TE Vwgh Erkenntnis 2017/10/18 Ra 2016/13/0035

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Veröffentlicht am 18.10.2017
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
32/02 Steuern vom Einkommen und Ertrag;

Norm

EStG 1988 §18 Abs7;
VwGG §42 Abs2 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fuchs und die Hofräte Dr. Nowakowski, MMag. Maislinger und Mag. Novak sowie die Hofrätin Dr. Reinbacher als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Engenhart, über die Revision des S in B, vertreten durch die Ecovis Austria Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft m.b.H. in 1060 Wien, Schmalzhofgasse 4, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes vom 19. Mai 2016, Zl. RV/7104400/2009, betreffend Einkommensteuer für die Jahre 2003 und 2004, zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein Facharzt, betrieb von 1983 bis März 1994 eine Kassenordination in 1100 Wien. Im Jänner 1995 teilte er dem Finanzamt mit, er habe die Ordination per Ende März 1994 veräußert und werde im Jahr 1995 nur Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit erzielen. Seine Einkommensteuererklärung für das Jahr 1995 wies für die Monate Jänner bis März 1995 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, bezogen von einer GmbH in 1010 Wien, X-Adresse, und darüber hinaus hohe Verluste aus selbständiger Arbeit aus, die zu einem erheblichen Teil aus Verrechnungen zwischen der GmbH und dem nun an der X-Adresse wieder als selbständiger Facharzt tätigen Revisionswerber stammten. Im Jahr 1996 verlegte der Revisionswerber seine Ordination (und die GmbH ihre Geschäftsanschrift) nach 1010 Wien, Y-Adresse. Auch in diesem und im Folgejahr 1997 waren die Einkünfte aus selbständiger Arbeit negativ. Im Jahr 2000 wurde die GmbH gelöscht.

2 In der Einkommensteuererklärung für das (erste) Streitjahr 2003 erklärte der Revisionswerber Einkünfte aus selbständiger Arbeit in der Höhe von etwa EUR 25.000 und "offene Verlustabzüge aus den Jahren ab 1991" in der Höhe von etwa EUR 84.000. Sowohl für dieses Jahr als auch für das (zweite) Streitjahr 2004, in dem die erklärten Einkünfte aus selbständiger Arbeit etwa EUR 89.000 betrugen, wurden in den Einkommensteuerbescheiden Verlustabzüge vorgenommen.

3 Im Jänner 2009 übermittelte der Revisionswerber zusammen mit einer Selbstanzeige berichtigte Steuerklärungen u.a. für die beiden Streitjahre. Er legte dazu dar, die etwas höheren Einkünfte im ersten Streitjahr führten in diesem Jahr zu einem etwas höheren und beim vollständigen Verbrauch des vortragsfähigen Verlustes im Folgejahr zu einem etwas geringeren Verlustabzug als bisher.

4 Im Bericht vom 7. August 2009 über eine beim Revisionswerber durchgeführte Außenprüfung vertrat der Prüfer die Ansicht, die vom Revisionswerber, der den Gewinn gemäß § 4 Abs. 3 EStG 1988 ermittle, gemäß § 18 Abs. 7 EStG 1988 in der für die Streitjahre noch maßgeblichen Fassung als Anlaufverluste geltend gemachten Verluste aus den Jahren 1995 bis 1997 seien nicht anzuerkennen. Die Ausübung der gleichartigen Tätigkeit als Facharzt (gemeint: wie bis März 1994) an einem neuen Standort ("Verlegung der Ordination") stelle auch dann keine Betriebseröffnung im Sinne der zuletzt genannten Bestimmung dar, wenn man berücksichtige, dass der Revisionswerber am neuen Standort nur mehr Privatpatienten betreut habe.

5 In seiner Berufung gegen die der Ansicht des Prüfers folgenden Einkommensteuerbescheide vom 10. August 2009 für die beiden Streitjahre machte der Revisionswerber - ohne Bezugnahme auf die GmbH und seine vorübergehend unselbständige Tätigkeit - geltend, er habe "im Jahr 1995" eine Privatordination in 1010 Wien, X-Adresse, eröffnet, und "davor" eine Kassenordination in 1100 Wien geführt. Die beiden Ordinationen unterschieden sich in der Patientenstruktur und organisatorisch, die Privatordination sei mit neuem Personal und neuer Ordinationseinrichtung eröffnet worden. Der neue Betrieb sei mit dem bisherigen "nicht vergleichbar" gewesen.

6 Der Prüfer verwies in seiner Stellungnahme zur Berufung auf die GmbH, deren Geschäftsführer der Revisionswerber gewesen sei, und auf die Rolle der Verrechnungen mit der GmbH beim Zustandekommen der strittigen Verluste. Zur Entstehung eines neuen und andersartigen Patientenstocks vertrat er die Auffassung, dies reiche nicht aus, um die Tätigkeit als nicht mehr "vergleichbar" erscheinen zu lassen. Darüber hinaus sei der vom Revisionswerber geltend gemachte Betrag von im Jahr 2003 noch vortragsfähigen Verlusten in der Höhe von etwa EUR 84.000 nicht nachvollziehbar.

