nicht.

12       Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen dieses Erkenntnis erhobene Revision nach Einleitung des Vorverfahrens - Revisionsbeantwortung wurden nicht erstattet - erwogen:

13       Der Revisionswerber bringt unter dem Gesichtspunkt der Zulässigkeit der Revision vor, das Bundesverwaltungsgericht sei mit seiner Rechtsmeinung, die Dublin III-VO normiere kein subjektives Recht auf Zuständigkeit eines bestimmten Landes für Parteien, sondern ausschließlich Rechte und Pflichten zwischen Staaten, von der Rechtsprechung des EuGH und des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen. Die anlässlich der in Österreich erfolgten Asylantragstellung durchgeführte Eurodac-Abfrage decke sich mit dem Vorbringen des Revisionswerbers in der Erstbefragung, wonach er von Bulgarien nach seiner dortigen Asylantragstellung im Februar 2015 in sein Heimatland Afghanistan abgeschoben worden und im Jänner 2016 über die Türkei, Griechenland, Mazedonien, Serbien, Kroatien und Slowenien nach Österreich gekommen sei. Das Bundesverwaltungsgericht habe sich nicht damit auseinandergesetzt, dass eine Zuständigkeit Bulgariens auf Grund der dortigen illegalen Einreise bzw. Asylantragstellung nur vorliegen könne, wenn sich der Revisionswerber bis zu seiner neuerlichen Asylantragstellung in Griechenland entweder durchgehend im „Dublin-Gebiet“ aufgehalten oder dieses nicht für länger als drei Monate verlassen hätte. Das sei aber weder festgestellt worden noch sei es in Anbetracht der vom Revisionswerber geltend gemachten Abschiebung aus Bulgarien (nach Afghanistan) und der durch den griechischen Eurodac-Treffer belegten Wiedereinreise aus der Türkei anzunehmen.

14       Die Revision ist zulässig und berechtigt.

15       Das Bundesverwaltungsgericht, das die Zuständigkeit Bulgariens auf Art. 18 Abs. 1 lit. b der Dublin III-VO stützt, bezieht sich mit seiner Rechtsmeinung offenkundig auf das zur Verordnung (EG) Nr. 343/2003 (Dublin II-VO) ergangene Urteil des EuGH vom 10. Dezember 2013, C-394/12, Abdullahi, wonach in einem Fall, in dem ein Mitgliedstaat der Aufnahme eines Asylwerbers nach Maßgabe des in Art. 10 Abs. 1 der Dublin II-VO niedergelegten Kriteriums zugestimmt hat, der Asylwerber der Heranziehung dieses Kriteriums nur damit entgegentreten kann, dass er systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylwerber in diesem Mitgliedstaat geltend macht.

16       In seinem Urteil vom 7. Juni 2016, C-63/15, Ghezelbash, hat der EuGH ausgesprochen, dass sich die Rechtslage nach der Dublin III-VO insofern von der Vorgängerregelung der Dublin II-VO maßgeblich unterscheidet und Art. 27 Abs. 1 der Dublin III-VO im Licht des 19. Erwägungsgrundes dieser Verordnung dahin auszulegen ist, dass in einem Sachverhalt, wie dem im dortigen Ausgangsverfahren fraglichen, ein Asylbewerber im Rahmen eines Rechtsbehelfs gegen eine Entscheidung über seine Überstellung die fehlerhafte Anwendung eines in Kapitel III dieser Verordnung festgelegten Zuständigkeitskriteriums geltend machen kann. In einem weiteren Urteil vom 7. Juni 2016, C-155/15, Karim, hat der EuGH diese Sichtweise bekräftigt und ausgesprochen, dass Art. 27 Abs. 1 der Dublin III-VO im Licht des 19. Erwägungsgrundes dieser Verordnung dahin auszulegen ist, dass in einem Sachverhalt, wie dem in diesem Ausgangsverfahren fraglichen, ein Asylbewerber im Rahmen eines Rechtsbehelfs gegen eine Entscheidung über seine Überstellung einen Verstoß gegen die Regelung des Art. 19 Abs. 2 Unterabsatz 2 der Verordnung geltend machen kann.

