RS Vfgh 2017/10/11 G56/2017 ua (G56/2017-14, G199/2017-8)

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Veröffentlicht am 11.10.2017
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Index

62/01 Arbeitsmarktverwaltung

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AuslBG §12a Z2, Anlage B "Zulassungskriterien für Fachkräfte in Mangelberufen gemäß §12a"
B-VG Art140 Abs3, Abs4

Leitsatz

Unsachlichkeit der Ausgestaltung des Punktesystems der Zulassungskriterien für Fachkräfte in Mangelberufen nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz in der Fassung 2011 angesichts der Benachteiligung der Berufsgruppe mit abgeschlossener Berufsausbildung durch die festgelegte Altersgrenze

Rechtssatz

Feststellung der Verfassungswidrigkeit des §12a Z2 AuslBG bis zum 30.09.2017 sowie der Anlage B "Zulassungskriterien für Fachkräfte in Mangelberufen gemäß §12a" des AuslBG idF BGBl I 25/2011.

Untrennbarer Zusammenhang zwischen §12a Z2 AuslBG und der Anlage B zum AuslBG idF BGBl I 25/2011: Hätte der VfGH lediglich die Anlage B in Prüfung gezogen und gegebenenfalls aufgehoben, wäre die Bestimmung des §12a Z2 AuslBG nicht mehr vollziehbar.

Dem Gesetzgeber kommt ein weiter rechtspolitischer Gestaltungsspielraum zu, wem der Status eines dauerhaft in Österreich Aufenthaltsberechtigten zuerkannt wird sowie welche Personen zum österreichischen Arbeitsmarkt zuzulassen sind. Dieser Gestaltungsspielraum umfasst auch die Festlegung von Altersgrenzen, nach deren Überschreitung ein Aufenthaltsrecht nicht mehr erteilt wird, weil der Gesetzgeber beispielsweise bei der Zulassung älterer Arbeitnehmer nachteilige Folgen für den Arbeitsmarkt oder - mangels Gelegenheit zum Erwerb einer die Armutsgrenze übersteigenden Altersversorgung - für den aus Steuermitteln zu finanzierenden Teil des Pensionsaufwandes befürchtet.

Das Bedenken des VfGH, dass die Ausgestaltung des Punktesystems in Anlage B im Hinblick darauf unsachlich ist, dass ausschließlich die Gruppe jener, die nur über eine abgeschlossene Berufsausbildung verfügen, im Alter von mehr als 40 Jahren von der Rot-Weiss-Rot-Karte ausgeschlossen sein sollten, konnte jedoch nicht zerstreut werden.

Die Bundesregierung übersieht, dass die Erteilung der Rot-Weiß-Rot-Karte - wie auch der Anlassfall zeigt - keineswegs mit dem erstmaligen Eintritt in den österreichischen Arbeitsmarkt verbunden sein muss, und sie legt auch nicht dar, dass es sich im Rahmen der Mangelberufe bei der Frage einer ausreichenden Altersversorgung um ein spezifisches Problem nur jener Personen handelt, die über eine abgeschlossene Berufsausbildung mit Pflichtschulabschluss verfügen, sodass es sachlich gerechtfertigt wäre, nur bei dieser Gruppe eine Grenze für die Erteilung der Rot-Weiß-Rot-Karte de facto mit dem 40. Lebensjahr zu ziehen. Personen, die einer der beiden anderen Gruppen (Universitätsreife, Studienabschluss) angehören, können nämlich allein mit den Punkten, die sie für ihre berufliche und sprachliche Qualifikation sowie für die Dauer ihrer bisherigen Verwendung erhalten, auch im Falle eines beliebig höheren Alters, also zu einem Zeitpunkt, zu dem diese Personen auch ungeachtet allfälliger höherer Verdienstmöglichkeiten keine ausreichende Altersversorgung mehr erlangen können, eine Rot-Weiß-Rot-Karte erhalten.

Auch das erhöhte Risiko einer Arbeitslosigkeit für Personen ab einem Alter von 50 Jahren vermag die Bedenken des VfGH nicht zu zerstreuen. Die Bundesregierung verweist pauschal auf allgemeine Arbeitslosenzahlen und vermag damit weder darzutun, dass eine vergleichbare Situation auf dem Arbeitsmarkt auch bei ausgesprochenen Mangelberufen (vgl §13 AuslBG) überhaupt besteht bzw eintreten wird, noch dass dies in besonderem Maße auf die Gruppe jener zutrifft, die eine abgeschlossene Berufsausbildung in einem Mangelberuf haben.

Eine Differenzierung nach dem Lebensalter wäre nur dann sachlich gerechtfertigt, wenn zwischen dem Lebensalter und der Ausbildung in Bezug auf die Arbeitsmarktsituation in Mangelberufen Unterschiede im Tatsächlichen bestehen würden, welche die Bundesregierung jedoch nicht darzulegen vermochte. Soweit der Gesetzgeber die Absicht verfolgt haben sollte, Personen nur bis zu einem bestimmten Alter zur Rot-Weiß-Rot-Karte zuzulassen, hat er diese Absicht nicht in einer dem Gleichheitssatz des BVG-Rassendiskriminierung entsprechenden Weise verwirklicht.

Auf Grund der Novellierung der Anlage B, welche mit 01.10.2017 in Kraft getreten ist und nur für Sachverhalte gilt, die sich nach dem 30.09.2017 ereignen, war festzustellen, dass Anlage B in der in Prüfung gezogenen Fassung verfassungswidrig war.

§12a Z2 AuslBG, der auf Grund des untrennbaren Zusammenhanges mit der in dieser Bestimmung verwiesenen Anlage B in Prüfung gezogen werden musste, hat durch die Novellierung der Anlage B ab 01.10.2017 eine Änderung seines Inhaltes erfahren. Ungeachtet dessen, dass in diesem Verfahren die Verfassungsmäßigkeit der Neuregelung der Anlage B vom VfGH nicht zu beurteilen ist, ist §12a Z2 AuslBG nicht als verfassungswidrig aufzuheben, sondern auszusprechen, dass die Bestimmung bis zur Neuregelung der Anlage B, dh bis 30.09.2017 verfassungswidrig war.

(Anlassfall E1913/2015, E v 11.10.2017, Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses).

Entscheidungstexte

Schlagworte

Ausländerbeschäftigung, Aufenthaltsrecht, Rechtspolitik, Novellierung, VfGH / Prüfungsumfang

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2017:G56.2017

Zuletzt aktualisiert am

20.03.2019
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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