7 Der Revisionswerber antwortete darauf - nach Vorlage der Berufung an den unabhängigen Finanzsenat - mit Schreiben vom 23. Februar 2010, die Differenz zur Berechnung des Verlustes durch den Prüfer resultiere daraus, dass im Jahr 2000 die "Praxisklinik" aufgelöst worden sei. Durch die "Umgründung" seien die Verluste "aliquot auf die Gesellschafter" und damit zu 90% - im Ausmaß von mehr als EUR 36.000 - auf den Revisionswerber übergegangen.

8 Dieser Eingabe war eine persönliche Sachverhaltsdarstellung des Revisionswerbers angeschlossen, in der er im Wesentlichen erklärte, er habe sich nach Patentierung einer neuen Behandlungsmethode im Jahr 1993 zur Schließung der Kassenordination in 1100 Wien mit Ende März 1994 entschlossen, eine von der GmbH zu betreibende "Tagesklinik" (in 1010 Wien, X-Adresse) gegründet und die medizinischen Leistungen dort im Namen und auf Rechnung der Tagesklinik durchgeführt. Wegen rechtlicher Schwierigkeiten bei der Genehmigung der Tagesklinik habe er "Anfang 1995" aber auch eine Ordination eröffnet. Im Jahr 1996 sei die Tagesklinik liquidiert und die Ordination an die Y-Adresse verlegt worden.

9 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesfinanzgericht die von ihm als Beschwerde zu behandelnde Berufung als unbegründet ab. Nach einer Darstellung des Verfahrensganges - unter Einschluss des Vorbringens über einen umgründungsbedingten Übergang von Verlusten - stellte das Bundesfinanzgericht zum Sachverhalt u.a. fest, mit Generalversammlungsbeschluss vom 2. November 1999 sei die Umwandlung "der Tagesklinik" gemäß §§ 2 ff UmwG "durch Übertragung auf den Gesellschafter Bf." erfolgt. Die strittigen Verluste des Revisionswerbers aus den Jahren 1995 bis 1997 seien zum größten Teil aus Verrechnungen mit der jeweils am selben Standort befindlichen GmbH entstanden (Kostenüberrechnungen, Verkauf von Ordinationseinrichtung). Die von den Kostenüberrechnungen erfassten Zeiträume reichten nach aktenkundigen Rechnungen aus dem Jahr 1997 bis in den Juli 1994 zurück.

10 Das Bundesfinanzgericht stellte sodann dar, in welchen Fällen eine Entstehung von Anlaufverlusten im Sinne des § 18 Abs. 7 EStG 1988 in der Fassung vor dem KMU-Förderungsgesetz 2006, BGBl. I Nr. 101, anzunehmen sei. Für den vorliegenden Fall komme davon nur die "Umwandlung einer schon bisher ausgeübten betrieblichen Tätigkeit und Fortführung in einer nicht mehr vergleichbaren Form" in Betracht. Eine "völlig veränderte Fortführung" der vom Revisionswerber schon jahrelang ausgeübten Facharzttätigkeit liege nach Ansicht des Bundesfinanzgerichtes aber nicht vor.

11 Die "Verlegung des Standortes" sei keine wesentliche Änderung der Betriebsführung, wozu noch komme, dass der Revisionswerber "seine Tätigkeit unter Nutzung einer schon vorhandenen, von der Tagesklinik geschaffenen betrieblichen Struktur ausüben konnte" und diese auch nicht erst ab 1995, sondern den aktenkundigen Rechnungen nach spätestens ab Juli 1994 ausgeübt habe. Dass er nur noch Privatpatienten behandelt habe, sei keine wesentliche Änderung und seinen Angaben nach nur darauf zurückzuführen, dass kein Kassenvertrag mehr zustande gekommen sei. Auch die neue Behandlungsmethode bedeute keine wesentliche Änderung der Betriebsführung. Schließlich sei in einer Entscheidung des unabhängigen Finanzsenates vom 26. April 2010, RV/1339-W/06, auch schon dargelegt worden, dass eine "völlige Veränderung der Tätigkeit" bei Angehörigen freier Berufe "gar nicht möglich" sei, "ohne dass der Charakter des jeweiligen Berufsbildes verloren ginge".

12 Die Beschwerde sei deshalb abzuweisen, womit sich ein Eingehen auf Fragen der Höhe der in den Streitjahren noch offenen Verlustabzüge erübrige. Eine Revision gegen diese Entscheidung sei gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil ausschließlich Sachverhaltsfragen zu klären gewesen seien.

13 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, in der zu ihrer Zulässigkeit dargelegt wird, das Bundesfinanzgericht sei erstens von Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den Voraussetzungen eines Anlaufverlustes abgewichen und habe zweitens den aus der Umwandlung herrührenden Verlust völlig außer Acht gelassen.