17       Der EuGH hat daher die zur Dublin II-VO ergangene Rechtsprechung auf die Dublin III-VO nicht übertragen. Die richtige Anwendung der genannten Kriterien der Dublin III-VO für die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates darf folglich zum Thema einer an das Bundesverwaltungsgericht erhobenen Beschwerde gemacht werden (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 14. Dezember 2016, Ra 2016/19/0078, mwN).

18       Gemäß Art. 19 Abs. 2 Unterabsatz 1 Dublin III-VO erlöschen die Verpflichtungen aus ihrem Art. 18 Abs. 1 zur Aufnahme und Wiederaufnahme eines Asylbewerbers grundsätzlich, wenn der zuständige Mitgliedstaat, der um Wiederaufnahme eines Asylbewerbers ersucht wird, nachweisen kann, dass der Asylbewerber das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten für mindestens drei Monate verlassen hat. Durch Art. 19 Abs. 2 Unterabsatz 2 Dublin III-VO wird klargestellt, dass ein nach einer solchen Abwesenheitszeit gestellter Antrag als ein neuer Antrag gilt, der ein neues Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats auslöst.

19       Dazu hat der EuGH in seinem Urteil vom 7. Juni 2016, C-155/15, Karim, ausgeführt, dass in einem Fall, in dem ein Drittstaatsangehöriger nach der Stellung eines ersten Asylantrags in einem Mitgliedstaat das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten für mindestens drei Monate verlassen hat, bevor er einen neuen Asylantrag in einem anderen Mitgliedstaat gestellt hat, Art. 19 Abs. 2 Dublin III-VO dem Mitgliedstaat, bei dem der neue Asylantrag gestellt worden ist, die Verpflichtung auferlegt, auf der Grundlage der Vorschriften der Verordnung das Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats durchzuführen, der für die Prüfung des neuen Asylantrags zuständig ist (vgl. dazu nochmals das hg. Erkenntnis Ra 2016/19/0078).

20       Der Revisionswerber hat bereits in seiner Erstbefragung behauptet, nach Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz in Bulgarien nach Afghanistan „zurückgeschoben“ worden zu sein. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedoch keine Feststellungen dazu getroffen, wo sich der Revisionswerber in der Zeit zwischen Februar 2015 und seiner Einreise in Österreich aufgehalten hat. Im Fall der Richtigkeit seines Vorbringens ist ein Aufenthalt des Revisionswerbers außerhalb des Gebietes der Mitgliedstaaten der Europäischen Union von mehr als drei Monaten in einem Zeitraum von ungefähr elf Monaten nicht auszuschließen, womit aber eine Zuständigkeit Bulgariens erloschen wäre (vgl. für den Fall einer tatsächlichen Abschiebung auch Art. 19 Abs. 3 der Dublin III-VO).

21       Entgegen der Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts ergibt sich im vorliegenden Fall eine Zuständigkeit Bulgariens weder automatisch durch dessen ausdrückliche Zustimmung zur Wiederaufnahme des Revisionswerbers noch aus der Eurodac-Abfrage. Art. 18 Abs. 1 lit. b der Dublin III-VO knüpft offenkundig an die bereits davor - an Hand der in Kapitel III festgelegten Kriterien (Art. 7 bis 15) - erfolgte Ermittlung des für die Prüfung eines Antrages auf internationalen Schutz zuständigen Mitgliedstaates an. Dass Art. 18 der Dublin III-VO für sich genommen zuständigkeitsbegründend sei, wurde von der hg. Rechtsprechung auch bereits verworfen (vgl. den hg. Beschluss vom 20. Dezember 2016, Ra 2016/21/0345).

Das Bundesverwaltungsgericht wäre daher entgegen seiner Ansicht verpflichtet gewesen, auf das Vorbringen des Revisionswerbers einzugehen und auf Grund der dazu zu treffenden Feststellungen ein mögliches Erlöschen der Zuständigkeit Bulgariens zu prüfen.

22       Das angefochtene Erkenntnis war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.

23       Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 18. Oktober 2017

Gerichtsentscheidung

EuGH 62015CJ0063 Ghezelbash VORAB
EuGH 62015CJ0155 Karim VORAB

Schlagworte

Gemeinschaftsrecht Verordnung EURallg5

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2017:RA2017190034.L00.1

Im RIS seit

11.08.2021

Zuletzt aktualisiert am

11.08.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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