14 Das Finanzamt hat keine Revisionsbeantwortung erstattet.

15 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

16 Die Revision ist schon aus dem ersten der in ihr angeführten Gründe zulässig und begründet.

17 Gemäß § 18 Abs. 7 EStG 1988 in der hier maßgeblichen Fassung vor dem KMU-Förderungsgesetz 2006, BGBl. I Nr. 101, sind "Anlaufverluste, das sind Verluste, die in den ersten drei Veranlagungszeiträumen ab Eröffnung eines Betriebes entstehen," auch bei einem Steuerpflichtigen, der den Gewinn - wie der Revisionswerber - gemäß § 4 Abs. 3 EStG 1988 ermittelt, nach § 18 Abs. 6 EStG 1988 als Sonderausgaben zu berücksichtigen.

18 Diese Bestimmung ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes an Hand ihres Sinnes auszulegen, nämlich als Berücksichtigung der typischen Verlustsituation am Beginn einer betrieblichen Tätigkeit (vgl. dazu die Erkenntnisse vom 30. November 1993, 93/14/0156 bis 0158, VwSlg 6846/F, vom 7. August 2001, 96/14/0130, vom 25. Oktober 2006, 2006/15/0034, und vom 24. November 2011, 2008/15/0298, VwSlg 8683/F). In dem zuletzt genannten Erkenntnis hat der Verwaltungsgerichtshof - unter Bezugnahme auf Gesetzesmaterialien - weiter dargelegt, der Zweck der Regelung bestehe unzweifelhaft darin, dem Unternehmer, der eine betriebliche Tätigkeit beginne, für die in der ersten Phase dieser Tätigkeit anfallenden Verluste einen Vortrag in spätere Jahre positiver Einkünfte auch dann zu ermöglichen, wenn er sich für diese Gründungsphase der vereinfachten Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG 1988 bediene. Nach Verstreichen der Gründungsjahre sei der Erfolg der betrieblichen Tätigkeit bereits in einer gewissen Weise einschätzbar, und aus dieser Sicht könne der Unternehmer sich dann gegebenenfalls für die Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich mit der allgemeinen Verlustvortragsregel des § 18 Abs. 6 EStG 1988 entscheiden (vgl. in diesem Sinn auch noch das Erkenntnis vom 29. Jänner 2015, 2013/15/0166 und 2012/15/0228).

19 Im vorliegenden Fall ist das Bundesfinanzgericht dem Vorbringen des Revisionswerbers folgend davon ausgegangen, er habe seine Kassenordination in 1100 Wien geschlossen (veräußert), weil er geplant habe, seine ärztlichen Leistungen in Hinkunft im Rahmen einer unselbständigen Tätigkeit für die in der Rechtsform einer GmbH betriebene Tagesklinik in 1010 Wien zu erbringen. Eine solche Leistungserbringung habe zunächst auch stattgefunden. Erst rechtliche Hindernisse in der weiteren Durchführung dieses Vorhabens hätten den Revisionswerber dann dazu veranlasst, am neuen Standort und nunmehr ohne Kassenverträge wieder eine selbständige Tätigkeit aufzunehmen.

20 Davon ausgehend läge, entgegen der Ansicht des Bundesfinanzgerichtes, keine bloße "Verlegung des Standortes" der Ordination, sondern der neue Aufbau einer solchen unter veränderten Bedingungen und somit ein Sachverhalt vor, der nach dem dargestellten Zweck des § 18 Abs. 7 EStG 1988 in der hier noch maßgeblichen Fassung in den Anwendungsbereich dieser Bestimmung fiele. Das angefochtene Erkenntnis war schon aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

21 Im fortgesetzten Verfahren wird - abgesehen von einer Auseinandersetzung mit dem Vorbringen zu einem umwandlungsbedingten Verlustübergang - aber noch auf klärungsbedürftige Einzelheiten im Zeitablauf einzugehen sein, auf die im angefochtenen Erkenntnis zum Teil bereits hingewiesen wird (Gründung der GmbH schon 1993, Verrechnungen zwischen ihr und dem Revisionswerber schon für Zeiträume des Jahres 1994, aber Ankündigung von Einkünften nur noch aus nichtselbständiger Tätigkeit im Jänner 1995 und Erklärung solcher Einkünfte für die ersten Monate dieses Jahres). Von diesen Einzelheiten könnte es - bei im Übrigen gleichbleibenden Sachverhaltsannahmen - abhängen, ob 1994 oder 1995 als erstes Jahr des dreijährigen Anlaufzeitraums anzusehen wäre. Zu klären bleibt darüber hinaus aber auch, ob der Revisionswerber, wie das Bundesfinanzgericht an einer Stelle anzudeuten scheint, von der GmbH nicht nur einzelne Betriebsmittel, sondern den Betrieb der Tagesklinik erwarb und in geänderter Rechtsform, aber sonst vorerst unverändert weiterführte. Anlaufverluste kämen für ihn dann nur für einen Rest innerhalb von drei Veranlagungszeiträumen ab Betriebseröffnung der Tagesklinik in Betracht (vgl. insoweit Büsser in Hofstätter/Reichel, Die Einkommensteuer - Kommentar, 39. Lfg, 2007, § 18 Abs. 6 und 7 EStG 1988 Tz 6.1).

22 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 18. Oktober 2017

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2017:RA2016130035.L00

Im RIS seit

14.11.2017

Zuletzt aktualisiert am

15.12.2017
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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